Veröffentlicht inInterview

»Die Sprache war so hart, dass sie das Universum des Konzertsaals zerschlug.«

Ob mit Julius Eastmans Prelude to the Holy Presence of Joan d’Arc, Beethovens Missa Solemnis oder Anthony Davis’ X: The Life and Times of Malcolm X – Davóne Tines beim Singen zuzuhören, ist, als würde man dem Extremkletterer Alex Honnold beim ungesicherten Besteigen von El Capitan zusehen: Man ist beeindruckt von der rohen Kraft und […]

Veröffentlicht inHundert 11

Akademisch, vulkanisch

(Fast) immer, wenn ich Musik von Sergej Tanejew höre, frage ich mich, warum er nicht öfter gespielt wird. Denn obwohl in praktisch jedem Programmheft steht, der russische Komponist habe Zeitgenossen als »akademisch« und »trocken« gegolten, erlebe ich seine Musik stets von neuem als feurig, ja vulkanisch; außerdem verliebte sich ja auch die lebenshungrige Sofia Tolstaja, […]

Veröffentlicht inInterview

Carmen stirbt nie

Feurig blitzende Augen, hypnotischer Hüftschwung und wallende Lockenpracht – Kaum eine Opernheldin wird mit so vielen Stereotypen in Verbindung gebracht wie Georges Bizets Carmen. In einer Inszenierung am Mecklenburgischen Staatstheater treibt Regisseurin Anna Weber das Vorurteil auf die Spitze: Carmen ist bei ihr keine normale Frau, sondern eine Vampirin. Ich treffe sie in Berlin zu […]

Veröffentlicht inRankings

Zehn Stellen in klassischen Werken, die (fast) immer falsch gespielt werden

In dieser Playlist geht es um Stellen, nicht um ganze Werke! Darum hier nicht gesondert aufgeführt: Die 1824 zu Papier gebrachte Sonate in a für Arpeggione und Klavier von Franz Schubert. Der Arpeggione – diese sechsseitige Mischung von Violoncello und Gitarre – konnte sich nicht so richtig durchsetzen, weswegen die Schubert-Sonate fast nie auf einem […]

Veröffentlicht inHundert 11

Betend, berstend

Manchmal stimmt einen die Wiederbegegnung nach längerer Zeit milder gegenüber einer Inszenierung, die einen seinerzeit beim Kennenlernen mopste. So ist es mir zum Beispiel mit Kirsten Harms’ fünfzehn Jahre alter Tannhäuser-Regie ergangen, die im Rahmen einer Gesamt-Wagner-Durchmessung (einschließlich inhärentem Dirigenten-Casting) an der Deutschen Oper Berlin wiederzusehen ist. Mein früherer Grimm über Unzulänglichkeiten und Zumutungen, etwa […]

Veröffentlicht inNachricht der Woche

Pfaueninsel

Kulturschaffende aufgepasst: Nächste Woche ist wieder Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses! Wer seinem Projekt jetzt noch eine Bundesförderung zuteilwerden lassen möchte, sollte mit seinen lokalen Bundestagsabgeordneten in Kontakt treten. Wenn dann in der nächtlichen Marathonsitzung das so genannte »Spielgeld« frei wird, muss er oder sie zugreifen. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. So schaffen es zuweilen auch Kulturprojekte […]

Veröffentlicht inHundert 11

Vielleicht gerade richtig

Während ich tags zuvor beim Krematoriums-Konzert des Solistenensemble Kaleidoskop und der Sängerin Anika gefühlt der älteste Sack im Saal war, könnte ich mir bei den Berliner Philharmonikern glatt die Schwachheit einbilden zu meinen: Hier wäre ich der jüngste. Denn vor Konzertbeginn werden wir per Lautsprecher-Ansage nicht nur ums Ausschalten unserer notorischen Handys gebeten, sondern auch […]

Veröffentlicht inHundert 11

Herbstwaldrand

Manchmal können »innovative Konzertformate« doch von absolut sympathischer Schnörkellosigkeit sein: etwa, indem ganz simpel zwei grundverschiedene Werke einander gegenübergestellt werden, die hirnverknotenderweise zur selben Zeit entstanden. 1970 war das Jahr, in dem jenseits des Atlantischen Ozeans eine Deutsche namens Christa Päffgen alias »Nico« gemeinsam mit John Cale das höchst eigenartige Album Desertshore gebar und diesseits […]

Veröffentlicht inRausch & Räson

Allegro molto vivace

Im ICE war ich wieder auf Tschaikowsky gekommen, mit ihm macht Eisenbahnfahren noch Spaß, und im Finale der Fünften kann man sogar so etwas wie eine vor Sehnsucht außer Kontrolle geratene Dampflok über die Schienen rasen sehen. Aber jetzt war mir nach einem Scherzo, und ich suchte auf Youtube nach dem aus der Zweiten Sinfonie, […]

Veröffentlicht inHundert 11

Neuköllner Oratorium

Gegensätzliche Welten in Neukölln: Während in der Sonnenallee allnächtliche Ausschreitungen inklusive antisemitischer Exzesse viele erschrecken, scheinen in der parallel verlaufenden Karl-Marx-Straße am Donnerstagabend solche Konflikte weit entfernt. In der Neuköllner Oper werden Kompositionen von Johann Sebastian Bach aus Kantaten, Motetten, Passionen herausgelöst, um daraus eine Art Oper zu backen. Bach, der ja Parodist oder Kontrafakturist im […]