Erfreulich, was für ein hohes Wagner-Grundniveau an der Deutschen Oper Berlin (immer noch oder wieder?) möglich ist, wenn Aufführungen gut besetzt sind und gut geleitet werden. Das zeigt sich an meinem zweiten Wagner-Doppel-Wochenende in diesem November: Nachdem ich kürzlich einen vorzüglichen Tannhäuser und einen eher durchwachsenen Fliegenden Holländer erlebte, war ich nun bei einem fabelhaften […]
»Die Sprache war so hart, dass sie das Universum des Konzertsaals zerschlug.«
Ob mit Julius Eastmans Prelude to the Holy Presence of Joan d’Arc, Beethovens Missa Solemnis oder Anthony Davis’ X: The Life and Times of Malcolm X – Davóne Tines beim Singen zuzuhören, ist, als würde man dem Extremkletterer Alex Honnold beim ungesicherten Besteigen von El Capitan zusehen: Man ist beeindruckt von der rohen Kraft und […]
Akademisch, vulkanisch
(Fast) immer, wenn ich Musik von Sergej Tanejew höre, frage ich mich, warum er nicht öfter gespielt wird. Denn obwohl in praktisch jedem Programmheft steht, der russische Komponist habe Zeitgenossen als »akademisch« und »trocken« gegolten, erlebe ich seine Musik stets von neuem als feurig, ja vulkanisch; außerdem verliebte sich ja auch die lebenshungrige Sofia Tolstaja, […]
Carmen stirbt nie
Feurig blitzende Augen, hypnotischer Hüftschwung und wallende Lockenpracht – Kaum eine Opernheldin wird mit so vielen Stereotypen in Verbindung gebracht wie Georges Bizets Carmen. In einer Inszenierung am Mecklenburgischen Staatstheater treibt Regisseurin Anna Weber das Vorurteil auf die Spitze: Carmen ist bei ihr keine normale Frau, sondern eine Vampirin. Ich treffe sie in Berlin zu […]
Zehn Stellen in klassischen Werken, die (fast) immer falsch gespielt werden
In dieser Playlist geht es um Stellen, nicht um ganze Werke! Darum hier nicht gesondert aufgeführt: Die 1824 zu Papier gebrachte Sonate in a für Arpeggione und Klavier von Franz Schubert. Der Arpeggione – diese sechsseitige Mischung von Violoncello und Gitarre – konnte sich nicht so richtig durchsetzen, weswegen die Schubert-Sonate fast nie auf einem […]
Musik für ein Wunder
Eine Nische ist nicht genug. Die 1969 geborene Heike Matthiesen hat im Lauf ihrer Karriere nicht nur eine besondere Kunst aus der Sphäre des Spezialistentums geholt, sondern in diesem eine weitere Nische erforscht, die sich zuhörends als wahre Schatzkammer erweist. Die Gitarre war zwar in gewisser Weise das populäre Instrument des 20. Jahrhunderts, im weiten […]
Raus mit der Sprache: Überleben wir – ja oder nein?
Ab jetzt spricht Michel Friedman über Oper. Gleich eine ganze Gesprächsreihe bekommt er in Frankfurt. Eine gute Idee. Als Anwalt, Publizist, Philosoph und nicht zuletzt auch Immobilienexperte verfügt er über multiple Kompetenzen, um diesem brüchigen alten Kraftwerk der Gefühle wieder auf die Sprünge zu helfen. Friedman sagt: »Opernstoffe verhandeln Themen, die uns in der Gegenwart […]
»Wenn man ins Konzert geht, interessiert es einen dann, wer neben einem sitzt?«
In den Tiefen des Internets findet sich ein Foto von Vasily Petrenko, wie er mit einem Bündel 5-Pfund-Noten neben einer Mülltonne posiert. Das Bild war Teil der Kampagne »Be A Binner, Not A Sinner« (in etwa: Nutz den Mülleimer, sei kein Sünder) des Liverpool Echo, der Liverpool sauberer machen und so den Ruf der Stadt […]
Betend, berstend
Manchmal stimmt einen die Wiederbegegnung nach längerer Zeit milder gegenüber einer Inszenierung, die einen seinerzeit beim Kennenlernen mopste. So ist es mir zum Beispiel mit Kirsten Harms’ fünfzehn Jahre alter Tannhäuser-Regie ergangen, die im Rahmen einer Gesamt-Wagner-Durchmessung (einschließlich inhärentem Dirigenten-Casting) an der Deutschen Oper Berlin wiederzusehen ist. Mein früherer Grimm über Unzulänglichkeiten und Zumutungen, etwa […]
1923
Was für ein Jahr! Am 31. Dezember 1922 notiert die passionierte Tagebuchschreiberin Hedwig Pringsheim: »Möge 1923 besser werden, als dies nach jeder Richtung schlimmste 1922. Amen!« 365 Tage später resümierte sie lapidar: »Adieu 1923; du warst nicht schön«, und setzte danach zwei lange Gedankenstriche. Zwischen Pringsheims emotionsgeladenem Stoßgebet und ihrem lakonischen Rückblick liegt eine Zeit […]