Vom Anfang hängt alles ab; oder zumindest ziemlich viel. Am Anfang von Alban Bergs Oper Wozzeck entgegnet der Protagonist seinem Vorgesetzten gleich zweimal »Jawohl, Herr Hauptmann«, dann einmal »Schlimm, Herr Hauptmann, schlimm, Wind« und schließlich noch einmal »Jawohl, Herr Hauptmann«. Dreimal also dieses Untertanenwort Jawohl, in dessen bellend-unterwürfigem Sound für Dostojewski, in seinem Roman Der […]
Autoren-Archive: Albrecht Selge
… lebt in Berlin, liebt Musik, schreibt Romane: u.a. ›Beethovn‹ (2020). Zuletzt erschien ›Silence‹.
Ist Stockhausens ›Gesang der Jünglinge‹ heute noch spannend?
Der Dirigent Ingo Metzmacher ärgerte sich über die Bemerkung unseres Autors, Karlheinz Stockhausens Gesang der Jünglinge sei heutzutage »entsetzlich langweilig« zu hören. Hier erklärt Metzmacher, warum Stockhausens Werk für ihn auch heute noch spannende Musik ist – und Albrecht Selge argumentiert dagegen. Pro: Dieser Fluss ist zeitlos schön (von Ingo Metzmacher) Wenn mich jemand fragte: […]
Schimmern und Zwitschern
Konzertreihen mit Klarinettenquintetten werden richtig interessant ab dem vierten Termin. Denn die ersten drei programmieren sich quasi von selbst: zuerst Mozart (wen zerrisse es nicht), dann Brahms (wen berührte es nicht), anschließend Carl Maria von Weber (wer schätzte es nicht). Dann aber kommt beispielsweise: Max Reger (welche Sau kennt das denn). Der Solist Jörg Widmann […]
Verismo trifft Film noir
Das ist mal goldener November an der Deutschen Oper Berlin: Er begann mit einem neuen Tristan, den Michael Thalheimer in ungeheurer Konzentration inszeniert und der musikalisch bis ins Detail vorzüglich gelang, und mündet nun in eine packende, rundum befriedigende Premiere von Umberto Giordanos selten gespielter Fedora. 1898 zu hoher Verismo-Zeit in Mailand uraufgeführt, war diese […]
Strudel ohne Apfel
Wunderland ist Wien ja eh immer, aber erst recht natürlich zur Christkindlmarktzeit, die hier geschäftstüchtig mittlerweile schon Anfang November beginnt, ab Allerseelen eine einzige lange Glühwei(h)nacht, winterlicher Apfelstrudel lässt Touristenherzen auferstehen. Sinnig getimet tut sich da nun im Theater an der Wien, das seit drei Jahren MusikTheater an der Wien heißt, ein Traumreich anderer Art […]
Sie sinkt, wie geblendet von seiner Nacktheit, in die Knie
Bei den Raritäten, die der Dirigent Iván Fischer gern aufführen lässt, bin ich nicht jedes Mal sicher, ob es sehr gut ist, das jetzt also auch kennengelernt zu haben. Andererseits, bei Fischer wird eigentlich alles interessant, auch das Uninteressante. Und schließlich, der Begriff »uninteressant« trifft es ja gar nicht, was Richard Strauss‘ Ballettmusik Josephs-Legende angeht. […]
Da tanzen die güldenen Karyatiden
Während die Wiener Philharmoniker mit dem Bruckner-Sensei ティーレマン • クリスティアン (transkr. Thielemann Christian) im schönen Japan gastieren, ist die glänzende Wiener Musikvereinsbude für erlesene nachbarschaftliche Gastspiele frei: Erst kommen die Leipziger, dann die Budapester. Und beide Orchester bringen einige erlesene Seltenheitskost mit in diesen Saal, der da gar herrlich gesäumet ist von 36 güldenen Karyatiden […]
Strauß oder Strauss, Hauptsache Johann
Dieser Johann Strauß ist anscheinend eine Verlegenheit, aber nicht, wie man erwarten könnte, außerhalb von Österreich, sondern innerhalb, ja selbst in Wien. Zumindest, wenn man österreichischen Kritikerstimmen folgt, die die justament am 200. Geburtstag, also dem 25. Oktober, premierte Neuinszenierung von Eine Nacht in Venedig einhellig verrissen und zerbissen: »Mummenschanz ohne Stimmenglanz« (Der Standard), im […]
Grausames Leben, knallbuntes Leben
»Das Leben ist so grausam wie das Sterben« ist ein eher ungewöhnlicher Vers in einem Musikstück für Kinder ab neun Jahren. Aber Detlev Glanerts Die drei Rätsel sind eben bezeichnungsgenau genommen »Oper für Kinder und Erwachsene«. Und man könnte erstens ergänzen: auch eine Oper für den Erwachsenen im Kind und für das Kind im Erwachsenen, […]
Ansteckende Heimatgefühle
Allseitiges Heimkehr-Empfinden, wenn Sir Simon Rattle die Berliner Philharmonie besucht. Vor allem, wenn er eines »seiner« Werke mitbringt, wie John Adams’ Harmonielehre. Dieses Mitte der 1980er entstandene Eklekto-Amalgam aus sogenanntem Minimalismus, sogenannter Spätromantik und sogenanntem Impressionismus (diese Etiketten sind ja ein Quark) ist ein Konzertsaal-Ereignis ersten Ranges – wenn es dem Publikum in Deutschland denn […]
