Im ICE war ich wieder auf Tschaikowsky gekommen, mit ihm macht Eisenbahnfahren noch Spaß, und im Finale der Fünften kann man sogar so etwas wie eine vor Sehnsucht außer Kontrolle geratene Dampflok über die Schienen rasen sehen. Aber jetzt war mir nach einem Scherzo, und ich suchte auf Youtube nach dem aus der Zweiten Sinfonie, […]
Autoren-Archive: Volker Hagedorn
…lebt als Buchautor, Journalist und Musiker in Norddeutschland. Er studierte Viola in Hannover, war Feuilletonredakteur in Hannover und Leipzig und ist seit 1996 selbstständig als Autor u.a. für ZEIT und Deutschlandfunk. Im Rowohlt Verlag erschienen von ihm »Bachs Welt« (2016) und »Der Klang von Paris« (2019). Sein neues Buch »Flammen. Eine europäische Musikerzählung 1900–1918« erscheint im April 2022.
»Der Glaube, dass man etwas ›historisch getreu‹ macht, war mal ein wichtiges Vehikel, aber das ist eine dumme Sache.«
Eine große, helle Altbauwohnung im Südosten von Hannover. Meterweise Bücher an den Wänden, Kunst auch, mittleres 20. Jahrhundert, in fast jedem Raum Instrumente: Cembali und Clavichorde, ein Tafelklavier, ein Orgelpositiv, eine digitale Orgel… Am Couchtisch sitzt Lajos Rovatkay, vor 90 Jahren in Budapest geboren, am 15. September 1933. Er ist einer der maßgeblichen Pioniere der […]
»Auf eine freie, sorglose Weise…«
Wie gelassen das beginnt. Und gelassen bleibt, im besten Sinn. Also nicht gleichgültig, nicht stagnierend, alles lebt und leuchtet. Aber die Musik wird nicht ergriffen und präsentiert, nicht analysiert und interpretiert. Gegriffen wird sie schon, es sitzt ja ein Pianist am Flügel, nur scheinen seine Hände, die wir nicht sehen können, sich sehr entspannt zu […]
Lange Schatten
Die Fortschrittsdoktrin der musikalischen Avantgarde ließ in der Nachkriegszeit ein ganzes Repertoire in den Schatten geraten und nötigte jeden Komponisten, sich zu ihr zu verhalten – und zu ihren einflussreichsten Exponenten Adorno, Stockhausen und Boulez. Seit etwa 30 Jahren ist das Geschichte, doch immer noch so nah, dass es am Überblick fehlt. Wie entstanden die […]
»Nur schnelle Schnitte, das ist ist so wirkungslos wie nur schnell spielen«
Wer sich Aufzeichnungen von Opern und Konzerten im Fernsehen anschaut oder auf DVD, hat mit großer Wahrscheinlichkeit schon einiges von ihm gesehen: Michael Beyer, Regisseur der Videos, in die solche Ereignisse umgesetzt werden. Ein Mann, der in keiner Besetzungsliste auftaucht, über dessen Arbeit die meisten wenig wissen – und der in der Branche einer der […]
»Ich ruhe in mir.«
Camilla Nylund, im finnischen Vaasa geboren, ist eine der herausragenden Interpretinnen lyrisch-dramatischer Sopranpartien. Sie teilt sich ihren Geburtstag mit dem von ihr viel gesungenen Richard Strauss, im Abstand von 104 Jahren, und gibt am 5. März in Zürich ihr Debüt als Brünnhilde in Richard Wagners Siegfried. Ein ganz anderes Debüt galt vor wenigen Wochen der […]
Strukturen aus der Zettelwirtschaft
Bis vor gut 100 Jahren waren die meisten Interpreten auch Komponisten. Im Lockdown knüpfte Andreas Staier, Cembalist und Fortepiano-Spieler, daran an. Und an seine Liebe zu Bach. Statt einer Anfängerarbeit wurde daraus die Entdeckung des Cembalos als autarkes Medium der Gegenwart. Eine Erzählung unter bewölktem Himmel, nachdenklich, mit großem Atem, mit Unausgesprochenem, das mit einem […]
»Wollen wir nicht mal nach Kuba fahren?«
Wenn ich Bachs Motetten höre, kommt mir mitunter das Aroma von Steak und Rotwein in den Sinn. Das kann man geschmacklos finden, es berührt aber die Frage, was Musik ist und was sich alles in ihr verbindet. Die Gegenwart des Komponisten mit der der Musikerinnen, zum Beispiel, und noch viel mehr. Die geschriebenen Noten sind […]
Besuch beim Einhorn
Den Komponisten Alfred Koerppen kennen nicht viele außerhalb Hannovers, wo er jahrzehntelang eine Professur hatte. Er schrieb abseits der Diskurse, voller Schönheit und Melancholie, oft in einer Harmonik herber Farben, mit enormem Sinn für Stimmen. Volker Hagedorn traf den 95-jährigen und seine Frau, die Geigerin Barbara Koerppen, ehe der gebürtige Wiesbadener am 5. Juli starb. […]
Schweben mit Bach
Eigentlich kann es diese Frau gar nicht geben. Das hatte ich vergessen, als ich auf die Filmszene stieß, ein Ausschnitt. Sie sitzt, die braunen Haare zum Zopf gebunden, im Kleid auf einem Tisch in einem getäfelten Raum, einer Bibliothek, neben ihr steht ein Mann im Anzug, Mitte vierzig, die Haare etwas zerzaust, und spricht sie […]