Im November 2021 schlängeln sich zwei Trompeten des Sinfonieorchesters Wuppertal durch die chromatischen Linien des Anfangsmotivs des Tuba Mirum, des vierten Satzes aus Antonin Dvořáks Requiem, bis ihr Klang schließlich mit einem beunruhigenden Holzbläserakkord verschwimmt. Es ist diese Art von exponierter Orchesterpassage, bei der man nur merkt, wie schwer sie eigentlich zu spielen ist, wenn jemand […]
Schlagwort: Themenspecial Probespiel
Über Sinn und Unsinn eines Aufnahmerituals
»Orchesterspiel ist immer offen.«
Das Probespiel ist eines der veränderungsresistentesten Rituale in der klassischen Musikkultur. Obwohl auch viele Orchestermusiker:innen seine Sinnhaftigkeit als Personalauswahlverfahren in Frage stellen, ist sein Ablauf seit Jahrzehnten mehr oder weniger gleich geblieben. Kritik wird dabei oft achselzuckend mit einer vermeintlichen Alternativlosigkeit begegnet: »Wir wissen, dass es schlecht ist, aber es geht nun mal nicht anders«. […]
»Beim Auswahlverfahren auf das gemeinsame Musizieren zu verzichten, ist schlichtweg unsinnig.«
Vor einigen Jahren veröffentlichte VAN einen Beitrag von mir zum Thema Probespiele. Lese ich jetzt die kontroverse Diskussion zur künstlerischen Ausbildung an Musikhochschulen, muss ich zwangsläufig darauf zurückkommen. Meiner Meinung nach tragen vor allem wir Orchestermusiker eine große Verantwortung dafür, dass der Unterricht an den Hochschulen nicht künstlerisch, sondern praxisorientiert abgehalten werden muss. Was bleibt […]
»Das Probespiel konterkariert als Methode der Personalauswahl den Charakter eines Orchesters als sensibles soziales System.«
Schon öfter waren Probespiele Thema in VAN: Im Tagebuch von Elena Cheah zu einem Probespiel beim Concertgebouworkest Amsterdam, im Interview mit dem Arzt, Psychotherapeuten, Trainer und Coach Michael Bohne, letzte Woche im Kommentar von Uli Haider, Hornist bei den Münchner Philharmonikern. Die verschiedenen Perspektiven vereinigten sich dabei in der Kritik an einer Praxis, die vielen als Ritual antiquiert und erbarmungslos erscheint, und als Methode der Personalauswahl weitestgehend ungeeignet. Dass das Probespiel trotzdem eine solch erstaunliche Beharrungstendenz an den Tag legt, lässt vermuten, dass es dabei um mehr gehen könnte, als einfach nur um die Reform eines Prozederes. Vielleicht erhellt ein Blick von außen den Grund. Wir haben mit Yukiko Elisabeth Kobayashi gesprochen, die 15 Jahre lang in großen Unternehmen Personalbereiche geleitet hat.
Probespiele sind das falsche Spiel.
In einem großen Orchester finden zahlreiche Probespiele statt. Auch wenn ich als Hornist nicht alle besuchen muss – die für Tutti-Streicherstellen sind beispielsweise für uns Bläser nicht verpflichtend – waren es im Laufe meines bisherigen Musikerlebens trotzdem eine ganze Menge. Je länger ich im Orchester bin, desto weniger kann ich Probespiele leiden. Es fällt mir […]
Spiel auf Probe
Als Elena Cheah im Herbst 2013 beim Concertgebouw-Orchester in Amsterdam für eine Solocello-Stelle vorspielt, kann sie bereits auf eine ziemlich beeindruckende Karriere zurückblicken. Sie spielte viele Jahre als Solocellistin im Orchester der Deutschen Oper Berlin unter Christian Thielemann und in der Staatskapelle Berlin unter Daniel Barenboim. Sie verfolgte eigene kammermusikalische Projekte, konzertierte als Solistin, schrieb Bücher und arbeitete als Professorin. Ein Bericht über Höhentrainingslager, einen Vorhang und ein riskantes Spiel.
»Im Grunde handelt es sich um ein archaisches Initiationsritual.«
VAN: Die Cellistin Elena Cheah schreibt in »Spiel auf Probe« über die extreme Stresssituation eines Probespiels für eine Solo-Cello Stelle beim Concertgebouw-Orchester in Amsterdam. Wie gucken Sie auf dieses Ritual? Michael Bohne: Das Probespiel ist aus Sicht des Orchesters ja eine Personalauswahlmaßnahme und geht als solche vollkommen am Bedarf vorbei. Man muss dort oft musikalisches […]