Je älter ein E-Musik-Werk ist, desto komplizierter ist meist die Überlieferungsgeschichte, was die Noten angeht. Die Überlieferungssituation zu Bachs Johannes-Passion – die Textgrundlage bilden namensgemäß das Johannes-Evangelium der Heiligen Schrift sowie frei hinzugenommene Texte – ist vergleichsweise luxuriös. Da gibt es ganz andere Fälle von hier und dort mühsam zusammengetragenen Versatzstücken, um so etwas wie »Aufführungsversionen« zur Verfügung zu stellen. Eine andere Frage ist – und die betrifft natürlich nicht nur die Johannes-Passion: Wie führt man das auf? In welchen Besetzungsgrößen? Wie »geschmacklos« sind Aufführungen, die nicht auf historischen Instrumenten beziehungsweise entsprechenden Nachbauten stattfinden? 

Für viele Menschen christlicher Provenienz ist es wichtig, um Ostern herum Bachs Matthäus- oder Johannes-Passion zu erleben. Die Geschichte rund um die Kreuzigung von Gottes Sohn. Die Vorgeschichte, die Zweifel, das Leiden, die umgebenden Gefühle, die Wirkung des Wirkens Christi … Wir sitzen da, lauschen der Abfolge von mitteilsamen Rezitativen (»die die Geschichte vorantreiben«, wie man schon brav am Anfang der Oberstufe lernte), Arien und dem ein oder anderen vielleicht erregten, erbosten – und dann eben ganz kirchenüblich im mehr oder weniger homophonen, rhythmisch im Gleichschritt übereinander erscheinenden – Chor. Der Chor dabei: die »Stimme des Volkes«, mithin die Gemeinde selbst. Ein »gelerntes Format« würde man vielleicht sagen: Das Neben- und Hintereinander der damals völlig üblichen Oratorien- und Kantaten-Bausteine. Unangenehme Überraschungen bietet das Leben ja sonst schon zur Genüge. 

Karfreitag 1725, ein Jahr nach Uraufführung, erklang die Johannes-Passion in der Leipziger Thomaskirche noch einmal. Kurz zuvor hatte Bach das Werk jedoch einer Revision unterzogen. Ganze Passagen hatte er gestrichen und neu komponierte Teile dafür eingesetzt. Der massivste Eingriff: Bach strich den Eingangschor Herr, unser Herrscher (1724) und fügte dafür den Choral O Mensch, bewein dein Sünde groß (1725) ein. Manche Interpretinnen und Interpreten nehmen heute für Aufnahmeprojekte Teile beider Johannes-Passion-Versionen auf, um so etwas wie »Vollständigkeit« zu signalisieren. Dieser Interpretationsvergleich konzentriert sich auf die Fassung von 1724 – und natürlich auf ausgesuchte einzelne Chöre, Arien, Rezitative und Choräle.

Der Beginn der Johannes-Passion

Herr, unser Herrscher (Chorus)

Der Eingangschor Herr, unser Herrscher ist so etwas wie ein Appell, ein Aufruf, eine Anrufung. Bach war sich natürlich bewusst, dass er so etwas wie eine »Ouvertüre« (der Begriff verwies damals eher auf etwas Instrumentales) komponierte, die in seiner Ausrufezeichenhaftigkeit Christinnen und Christen wachrütteln, ihnen eine Botschaft vermitteln sollte. Die Geschichte der historischen Figur von Jesus ist eine der Wünsche, Hoffnungen und selbsterfüllenden Prophezeiungen. Wenn man so will: Jesus kann als ein Postulat verstanden werden; eine originelle Mixtur von Sokrates und anderen früheren Wundertätern. 

Herr, unser Herrscher kommt also einem Musik gewordenem Ausrufezeichen gleich. Wie es bei Bibi Blocksberg damals hieß: »Komm und zeig uns, was du kannst!«, so hören wir hier die gesungenen Worte des Chores: »Zeig uns durch deine Passion, dass du, der wahre Gottessohn, zu aller Zeit, auch in der größten Niedrigkeit, verherrlicht worden bist!« 

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Karl Richter (Leitung) – Münchener Bach-Chor – Münchener Bach-Orchester (1964)

Die Karl-Richter-Aufnahme von 1964 ist die, mit der ich aufgewachsen bin.  Die Klein-Sekund-Reibungen der Flöten hört man gut in dieser Einspielung. Breitwandsound, großes Orchester, mehrere Kontrabässe, die bald engschrittige Abgänge bringen. Das »Herr, Herr, Herr« des Chors ist wirklich aufrüttelnd. Fast geschrien. Die Melismen – mehrere Töne auf einer Silbe – erklingen jeweils ziemlich »für sich«. Und das Klanggewand recht gleichförmig. Die Textverständlichkeit ist eher neblig. Wir haben es mit einem Gesamtpaket zu tun, mit dem Bratfett der Zeit. Das ist völlig legitim. Aber so würden wir das natürlich nicht mehr essen. Zumal die Melismen-Einzeltöne in ihrer Abgehacktheit doch irgendwann etwas gleichförmig wirken. Und nicht alle ehrenwerten Damen des Münchener Bach-Chors erreichen den Ton a2 (bei Minute 5.37). Man singt gemeinschaftlich in die Nähe eines Tons. Auf gut Glück. Ist das wirklich die Aufnahme, die ich damals für mich als »Standard« empfand?

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Benjamin Britten (Leitung) – English Chamber Orchestra – Wandsworth School Boys Choir (1971)

Eine besondere Einspielung! Mit Britten am Pult des English Chamber Orchestra. Und im Hintergrund: Der Wandsworth School Boys Choir; ein Knabenchor also, 1895 gegründet. Die lastenden Bässe klingen hier noch dumpfer in der Tiefe. Überhaupt erscheint das ganze Klangbild pessimistisch eingedunkelt. Die Jungen des Chores singen das schlanker und gebundener – in englischer Übersetzung. Erst einmal befremdlich, aber interessant. Die langen Tonketten werden hier etwas mehr entwickelt, im Sinne kleiner Crescendi. Kleine Imitations-Engführungen des Chores (wie in Takt 47) gehen im doch beträchtlichen Orchesterklang eher unter. So entsteht weniger inneres Drama. Äußeres Drama dafür schon. Der Opernkomponist Britten steht ja auch schließlich vorne. Überzeugt bin ich dennoch nicht.

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Helmuth Rilling (Leitung) – Gächinger Kantorei Stuttgart – Bach-Collegium Stuttgart (1984)

Na klar ist das »historisch informierte« Klangbild von Helmuth Rilling und Co. transparenter. Vor allem in den oberen und mittleren Instrumentalstimmen. Hier hört man, dass sich in den »verhexten« 16teln der Streicher wirklich etwas zusammenbraut. Der Choreinsatz gelingt sehr eindrücklich, schmerzvoll, expressiv. Vor allem die dynamische Zurücknahme anschließend: spannend. Auch vom Text dringt nun viel mehr in die Ohren als noch bei den Aufnahmen zuvor. Schön tönen auch Einzelheiten der Continuo-Gruppe zwischenzeitlich durch. Bei Textstrecken wie der bei »in allen Landen herrlich ist« hören wir deutlich die lebendige – für manche Hörer:innen sicher affektiv wirkende – Betonungs- und-Rückzugs-Ton-Gestaltungs-Taktik. Töne werden flugs angegangen, in die Luft geschleudert, um gleichzeitig wieder zu verduften. Äußerst beeindruckend gelingt der Gächinger Kantorei aber das von Bach auch wohl notierte Piano bei Minute 3.44. Das »auch in der größten Niedrigkeit« wird eben emphatisch ausgedeutet: niedergedrückt, fast geflüstert. Sehr fein!

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Nikolaus Harnoncourt (Leitung) – Concentus Musicus Wien – Arnold Schoenberg Chor (1993)

Wesentlich ruhiger, fast betäubt: Concentus Musicus Wien und Arnold Schoenberg Chor unter Nikolaus Harnoncourt, in seiner Einspielung von 1993. Das Gewicht liegt im Bass jeweils auf jeder »eins« und auf der »drei«. Im Grunde dirigiert das Harnoncourt alla breve. Der Chor nimmt die ersten Töne bei weitem kürzer und prononcierter – und setzt dann fast geschwächt, leidend ganz unten im Dynamik-Spektrum wieder an. Was aber wirklich berührt, das ist der echt klagende Charakter in der Stimmfärbung scheinbar jeder einzelnen Sängerin, jedes einzelnen Sängers. Hier hat ein Dirigent vermittelt, was dem imaginierten Volk bevorsteht. Die kleinen Crescendi werden ganz aus Konsonanten entwickelt, wobei diese gleichzeitig nicht plump betont erscheinen. Anlässlich der »Niedrigkeits«-Stelle sinkt man fast völlig hernieder. Als stünde man schon unten am Kreuze des todleidenden Jesu. Die temporäre Klang-Rückzugstaktik Harnoncourts wird aber manche Gemüter fast schon erzürnen – fürchte ich.

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René Jacobs (Leitung) – Akademie für Alte Musik Berlin – RIAS Kammerchor Berlin (2016)

Bei René Jacobs und der Akademie für Alte Musik Berlin klingen sogar die einzelnen Instrumente nach Orgel. Beeindruckend. Ganz in sich geschlossen und dennoch offen für Klagetöne und Dissonanzen. Die Basstöne bleiben noch länger liegen – und nehmen ab Minute 1.00 gewaltig an Bedrohungspotential zu. Der RIAS Kammerchor Berlin singt die ersten Töne wesentlich breiter als noch die Kolleginnen aus Stuttgart und Wien. Dafür kann man die Dramaturgie der Einzelmomente ganz wunderbar verfolgen. Bei toller Textverständlichkeit geht es weiter. Und ab Minute 2.00 werden wir dann überrascht, denn René Jacobs hat sich dafür entschieden, die Fugato-Einsätze zu Beginn jeweils von einzelnen Solistinnen und Solisten singen zu lassen. Erst ein paar Takte später setzt der »Rest-Chor« ein. Und diese Herausgezogenheit von Text, Klang und Individualität: Die macht mich emotional richtig fertig. Träneneinschuss, sofort. Denn so wird deutlich: Es geht nicht nur um die Masse an trauernden Menschen. Nein, diese Masse setzt sich aus leidenden Individuen zusammen; Hilfeschreie, ganz aus der Nähe. Unfassbar überzeugend.


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Dein Will gescheh, Herr Gott, zugleich (Choral)

Unverwechselbarer Teil jeder Passion sind natürlich die »einfachen« vierstimmigen Choräle. Der Choral Dein Will gescheh, Herr Gott, zugleich »ereignet« sich gewissermaßen direkt vor der Gefangennahme Jesu. Quasi antizipierend bittet man gemeinschaftlich um Geduld in schlechtesten Zeiten, um Gehorsam in Lieb und Leid. Der Choral steht dabei in d-Moll – und endet zeittypisch in Dur. Leiden – und Erlösung. 

Der Choral Dein Will gescheh, Herr Gott, zugleich
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Karl Richter (Leitung) – Münchener Bach-Orchester – Münchener Bach-Chor (1964)

Ich mag das. Dieser fast schreiende Chor … Ganz dicht gezogene Töne – und noch auf den Endnoten der jeweiligen Zeile fast ein Crescendo. Inbrunst – und dann diese Emphase, dieses Einbiegen in die Zielgerade am Ende. Irgendwie herrlich!

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Benjamin Britten (Leitung) – English Chamber Orchestra – Wandsworth School Boys Choir (1971)

Ruhiger, sachlicher und auf Choral-Homogenität bedacht: der Wandsworth School Boys Choir. Die kleinen Zäsuren werden nur angedeutet. Erst bei den letzten Worten steuert man so langsam den Schluss an. Wirkungsvoll.

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Helmuth Rilling (Leitung) – Bach-Collegium Stuttgart – Gächinger Kantorei Stuttgart (1984)

Rilling lässt seinen Chor die Klein-Sekund-Durchgangsdissonanzen ausdrucksvoll zelebrieren. Gut kann man einige Einzelstimmen heraushören. Und vor der Schlussnote setzt man voller Gefühl fast ab, scheint fast noch einmal einatmen zu wollen. Noch wirkungsvoller, weil subtiler.

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Nikolaus Harnoncourt (Leitung) – Concentus Musicus Wien – Arnold Schoenberg Chor (1993)

Wieder lässt Harnoncourt auf den Einzelnoten herumreiten. Das könnte auf Dauer etwas sehr enervierend sein. Ganz fahrig und dünn begleitet das Orchester. Hieraus werde ich nicht ganz schlau, wobei beim Blick auf den Text so etwas wie »Schwäche und Einsicht«, so etwas wie »Ich gebe nach« natürlich durchaus angemessen erscheint.

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René Jacobs (Leitung) – Akademie für Alte Musik Berlin – RIAS Kammerchor Berlin (2016)

Überzeugend bewegt im Tempo – weil nicht jede Note qualvoll durchkauend – und von den Konsonanten extrem gut sortiert. Vielleicht sogar etwas zu aufgesetzt. Wie man aber auf dem Wort »Leid« fast genussvoll zögernd verweilt: Das leuchtet mir komplett ein. Explizite Wort-Ausdeutung im eher abstrakt-musikalischen Umfeld: Ich liebe so etwas. Und wie klangvoll, räumlich, erdentief das D-Dur am Schluss durch meine Boxen an mein Ohr kommt: Dröhnende Erlösung. Toll.


Ich folge dir gleichfalls mit freudigen Schritten (Sopran)

Die Arie Ich folge dir gleichfalls mit freudigen Schritten wird nach der im Rezitativ »stattfindenden« Gefangennahme Christi gesungen und lediglich von Continuo und Flöte begleitet. Ein Weck- und Wach-Ruf, der nicht nur Simon Petrus betrifft. Eine Art Solidaritätserklärung für den Gefangenen.

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Karl Richter (Leitung) – Münchener Bach-Orchester – Evelyn Lear (Sopran) (1964)

Schön piepsen hohe Orgelregister aus der Continuo-Kombo mit, die Flötenstimme vogelartig im Hintergrund ergänzend. Dass Evelyn Lear keine Muttersprachlerin ist, das hört man. Mit selbst flötiger Stimme bringt sie eine Interpretation, die sich großartigen Deutungen enthält. Eine »okaye« Art, das zu singen, bestimmt. Bei 1.56 kann ich die Worte (eigentlich: »höre nicht auf«) dann aber so gar nicht mehr auseinanderhalten. Die Text-Atem-Ton-Verteilung scheint mir hier nicht ganz zu stimmen.

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Benjamin Britten (Leitung) – English Chamber Orchestra – Heather Harper (Sopran) (1971)

Hier geht man die Arie etwas gelassener an. Die Sopranistin Heather Harper hat eine schöne, helle Stimme. Bei Abphrasierungen hören wir in dieser superhalligen Akustik auch einmal eine etwas individuellere Expression in ihrer Stimmfärbung. Ansonsten düdelt das so vor sich hin. Das liegt vielleicht auch daran, dass hier der Kontrabassist nicht zupft (wie bei Richter), sondern streicht.

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Helmuth Rilling (Leitung) – Bach-Collegium Stuttgart – Arleen Auger (Sopran) (1984)

In der Rilling-Aufnahme pizzt man nun wieder bassseitig. Das bekommt der Arie gut. Alles etwas aufgelockerter. Flötenseitig wird nicht so streng gebunden, sondern hier und da auch mal getupft. Das liegt nahe, denn das Folgen mit freudigen Schritten soll ja leichtfüßig erfolgen – und so ist das beim Blick auf den Text schlüssig. Arleen Augers Interpretation kann ich dabei nicht immer zustimmen. Ihre Bindungen finde ich etwas angestrengt.

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Nikolaus Harnoncourt (Leitung) – Concentus Musicus Wien – Angela Maria Blasi (Sopran) (1993)

Hier erkennt man klanglich besser, dass auf Traversflöten gespielt wird. Ganz süß und schüchtern. Unschuldig, kindlich. Das berührt, da der Wunsch und das Versprechen, Jesus zu folgen, aus reinem Herzen heraus formuliert wird. Das zweite »zu bitten, selbst an mir zu ziehen, zu schieben« interpretiert Angela Maria Blasi feinsinnig. Sie legt ein wenig Glut in die Stimme, ein wenig Dringlichkeit – und durchleuchtet so die Worte »ziehen« und »schieben« auf kluge Art und Weise.

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René Jacobs (Leitung) – Akademie für Alte Musik Berlin – Sunhae Im (Sopran) (2016)

Flottes Tempo. Aber genau richtig, um am Ball zu bleiben. Lockere Fügung. Klangvoll wird hier gezupft im Bass. Sunhae Im legt darüber allerschönst ihre feine, liebe Stimme. An Phrasenenden sinnt sie dem Text noch immer ein wenig hinterher. Das ist wirklich gut.


Ach, mein Sinn (Tenor)

Jesus wird also zum Verhör vor den Hohepriestern geführt. Einer der Hohepriester – Kaiphas – bekräftigt ein früheres Urteil: Es sei besser, ein einzelner Mensch würde geopfert für das Volk, als dass es ganz verderbe. Petrus wird gefragt, ob er nicht einer der Jünger Jesu sei. Dieser verneint. Anschließend kommt es zur Arie Ach, mein Sinn. Die Gefühle nach der Verleugnung spiegeln sich hier wider. Fragen über Fragen. Denn: »Bei der Welt ist gar kein Rat«. Die existenzielle Suche nach Antworten setzt Bach in musikalische Symbole um. Nicht nur Trauer (»ergo«: Chromatik, kleinste, schmerzvolle Tonschritte), sondern auch die Herausforderungen des Suchens: Die Trauer-Chromatik wird jeweils »umgelegt« auf verschiedene Oktav-Räume im Bass …

Der Beginn der Arie Ach, mein Sinn
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Karl Richter (Leitung) – Münchener Bach-Orchester – Ernst Haefliger (Tenor) (1964)

Die Mannen Richters legen alles in das ausführliche Vorspiel hinein. Und Ernst Haefliger greift diese Leidenschaft sofort auf. Sein Ton bleibt aber nobel. Schön schaltet er bei »bleib ich hier« um, ist aber schnell wieder in der Situation von zuvor. Gut, es geht ja auch mit wirklich hohen Tönen und allerlei Punktierungen weiter.

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Benjamin Britten (Leitung) – English Chamber Orchestra – Robert Tear (Tenor) (1971)

Die Streicher unter Benjamin Britten zergehen etwas mehr im Schmerz und finden klarere Zäsuren. Robert Tear hat eine ganz andere Stimmfarbe als Haefliger, klar. Etwas nasaler und doch opernhafter. Dabei verschont er in Sachen Vibrato keine einzige Note. So wirken die hohen »Ach«- und »Wo«-Rufe etwas weniger dringlich.

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Helmuth Rilling (Leitung) – Bach-Collegium Stuttgart – Peter Schreier (Evangelist, Tenor) (1984)

Peter Schreier war einer der ganz großen Bach-Passions-Evangelisten. Hier singt er auch die Tenor-Arien (manchmal teilen sich Rezitativ-Tenor und Arien-Tenor die Arbeit). Das Bach-Collegium Stuttgart geht wesentlich differenzierter an die »Sache« heran. Man hört viel mehr. Ist natürlich auch nicht so groß besetzt. Die Textverständlichkeit bei Schreier ist wie immer fantastisch. Seine Interpretation ist zwar nicht die Schönste, aber das will sie auch gar nicht sein. Schreiers Nachvollzug der vielen Punktierungen besticht dafür umso mehr.

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Nikolaus Harnoncourt (Leitung) – Concentus Musicus Wien – Anthony Rolfe Johnson (Tenor) (1993)

Auch Harnoncourt schafft klarere Zäsuren; auf den längeren Notenwerten wird ganz anders verharrt. Mit viel Pathos biegt sich Anthony Rolfe Johnson in seine Töne hinein. Sein Deutsch ist leider wirklich suboptimal. Johnsons Stimme ähnelt sogar der von Schreier etwas. Und so schafft er auch einige Momente von guter Verwirrung. Die Fragen und Zweifel im Text tönen in dieser Interpretation fast etwas »verrückt«. Und das ist gar nicht falsch.

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René Jacobs (Leitung) – Akademie für Alte Musik Berlin – Sebastian Kohlhepp (Tenor) (2016)

Wieder fordert Jacobs ein Ergebnis, das sich ganz auf die wichtigen Geschehnisse in der Basslinie stützt. Diese bleibt die ganze Zeit erstaunlich präsent – und dass der Tenor Sebastian Kohlhepp fast dahinter verschwindet: ebenfalls nicht falsch. Mit seiner schlanken Stimme stellt er sich demütig »hinter den Text«.


Eilt, ihr angefochtnen Seelen (Bass)

Eilt, ihr angefochtnen Seelen wird direkt im zeitlich nahen Umfeld der Kreuzigung gesungen. Die Unwiderruflichkeit des Opfertodes, die Determination des Sterbens eines besonderen Menschen, eines Gesandten: Hier wird all dies schmerzvolle Realität. Und wenn schon einmal Gottes Sohn geopfert werden muss, dann sollen auch alle teilhaben, dann müssen sich das auch alle mit angucken, verdammt! Drum: »Eilt, ihr angefochtnen Seelen, geht aus euren Marterhöhlen, eilt – Wohin! – nach Golgatha!« Dazu gibt es Chor-Einwürfe. Wie so oft in Bachs Passionen ruft der Chor dazwischen. Meist stellt der Chor Fragen, unterstreicht durch Wiederholungen und Dopplungen den expressiven Gehalt der emotionalen Situation. Als Frage immer sehr beliebt dabei: »Wohin?«

Chor-Einwürfe in der Bass-Arie Eilt, ihr angefochtnen Seelen
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Karl Richter (Leitung) – Münchener Bach-Orchester – Münchner Bach-Chor – Kieth Engen (Bass) (1964)

Die innere Beteiligung des Bass-Solisten Kieth Engen nehme ich ihm ab. Das Leiden ist der Partie aber schon per se eingeschrieben. Da viele Töne auf einzelnen Silben gesungen werden, macht das ohnehin den Eindruck des Heulens. Engen singt dabei stark, präsent. Ich stelle mir das Volk vor, aus dem heraus ein etwas grober Typ die Menge dazu anstachelt, nach Golgatha zu ziehen. Mir kommen Bilder von Sandalenfilmen der 1960er Jahre in den Kopf. (Bei 1.32 dirigiert Karl Richter – nach der Fermate – ein zünftiges, romantisches Ritardando beziehungsweise eine überkrasse Entschleunigung.)

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Benjamin Britten (Leitung) – English Chamber Orchestra – Wandsworth School Boys Choir – John Shirley-Quirk (Bass) (1971)

Wesentlich sanfter im Instrumental-Klang: die Aufnahme mit dem English Chamber Orchestra. Hier klingt’s eher nach Mendelssohn. Grummeliger und dennoch leichtfüßiger: John Shirley-Quirk als Bass-Solist. Die Entschleunigung bei 1.32 versteht Britten nicht als ganz so stark. Grundsätzlich sind mir hier Chor und Orchester zu defensiv. Das war vielleicht ein Kompromiss, damit man Shirley-Quirk besser hört.

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Helmuth Rilling (Leitung) – Bach-Collegium Stuttgart – Gächinger Kantorei Stuttgart – Dietrich Fischer-Dieskau (Bass) (1984)

Hier reiben sich die Geigen von ihrem tiefstmöglichen Ton ausgehend schön nach oben. Rau, angemessen. Dietrich Fischer-Dieskau singt – in ungewohnt tiefer Stimmlage. Aber er wollte es so. Die typischen Fischer-Dieskau-»Beller« gefallen mir allerdings nicht so gut. Das passte ganz toll zu ausrastenden Liedern von Hugo Wolf. Hier finde ich es fast gequält. Dabei sind die Chor-Einwürfe in ihrer präzisen Stechung brillant.

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Nikolaus Harnoncourt (Leitung) – Concentus Musicus Wien – Arnold Schoenberg Chor – Anton Scharinger (Bass) (1993)

Bedächtiger, fließender: die Geigen der Concentus-Harnoncourt-Aufnahme. Eher vorbereitend als schon deutend. Anton Scharinger: weit zurückhaltender als Fischer-Dieskau. Sein Legato gefällt mir. Bei 1.17 erfolgt die Entschleunigung, viel weniger breit als noch bei Richter und Britten – was natürlich bei einer historisch-informierten Aufnahme nicht überrascht.

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René Jacobs (Leitung) – Akademie für Alte Musik Berlin – RIAS Kammerchor Berlin – Johannes Weisser (Bass) (2016)

Huschend, mit weniger Legato spielen die Violinen von »AKAMUS«. Sofort mehr Aufregung, Aufreibung! Der präsente Tonfall von Johannes Weisser harmoniert toll mit den Streichern. Die von Bach komponierte Atemlosigkeit – durch Pausen und Überbindungen eingeritzt – könnte aber noch viel mehr herausgestellt werden. Aber das ist mein ganz persönlicher Geschmack. Ich mag es krass. Wunderbar bei dieser Aufnahme allerdings: Der RIAS Kammerchor Berlin mit Einwürfen wie »aus dem Hintergrund«. Ich sehe die Menschen, die nach Golgatha ziehen. Noch verwirrt, warum, wieso. Sie rufen aus dem Background: »Wohin?« Quasi während des Gehens. Ich befürchte, ich habe mein Lieblingsaufnahme längst gefunden. (Hätte ich sie doch schon vor meinem Interview mit René Jacobs im November 2019 gehört. Dann hätte ich ihn dafür noch einmal extra drücken können. Was ich mich natürlich eh nicht getraut hätte.)


Und von Stund an nahm sie der Jünger zu sich (Rezitativ, Evangelist)

Keine gute Passionsaufführung ohne gut gestaltete Rezitative. Denn diese Rezitative nehmen einen zeitlich fetten Part innerhalb von barocken Passionsvertonungen ein. Das Rezitativ von Evangelist und Jesus Und von Stund an nahm sie der Jünger zu sich handelt von der schlimmen Situation Christi am Kreuze. Jesus verlangt nach Wasser. Man gibt ihm einen Schwamm mit Essig.               

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Karl Richter (Leitung) – Münchener Bach-Orchester – Ernst Haefliger (Evangelist) – Hermann Prey (Jesus) (1964)

Von einer hehren Orgel begleitet macht Ernst Haefliger als Evangelist den Eindruck, als wäre Jesus schon entschlafen. Süß gesungen! Aber was für ein Bremser! Hermann Prey antwortet, mit seiner schönen, rosigen Stimme. Irgendwie finde ich das gar nicht schlecht. Mich berührt das. Prey lässt zu dem seine Worte richtig … ja, austropfen. Essig-Essenz, existenziell.

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Benjamin Britten (Leitung) – English Chamber Orchestra – Peter Pears (Evangelist) – Gwynne Howell (Jesus) (1971)

Brittens Lebensgefährte Peter Pears singt das Rezitativ sehr lyrisch. Fast wie eine Arie. Eine Stimme, die man immer erkennt. Nicht jeder mag das. Ich schon.

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Helmuth Rilling (Leitung) – Bach-Collegium Stuttgart – Peter Schreier (Evangelist, Tenor) – Philippe Huttenlocher (Jesus) (1984)

Schlanker und schneller. Nach innen gekehrt: Peter Schreier. Dann öffnet er sich – und erzählt. Immer ein Erlebnis. Ein Jahrhundert-Evangelist.

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Nikolaus Harnoncourt (Leitung) – Concentus Musicus Wien – Anthony Rolfe Johnson (Evangelist) – Robert Holl (Jesus) (1993)

Flötend und mit – wie sehr häufig bei Nicht-Muttersprachlern – problematischem »ch«: Anthony Rolfe Johnson. Vielleicht etwas sehr sanft und zurückgenommen. Eigentlich passiert hier ja Entscheidendes …

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René Jacobs (Leitung) – Akademie für Alte Musik Berlin – Werner Güra (Evangelist) – Johannes Weisser (Jesus) (2016)

Lebendiger in der Continuo-Gruppe. Strenger im Ton: Werner Güra als Evangelist. Sehr souverän und geschmackvoll. Fast dreimal schneller alles als bei Karl Richter. Was für ein Unterschied! Aber so achten wir wirklich auf den Text. Und verstehen ihn ausnahmsweise auch einmal zu 100 Prozent.



Es ist vollbracht (Alt)

Dann die große Alt-Arie Es ist vollbracht. Unmittelbar nach dem Tod Jesu. Erst einmal das Hinnehmen dieses Umstands: Gottes Sohn ist tot! Die fast meditative Verarbeitung … Mit der charakteristischen Viola da Gamba als Solo-Instrument. Komplexe Rhythmen in der Gesangsstimme, Chor-Einschüben in vielfacher Geschwindigkeit (»Der Held aus Juda siegt mit Macht«) – und schließlich die Rückkehr zum langsamen Anfangsteil.

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Karl Richter (Leitung) – Münchener Bach-Orchester – Hertha Töpper (Alt) (1964)

Das steht schon gewaltig auf der Stelle! Die Arie dauert bei Karl Richter – beziehungsweise: bei der Alt-Solistin Hertha Töpper – 6.30 Minuten. Dafür können wir die ersten Worte erst einmal sacken lassen. Denn die Pausen erscheinen schließlich auch gedehnt. Stets die Imitations- und Figurationseinwürfe der Viola da Gamba. Diese spielt mir aber klanglich etwas zu sehr im Hintergrund. Ich würde mir eine wirklich zweite weinende Trauernde an der Schulter von Hertha Töpper wünschen.

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Benjamin Britten (Leitung) – English Chamber Orchestra – Alfreda Hodgson (Alt) (1971)

Hier sind es sogar 6.49 Minuten, die Es ist vollbracht braucht. Die Continuo-Gruppe ist im Klang dunkler als bei Richter, dafür klingt die Viola da Gamba nasaler und heller. Fast wie eine Glasharfe. Beim Einsatz von Alfreda Hodgson denkt man zunächst: Oh, ein weiteres Solo-Instrument. Das liegt aber vielleicht auch daran, dass Hodgson natürlich auf Englisch singt und man dieses ikonische Es ist vollbracht von den Worten her erwartet hatte.

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Helmuth Rilling (Leitung) – Bach-Collegium Stuttgart – Julia Hamari (Alt) (1984)

»Flinker« (5.57 Minuten) gehen Rilling und Co. zu Werke. Mir gefällt hier sehr, wie zerknirscht, wie »auf den Knien« die Viola da Gamba tönt. Julia Hamari ist vergleichsweise viel stärker im Klang-Vordergrund. Und an ihrer Seite: die Viola da Gamba. Wirklich einnehmend, wie man gemeinsam klagt. Eine emotionale Herausforderung.

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Nikolaus Harnoncourt (Leitung) – Concentus Musicus Wien – Marjana Lipovšek (Alt) (1993)

Die Viola da Gamba über einer wiederum dunkleren Continuo-Fläche: sonorer. Lipovšek bringt hier eine Portion Wagner-Erda mit. Weisheit, Tiefe, Erde. Gut, wie sie das Wort »zählen« (in: »Die Trauernacht läßt nun die letzte Stunde zählen«) scharf herausarbeitet. Denn wie profan ist es, die Stunden zu zählen – angesichts dieser Gesamtsituation? Gaumig forciert tönt dann Lipovšek ganz anders als der Chor leise rasselnd einsetzt.

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René Jacobs (Leitung) – Akademie für Alte Musik Berlin – Benno Schachtner (Alt) (2016)

Noch einmal flinker: der Counter Benno Schachtner mit nur 4 Minuten und 36 Sekunden. Hier werden die Pausen nicht so zelebriert. Dafür halt: »auf Linie«. Extrem diszipliniert von Schachtner gesungen. Die Tempogestaltung finde ich ziemlich treffend. Denn der Trauercharakter bleibt. Schön, wie die umgebenden Instrumente bei dem langgezogenen Ton cis1 auf »Nacht« ebenfalls ein wenig einschlafen, ihre Töne ganz ein bisschen verlängern, »schleifen« lassen … Leise reibend dann der schnelle Einschub; sehr präzise – und dennoch nur dynamisch »halb wach«. Völlig adäquat.

Das Zerreißen des Vorhangs, musikalisch bebildert

Und siehe da, der Vorhang im Tempel zerriß (Rezitativ, Evangelist)

Das war von alters her das Rezitativ, vor dem ich als Kind immer am meisten Angst hatte. Denn: »Der Vorhang im Tempel zerriß in zwei Stück von oben an bis unten aus. Und die Erde erbebete, und die Felsen zerrisen, und die Gräber täten sich auf, und stunden auf viel Leiber der Heiligen.« The Walking Dead. Aber halt im Rahmen der Holy Bible. Das Zerreißen des Vorhangs: symbolisch umgesetzt durch einen 32stel-Lauf nach unten im Continuo.

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Karl Richter (Leitung) – Münchener Bach-Orchester – Ernst Haefliger (Evangelist) (1964)

Ernst Haefliger ist völlig krass. Höhlig, rau. Dazu tun sich im Orchester wirklich die Gräber auf. Ich zitterte wirklich, als ich das früher zum ersten Mal hörte. Gerade, weil in dieser Aufnahme nicht an Extremen gespart wird.

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Benjamin Britten (Leitung) – English Chamber Orchestra – Peter Pears (Evangelist) (1971)

Auch Peter Pears versucht, aus der Stelle etwas zu machen. Aber irgendwie verschlackert er sich. Dieses Tumultartige ist in seiner Stimme nicht angelegt.

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Helmuth Rilling (Leitung) – Bach-Collegium Stuttgart – Peter Schreier (Evangelist) (1984)

Peter Schreier scheint direkt mit dem Finger auf den Vorhang im Tempel zu deuten. Das klingt gut, was da im Bass passiert. Aber der Grusel-Faktor eines Richters wird hier freilich nicht übertroffen.

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Nikolaus Harnoncourt (Leitung) – Concentus Musicus Wien – Anthony Rolfe Johnson (Evangelist) (1993)

Anthony Rolfe Johnson wackelt mir zu sehr mit der Stimme. Auch gefällt mir seine Abphrasierung nicht. Instrumental ist das okay, aber mir viel zu unauffällig und »nebenbei« erledigt.

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René Jacobs (Leitung) – Akademie für Alte Musik Berlin –Werner Güra (Evangelist) (2016)

Super, wie man hier erst einmal einen gewaltvollen Impuls auf den ersten Akkord setzt! Werner Güra ist ebenfalls gut mit dabei. Alles dicht gezogen … sehr gut!


Zerfließe, mein Herze (Sopran)

Ein Arien-Text voller Konsonanten-Expression: »Zerfließe, mein Herze, im Fluten der Zähren dem Höchsten zu Ehren!« Daraus sollte man etwas machen. Aber vermutlich nicht zu viel …

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Karl Richter (Leitung) – Münchener Bach-Orchester – Evelyn Lear (Sopran) (1964)

Eine verzwickte Arie ist das! Mit ganz unangenehm langen Tönen, die man am besten nicht wie eine Brünnhilde im Fortissimo hinausposaunt, sondern halt elegisch, barock, einer Passion angemessen gestaltet. Das gelingt Evelyn Lear souverän. Aber auch nicht weiter auffällig.

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Benjamin Britten (Leitung) – English Chamber Orchestra – Heather Harper (Sopran) (1971)

Dichter, näher an Saiten und Mundstücken bleibend. Im Gegensatz dazu singt Heather Harper über diesen Tönen etwas lockerer, durchbrochener. Ihr Vibrato ist wesentlich kleinteiliger, ihre Stimme lyrischer. Für meine Ohren passt das besser zusammen.

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Helmuth Rilling (Leitung) – Bach-Collegium Stuttgart – Arleen Auger (Sopran) (1984)

Deutlich schneller und doch immer »am Ball«. Den Tönen geradezu hypnotisierend zuschauen … schicksalsergeben. Etwas offensiver als noch Heather Harper. Aus den vielen »Z«-Lauten macht Arleen Auger mir allerdings zu wenig.

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Nikolaus Harnoncourt (Leitung) – Concentus Musicus Wien – Angela Maria Blasi (Sopran) (1993)

Hier scheint es im Bass immerzu zu decrescendieren. Jedes Mal schwindet die Kraft. Dem Anlass gemäß. Im Aufnahmeraum hingestellt: Angela Maria Blasi. Ihre Stimme hängt an einem dünnen Seidenfaden. Hauchig. Merkwürdig.

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René Jacobs (Leitung) – Akademie für Alte Musik Berlin – Sunhae Im (Sopran) (2016)

Die Leute von der Akademie für Alte Musik Berlin dürfen ihre Solo-Instrumente viel mehr präsentieren. Und man artikuliert wirklich differenziert, hebt Tongruppen von anderen Tongruppen agogisch ab. Deutlich betont Sunhae Im das Wort »Zähren«. Hervorragende Artikulation. Auch hiermit wird diese Aufnahme schlichtweg zu meiner absoluten Favoritin. Die Entscheidung ist gefallen!

Letztlich profitiert die Aufnahme von René Jacobs natürlich auch davon, dass es eben schon eine Menge vorher gab. Nicht, dass man sich das Beste jeweils rausgesucht und imitiert hat. Aber hier steckt so viel Lebendigkeit, so viel Farbigkeit drin, dass die Aufnahme – trotz des geschilderten Leids – einfach Freude macht. Ausdruck, Klang, Differenziertheit der Einzelstimmen und ein gutes Händchen bei der Auswahl der Solistinnen und Solisten. Respekt. ¶

... ist Konzertveranstalter, Moderator, Komponist und Pianist. Er gestaltet innovative Konzertformate, arbeitet als Musik-Satiriker, schreibt Stücke für Solist:innen und Ensembles und Texte für VAN, die Wiener Philharmoniker, die New York Philharmonics und die Bamberger Symphoniker. 2019 war er als Schauspieler an der Volksbühne zu erleben.

Eine Antwort auf “Hilfeschreie, ganz aus der Nähe”

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