Gerade hat die Opernsängerin Sam Taskinen am Theater Erfurt Premiere als der Riese Fasolt in Wagners Rheingold gefeiert. Mit ihrer warmen und sonoren Bassbariton-Stimme hat sie bereits viele wichtige Rollen ihres Fachs gesungen: Fra Melitone in Verdis La Forza del Destino, Kasper in Webers Freischütz oder Angelotti in Puccinis Tosca. Sam war festes Ensemble-Mitglied in Sankt Gallen und hat als Freiberuflerin bereits an vielen renommierten Häusern auf der Bühne gestanden, darunter unter anderem die finnische Nationaloper in Helsinki und die Komische Oper Berlin. Erst 2021 hat sich Sam in der Öffentlichkeit als trans geoutet und informiert auf ihren Socialmediakanälen über ihr Leben als trans Sängerin. Ich erreiche sie per Vidoeanruf, während sie zu Hause auf dem Sofa Kräfte für die nächste Vorstellung sammelt und ihren Hund Princess streichelt.

VAN: Auf deinem Instagram-Profil hast du vor einer Weile folgende Worte gepostet: ›Wäre es nicht schön, in einer Welt zu leben, in der als sein wahres Selbst zu leben nicht als eine Form von Aktivismus angesehen würde?‹ Siehst du dich selbst als Aktivistin?

Sam Taskinen: In gewisser Weise, ja. Ich würde aber eher sagen, dass ich am Aktivismus teilnehme. Ich habe Freund:innen, die Vollzeit-Aktivist:innen sind, und obwohl ich das Gefühl habe, dass meine Arbeit auch Aktivismus ist, respektiere ich Leute, die ihr ganzes Leben dem Aktivismus widmen, viel zu sehr, als dass ich mich als Aktivistin im herkömmlichen Sinne bezeichnen würde. Ich denke aber schon, dass es für Künstler:innen, die etwas Bestimmtes repräsentieren, wichtig ist, tatsächlich dafür zu stehen und darüber zu sprechen. Ich glaube nicht, dass man politisch sein muss, um Künstler:in zu sein. Aber ich glaube, dass das Künstler:innendasein Türen öffnen kann.

Als eine Möglichkeit, die eigene Wahrheit auszusprechen?

Ja, genau. Um auf der Bühne zu stehen, braucht man schon sehr viel Integrität und Ehrlichkeit.

Als Lucia Lucas sich vor ein paar Jahren als trans geoutet hat, hat sie nicht nur Unterstützung erfahren, sondern auch einige Rückschläge einstecken müssen. Hast du das Gefühl, dass sich die klassische Musikindustrie seither verändert hat? 

Ich kann natürlich nicht für Lucia sprechen, aber ich bin mir sicher, dass es damals, als sie sich geoutet hat, weniger Verständnis dafür gab, was trans sein bedeutet. Sie hat einigen die Augen geöffnet und dank ihr haben die Leute in der Opernbranche heute zumindest einen Anhaltspunkt. Als ich mit meinem Outing an die Öffentlichkeit gegangen bin, war vieles in gewisser Weise einfacher, weil ich eben nicht die Erste war. 

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Ich hatte jedenfalls damals das große Glück, an einem Opernhaus zu arbeiten, wo mein Chef einige Trans-Freund:innen hatte. Der damalige Operndirektor in Sankt Gallen war Peter Heilker, der jetzt am Theater an der Wien ist. Er hat mich sehr unterstützt.

Gleichzeitig glaube ich, dass wir in viel beängstigenderen Zeiten leben als noch vor ein paar Jahren. Der Rechtsextremismus ist derzeit auf dem Vormarsch, und ich habe den Eindruck, dass es jetzt viel mehr Belästigung und Übergriffe gibt.

In der vergangenen Spielzeit wurde am Opernhaus Sankt Gallen die Oper Lili Elbe von Tobias Picker uraufgeführt, die auf der wahren Geschichte der ersten Trans-Person basiert, die sich einer geschlechtsangleichenden Operation unterzog. Du warst auch Teil dieser Produktion. Brauchen wir mehr zeitgenössische Opern wie diese, die sich um die Erfahrungen von Menschen drehen, die queer oder trans sind? 

Oh ja, ich denke schon. Ich meine, Opern müssen ihre Zeit widerspiegeln. Lili Elbe ist zwar die erste Oper, die sehr gut darüber informiert, was es heißt, trans zu sein, aber es gibt tatsächlich auch eine Oper aus dem 18. Jahrhundert, in der um eine trans Frau geht. Das Stück heißt La Fille Garçon von Joseph Bologne, der übrigens afrikanischer Abstammung war. Die Handlung wurde von einer Person namens  Chevalier d’Éon inspiriert, die offen als Frau lebte. Damals konnte man seinen Vornamen nicht ändern und all das, aber diese Person lebte ganz offen in der Öffentlichkeit. Natürlich gab es damals noch kein Wort für trans, aber es zeigt, dass es uns schon immer gegeben hat und wir Teil der Kultur waren.

Sam Taskinen als Marius Wegener in Lili Elbe

Zu deinem Kernrepertoire als Bass-Baritonistin gehören Riesen, Könige und Väter. Hat sich deine Beziehung zu diesen Rollen durch deine Transition verändert? 

Ehrlich gesagt fühle ich diese Rollen genauso wie vorher. Nur eines hat sich geändert: Bevor ich mich selbst akzeptiert habe, habe ich oft versucht, in diesen Rollen so maskulin wie möglich aufzutreten. Heutzutage gehe ich damit viel entspannter um. Ich vertraue irgendwie mehr auf meine schauspielerischen Fähigkeiten.

Hat sich deine Stimme seit deinem Coming-out verändert?

Oh, sie hat sich entspannt. Ich glaube, meine Stimme ist größer geworden, weil ich früher viel Anspannung in meiner Nackenmuskulatur festgehalten habe. Als ich mich geoutet habe, konnte ich das alles loslassen und meine Stimme hat sich entspannt.

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So wie ich das verstanden habe, wirkt sich die Einnahme von Östrogen nicht wirklich auf die Stimme aus, die Einnahme von Testesteron hingegen schon, richtig?

Ja, das ist richtig. Wenn der Kehlkopf voll ausgewachsen ist, wird er auch durch das Östrogen nicht mehr zurückschrumpfen. 

Für Sänger, die trans sind, ist es also ein anderer Weg? Müssen sie sich einer Stimmtherapie unterziehen, um ihre Gesangsstimme nach der Transition wiederzufinden?

Ich habe tatsächlich einige trans Schüler, die Testosteron nehmen. Die Gesangstechnik ist im Grunde für alle gleich. Es geht eher darum, sich an die Stimme zu gewöhnen und daran, wie sie sich im Körper anfühlt, weil sie sich anders anfühlt und anders klingt als vorher. Es ist ein bisschen wie während der Pubertät. Mit Testosteron wird die Bruststimme stärker. Das ist aber ein langsamer Prozess, der seine Zeit braucht.

Sind deine Erfahrungen bei Vorsingen anders, seitdem du die Transition begonnen hast?

Im Grunde nicht, denn ich gehe genauso normal hin wie jede andere Person, die vorsingt. Nur, dass ich jetzt in so einer Art Mezzo-Hosen-Rollen-Look auftauche. Es ist höchstens ein paar Mal vorgekommen, dass ich von einigen Mezzos, die auch vorgesungen haben, die kalte Schulter gezeigt bekommen habe. Erst haben die mich natürlich angesehen und gedacht: ›Oh Gott, das ist bestimmt ein sehr großer und tiefer Mezzo. Da kann ich den Job ja gleich vergessen.‹ Nachdem die mich dann aber mit meiner Bassbariton-Stimme singen hörten, waren sie erst recht verwirrt und meinten: ›Was passiert hier gerade?‹ 

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Im Allgemeinen gibt es viel mehr Sängerinnen als Sänger auf dem Markt. Aber als Bassbaritonistin bist du ein Stimmtyp, der ziemlich selten ist. Ist es in deinem Fall also kein Nachteil, eine Frau zu sein?

Ich habe schon das Gefühl, dass ich viel besser sein muss, um einen Job zu bekommen, wenn ich mit Männern konkurriere. Ich sage das mit sehr viel Vorsicht, aber ich habe das Gefühl, dass Männer in dieser Branche etwas mehr Spielraum haben. Es wird absolut erwartet, dass ich super gut vorbereitet bin, wenn ich zu einem Job komme. Bei einigen Männern, gerade den älteren, wird es eher hingenommen, wenn sie vielleicht nicht so gut vorbereitet sind, wie sie es sein sollten.

Du hast vor kurzem über einen Vorfall berichtet, bei dem jemand ein Video von deinem Gesang auf seiner Facebook-Seite gepostet hat, und daraufhin gab es da ziemlich viele unsensible Kommentare. Kommt diese Art der Belästigung häufig vor?

Ja. Und dieser Vorfall war besonders schlimm, weil es sich um jemanden handelte, der viele Follower hat und viele Leute in der Branche kennt. Das Problem waren nicht nur ein paar böse Kommentare unter einem Video, sondern ich bekam private Nachrichten – schreckliche E-Mails und schreckliche Kommentare auf meiner Instagram-Seite, meiner Facebook-Seite und meinem YouTube-Kanal – alle direkt an mich gerichtet. Das machte es besonders schwierig.

Was muss in der Klassik-Branche passieren, damit sich queere und trans Künstler:innen sicher fühlen können?

Die Opernindustrie hat auf jeden Fall ein großes Problem mit Rassismus und Frauenfeindlichkeit. Die Leute, die für die Presseabteilung der Theater arbeiten, könnten sicher aktiver sein. Aber vor allem brauchen wir viel mehr Frauen in Führungspositionen an den Opernhäusern. In der Intendanz, als Generalmusikdirektorinnen. Und wir brauchen mehr queere Menschen. Und damit meine ich nicht nur weiße schwule Männer, obwohl das natürlich auch eine wichtige Form der Repräsentation ist. Aber wir brauchen eine viel größere Vielfalt an Menschen, die hinter den Kulissen Verantwortung tragen. Das Problem ist nicht so sehr, dass die Verantwortlichen keinen guten Willen haben. Es ist nur so, dass einige von ihnen eine Menge blinder Flecken haben. 

Und wir müssen die Presse mehr aufklären. Besonders in Deutschland. Ich habe eine ganze Menge wirklich hasserfüllter Dinge gelesen, nicht nur in meinem Fall, sondern auch über das Gewicht von Frauen und so weiter. In der deutschen Presse habe ich einige der ekelhaftesten Sachen gelesen, die ich je in meinem Leben gesehen habe. 

Sam Taskinen als Fasolt im Rheingold

Hast du das Gefühl, dass es in den Medien eine gewisse Sensationslust gibt hinsichtlich deiner Trans-Identität?

Sicherlich. Nicht in jedem Fall, aber manchmal schon. Und es gab Fälle, in denen ich das Gefühl hatte, dass es Leute gibt, die einfach keine trans und queere Menschen auf der Bühne sehen wollen und die ihre Gesinnung hinter Kritik verstecken. Ich habe kein Problem damit, wenn Leute mich kritisieren, wenn es um mein Schauspiel oder meinen Gesang geht. Das ist mein Job. Aber wenn es in der Kritik um mein Aussehen geht oder darum, wer ich als Person bin, dann wird da nicht mehr bewertet, wie ich meine Arbeit gemacht habe.

Wie du bereits sagtest, tendiert die Opernbranche, auch wenn sie eine sehr experimentelle Kunstform sein kann, zum Konservatismus. Ein großer Teil des Repertoires und der Ästhetik ist in einer sehr binären und geschlechtsstereotypen Weltanschauung verwurzelt. Als du dich dazu entschieden hast, dich zu outen – hast du dich da jemals gefragt, ob das deiner Karriere schaden könnte? 

Um ehrlich zu sein: Ich bin mir sicher, dass es das hat. Das Lustige ist, dass die Leute, die böses Zeug schreiben, immer gleich sagen: ›Und jetzt sollen wir diese Leute einfach auf die Bühne stellen, egal wie sie singen?‹ Dabei ist es das Gegenteil der Fall. Ich muss besonders gut singen. Ich habe außerdem die Erfahrung gemacht, dass ich vor meiner Transition ernster genommen wurde, obwohl ich jünger war.

Das Paradoxe ist, dass ich einen seltenen Stimmtyp habe, der mir im Grunde Türen öffnet, weil es nicht so viel Konkurrenz gibt. Aber gleichzeitig nehmen mich die Leute als diesen Stimmtyp nicht unbedingt ernst, weil ich eben so aussehe, wie ich aussehe. Vor meiner Transition habe ich mir viel weniger Meinungen von Männern darüber anhören müssen, welches Repertoire ich wie singen sollte, wie ich mich kleiden und was ich tun sollte. Und jetzt scheinen die Leute zu denken, dass ich, nur, weil ich eine Frau bin, nicht mehr weiß, wie ich mein Gehirn benutzen soll. Ich glaube, das ist die Erfahrung, die viele Frauen in diesem Geschäft machen: Obwohl man genau weiß, was und wie man singen will, muss man sich immer und immer wieder neu beweisen, egal welche Rollen man schon in seinem Lebenslauf stehen hat.

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Kann man also sagen, dass du, seit du dich geoutet hast, mehr noch als vorher auf der Höhe deiner stimmlichen und musikalischen Leistung sein musst?

Ja, auf jeden Fall. Ich habe das Gefühl, dass mein früheres Paket viel einfacher zu vermarkten war. Weil ich groß bin und damals war ich auch relativ kräftig und hatte einen Bart. Ich war in den Augen der Leute irgendwie überzeugender. Und jetzt bin ich eine blonde Frau, und blonde Frauen werden nirgendwo auf der Welt besonders ernst genommen, was wirklich traurig ist. Nachdem ich mich geoutet hatte, fingen einige Leute, die ich seit Jahren kannte, an, mich zu behandeln, als hätte ich plötzlich die Hälfte meines IQs verloren.

Aus meiner Sicht hast du einen ziemlich beeindruckenden Lebenslauf. Du hast an großartigen Häusern auf der Bühne gestanden, du hast gerade in einer Wagner-Oper mitgewirkt.

Ich habe definitiv eine gute Karriere. Aber ich wusste, als ich anfing, mich zu verändern, dass es ab sofort ein anderer Weg sein würde, und dass ich nicht jedermanns Geschmack sein würde. Und das hat sich bewahrheitet. Wenn ich ganz offen bin, hatte ich es nach meinem Outing schwer, Vorsingen zu bekommen. Aber fast jedes Mal, wenn ich ein Vorsingen bekommen habe, habe ich dann auch den Job bekommen, weil die Leute eben ganz speziell mich haben wollten. Und das ist toll. Vor meiner Transition wurde ich viel öfter zu Vorsingen eingeladen, aber dann wurde ich nicht unbedingt jedes Mal gebucht.

Weil es eine Menge von deinem Typ gab.

Ganz genau. Es sind interessante Zeiten und das wird auch noch eine Weile so bleiben, denn in der nächsten Generation, gibt es viele Menschen, die offen trans sind und die nach und nach in unserer Branche ankommen. Und ich hoffe, dass unsere Generation ihnen einige Türen öffnen konnten.

Vielleicht ist diese neue Generation weniger bereit, persönliche Authentizität für den Erfolg zu opfern?

Auf jeden Fall, und es wird sehr interessant werden, denn in der Opernwelt gibt es eine sehr starre Hierarchie, und ich habe das Gefühl, dass die nächste Generation die in die Luft sprengen wird.

Hast du einen Ratschlag für jüngere Sänger:innen, die sich vielleicht gerade eine Transition durchlaufen oder denen bei der Geburt das falsche Geschlecht zugewiesen wurde?

Ich denke, dieser Ratschlag gilt ehrlich gesagt für alle, die in dieses Business einsteigen: Sorge dafür, dass du deine persönlichen Grenzen sehr klar setzt. Sorge dafür, dass du dich mit guten Menschen umgibst und dass Oper nicht alles in deinem Leben ist. ¶

… lebt in Berlin und arbeitet als freischaffende Sängerin und Musikjournalistin (u.a. für Opernwelt, Crescendo, TAZ).

Eine Antwort auf “»Nachdem ich mich geoutet hatte, fingen Leute, die ich seit Jahren kannte, an, mich zu behandeln, als hätte ich plötzlich die Hälfte meines IQs verloren.«”

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