Ethel Smyth war von dem Kompositionsunterricht, den sie am renommierten Leipziger Konservatorium erhielt, freundlich gesagt: unterwältigt. Smyth hatte Lust auf Inhalte, das Lernen von Neuem, Fleiß. Sich tagein tagaus allein im Kämmerlein über Notenpapier zu beugen, kam für sie jedoch nicht in Frage. Stattdessen nahm Smyth sich neben ihren extrem anspruchsvollen Studien Zeit, entschieden – sogar bis zum Einsatz physischer Gewalt – für Frauenrechte zu kämpfen. Dass sie mit dieser Doppelrolle in bester Gesellschaft ist, zeigt die folgende Playlist: neun Komponistinnen, die Smyth’ Willen teilen, nicht nur die Kunst voranzubringen, sondern auch gesellschaftliche Entwicklungen anzustoßen und mitzugestalten. 


Ethel Smyth

Beginnen wir mit Smyth selbst: Sie ist eine dieser fantastischen Persönlichkeiten der Geschichte, denen gleich doppeltes und dreifaches Talent in die Wiege gelegt wurde. Nur, dass Talent allein bei einer 1858 geborenen Frau nicht ausreichte. Zu dem Talent musste sich also neben einer großen Portion Glück auch ein unbedingter Wille gesellen. Doch auch jene Soft Skills finden sich in ihrem Portfolio. Eine besondere Fundgrube für die Forschung ist ihr autobiografisches Werk What happened next, das einem einen direkten Einblick in das Leben der Komponistin und Aktivistin gewährt. Smyth war Mitglied der Suffragettenbewegung – deren Erkennungslied, der March of Women, aus ihrer Feder stammt.  

Als sie im Jahr 1912 gemeinsam mit 100 anderen Suffragetten mit Steinen die Fensterscheiben von Wohnhäusern von Gegnern des Frauenwahlrechts einwarf, wurde sie, wie auch viele ihrer Mitstreiterinnen, festgenommen. Smyth wurde daraufhin zu einer Haftstrafe von zwei Monaten im Holloway Prison verurteilt, wo der Dirigent Thomas Beecham folgende Szene beobachtete: »Ich kam im Gefängnishof an und fand die edle Gruppe der Märtyrerinnen vor, wie sie dort auf- und abmarschierten und mit Herzenslust [Smyth’] Kriegslied March of the Women sangen, während die Komponistin wohlwollend aus einem der oberen Fenster zusah und dazu mit bacchantischer Energie den Takt mit einer Zahnbürste schlug.«

Das Taktschlagen mit »bacchantischer Energie« kann durchaus stellvertretend für ihr Engagement stehen. Über das Weiterkommen ihres eigenen Geschlechts schrieb sie: »Ich möchte, dass Frauen sich großen und schwierigen Aufgaben zuwenden. Sie sollen nicht dauernd an der Küste herumlungern, aus Angst davor, in See zu stechen. Ich habe weder Angst noch bin ich hilfsbedürftig; auf meine Art bin ich eine Entdeckerin, die fest an die Vorteile dieser Pionierarbeit glaubt.«

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​​Smyths Sinfonie ist packend, opernartig schlägt sie einen Bogen zwischen spätromantischer Orchestermusik und Oratorium. Smyth begegnet hier musikalisch dem Text des gleichnamigen Buches von Henry Bennet Brewster. Der Klang: kraftvoll, samtig-eingedunkelt. Bei einigen Stellen lässt sich Brittens Oper Peter Grimes, die 15 Jahre später uraufgeführt wurde, vorausahnen, an anderen klingt Wagners Einfluss an. Doch bei Smyth bleibt die Musik kurzweiliger – vielleicht: englischer. Ein großartiges und leider sehr unbekanntes Werk, das größere Aufmerksamkeit verdient.


Meredith Monk

Die Stimme ist nicht nur Medium, sondern auch Metapher für politische Teilhabe. Wir erheben unsere Stimme, und an den Wahlsonntagen geben wir einer von uns präferierten Kandidatin oder einem von uns präferiertem Kandidaten unsere Stimme. Eine Musikerin, die sich hervorragend in diese Metaphorik einfügt, ist Meredith Monk. Ihr Schaffen fällt mit der zweiten Frauenrechtsbewegung in den USA, der »second wave«, zusammen und tatsächlich lässt sich (wie Marie-Anne Kohl in dem Buch Vokale Performancekunst als feministische Praxis beschreibt) eine Linie von der Kunstform der Performance hin zu feministischer Politik ziehen: Zum einen fällt auf, dass es in der vokalen Performancekunst – gerade im Vergleich zu anderen Gefilden – auffällig viele Vertreterinnen gibt. Das lässt sich, so Kohl, dadurch erklären, dass jenes Kunstfeld noch nicht männlich okkupiert war und die Künstlerinnen sich somit autonom einen Raum, der ganz auf ihre Bedürfnisse und Wünsche zugeschnitten war, schaffen konnten. Zum anderen zeigt sich der feministische Ausdruck dieser Kunstform, der noch durch die genutzten (und damals feminin konnotierten) Medien der Stimme und des Körpers verstärkt wird, auch in der Themenwahl der in der Szene erarbeiteten Werke.

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In diesem Ausschnitt aus Monks Solo aus Education of the Girlchild kombiniert sie eine sensible und reduzierte Choreografie, die aber eben durch jene Schlichtheit enorm zu berühren vermag, mit ihrer Musik. Die metallischen Klänge erinnern an die frühen Minimal-Klänge, die in der Diaspora des mystisch-langbärtigen Moondog entstanden. Ein bisschen schimmert auch der frühe John Cage durch. Monks Musik allerdings wirkt nie anbiedernd oder egozentrisch, vielmehr drückt sie ihren Klängen – vor allem durch den einzigartigen Gebrauch ihrer Stimme – einen ganz eigenen Stempel auf, der ihre Musik von der ihrer Kollegen abhebt: Monk lässt Fragilität zu. Und vielleicht ist schon allein dies ein feministischer Akt.


Elfrida Andrée

Am 19. Februar 1841 wird Elfrida Andrée in Visby geboren. Ihr Vater Andreas Andrée ist ein liberaler Politiker und darum gehen Reichstagsabgeordnete, die sich aktiv für die Verbesserung der Ausbildung von Mädchen einsetzten, bei ihr zuhause ein und aus. Die im 19. Jahrhundert virulente Frage nach der Stellung der Frau in der Gesellschaft wird also direkt vor ihrer Nase diskutiert – das prägt Elfrida Andrées politische Ansichten. Andrée hat das Glück, dass ihr Vater sich für eine umfassende Ausbildung seiner Kinder einsetzt: In Stockholm studiert sie Gesang, Klavier und Orgel. Sie ist die erste Frau, die im Fach Orgel ein Examen abschließt und auch in anderen Disziplinen glänzt sie als Pionierin: Andrée ist sowohl die erste Orchesterleiterin, als auch die erste Domorganistin Schwedens. Abgesehen von diesen Berufen betätigt sich Andrée als Komponistin, Veranstalterin, Pädagogin, Harfenistin und sogar als Telegrafistin.

Aber nicht nur als Musikerin ist Andrée bekannt – mindestens genauso wichtig ist sie als Akteurin der schwedischen Frauenbewegung. Hier gelingt es ihr sogar, einen Präzedenzfall durchzusetzen: Dank ihres Engagements wird die Rechtslage dahingehend geändert, dass Frauen die Berufe der Kantorin und der Telegrafistin ergreifen dürfen.

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Romantisch-schwelgend setzt Andrées Klavierquartett ein. Gesangliche Phrasen, lange Spannungsbögen. Man kommt nicht umhin, sich an die Kammermusik des Zeitgenossen Johannes Brahms zu erinnern. Zu Anfang des zweiten Satzes zeigt Andrée in einem choralartigen Beginn des Klaviers ihre harmonischen Fähigkeiten. Der folgende Einsatz der Streichinstrumente ist von einer tiefen, melancholischen, romantischen Schönheit und auch das Finale, in dem trotz der fließenden, heiteren Bewegung stets etwas von jener Melancholie des zweiten Satzes bestehen bleibt, beweist, dass dieses Quartett das Zeug zum Repertoire-Klassiker hat.


Hedda Wagner

Mit Elfrida Andrée teilt Hedda Wagner den Kompositionsberuf und das Engagement als Frauenrechtlerin. Wo allerdings bei Elfrida Andrée die Vielzahl der beherrschten Berufe verblüfft, erstaunt bei Hedda Wagner die absurde Anzahl gemeisterter Sprachen: Sieben Fremdsprachen soll sie fließend beherrscht haben: Englisch, Französisch, Italienisch, Russisch, Tschechisch, Latein, Griechisch, Hebräisch, in späteren Jahren außerdem  Sanskrit.

Aufgewachsen ist Wagner (wie auch Andrée) als Tochter eines liberalen Vaters, der Wert auf die gute Bildung seiner Tochter legt. Sie studiert also nach dem Gymnasium Klavier, Musiktheorie und Kompositionslehre und präsentiert bald künstlerische Arbeiten verschiedener Gattungen. Ebenso beginnt sie, sich politisch zu engagieren – sie tritt der sozialdemokratischen Partei bei, bezieht klar Stellung gegen soziale Ungleichheit und Gewalt und problematisiert geschlechterspezifische Mythen. 

Im Jahr 1938 erhält die Linzer Autorin, Lyriker und Komponistin ein Schreibverbot. Mit einem Gedicht blickt sie auf ihr Leben zurück:

»Zuerst will man die Welt genießen
Verstehend in die Arme schließen.
Doch regt sich Zweifel schon daneben
Zuletzt ist schweigende Verachtung
Das Resultat der Weltbetrachtung«

Von Kompositionen Hedda Wagners gibt es leider keine Aufnahmen.


Olga Neuwirth

Olga Neuwirth ist eine der wichtigsten zeitgenössischen Komponistinnen. Und sie lässt sich – so verkündete sie einst bei einer Demonstration – auch in politischer Hinsicht »nicht wegjodeln«: Im Jahr 2000 stand die Regierungsbeteiligung der ultrarechten FPÖ im Raum (die Partei endete in der Tat als kleiner Koalitionspartner), was unterschiedliche Unmutsbekundungen und Demonstrationen zur Folge hatte. Auf einer Großdemonstration in Wien am 19. Februar (aufmerksamen Leser:innen ist nicht entgangen, dass dieses Datum gleichzeitig der Geburtstag von Elfrida Andrée ist) meldete sich Neuwirth mit einer Rede zu Wort, in der sie fragt: »Kann ich als Komponistin auf meinem Terrain, mit Musik protestieren?«

Diese Frage, beziehungsweise das Ersuchen einer künstlerisch sinnvollen Erwiderung auf diese nicht leicht zu beantwortende Frage, scheint in Neuwirths Schaffen allgegenwärtig zu sein: Die 1968 in Graz geborene Komponistin schreibt unbequeme Musik, klaustrophobische Klänge, absurde Welten, groteske Momente. Und immer gern kombiniert sie bereits bestehendes Material neu – sei es ein Film, ein Text Elfriede Jelineks oder die Folie einer historischen Persönlichkeit. Auch in diesen Neuanordnungen und Verfremdungen zeigt sich ihr wacher Blick für politische Themen. Ein Beispiele hierfür ist ihre Musik für den Film Stadt ohne Juden, in dem das patriotische Lied Immer wieder Österreich durch den Soundtrack hindurch schimmert.

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Die Aktualität der Schwarzweiß-Bilder aus dem Jahr 1942 wird uns, heraufbeschworen von Neuwirths unwirtlichen Klängen, schlagartig bewusst: Der Schauer aus der Zeit des filmischen Expressionismus wird ins Groß-Groteske gesteigert und bekommt eine unvorhergesehene Modernität. Gleichzeitig aber gelingt es Neuwirth, jenem Expressionismus geschuldete emphatisch-dramatische Gesten nahbar zu machen. Bei allem Grusel schafft sie nämlich auch eine empathische Vertonung.


Felicitas Kukuck

Felicitas Kukuck, geborene Conheim, lebte von 1914 bis 2001. Die Komponistin erfuhr erst mit Beginn der Naziherrschaft von ihren jüdischen Vorfahren – der Vater Otto Conheim hatte in weiser Voraussicht den Namen der Familie in »Kestner« ändern lassen. Felicitas war da erst zwei Jahre alt. Kukuck hat viele Erinnerungen an ihr Leben selbst zu Papier gebracht. Hier schildert sie eine Situation aus ihrer Kindheit:

»In der 4. Klasse wählten wir zum ersten Mal eine Klassensprecherin. Fast alle Stimmen[…] fielen auf ein sehr beliebtes Mädchen. Eine einzige Stimme fiel auf mich. Ich war sprachlos! Und ich habe nicht geruht, bis ich herausbekommen hatte, wer diejenige war, die mich wollte. Es war die kleinste in meiner Klasse. Sie war so klein, dass sie ihren Mantel morgens […] nicht über den Kleiderhaken hängen konnte. Da hatte ich ihn fast immer angehängt. […] Offenbar hing sie an mir und wollte mir das zeigen.«

Mit Blick auf die Zeit einige Jahre später schreibt sie:

»Kurz vor dem 30. Jan. 1933 versteckte ich kommunistische Schriften bei uns auf dem Boden. […] Kurz bevor mein Vater von seiner Lehrtätigkeit als Physiologe »enthoben« worden war, gab es bei uns eine Hausdurchsuchung. Mein Vater zeigte den Beamten seine große Bibliothek, die außer wissenschaftlichen Büchern auch Heine und Thomas Manns Werke enthielt […]. Sie zogen unverrichteter Sache wieder ab und auf die Idee, dass auf dem Boden noch etwas zu finden sein könnte, sind sie gar nicht gekommen. Aber ich habe gezittert und am nächsten Tag das gefährliche Schrifttum weggeschafft. Meine Eltern haben nie etwas davon erfahren.«

Kukuck studierte in Berlin bei Paul Hindemith. Sie erinnert sich:

»Der damalige Leiter der Musikhochschule, Prof. Fritz Stein, war ein liberaler, vernünftiger Musiker. Sein hochbegabter Sohn […] lebte in England […]! Vielleicht gab es da auch irgendeinen rassischen »Makel« in der Familie […]. Meine Mitschüler bei Hindemith und die Studenten in den Chören wussten nichts über mich. Ich schwieg. Nur Prof. Stein kannte meinen Makel, denn ich musste ja für die Zulassung zur Hochschule meinen Ahnenpass vorlegen. Aber auch er, Fritz Stein, schwieg.«

Auch die Kriegsjahre verbrachte Kukuck in Berlin. Erst nach Kriegsende veröffentlichte sie ihre Werke.

»Eines Tages – es muss Anfang 1943 gewesen sein – tauchte bei mir eine Jüdin auf […]. Sie bat um Asyl und ich nahm sie in unsere Wohnung auf […]. Die Jüdin nannte mir nicht ihren richtigen Namen, sondern stellte sich mir als Anna Pastor vor, und ich verschwieg ihr meine nichtarische Abkunft. So hielten wir’s bis zum Ende des Krieges, und erst dann erfuhr sie von meinem Makel, und ich ihren richtigen Namen : Elisabeth Veilchenfeld.«

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In ihrer Sonatine für Klavier und Oboe beweist Kukuck ihre Fähigkeiten als Melodikerin. Die Linien der Oboe werden aus verschiedenen Winkeln beleuchtet, loten die Gravitationen der Rest-Tonalität aus, bis sie sich im spielerischen Zusammenspiel immer wieder mit dem Klavier einlassen und zu einem Duett verwebt.

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Jene Rest-Tonalität lässt sich auch in ihren vielseitigen und unterhaltsamen Variationen über die Weise Es ist ein Schnitter, der heißt Tod wahrnehmen: mal schlicht-choralartig, mal folkloristisch und tänzerisch, mal akkordisch-zupackend.


Elsa Barraine

Elsa Barraine wird 1910 in Paris geboren. Sie studiert Komposition bei Paul Dukas. Spätestens seit der Pogromnacht von 1938 blickt die Komponistin und Tochter eines jüdischen Vaters mit wachsender Beunruhigung nach Deutschland. Als Reaktion auf die Veränderungen der Welt tritt sie der Kommunistischen Partei bei, setzt sich aber auch künstlerisch mit ihrer Zeit auseinander. Die sinfonische Dichtung Pogroms entsteht im Jahr 1933. Im Frühjahr 1941 gründet sie gemeinsam mit dem Dirigenten Roger Desormiere die Front National des Musiciens, eine Organisation, die im Rahmen der Resistance aktiv ist. Die Gruppe bemüht sich, bei Konzerten fast ausschließlich französische Werke zu kuratieren, unterstützt den Widerstand finanziell und schafft jüdischen Komponist:innen durch falsche Signaturen auf den Partituren die Möglichkeit, sich weiter künstlerisch zu betätigen. (Die Identität der Komponist:innen enthüllte Desormiere nach dem Krieg.) Ihr Engagement rückt sie allerdings in das Blickfeld der Nationalsozialisten: Sie wird so oft verhaftet, dass sie schließlich 1944 unter falschem Namen untertaucht. Von ihrer Tätigkeit nach dem Krieg ist nicht viel bekannt, aber sicher ist, dass sie sich neben ihren neu in ihr Leben gerückten Berufen als Pädagogin, Journalistin und Aufnahmeleiterin weiterhin als Komponistin und Aktivistin betätigte.

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Der drängende Gestus Barraines zweiter Sinfonie verdankt seine Antriebskraft einem neoklassizistisch ratternden Motor. Allerdings kommt zu keinem Zeitpunkt jener weiche Feel-good-Vibe auf, der neoklassizistische Stücke zur immerwährenden Guten-Laune-Garantie macht. Vielmehr stört ein grotesker Albtraum-Zirkus mit verzerrten Blech-Einwürfen den Genuss der sanften Linien oder schimmernden Harmonien immer wieder. Das mal live zu hören wäre toll!


Rosy Wertheim

Eine enge Freundin von Elsa Barraine war die niederländische Komponistin Rosy Wertheim. Die Komponistin, Pianistin und Pädagogin wurde 1888 in Amsterdam geboren, wo sie ebenfalls verschiedene Chöre – darunter der Chor »Eilandkinderen«, ein Ensemble bestehend aus jüdischen Kindern der Amsterdamer Armenviertel – leitete. Wie auch ihre Freundin Barraine engagierte sich Wertheim im Widerstand gegen die Nationalsozialisten, versteckte während der deutschen Besatzung jüdische Menschen in ihrem Keller. Ab 1942 musste sich Wertheim selbst verstecken. Während ihre Familie von den Nazis ermordet wurde, überlebte sie das NS-Regime, starb aber 1949 nach langer Krankheit.

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Motorisch-folkloristisch setzt Wertheims Streichquartett ein, das vorgezeichnete Allegro con moto wird wörtlich genommen. Bemerkenswert ist, dass der Grad an Modernität mit jedem Satz des 1932 veröffentlichten Quartetts zunimmt: Spätestens im zweiten Satz sind Bartóks Harmonien nicht weit und im dritten Satz scheint sie bereits passagenweise ein Messiaen’sches Klangbild vorwegzunehmen.


Undine Smith Moore

Undine Smith Moore ist noch unter einem anderen Namen bekannt: man nennt sie »Dean of Black Women Composers« – also Vorsitzende oder »Dekanin« der Schwarzen Komponistinnen. Diesen großen Beinamen verdankt sie ihrem lebenslangen antirassistischen Engagement. Geboren wurde Morre 1904 in Virginia als Enkelin von Sklav:innen. Über ihre Kindheit sagt sie: »Above all else, music reigned.« Ganz im Sinne dieses Zitates wurde zuhause (und in der Kirche, wo Moore mit dem berauschenden Chorklang in Berührung kam) viel gesungen, schon früh bekam sie Klavierunterricht, später ermöglichte ihr ein Stipendium ein Musikstudium an der Juilliard School in New York. Tragischerweise betrachtete sich Moore selbst nie als ausreichend begnadete Komponistin, obgleich sie den Mechanismus hinter dem diesbezüglich geringen Selbstbewusstsein vollständig zu reflektieren schien: »One of the most evil effects of racism in my time was the limits it placed upon the aspirations of blacks, so that though I have been ›making up‹ and creating music all my life, in my childhood or even in college I would not have thought of calling myself a composer or aspiring to be one.« Moore wurde also Lehrerin für Klavier, Orgel und Musiktheorie. Gefragt nach dem Moment ihrer Karriere, der sie am meisten mit Stolz erfülle, nannte sie die Mitgründung des Black Music Center am Virginia State College, einer Institution, die sich für die Sichtbarmachung von Errungenschaften Schwarzer Komponist:innen einsetzte – ein Ziel, dem sie sich Zeit ihres Lebens widmete. Moore engagierte sich außerdem im Civil Rights Movement und sprach sich gegen die Stereotypisierung Schwarzer Komponist:innen aus.

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In dem 1953 veröffentlichten Werk für Soloklavier Before I’d Be a Slave erzählen die Musik und die Vortragsbezeichnungen Hand in Hand eine Geschichte von überbordender Wut, von großer Kraft, die auch eine Jahrhunderte währende Unterdrückung nicht zu brechen vermochte. Sie berichten aber auch von Leid. Ein trauermarschartiger Einwurf transportiert in seiner aphoristischen Kürze eine bedrückende Schwere. Für den letzten Akkord schreibt Smith Moore vor, die Töne in der rechten Hand mit einer geballten Faust zu spielen. ¶

… ist Musiktheoretikerin und Musikjournalistin. Sie hat Lehraufträge an verschiedenen Universitäten und Hochschulen inne und promoviert zurzeit an der HMT Rostock.

Eine Antwort auf “»Auf meine Art bin ich eine Entdeckerin, die fest an die Vorteile dieser Pionierarbeit glaubt.«”

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