In den 1980er Jahren schwappte eine Welle der Ensemblegründungen durchs Land: Ensemble Modern (1980), die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen (1980), Akademie für Alte Musik (1982), Concerto Köln (1985), Ensemble Recherche (1985). Sie verband der Wunsch, einen Gegenentwurf zu den großen, öffentlich finanzierten Sinfonieorchestern zu bilden, bei denen die Strukturen als zu hierarchisch und das Repertoire als zu festgefahren empfunden wurden. Mit ihrem Entdeckergeist setzten viele dieser Ensembles neue Maßstäbe, was Aufführungspraxis, Repertoireentwicklung, Musikvermittlung und Selbstorganisation betraf, und wurden zu Aushängeschildern der deutschen Orchesterlandschaft. So wie das 1985 gegründete Freiburger Barockorchester (FBO), das heute zu den weltweit besten Klangkörpern für ein Repertoire zwischen Telemann und Schubert gehört.

40 Jahre später tritt die Gründergeneration vieler Ensembles langsam ab und eine jüngere übernimmt. Beim FBO verläuft der Generationenwechsel auch durch Familien: Geigerin Petra Müllejans und Geiger Gottfried von der Goltz gründeten das FBO einst mit, heirateten und trennten sich wieder, teilten sich jedoch weiterhin über Jahre hinweg die musikalische Leitung des Ensembles. Ihre Tochter Judith von der Goltz ist seit 2022 festes Mitglied des Orchesters. Während ich in der heimischen Küche mit Vater und Tochter spreche, passt Müllejans im Nebenraum auf die nächste Generation, ihr Enkelkind, auf. 

VAN: Frau von der Goltz, Ihre Mutter und Ihr Vater spielen im FBO, Ihr Großvater ist ebenfalls Geiger, Ihre Großmutter war Pianistin, Ihre Tante ist Barock-Cellistin, Ihr Onkel Jazzpianist … Gab es bei Ihnen keinen: ›Ich werde alles außer Musikerin‹-Moment?

Judith von der Goltz: Doch, den gab es. Ich habe mir eigentlich, bis ich 15 war, absolut gar nicht vorstellen können, Geigerin zu werden.

Gottfried von der Goltz: Ich habe den Satz noch im Ohr: ›Ich werde alles, alles, nur nicht Musikerin.‹

Judith von der Goltz: Es hat mich überhaupt nicht interessiert, nicht die Bohne. 

Was hat sich dann geändert?

Judith von der Goltz: Ich habe einen Lehrer bekommen, der einfach die Lust am Geigespielen in mir geweckt hat.

Wer war das?

Judith von der Goltz: Jörg Hofmann, der hatte hier in Freiburg eine Geigenklasse. Er hat eigentlich gar nichts erwartet, mich so genommen, wie ich bin, mit dem, was ich mitgebracht habe. Du hast mich dann überredet, ins Landesjugendorchester zu gehen. 

Gottfried von der Goltz: Ich hatte immer so eine romantische Vorstellung von diesen Jugendorchestern …

Judith von der Goltz: … und ich wollte auf gar keinen Fall, weil ich dachte, da sind nur irgendwelche Nerds und uncoole Typen. Du hast dann gesagt: ›Schau es dir einen Tag an, wenn es ganz schlimm ist, darfst du dich krank stellen und ich hole dich ab.‹ Dann war ich dort aber schon am ersten Abend sowas von in meinem Element … 

Gottfried von der Goltz: Bei mir war es ganz genauso, meine Mutter musste mich zu einem Kammermusikkurs mitnehmen, weil sie selber da unterrichtet hat. Ich habe gesagt: ›Nee, da komme ich auf keinen Fall mit‹, worauf sie meinte: ›Nur einen Tag, dann darfst du selber entscheiden.‹ Dann bin ich dabei geblieben.

War es dann von der Entscheidung, auch Musikerin zu werden, bis zu der, auch ins FBO zu gehen, nochmal ein weiter Weg?

Judith von der Goltz: Ja, mich haben am Anfang eher die ganzen romantischen Violinkonzerte interessiert. Ich habe auch ziemlich lange moderne Geige studiert, das war toll, aber ich hatte irgendwie immer das Gefühl, dass ich ein bisschen andere Vorstellungen hatte.

Kamen die aus der Erinnerung und der Gewöhnung an ein bestimmtes Klangbild, das Sie von Ihren Eltern mitbekommen haben?

Judith von der Goltz: Total, ich habe das gar nicht so gemerkt in dem Moment, das ist mir erst später klar geworden. Es gab da eine Sprache, die ich von klein auf mitbekommen habe, die mir einfach leicht gefallen und ganz natürlich aus mir rausgekommen ist. Wir waren ja schon als Kinder bei Proben und Konzerten des FBO mit dabei und haben währenddessen auf irgendeiner Decke gespielt. 

War der Einstieg beim FBO dann einfach, weil Ihnen alles vertraut war, oder schwierig, weil es die familiären Verbindungen gab?

Judith von der Goltz: Beides, einerseits ist es mir unheimlich leicht gefallen, ich habe mich sofort aufgenommen gefühlt, ich kannte ja alle, es war total selbstverständlich. Gleichzeitig habe ich mich in den Jahren, in denen ich Gast war, wahnnsinig viel damit beschäftigt, zu gefallen und mit jedem gut zu sein. Das war ein Stress, den aber letztlich alle meine Gäste-Kollegen genau so hatten. Freischaffend und Gast sein ist immer schwierig, denn natürlich will man fest dabei sein. 

Gottfried von der Goltz: Ich hatte auch ein bisschen Sorge, bloß nicht den Eindruck zu erwecken, dich zu protegieren. Gleichzeitig war ich von deiner Qualität überzeugt. Aber seitdem die positive Rückmeldung aus dem Orchester kam und du aufgenommen wurdest, denke ich da gar nicht mehr dran, da bist du wie jedes andere Mitglied.

Herr von der Goltz, bei Ihnen gab es am Anfang noch weniger Orientierungspunkte. Sie haben zunächst als Geiger im NDR Sinfonieorchester angefangen, wie kamen Sie von dort zum Barockorchester?

Gottfried von der Goltz: In der Retrospektive habe ich, glaube ich, nach einem Weg gesucht, etwas anders machen zu können als mein Vater [Conrad von der Goltz], der eher aus der traditionellen Ecke kam, alte deutsche Orchesterschule. Mich haben musikalisch einfach andere Dinge interessiert, etwas Flexibles, Kreativeres. 

Trotzdem waren Sie erstmal im klassischen Sinfonieorchester.

Gottfried von der Goltz: Ja, aber das war toll, weil ich sehr früh, schon mit 21, unabhängig war. Ich habe mein Gehalt gekriegt und konnte machen, was ich wollte. Das hat mir auch Selbstvertrauen gegeben. Wir haben dann angefangen, so nebenher, als Hobby Barockorchester zu machen. Nach zwei Jahren beim NDR habe ich dort gekündigt und beschlossen, den professionellen Schritt mit dem Barockorchester zu gehen. Es gab Leute, die gesagt haben ›Mensch toll, du bist noch so jung, du kannst später immer noch zurück ins Orchester.‹ Andere meinten: ›Bist du wahnsinig? So eine Stelle kriegst du nie wieder!‹

Das Freiburger Barockorchester in den Gründungsjahren (1986)

Die Gründung des FBO Mitte der 1980er fällt zusammen mit einer großen Welle der Ensemblegründungen in Deutschland …

Gottfried von der Goltz: Ja, das war irgendwie so eine kreative Studentenbewegung. 

Was war deren Kernmotivation? 

Gottfried von der Goltz: Bei mir war es ganz klar der Wunsch, den ausgetretenen Pfaden zu entkommen und auf eine Art und Weise Musik zu machen, die nicht aus so einem Repertoire- und Kanondenken kommt. Dass man nicht alles vorher schon gehört hat, sondern auch Stücke spielt, die ganz unbekannt sind. Das war immer ein toller Gedanke: Irgendwann einmal etwas Neues zu entdecken, was noch nie jemand gespielt hat. 

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Ist dieses ›Entdecken‹ für Sie heute immer noch eine wichtige Motivation, Frau von der Goltz? 

Judith von der Goltz: Eigentlich nicht mehr. Das ist auch tatsächlich so nicht mehr möglich. Ich habe eher das Gefühl, dass man sich woanders orientieren muss, weil die Entdeckungen mehr oder weniger erschöpft sind. Klar kann man irgendwo ein Werk ausgraben, das noch nicht gespielt wurde…

Gottfried von der Goltz: Das ist immer noch toll!

Judith von der Goltz: Klar.

Gottfried von der Goltz: Als wir Seliges Erwägen von Telemann gemacht haben, oder Geminianis The Art of Playing on the Violin

Judith von der Goltz: Das ist toll, aber für mich nicht mehr das, was in Zukunft lange noch interessant bleiben wird. 

Was bleibt interessant?

Judith von der Goltz: Es geht eher darum, verschiedene Einflüsse, Richtungen und Stile zu verbinden, von der Vielseitigkeit zu profitieren. Als ihr angefangen habt, war dieses aufführungspraktische Zeug irgendwie wahnsinig absolut: Es war von außen gar nicht angesehen, man musste selber die ganzen Sachen lesen und aufs Spielen übertragen. Ihr hattet einen ganz neuen, unbekannten, spannenden Weg zu gehen, wart in der Musikwelt quasi Revolutionäre. Diesen Revolutionsgedanken kennt meine Generation so nicht mehr. Wir wachsen damit auf, dass es das gibt, dass wir von Menschen lernen können, die das gemacht haben und ihre Erfahrungen gesammelt haben. Und es stellt sich nicht mehr die Frage, was ist richtig und was ist falsch, sondern man weiß, dass es viele unterschiedliche Stile gibt. 

Gottfried von der Goltz: Das liegt auch ein bisschen am Internet. 

Judith von der Goltz: Sicherlich.

Gottfried von der Goltz: Als wir angefangen haben, mussten wir die Bibliotheken anschreiben und per Readerprinter Handschriften bestellen, die wir dann zugeschickt bekommen haben.

Judith von der Goltz: Und dann habt ihr ein Puzzleteil gehabt. Uns heute stehen Hunderte Puzzleteile zur Verfügung. Jede Information ist super easy zu bekommen. Meine Generation hat deshalb, denke ich, ein anderes Thema. Wir wissen mittlerweile, dass es keine Allgemeingültigkeit gibt, wie historisches Spiel funktioniert. Es gibt wahnsinnig viel, mit dem man noch experimentieren kann, ein anderer Umgang mit Spielpraktiken wie Rubato oder Portamenti zum Beispiel, die auch im FBO bisher wenig ausprobiert wurden – zu schauen, was da möglich ist. 

Das Freiburger Barockorchester macht ja schon lange nicht mehr nur Barock. Geht es jetzt auch darum, sich im Repertoire noch weiter zu öffnen? 

Gottfried von der Goltz: Die Fragestellung ist vielleicht zu schematisch. Ich glaube, wir brauchen keinen Fahrplan, wie wir jetzt ewig neue Sachen erarbeiten. Wir waren und sind immer noch ein Projektorchester, wir stürzen uns in Projekte und entdecken immer wieder neue Sachen. Das ist das, was uns wach und jung hält. Dazu gehört Griegs Holberg Suite genauso wie jetzt die Médée in Berlin. Wir haben heute vielleicht mehr eine Ahnung, wie wir das zum Klingen bringen, als wir das früher hatten, weil wir mit dem Orchester unheimlich viel Erfahrung mit dieser Projektarbeit haben. Trotzdem kommen dann immer wieder neue Fragen auf, wie zum Beispiel die nach Rubato …

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Der Generationenwechsel hat auch beim FBO begonnen, ist der hörbar?

Gottfried von der Goltz: Tatsächlich hat das Orchesterspiel eigentlich noch nie so gut funktioniert wie jetzt gerade. 

Woher kommt das?

Gottfried von der Goltz: Wir haben früher einfach alle sehr unterschiedlich gespielt und mussten unheimlich üben, um homogen zusammenzuspielen. Das geht jetzt bei uns viel schneller. Die junge Generation bringt eine Selbstverständlichkeit und eine Leichtigkeit mit rein, die hat keine Angst. Das ist eine große Qualität. 

Judith von der Goltz: Es liegt denke ich auch daran, dass sich junge und ältere gut ergänzen. Kantiges gewinnt an Flexibilität und weiches Flexibles bekommt mehr Form. Vieles entsteht organisch. Bei uns in den Proben wird heute zum Beispiel viel weniger darüber geredet, wie kurz oder lang jetzt eine Achtel gespielt werden sollte, viel weniger theoretisch, als bei euch früher, oder?

Gottfried von der Goltz: Ja, wir wurden damals über [die Bratschistin] Anita Mitterer, die viel mit uns gearbeitet hat, direkt von Harnoncourt beeinflusst. [Mitterer war lange Mitglied im von Harnoncourt gegründeten Concentus Musicus Wien, d.Red.] Da gab es so ›Gesetze‹ … sehr viel ›breit kurz breit‹, jede Bindung in sich ein Diminuendo … Davon haben wir uns irgendwann total befreit und sind in einem Stil gelandet, der viel zu sehr gleichmäßige Einzelnoten hatte. Ich komme jetzt in meiner Auseinandersetzung mit Geminiani wieder darauf zurück, dass man die Dinge nicht so analogisieren sollte und dass die Musik immer sprechen muss. Geminiani war irgendwie so ein vollverrückter Mensch, unheimlich interessant, weil er immer auf der einen Seite das eine behauptet, und später bei genau derselben Stelle das Gegenteil, das fand ich so inspirierend.

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Ich kann mir vorstellen, dass früher der Umgangston auch ein anderer war und es härtere, vielleicht dogmatischere Auseinandersetzungen um diese Themen gab?

Gottfried von der Goltz: Ja, und eindimensionaler, ein bisschen verbohrter. Einige orientierten sich zum Beispiel an der Musica Antiqua und sahen die ›wahre Art‹ des Spiels in einer bestimmten Artikulation. Ich würde heute sagen, dass Artikulation schon wichtig ist, aber für mich sind ästhetische Fragen oft viel wichtiger, Artikulation ist da eher ein Steigbügel. 

Judith von der Goltz: Ich glaube, dass der Umgangston heute schon ein anderer ist als in der Anfangszeit. Was ich da so mitbekommen und gehört habe, das wäre, glaube ich, heute nicht denkbar, das würden die meisten nicht mitmachen. Das hat aber eine Ambivalenz. Die Generation meiner Eltern kann und hat ihre Überzeugungen stets klar und unmissverständlich formuliert. Sie hatten dieses Unbedingte. Sie waren vielleicht nicht immer sicher und einig darüber, was genau sie wollten, aber umso einiger, was sie nicht wollten, von was sie sich musikalisch abgrenzen wollten. Ich denke nicht, dass meine Generation weniger zu sagen hat, aber ich nehme wahr, dass meine jungen Kolleginnen und ich vielleicht etwas weniger selbstverständlich Raum für uns beanspruchen. 

Ihre Kollegin und Mitgründerin Christa Kittel hat mir einmal erzählt, dass es für die Gründergeneration wichtig war, ›dass wir uns auch menschlich gut verstehen und eine nette Zeit haben‹. Wie wichtig ist das heute noch?

Judith von der Goltz: Das ist glaube ich im FBO immer noch sehr wichtig. 

Gottfried von der Goltz: Ich würde sagen, das ist bei mir weniger wichtig. [beide lachen] Ich bin in der Richtung total zielorientiert. Ich genieße es, wenn eine gute Atmosphäre beim Arbeiten ist, aber ich sehe mein Pensum und was ich erreichen möchte, und wenn es schwierig wird, pflüge ich mich so durch und nehme eine schlechte Stimmung unter Umständen in Kauf. Ich kann mich davon nicht frei machen. Ich will einfach an einen Zielpunkt hinkommen, das ist auch stressig manchmal. 

Judith von der Goltz: Es geht. Ich finde es logisch, dass es auch mal schlechte Stimmung gibt, das muss man auch nicht schönreden und nicht immer verhindern wollen. 

Gottfried von der Goltz: Ich kann mich erinnern, wie mich schon früher bei Quartett-Proben ›gute Stimmung‹ immer ein wenig ungeduldig gemacht hat.

Judith von der Goltz: Das kann ich total verstehen, das kenne ich auch. 

Gottfried von der Goltz: Ich bin gar nicht so ein ungeduldiger Mensch, aber eine selbstgerechte gute Stimmung ist einfach manchmal zu lasch.

Judith von der Goltz: Da stimme ich dir tausendprozentig zu, aber trotzdem ist das Soziale im FBO sehr wichtig, über die Proben hinaus, unabhängig von den Proben.

Gottfried von der Goltz: Ich bin auch total dankbar, dass sich andere Leute so kompetent drum kümmern. [lacht]

Foto © Brit Schilling

Haben Sie eigentlich Krisen und Konflikte immer unter sich ausgemacht oder auch mal externe Unterstützung dazu genommen? 

Gottfried von der Goltz: Haben wir auch gemacht. Es gibt alte und schwierige Konfliktpunkte, Leute, die irgendwie gar nicht gut miteinander auskommen, und wir müssen trotzdem miteinander Musik machen. Wir haben öfter Supervisionen gemacht, das war nicht immer sehr produktiv, aber die letzten Male schon. Ich habe es als sehr hilfreich empfunden, ungewohnte Kommunikationsformen auszuprobieren, in so einen Prozess einzutauchen, ohne dass man erstmal versteht, was dabei rauskommen soll. Die letzte Runde hat auch zusammen mit der Verjüngung total gut funktioniert. 

Judith von der Goltz: Es ist schon wichtig, dass man im Gespräch bleibt und nicht frustriert nach Hause geht und das dann über längere Zeit so stehen bleibt.

Frau von der Goltz, Sie sind seit 2022 festes Mitglied, haben vorher einige Jahre als Gast mitgespielt. Sie haben dabei die Corona-Zeit miterlebt, als freie Ensembles stark zu kämpfen hatten. Ist das Thema Sicherheit für Sie wichtig?

Judith von der Goltz: Ich mache mir wenig Sorgen. Das hängt wahrscheinlich auch damit zusammen, dass ich mit zwei Eltern aufgewachsen bin, die genau das gemacht haben, und es hat immer hingehauen. Aber wir müssen jetzt schon den Schritt schaffen, das Orchester in den nächsten zehn, fünfzehn Jahren weiterzubringen. Es werden sich so viele Positionen verändern, jede einzelne wird neue Sachen reinbringen, in zehn Jahren wird es wirklich ein ganz anderes Orchester sein. Ich habe das Gefühl, dass es jetzt an uns jüngeren ist, mitzugestalten und die Verantwortung zu übernehmen, wo es hingeht. 

Glauben Sie, Ihre Tochter wird es schwerer oder einfacher haben?

Gottfried von der Goltz: Ich bin ein wenig unsicher, wie sich die Landschaft der klassischen Musik verändern wird. Ich habe ein bisschen das Gefühl, dass man vielleicht das Konzertformat überdenken muss. Ich fände das schrecklich, das Konzert ist für mich eigentlich ein heiliger Ort, wo es ein Geben und Nehmen zwischen Musiker und Publikum gibt. 

Judith von der Goltz: Ich bin eigentlich davon überzeugt, dass der Konzertmoment wieder an Bedeutung gewinnt: da zu sein, für die Zeit des Konzertes, ohne mediale Ablenkung, das Lebenstempo für die Dauer eines Konzertes herunterzufahren und analog eine sinnliche Erfahrung zu machen. Es geht dann darum, diesen Moment immer wieder zu gestalten, vielleicht das Konzert als großes, ineinander verwobenes Ganzes zu sehen, statt einfach Stücke zusammenhanglos nebeneinander zu stellen, als eine Art ›Storytelling‹, vielleicht auch in Verbindung mit Text. Es ist unglaublich, was es für uns Musiker und auch für das Publikum ausmacht, und wie anders man hört, wenn Texte und Musik aufeinandertreffen. Aber auch für mich ist das Konzert an sich unantastbar.

Herr von der Goltz, mit Erreichen des Renteneintrittsalters ist Schluss beim FBO, das ist im Gesellschaftsvertrag so vorgegeben. Wird es Ihnen wie Warren Schmidt in About Schmidt gehen oder werden Sie gut loslassen können?

Gottfried von der Goltz:Ich glaube, ich werde dann nur noch das machen, worauf ich Lust habe. [Beide lachen]

Judith von der Goltz: Ich glaube, du kannst wahrscheinlich wirklich gut loslassen. 

Gottfried von der Goltz: Ich freue mich auch eigentlich auf den Tag. Ich liebe das Arbeiten, ich bin gerne beschäftigt, trotzdem werde ich es auch genießen, die Verantwortung abzugeben. ¶


... ist Herausgeber von VAN. Er studierte Development Studies, Ethnologie und Asienwissenschaften in Berlin, Seoul, Edinburgh und an der London School of Economics und arbeitete im Anschluss zehn Jahre als Berater in Projekten der internationalen Entwicklungszusammenarbeit. 2014 gründete er mit Ingmar Bornholz den VAN Verlag, wo er auch als Geschäftsführer fungiert. hartmut@van-verlag.com

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