»Die Lehrperson sitzt mir gegenüber. Sie sagt: ›Weißt du, wenn ich merke, dass jemand nicht ganz mitmachen will, dann drücke ich bis es nicht mehr geht.‹ Dabei drückt sie mit dem Daumen auf dem Sesselarm. Nach dieser Unterrichtsstunde habe ich beschlossen, mein Studium abzubrechen.« So lautet eine Rückmeldung auf eine derzeit noch laufende Umfrage einer studentischen Initiative gegen Machtmissbrauch an Musikhochschulen, die von den Studierendenvertretungen der Musikhochschulen in Deutschland, Österreich und der Schweiz unterstützt wird. 161 Studierende nahmen vom 6. Juni 2023 bis zum 16. März 2024 teil, 613 Erfahrungsberichte sind eingegangen, gut 150 davon liegen VAN in anonymisierter Form vor. Überprüfen lassen sich die Darstellungen nicht, dennoch legen sie nahe: Vor allem im Einzelunterricht scheinen schwarze Pädagogik, destruktive Kritik, persönliche Beleidigungen, körperliche Grenzüberschreitungen und Einmischungen in die Privatsphäre der Studierenden keine Einzelfälle zu sein.

»Diese Daten zeigen die komplette Bandbreite von Machtmissbrauch«, erklärt Lou Baldauf*, ein Mitglied der studentischen Initiative, gegenüber VAN. »Es gibt natürlich relativ offensichtliche Fälle, wie zum Beispiel sexualisierte Gewalt, wo gesetzlich schon relativ viel geregelt ist, wo man auch von außen schnell sagt: ›Ja, das war übergriffig.‹ Darunter gibt es einen riesigen Graubereich und der wird sehr gut in den Umfrageergebnissen abgebildet.« Als Machtmissbrauch definiert die Initiative »das Ausnutzen einer Machtposition (z. B. Dozent:in – Student:in) durch Handlungen oder Äußerungen der mächtigeren Person zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil der betroffenen Person« und wertet somit jede Verletzung persönlicher Grenzen durch Lehrende als Machtmissbrauch, egal ob dies bewusst oder unbewusst geschieht. (Die meisten der in den Reaktionen auf die Umfrage erwähnten Fälle wären strafrechtlich nicht relevant.)

An Musikhochschulen bringt gerade der Einzelunterricht Strukturen mit sich, die Machtmissbrauch begünstigen: In der 1:1-Spitzenförderung sind Lehrperson und Student:in zu zweit im Raum, niemand schaut zu. Der Druck ist groß, ebenso der Einfluss der Lehrperson auf die erhoffte Karriere. »Jeder, der anfängt Musik zu studieren und einen Studienplatz bekommen hat, will unbedingt erfolgreich darin sein, will ein gutes Verhältnis zum Professor oder möchte eine gute Chance für den Berufseinstieg«, erklärt Julia Friedrich*, ebenfalls eine Organisatorin der Umfrage, gegenüber VAN. Hinzu kommen die ständige Arbeit mit dem Körper und damit verbunden Fragen nach der Kommentierung oder gar Berührung der Körper der Studierenden.

Foto Nikos Mouras (CC BY-NC-ND 2.0 DEED)

Die Umfrage erhebt keinen wissenschaftlichen Anspruch, die Zahlen sind nicht repräsentativ, das könne eine studentische Initiative nicht leisten, so die Organisator:innen. Zunächst war geplant, die Umfrageergebnisse zu veröffentlichen, eine juristische Beratung habe der Initiative jedoch davon abgeraten mit Verweis darauf, dass im Falle von eventuellen Klagen seitens der beschuldigten Lehrkräfte die Mitglieder der Initiative persönlich haften.

Immer wieder geht es in den VAN vorliegenden Berichten um verletzende Rückmeldungen der Lehrenden im Einzelunterricht: »Es klingt so, als hättest du noch nie ein Instrument in der Hand gehabt«; »Eigentlich ist die Aufnahmeprüfung da, um Leute wie dich aus dem Studium zu halten«;  »Du wirst nie eine Geigerin werden«; »Wie kann man so jung und so langweilig sein?« Eine Person erzählt, sie sei im Unterricht angeschrien worden, bis sie in Tränen ausbrach, worauf die Reaktion Lehrkraft nur gelautet habe: »Es ist unprofessionell, zu heulen.« Auch von rassistischen, sexistischen und anzüglichen bis vulgären Äußerungen wird berichtet, von cholerischen Wutausbrüchen (zum Teil verbunden mit dem Verbot, anderen von den Geschehnissen im Unterricht zu erzählen), von abwertenden Kommentaren gegenüber Charakter und Körper, die nicht mit dem Unterricht in Verbindung stehen, von Drohungen wie: »Ich schmeiße dich gleich dort aus dem Fenster, wenn du es nicht endlich hinbekommst.« Auch zu öffentlichen Demütigungen komme es offenbar immer wieder: »Ich wurde von meinem damaligen Professor gezwungen, mich vor ihm auf den Boden zu knien und den ›Dreck‹ mit den Händen aufzusammeln. Er rief dabei die ganze Klasse dazu und stachelte sie an, darüber Witze zu machen«, berichtet jemand. Nach Prüfungen sollen Studierende vor Kommiliton:innen gedemütigt worden sein, ein Dozent soll Videos, die zu Unterrichtszwecken aufgenommen wurden, bearbeitet haben, sodass die dort gefilmte Person ins Lächerliche gezogen wurde, um diese dann Kollegen zu schicken.

Eine andere Person erzählt, sie habe im Unterricht sowohl jede erkennbare Methodik als auch jegliches pädagogische oder menschliche Feingefühl vermisst, die Rückmeldungen des Lehrers seien verletzend gewesen. »Das habe ich über mich ergehen lassen, weil ich zu der Zeit sehr unsicher war und mir selbst die Schuld gegeben habe. Er gab mir das Gefühl, dass ich vollkommen unfähig bin, also habe ich immer verbissener geübt, um mich zu beweisen und habe so natürlich keine Fortschritte gemacht. Es führte zu einem Zusammenbruch im Unterricht, Burnout, Depression, Angstzuständen und infolgedessen finanziellen Problemen. Das Instrument war für mich bis zum Studienbeginn ein sehr wichtiges Ausdrucksmittel. Bis heute habe ich es nicht geschafft, wieder eine gesunde Beziehung zum Musikmachen aufzubauen.« Immer wieder ist von Depressionen im Zusammenhang mit dem Studium zu lesen, von Verzweiflung, Tränen und Entfremdung vom Instrument. Auch die regelmäßige Angst vorm Unterricht sowie die Entwicklung von Auftrittsangst werden wiederholt als Folgen genannt.

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»Viele schreiben, dass es eine psychische Belastung ist, die über einen langen Zeitraum, oft Jahre andauert«, erklärt Julia Friedrich. »Dass es zu mentalen oder körperlichen Problemen führen kann, ist tatsächlich unabweisbar. Hier ist die komplette Bandbreite gegeben von ›ich kann damit umgehen und ich spiele trotzdem noch mein Instrument und bin damit sehr glücklich‹ bis zu Angst vor Unterricht, Angst beim Spielen oder Vorspielen bis zur langfristigen Unfähigkeit, sein Instrument oder seine Stimme zu nutzen und damit ja den Beruf, den man eigentlich gelernt hat, überhaupt auszuüben. Das ist also ein riesiges Spektrum und ein sehr großes Risiko. Diese individuellen Kosten können enorm hoch sein.«

Aus den Erfahrungsberichten hat die studentische Initiative »Forderungen zur Prävention und Intervention von übergriffigem, unangemessenem und missbräuchlichem Verhalten an Musikhochschulen« abgeleitet und diese im Dezember 2023 an die Leitungen der Musikhochschulen sowie die Rektorenkonferenz der Musikhochschulen (RKM) gesandt. So drängt die Initiative unter anderem auf regelmäßige wissenschaftliche und hochschulübergreifende Studien zu Machtmissbrauch, die sowohl körperliche als auch verbale und psychische Übergriffe erfassen, auf die Verpflichtung zur Lehrevaluation (um die Schwelle, auf problematische Unterrichtssituationen hinzuweisen, möglichst weit zu senken), auf noch einfachere Zugänge zu internen wie externen Beratungsstellen und verpflichtende Weiterbildungen zum Thema Nähe und Distanz für alle Lehrenden.

»Es gab einige wenige Rektorate, die uns direkt angeschrieben und unterschiedlich reagiert haben: von ›Wir nehmen es zur Kenntnis‹ bis ›Herzlichen Dank. Ist ja interessant, wir beschäftigen uns mit dem Thema‹«, so Friedrich. In der RKM ist die Antidiskriminierungs-Arbeitsgruppe mit den Forderungen der Initiative betraut. Dort besteht laut des RKM-Vorsitzenden Christian Fischer noch viel Diskussionsbedarf zu den Forderungen, erst bei der RKM-Sommerkonferenz im Mai rechnet er mit einem gemeinsamen Positionspapier der Hochschulen. »Wo wir uns weitgehend einig sind«, so Fischer auf VAN-Nachfrage, »ist, dass auch wir ein hohes Interesse haben an einer systematischen Erhebung beziehungsweise an einer wissenschaftlich aufgesetzten Studie.« Diese könnte sich orientieren an einer aktuellen Studie der Hochschule für Musik und Theater München in Zusammenarbeit mit dem IPP München, deren Ergebnisse am 18. April veröffentlicht werden sollen. 

Seit den Prozessen gegen den ehemaligen Präsidenten der Musikhochschule, Siegfried Mauser, ist die Frage des Umgangs mit Machtmissbrauch in München besonders präsent: Auf Prozess und Urteil gegen Mauser wegen sexueller Nötigung – flankiert von irritierenden Reaktionen aus der Klassikwelt, die sexualisierte Gewalt zu einvernehmlichem Sex oder einem selbstverständlichen Teil eines ausschweifenden Künstlerlebens umdeuteten – folgte ein weiteres Gerichtsverfahren gegen den ehemaligen Kompositionsprofessor Hans-Jürgen von Bose. Die aktuelle Präsidentin Lydia Grün nimmt sich des Themas seit Amtsantritt im Oktober 2022 an. »Den Forderungskatalog der Studierendenvertretungen teilen wir in allen Punkten«, meint sie auf VAN-Nachfrage. »Als der im Dezember kam, haben wir ihn geprüft und geschaut: Wo stehen wir da eigentlich? Und wir sehen an vielen Punkten: Das erfüllen wir, bei anderen Punkten haben wir noch Nachholbedarf. Außerdem müssen wir immer wieder prüfen: Wie wirkt eine bestimmte Maßnahme eigentlich? Funktioniert sie auch wirklich? Oder muss man nochmal nachschärfen?«

In München existiert bereits ein dichtes Netz an Beratungsstellen, bestehend aus drei Beauftragten für die Gleichstellung von Frauen in Wissenschaft und Kunst, zwei Gleichstellungsbeauftragten für die Verwaltung und vielen Vertrauenspersonen aus allen Bereichen der Hochschule, erklärt Sonja Stibi, die Münchner Vizepräsidentin für Lehrentwicklung, Diversität und Forschung auf VAN-Nachfrage. Zudem sind externe Ombudsstellen, sowohl für juristische als auch psychologische Beratung, für Hochschulangehörige kostenfrei zugänglich. Christian Fischer weiß an allen deutschen Musikhochschulen von entsprechenden internen und externen Beratungsstellen. Viele Studierenden der Hochschule in Trossingen, die Fischer leitet, wüssten aber seinem Eindruck nach dennoch nicht, welche Strukturen oder Angebote es dort bereits gibt, auch wenn diese bei jeder Semestereröffnung vorgestellt werden.

An der Münchner Musikhochschule wird regelmäßig eine Informationsbroschüre ausgegeben,  Veranstaltungen machen auf Beratungsstellen aufmerksam. Es gibt Workshops zum Empowerment von Studierenden, zum Beispiel zu selbstsicherer Kommunikation im Unterricht, auf Englisch und Deutsch. »Und trotzdem zeigt sich immer wieder, dass Beratungsstellen, Beschwerdewege und Sensibilisierungs- und Fortbildungsangebote noch nicht überall bekannt sind. Da sind wir in der Pflicht, noch mehr zu tun«, so Stibi. Aktuell wird in München auch der Onboarding-Prozess für die Studierenden angepasst, um noch stärker zu vermitteln: Wo und wie kann man sich Hilfe suchen?

Foto Holly Levey (CC BY-NC-ND 2.0 DEED)

Die Rückmeldungen der Studierenden in der aktuellen Umfrage betreffen nicht nur verbale Äußerungen im Unterricht, sondern auch übergriffiges Verhalten darüber hinaus: Von passiv-aggressiven SMS noch kurz vor Mitternacht wird berichtet, vom Versuch, die Studierenden komplett zu überwachen: »Er sagte mir, er wolle mich nicht unterrichten, solange er mich nicht zu 100 Prozent unter Kontrolle hätte. Dafür rief er mich ständig an und wollte wissen, was ich gerade tue. Diese Anrufe erfolgten u.a. gegen 5 Uhr morgens oder nach 22 Uhr abends und er war dabei häufig offensichtlich alkoholisiert.« Eine absolute zeitliche Flexibilität würde verlangt, Jobs oder Privatleben würden als mangelnde Studienmotivation angeprangert. »Eine Dozentin bezeichnete mich als schwachen Menschen, als ich ihr sagte, dass ich nicht die Nacht durcharbeiten werde«, schreibt jemand. Auch von körperlichen Übergriffen wird berichtet.

Oft kann ein Lehrkraftwechsel helfen, jedoch besteht vor allem bei Instrumenten, die nur wenige lehren, die Möglichkeit, dass die ehemalige Lehrkraft trotzdem in Prüfungen sitzt. Auch die Angst, dass Lehrende als Reaktion auf Kritik der Studierenden deren Ruf in der Branche schädigen könnten, wird aus der Umfrage deutlich, zum Teil sollen Lehrende explizit damit gedroht haben. Durch die Hochschulleitungen fühlen sich die Studierenden, die sich bei der Umfrage zu Wort melden, nicht immer ausreichend unterstützt. Häufig sei das problematische Verhalten von Lehrkräften dort bekannt, dennoch passiere nichts.

Entsprechend groß sei oft die Angst, sich an die Hochschulleitungen zu wenden, so Julia Friedrich: »Unsere Erfahrung ist, dass sich Leute an den Hochschulen in der Regel nicht äußern oder nur sehr zögerlich oder sehr stark aufgefordert werden müssen, weil sie Angst haben, irgendwas zu sagen.« Die Initiative fordert darum, dass gerade der sensible Einzelunterricht evaluiert und die Ergebnisse zentral ausgewertet werden müssen, um Übergriffe aufzudecken. Aktuell ist die Evaluation des Einzelunterrichts an den Musikhochschulen in Weimar, Berlin (UdK), Karlsruhe, Detmold, Leipzig und Rostock zwar möglich, jedoch nicht verpflichtend. Dresden schreibt die Lehrevaluation vor, allerdings werden die Ergebnisse nur der Lehrperson vorgelegt. In Hamburg, Hannover, Frankfurt, Trossingen und Saarbrücken ist die Teilnahme an der Evaluation für angestellte Lehrende verpflichtend. Die Rückmeldungen werden hier von Stellen außerhalb des Lehrkraft-Lernenden-Gespanns geprüft. Nur so kann die Lehrevaluation auch dazu dienen, Machtmissbrauch aufzudecken. In Düsseldorf, Nürnberg, Lübeck und Würzburg sind entsprechende Strukturen im Aufbau. (Die Musikhochschulen in Bremen, Essen und Stuttgart reagierten nicht auf unsere Anfrage.)

»Bei uns ist es so, dass die Lehrevaluation beispielsweise direkt an das Studiendekanat geht«, erklärt Lydia Grün. »Insofern haben wir eine eigene Stelle, die da noch mal unabhängig drauf schaut. Dennoch sehen wir weiteren Handlungsbedarf. Wir arbeiten zum Beispiel an Möglichkeiten, wie man anonyme Hinweise noch über ein anderes Verfahren abgeben kann, als über die Lehrevaluation. Die Lehrevaluation ist natürlich anonymisiert, aber in kleinen Klassen sind Rückschlüsse auf konkrete Personen dennoch leicht möglich.« Grundsätzlich sieht sie eine Notwendigkeit, »über die Architektur von Schutzmechanismen noch viel differenzierter nachzudenken, als wir es im Augenblick schon tun. Wir haben verschiedene Strukturen und Maßnahmen, aber wichtig ist, dass wir deren Wirkung überprüfen, und zwar ständig.«

Einen entscheidenden Baustein sieht die Studierendeninitiative außerdem in der verpflichtenden Weiterbildung der Lehrenden. »Wir brauchen den Einzelunterricht, damit sich künstlerische Persönlichkeiten entwickeln können«, so Baldauf. »Aber auf der anderen Seite entsteht durch Einzelunterricht auch ein großes Risiko, weil die Tür zu ist, niemand zuguckt und in der Regel diese große Abhängigkeit von der Lehrperson herrscht. Das heißt, dass Lehrende lernen müssen: Wie gehe ich mit so einer sensiblen Situation um? Für einen sensiblen Umgang im Einzelunterricht brauchen Lehrpersonen regelmäßige Weiterbildungen oder auch die Möglichkeit, sich bei Fragen zu Unterrichtssituationen an Expert:innen wenden zu können.« Inwieweit verbeamtete Lehrende zu Weiterbildungen dienstverpflichtet werden können, prüft derzeit die Kanzlerkonferenz der deutschen Musikhochschulen. Die juristische Klärung steht hier noch aus. Allerdings räumt auch Christian Fischer ein, dass zu freiwilligen Workshops immer nur eine kleine Zahl an Lehrenden komme »und oft die, die es nicht unbedingt nötig haben«. Lehrbeauftragte können die Hochschulen, so Fischer, überhaupt nicht zu Weiterbildungen verpflichten.

Regelmäßige Weiterbildungen sind für kleine Hochschulen wie der in Trossingen zudem ein ernstzunehmender Kostenfaktor. Dafür bräuchte es dort zusätzliche Mittel vom Ministerium. »Das wäre etwas komplett Neues im Hochschulsystem, das auf höheren Ebenen diskutieren müsste: Was bringt es wirklich? Wie könnte man es implementieren? Wer trägt die Kosten? Wie organisiert man es? Usw. Das ist aus meiner Sicht ein ziemlich großes Thema«, so Fischer. »Ich weiß offen gestanden im Moment nicht, wie man diesen Wunsch, strukturell Kontrollmechanismen, Transparenzmechanismen und verpflichtende Weiterbildungen einzuziehen, umsetzen könnte. Dafür bräuchten wir als Hochschulen zusätzliche Stabsstellen und die entsprechende Personalausstattung.«

Foto Christophe FROT (CC BY-NC-ND 2.0 DEED)

Was bereits an manchen Hochschulen geschieht, was laut der Studierendeninitiative aber noch verstärkt umgesetzt werden muss, ist die Berücksichtigung der pädagogischen Kompetenzen in Berufungsverfahren. Die Münchner Musikhochschule hat einen entsprechenden Passus in ihre Ausschreibungen aufgenommen: »Uns als Hochschule ist eine hohe Sensibilität hinsichtlich eines ausbalancierten Verhältnisses von Nähe und Distanz in der künstlerischen Lehre wichtig.« Dieser Punkt wird, ist er in die Ausschreibung aufgenommen, zum festen Kriterium im Auswahlverfahren und muss in Probelehrveranstaltungen bewertet werden: »Handelt es sich um ein partnerschaftliches Zusammenarbeiten oder ist es eine Top Down-Beziehung?«, werde hier laut Grün geprüft. »Wir sind eine Hochbegabtenförderung. Wir reden hier nicht über Grundlagen-Ausbildung, und da ist ein partnerschaftliches Zusammenarbeiten auf künstlerischer Ebene, wissenschaftlicher Ebene möglich und auch nötig.« Die Frage, die hinter all dem steht sei: Wie gehen die Musikhochschulen mit leistungsorientierter künstlerischer Lehre – was im Übrigen nicht autoritäre künstlerische Lehre bedeutet – in Zukunft um?

An den Musikhochschulen gerät beim Nachdenken über Machtmissbrauch also auch in den Leitungsebenen etwas in Bewegung – bei manchen schneller, bei manchen langsamer, immer auch in Abhängigkeit von den jeweiligen Landesgesetzen. Sonja Stibi zumindest erlebt aktuell einen derartigen »Klimawandel« in München: »Natürlich gibt es auch Kolleg:innen in der Lehre und Verwaltung, die das bisher nicht als so relevant gesehen haben, weil bisher kein Bewusstsein da war: Wo überschreite ich eine Grenze? Auch, weil man das vielleicht selbst so erfahren hat. Es gibt ja durchaus Lehrende, die selbst durch so eine Schule gegangen sind und dadurch bestimmte Lehrverhaltensweisen gar nicht als problematisch wahrnehmen. Aber wir merken insgesamt an unserer Hochschule eine große Offenheit und ein Nachdenken über Lehre – und nicht nur bei den Lehrenden, sondern insgesamt im Haus, auch in der Verwaltung. Insofern findet gerade eine Sensibilisierungsphase statt.« Studentische Initiativen wie die aktuelle Umfrage können hier Druck aufbauen und die Dringlichkeit unterstreichen. Der Ball liegt jetzt bei den Musikhochschulleitungen, die in der Pflicht sind, für ein Umfeld zu sorgen, in dem sich die Studierenden psychisch und physisch sicher fühlen und sich ganz auf ihre künstlerische und persönliche Entwicklung konzentrieren können.

Veränderungen in diesem Feld können sich vielfach auf das spätere Leben der Studierenden auswirken. Nicht nur der persönliche Fortschritt im Studium steht auf dem Spiel, denn: Die durch die Umfrage offengelegten Formen des Machtmissbrauchs beschränken sich nicht nur auf den Hochschulalltag. Auch im späteren Berufsleben müssen Musiker:innen oft ähnliche Erfahrungen mit Machtmissbrauch und einem Klima der Angst machen. Wird bereits an der Hochschule von allen Seiten ein anderes Miteinander gepflegt und erlernt, könnte das schlussendlich zu einem Klimawandel führen, den die gesamte Klassikwelt nötig zu haben scheint. ¶


* Name geändert. Die Organisator:innen der Studie befürchten, dass es sich negativ auf ihren Berufsweg auswirken könnte, wenn sie als Musiker:innen die Missstände öffentlich kritisieren.

... machte in Köln eine Ausbildung zur Tontechnikerin und arbeitete unter anderem für WDR3 und die Sendung mit der Maus. Es folgten ein Schulmusik- und Geschichtsstudium in Berlin und Bukarest. Heute lehrt sie Musikwissenschaft an der Universität der Künste Berlin und ist Redakteurin bei VAN. merle@van-verlag.com

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