Der ORF, der öffentlich-rechtliche Rundfunk des Kultur- und Musiklandes Österreichs, hat einen gesetzlich formulierten Bildungsauftrag. Dafür wird auch eine Rundfunkgebühr eingehoben – die vielleicht bald durch eine Haushaltsabgabe abgelöst werden wird. Für seichte Serien, mit denen uns schon das Privatfernsehen flutet, oder tanzende C-Promis brauchen wir keinen ORF.

Zentral für diesen gesetzlich festgeschriebenen Bildungsauftrag ist auch ein Radio-Symphonieorchester, das seit seiner Gründung 1969 eine Schlüsselrolle im Musikleben Österreichs einnimmt – ganz speziell auch durch die Fokussierung auf das zeitgenössischen Musikschaffen und die Förderung junger musikalischer Talente. Nachdem die Politik und die ORF-Führung bereits 1995 den fatalen Fehler gemacht haben, den ORF-Chor abzuschaffen, scheinen die heute handelnden Personen nicht nur nicht dazugelernt zu haben – nein, sie scheinen sich außerdem ihrer historischen Ignoranz nicht bewusst zu sein.

Ein überforderter, ständig nach rechts schielender Bundeskanzler Nehammer im Umfragetief, der die Scherben der bruchgelandeten, Steuergeld verprassenden Kurz-Maschinerie zusammenkehren muss; seine ebenfalls – nicht nur rhetorisch – überforderte und kulturferne Medienministerin Raab: beide drängen den ORF nun dazu, vehement zu sparen, damit er »für die Leute« billiger werde. Für welche Leute? Für mich einmal nicht. Ich zahle gerne meine Rundfunkgebühr für Kunst und Kultur im ORF, für das RSO Wien, für die Förderung des zeitgenössischen Kunst- und Musikschaffens. Aber nicht für den Musikantenstadel oder den derben, sexistischen Villacher Fasching! Und damit bin ich nun wirklich nicht alleine.

Aber wie möchte der ebenfalls schwarze, noch von Kurz inthronisierte ORF-General Weißmann nun sparen? Nicht etwa, indem er die Spitzengehälter der ORF-Manager (kolportierte Gehälter von bis zu 400.000 Euro pro Jahr!) kürzt oder die teuren Begehrlichkeiten der mehrheitlich schwarzen Landesstudios beschneidet. Nicht, indem er über die eigene Ambition gestolperte Führungskräfte, wie den mit Heinz-Christian Strache gewissenlos mauschelnden Ex-ORF-Chefredakteur Matthias Schrom fristlos kündigt – für die werden nämlich teure »Versorgungsjobs« innerhalb des Unternehmens gesucht.

Nein, Herr Weißmann möchte das Radio-Symphonieorchester Wien abschaffen – diese unkorrumpierte Säule des österreichischen Kulturlebens, die unermüdlich spannenden Content für die ORF-Kanäle produziert und eine große Präsenz für das Unternehmen in der Außenwirkung bringt – ausverkaufte Konzerte in den tollsten Konzertsälen, mit den besten Solist:innen und Dirigent:innen, bei den bedeutendsten Festivals im In- und Ausland. Allein in Österreich spielt das RSO regelmäßig Konzerte mit Programmen abseits des Mainstreams im Wiener Konzerthaus, im Wiener Musikverein, im Theater an der Wien, bei den Salzburger Festspielen, im Grazer Stefaniensaal – von Auslandsauftritten wie etwa heuer in der Philharmonie de Paris einmal ganz abgesehen.

Alle paar Jahre poppt sie wieder auf, diese leidige Diskussion über die Abschaffung dieses wunderbaren Orchesters. Aber warum bloß? Welches Orchester in diesem Land hat ein solch breites Repertoire? Wer spielt, neben der Pflege der Tradition (etwa der Ersten und Zweiten Wiener Schule), der Entdeckung von Raritäten (heuer etwa Der Idiot von Weinberg), zeitgenössische Musik von Cerha, Czernowin oder Haas mit solcher Hingabe und Präzision? Dieses Orchester hat eine Schlüsselrolle bei der Vermittlung und Förderung der kulturellen Vielfalt in Österreich und ist ein wesentlicher Grund für einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Die Abschaffung wäre kultureller Selbstmord des Musiklandes Österreich. Das gilt es gemeinsam zu verhindern.

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Auch ich persönlich verdanke dem RSO Wien sehr viel. Mein erstes Orchesterwerk ‚…gleichsam als ob…‘ wurde im Jahr 2000 unter der Leitung von Dennis Russell Davies kongenial uraufgeführt. Gerade als junger Komponist war das sehr wichtig für mich – ich habe unglaublich von dieser Zusammenarbeit profitiert und viel gelernt. Außerdem sind Aufführungen mit Orchester, gerade wenn man jung ist, schwer zu bekommen. Diese Erfahrungen sind für junge Komponist:innen so wichtig – der menschengemachte, lebendige Klang eines Orchesters kann durch keine Computersimulation, und sei diese noch so raffiniert, ersetzt werden. Die instrumentale Farbpalette, die klangliche Tiefenstruktur, das kritische Hinterfragen der eigenen Orchestrationsstrategien – all das muss physisch im Probenprozess und im Konzert erlebt werden.

Das RSO und seine Mitglieder begegnen dabei jeder ästhetischen Position und jedem künstlerischen Ansatz, egal ob man am Anfang seiner Karriere steht oder bereits arriviert ist, sehr offen und respektvoll, das Orchester nimmt jedes neue Werk sehr ernst. Über all die Jahre, nach gezählten zehn verschiedenen Werken, die dieses Orchester von mir bereits aufgeführt hat – mit Dirigenten wie Bertrand de Billy, Michael Boder, Péter Eötvös, Cornelius Meister, Emilio Pomàrico oder Dima Slobodeniouk – verbindet mich eine tiefe künstlerische wie menschliche Freundschaft mit dem RSO Wien und seinen Mitgliedern.

Wenn man künftig durch die geplante Abschaffung dieses Orchesters jungen Kolleg:innen diese Erfahrungen vorenthält, die ich mit dem RSO machen durfte – da spreche ich auch als Kompositionsprofessor –, werden auch weniger Werke der jungen Generation, weniger Repertoirestücke für morgen entstehen. Die Förderung all der jungen Instrumentalist:innen, Hochschulabsolvent:innen, denen im RSO Wien eine erste Chance gegeben wird, soll dabei dem diffusen Spardiktat von Politik und ORF-Führung geopfert werden – damit berauben wir junge Leute nicht nur ihrer Perspektiven, sondern schicken sie direkt in die Armutsfalle. All das kann und darf doch nicht im Sinne eines Musiklandes wie Österreich sein. Die Auflösung des ORF-Radio-Symphonieorchesters Wien muss mit allen Mitteln verhindert werden. ¶

… 1974 geboren in Innsbruck, studierte in Wien und Berlin Komposition. Er komponierte u.a. Auftragswerke für die Berliner und Wiener Philharmoniker, das Cleveland Orchestra, das BR-Symphonieorchester, das RSO Wien, die Wiener Staatsoper, das Lucerne Festival, das Aldeburgh Festival, die Sächsische Staatskapelle Dresden, das Ensemble Modern, das Ensemble Intercontemporain und das Klangforum Wien. Seit 2018 ist er Professor für Komposition am Mozarteum in Salzburg.