Normalerweise gibt es bei einem klassischen Klavierrecital nur maximal zwei Hauptdarsteller: Komponist:in und Interpret:in. Der Pianist Martin Helmchen muss sich Anfang Januar bei einem kleinen Studiokonzert im Kleinen Sendesaal des rbb die Hauptrolle mit zwei weiteren Protagonisten teilen: Einem Tangentenflügel von 1790, erbaut von Christoph Friedrich Schmahl in Regensburg, auf dem Helmchen gerade alle Partiten von Johann Sebastian Bach aufnimmt (erscheint im Herbst bei Alpha), und dem Restaurator und Instrumentensammler Georg Ott, der den 2006 auf einem Dachboden im oberpfälzischen Sulzbach entdeckten Flügel wieder zum Klingen gebracht hat. Zwischen einzelnen Partitensätzen ist er in ständigem Einsatz, um nachzustimmen und wortwörtlich ›die Register zu ziehen‹. 

Eine Woche später erreiche ich Ott während seiner Arbeit im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg, wo er als Restaurator angestellt ist. Daneben baut Ott seine Sammlung historischer Tasteninstrumente auf, die er Musiker:innen wie Christine Schornsheim, Tobias Koch oder eben Martin Helmchen regelmäßig für Konzerte oder Aufnahmen zur Verfügung stellt. Teile der Sammlung sind seit Mai 2021 in der wiedereröffneten Neuen Musicalien-Kammer im Schloss Köthen zu sehen. 

Das Nürnberger Nationalmuseum ist montags geschlossen, während wir telefonieren, höre ich, wie Ott durch die Sammlung geht und auf den historischen Instrumenten ab und an einzelne Töne anschlägt. 

VAN: Wie sind Sie zur Restaurierung gekommen?

Georg Ott: Meine Leidenschaft galt ursprünglich der Musik, aber eine Musikerlaufbahn lag in weiter Ferne, weil ich immer von zu vielen Dingen gleichzeitig begeistert war. Ich habe nach dem Abitur eine kurze Schreinerausbildung beim VEB Waggonbau Ammendorf gemacht. Dann ergab sich die Möglichkeit, im Rahmen eines Restaurierung-Studiums beim Musikinstrumentenmuseum in Leipzig anzufangen. Es gab damals in der DDR schon so etwas wie ein Duales Studium, in dem es üblich war, ungelernt als Restaurator eingestellt zu werden. Das Studium war in Berlin, alle sechs Restauratoren des Landes und die Museen waren eingebunden, total praxisnah. Gibt’s leider nicht mehr.

Das war schon eine instrumentenspezifische Ausbildung?

Genau. Innerhalb des Studiums konnte man sich dann auf eine bestimmte Instrumentengruppe spezialisieren, bei mir waren das besaitete Tasteninstrumente. 

Weil Sie selbst Klavier gespielt haben?

Naja, mehr so geklimpert. Das war auch keine Voraussetzung.

Warum Restaurierung und nicht zum Beispiel Instrumentenbau?

Ich hatte damals ein paar Zentren des Musikinstrumentenbaus besucht wie Markneukirchen, das Pendant von Mittenwald im Osten. Das fand ich ein bisschen eine freudlose Angelegenheit. Die Arbeit in der Werkstatt war sehr spartanisch damals und die guten Instrumente wurden zum größten Teil gegen Devisen vom Staat eingesammelt und in den Westen verschachert. Die Meister hatten kaum die Möglichkeit, selbst Geschäftskontakte aufzubauen. Das war alles nicht so schön. 

Im Museum hatten Sie mehr Freiheiten?

Das Museum war wie eine Insel im Osten. Man kann sich nicht vorstellen, wie deprimierend der Werdegang in der DDR vorgezeichnet wurde vom System. Es ging immer nur darum, seinen Platz für das Kollektiv einzunehmen, für das System nutzbar gemacht zu werden. Die einzige Alternative war, irgendwas im kulturellen Bereich zu finden, wo der Alltag nicht ganz so grau und trist war. Die Anstellung im Museum war wie ein Hauptgewinn für mich.

Wann haben Sie da angefangen?

Im Frühjahr 1989.

Das heißt, Sie haben in Leipzig auch die Montagsdemonstrationen und die Wende erlebt?

Ja, direkt vor meinen Augen. Das Musikinstrumentenmuseum liegt ein paar hundert Meter vom jetzigen Augustusplatz, damals noch Karl-Marx-Platz, entfernt, wo die großen Montagsdemonstrationen stattfanden. Es war echt dramatisch, das mitzuerleben. Ich war natürlich auch dabei – und hatte deshalb ein bisschen Angst um meinen geliebten Arbeitsplatz. 

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Was waren das für Instrumente, mit denen Sie damals in Leipzig gearbeitet haben?

Das waren schon die besten, die es gibt. Das Museum beherbergt ja eine der weltweit bedeutendsten Sammlungen für besaitete Tasteninstrumente.

Gab es damals in der DDR schon viele Musiker:innen, die sich dafür interessiert haben, auf diesen historischen Instrumenten auch zu spielen?

Ja, ein wesentlicher Impuls für die historische Aufführungspraxis ging sowohl im Westen als auch in der DDR von den Museen aus, weil dort diese Instrumente standen. Eigentlich verlief die Entwicklung in Ost und West ziemlich parallel. Eine Musikerin wie Christine Schornsheim ging vor der Wende in unserem Museum ein und aus und wurde gleichzeitig auf westlichen Konzertbühnen gefeiert. 

Gibt es unter Restaurator:innen eigentlich einen Interessenkonflikt zwischen denen, die ein Instrument möglichst gut und original ›konservieren‹ und möglichst gar nicht anrühren wollen, und denen, die es spielbar machen wollen?

Ja, den Konflikt gibt es durchaus, und das war auch ein bisschen der Impuls hinter der Entscheidung, meine eigene Sammlung aufzubauen. Das ist ein wirklich interessantes Thema. Museale Restaurierung heißt ja im weitesten Sinne, dass man die Originalsubstanz respektiert und möglichst wenig verändert. Aber das kann natürlich sehr unterschiedlich interpretiert werden. Das sind auch immer Wellen und Moden. Es gibt Kollegen, die sagen, es darf gar nichts gespielt werden, mittlerweile geht es wieder in die Richtung, dass ein bisschen gespielt werden darf, aber nur mit einem Zeitlimit. Wenn man selbst Instrumente sammelt, gibt es dafür natürlich wesentlich mehr Spielraum.

Historische Tasteninstrumente der Sammlung Ott in der Neuen Musicalien-Kammer im Schloss Köthen.

Weil Sie dann in eine Originalsubstanz eingreifen können, um ein Instrument wieder spielbar und gut klingend zu machen?

Nicht unbedingt. Ich persönlich arbeite überwiegend museal, wenn da Original Hammerleder drauf sind, Dinge die den Klang maßgeblich prägen, dann kann man sagen: ›Ich mache das alles neu‹, oder ich höre mir an, wie das mit dem Originalmaterial klingt. Fast immer bleiben die bei mir drin, da wird höchstens ganz vereinzelt etwas wieder fit gemacht. 

Aber so ein Leder im Hammerklavier wird doch spröde?

Das hält erstaunlich gut. Dazu kommt der Umstand, dass ich ja mehrere Instrumente habe. Wenn ich ständig dasselbe Paar Schuhe trage, kann ich davon ausgehen, dass die nach zwei Jahren durchgelatscht sind. Wenn ich aber 20 Paar habe, und immer schön wechsle, halten die nahezu unendlich. Es gibt bei Instrumenten viele Dinge, die praktisch keinem Verschleiß unterliegen, wenn man sie vernünftig und nicht zu stark benutzt.

Ist diese Frage der Konservierung und Restaurierung bei alten Tasteninstrumenten diffiziler, weil es viel mehr potentielle Verschleißteile gibt als zum Beispiel bei einer alten Geige?  

Nee, man kann das schon ganz gut vergleichen. Wenn der Wirbel einer Geige über Jahrzehnte gedreht wird, dann leiert der auch aus und es muss irgendwann mal ein Futter rein. Bei einer Geige, die 400 Jahre alt ist,  kann man aber davon ausgehen, dass da schon ein Futter drin ist. Deswegen muss ich gar nicht unbedingt in die Substanz gehen, sondern gehe in das vorherige Futter und setze für das verschlissene ein neues ein. So ähnlich ist das auch bei alten Tasteninstrumenten. Diese wirklich vom Verschleiß bedrohten Teile sind im Laufe der Zeit meistens schonmal gewechselt worden. Insofern gehe ich nicht in die bauzeitliche Substanz. Da hält sich der Schaden in Grenzen.

Sie stellen Ihre eigenen Instrumente für Konzerte und Aufnahmen zur Verfügung. Wie wichtig ist Ihnen dieser Austausch mit Musiker:innen? 

Sehr wichtig. Ich verstehe Instrumente eigentlich auch nur im Austausch mit Musikern. Wenn ich mir die Mechanik anschaue, dann kann ich die einzelnen Funktionen beurteilen, aber nicht die Spieleigenschaften. Dieser Austauch ist wahnsinnig interessant und eigentlich auch das, was mir am meisten gefällt. Und da bin ich am Museum sehr eingeschränkt. 

Georg Ott transportiert seine Instrumente in einem umgebauten Krankenwagen. Das Instrument kommt in ein Etuis, dann wird es verzurrt. Das hat sich bewährt. In den ganzen Jahren ist das noch nichts Schlimmes passiert.‹

Gibt es eigentlich wie bei Streichinstrumenten einen Schwarzmarkt für historische Tasteninstrumente, unseriöse Anbieter, Milliardäre, die Instrumente als Wertanlage verstehen oder den Markt leerkaufen?

In einer anderen Dimension als zum Beispiel bei Geigen. Die Welt der Tasteninstrumente ist so Wenigen zugänglich, es bedarf wirklich Fachwissen und absoluter Spezialisten. Man kann nicht zur Bank gehen und sagen, ich habe hier ein Instrument, das ist 500.000 Euro wert. Selbst Gutachter gibt es so wenige, dass man eigentlich mit jedem Objekt Neuland betritt. 

Was haben Sie denn für eine Beziehung zum modernen Flügel? 

Ich habe prinzipiell großen Respekt vor allen Instrumentenbauern und natürlich auch vor der Tradition. Wenn ich jetzt mal die Gelegenheit habe, so einen großen Konzertflügel auf der Bühne zu stimmen, dann staune ich schon auch über dessen Möglichkeiten und natürlich auch darüber, was gute Pianisten aus solchen Flügeln rausholen. Aber letzten Endes ist es natürlich schade um die Vielfalt der Instrumente bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts. Danach ging es sehr in Richtung Uniformität.

Arthur Schoonderwoerd hat den Klang moderner Flügel in VAN einmal so beschrieben:  ›Auf einem Steinway ist alles gleich.  Sie machen viel Lärm. Aber man hört nicht so genau, was für einen Lärm sie machen. Es ist alles ein bisschen wie Fischsuppe.‹

Das umfasst ja vieles, auch den Stimmton und die musikalische Temperatur. Dass man immer überwiegend gleichstufige Temperaturen verwendet, ist auch eine echte Verarmung. Wobei es mittlerweile auch wieder Pianisten gibt, die ihre eigene Temperatur mitbringen, wie zum Beispiel Martin Stadtfeld. Wenn man für den stimmt, kriegt man immer die ›Stadtfeld-Temperatur‹ angesagt.

Was zeichnet die aus?

Eine relativ starke Verschiebung, die für reinere Terzen sorgt, eine geniale Stimmung, muss ich sagen, die ein völlig anderes Klangbild ergibt.

Das Hammerklavier erlebt seit einiger Zeit eine große Renaissance, daneben gibt es aber noch ganz viele andere Typen, die man gar nicht auf dem Schirm hat oder immer noch vergessen sind – Clavichord, Clavecin Roïal, Nähtischklavier, Tangentenflügel, Querhammerflügel …woran liegt es, dass die kaum einer mehr kennt?

Das hat im Kern mit der Industrialisierung zu tun. Im traditionellen Instrumentenbau baut der Meister manchmal alleine, manchmal mit ein paar Gehilfen in seiner Werkstatt. 

Im Zuge der Industrialisierung haben viele Dinge an Komplexität und Masse so derartig zugenommen, dass sie einfach zwangsläufig in solche uniformen Entwicklungen gemündet sind. Da geht es immer um Stückzahl und Effizienz. Je mehr Objekte ich bauen kann, umso höher wird die Produktivität und umso billiger kann ich das einzelne Stück anbieten. 

Es gab ja auch nicht ›das Hammerklavier‹, sondern jede Stadt oder Region hatte ihre eigenen baulichen Traditionen und Maßeinheiten. 

Das mit den regionalen Schulen ist schon wirklich beeindruckend. Wenn ich hier im Museum die Sammlung durchgehe und ein frühes italienisches Spinett aus dem 16. Jahrhundert anspiele, hat das so eine unfassbare Aura, dann im Vergleich dazu der flämische Stil, viel kerniger … Die Vielfalt ist schon unfassbar und sehr anregend. Es gäbe eigentlich viele Gründe, die wiederzubeleben. Einige Musiker haben gemerkt, dass man sich ein historisches Tafelklavier für 2000 bis 5000 Euro in halbwegs vernünftigem Zustand anschaffen kann. Die werden auch kaum kopiert, weil die Originalinstrumente einfach noch viel günstiger sind. Ein anderer interessanter Bereich für Musiker ist, sich ein Clavichord anzuschaffen. Clavichorde waren immer die Instrumente, die Musiker auch zuhause hatten, weil sie einfach herstellbar und bezahlbar waren. Sowas könnte man sich als Musiker eigentlich auch selbst bauen. Ich denke immer mal wieder darüber nach, einen Kurs dazu anzubieten. Als Musiker hätte man so die Möglichkeit, sich selbst in die Materie des Stimmens und den Umgang mit historischen Instrumenten einzuarbeiten.

Als Tasteninstrumentrestaurator verbringen Sie eine Menge Zeit mit dem Stimmen von Instrumenten. Muss einem das liegen?

Es muss einem liegen, aber im Prinzip kann man es lernen. Das ist nichts, was besonderer Fähigkeiten bedarf. Im Idealfall hat man Spaß daran. Ich finde es eine wunderbare Aufgabe. Es hat natürlich immer auch etwas Vergebliches, du stimmst und stimmst und stimmst, und nach einer Weile ist es wieder verstimmt. [lacht] Aber das Vergängliche ist der Musik ja auch schon eingeschrieben. 

›Es hat natürlich immer auch etwas Vergebliches, du stimmst und stimmst und stimmst, und nach einer Weile ist es wieder verstimmt.‹ Georg Ott bei der Stimmarbeit.

Beim Studiokonzert im rbb habe Sie oft nach einzelnen Sätzen der Bach-Partiten nachgestimmt. Das wäre aber in einem regulären Konzert nicht möglich.

Ich glaube das Publikum war überrascht, dass so viel gestimmt wurde, aber letzten Endes ist es vielleicht auch interessant, das mal so zu erleben. Im Konzert ist es immer ein Kompromiss. Idealerweise versteht sich der Spieler auch ein bisschen aufs Stimmen, oder es ist eine Zusammenarbeit. Der Spieler nimmt – wenn er wirklich ein Ohr dafür hat, was nicht immer der Fall ist – wahr, welcher Ton sich unter seinen Fingern minimal verstimmt. Ich kann dann auch zwischen zwei Sätzen, weil ich daneben sitze, fragen: ›Du, welcher Ton ist verstimmt?‹ Dann dauert es nur eine Sekunde, bis der wieder gestimmt ist. 

Ich finde, es wird meistens zu kurz und zu schlecht gestimmt, dabei zeigt es immer auch die Ernsthaftigkeit und den Anspruch, mit denen Musiker:innen bei der Sache sind. 

Wenn ein Ensemble sehr viel Konzentration darauf verwendet, sich einzustimmen, dann muss ich sagen, hat es schon mal meinen Respekt, bevor es überhaupt losgeht. Das ist eine Energie, die sich auch aufs Publikum überträgt. Ich kann mich an Konzerte hier im Museum erinnern, wo Ensembles aufgetreten sind, die wirklich sehr intensiv und lange gestimmt haben, das kommt eigentlich auch beim Publikum gut an. Man merkt, dass das Konzert eine Bedeutung hat und dass die Musiker sehr genau sind in dem, was sie machen. 

Ein Instrument wie der Tangentenflügel gibt eigentlich auch eine Rezeptionshaltung und eine Aufführungsform vor, weil man seine Ohren erstmal an den ungewöhnlichen Klang gewöhnen muss und der eigentlich nur in kleineren Sälen trägt, oder? 

Das ist erstaunlicherweise nicht ganz so. Das relativ obertonreiche Klangspektrum von solchen historischen Instrumenten hat eine andere Raumausbreitung. Mit dem Tangentenflügel war ich schon im Konzerthaus am Gendarmenmarkt und anderen großen Sälen, oder auch in Kirchen. Mit Martin Helmchen hatten wir letztes Jahr ein Konzert in der Thomaskirche, das hat erstaunlich gut funktioniert. Aber natürlich sind Konzerte in kleineren, intimeren Räumen extrem reizvoll.

Martin Helmchen und Otts Tangentenflügel von 1790 bei den Proben für ein Konzert in der Leipziger Thomaskirche im September 2022

Glauben Sie, die Renaissance geht weiter?

Ja, die geht ganz dramatisch weiter. Was noch vor zehn Jahren das Cembalo war, das greift jetzt auf den Hammerflügel über. Viele Cembalisten spielen mittlerweile auch Hammerflügel, die stehen alle vor der Frage: Wie komme ich zu einem Instrument, was habe ich zu Hause zum Üben, wo kriege ich ein Konzertinstrument her? Da gibt es die klassischen Anbieter wie Paul McNulty, aber die Preise sind jetzt ziemlich hochgegangen. Unter 60.000 bis 80.000 Euro kriegt man kein gescheites Instrument. Aber die Nachfrage ist da. Fast jeder Cembalist, und davon gibt es mittlerweile wirklich viele, fragt sich: Was ist mein Repertoire, wo beginne ich und wo höre ich auf? Und letzteres verschiebt sich ständig nach hinten. Viele spielen bis zum modernen Konzertflügel, aber es gibt ja so unendlich viele Abstufungen. Der Konzertflügel des späten 19. Jahrhunderts ist mittlerweile auch ein Feld für die historische Aufführungspraxis.

Der Pianist Alexander Melnikov, der auch historische Instrumente sammelt, hat einmal in einem Interview gesagt, er fühle sich fast schuldig, darauf zu spielen, weil er darin keine formale Ausbildung hat. 

Ich habe mit Melnikov und meinem Tangentenflügel letztes Jahr eine Aufnahme gemacht …

Was war das?

Er hat ein Werk von CPE Bach auf ganz unterschiedlichen Instrumenten eingespielt. Letzten Endes geht es nicht darum, was jemand studiert hat, sondern um Sensibilität. Manches kann man auch gar nicht lernen. Melnikov braucht zum Beispiel eigentlich nur ein paar Minuten, um sich in ein Instrument zu vertiefen, und dann ist es eigentlich egal, was er unter den Fingern hat. 

Sie haben in Köthen das Prinzenhaus gekauft und dort auch Instrumente untergestellt. Was ist Ihre Vision dahinter?

Nach meinen vielen Jahren in Bayern hatte ich die Lust, mich mal wieder ein bisschen in Richtung Heimat zu orientieren. Meine größte Freude ist, wenn Freunde und Interessierte sich treffen und ein bisschen mehr Zeit mitbringen, um in diese Klangwelt der Instrumente einzusteigen. Ich arbeite gerade daran, dort ein paar Gästezimmer auszubauen. Mein Traum ist, dass es ein offenes Haus wird, wo auch ein paar Instrumente stehen, wo man probieren kann. Dann geht man zwischendurch in die Musicalien-Kammer, probiert dort weiter … Ein Ort, wo Menschen hinkommen, um in diesen Klangkosmos einzutauchen. 

Haben Sie in Ihrer Sammlung ein Lieblingsinstrument, oder stehen die alle auf einer Ebene?

Das schwankt immer ein bisschen. Im Moment ist es ein Spath-Flügel, das ist auch so ein geheimnisvolles Instrument. Es gibt einen Brief von Mozart vom 17. Oktober 1777, in dem er schreibt: ›Ehe ich noch vom Stein [ein Augsburger Instrumentenbauer] seiner Arbeit etwas gesehen habe, waren mir die spättischen Claviere die Liebsten‹. Aber es war immer ein Rätsel, welche genau er damit gemeint hat. Wir kannten vom Franz Jakob Spath eigentlich nur die Tangentenflügel, aber das waren zumindest anhand der überlieferten Quellen wohl nicht die Instrumente, auf die sich Mozart 1777 bezog. Dann tauchte vor ein paar Jahren ein total ruiniertes Pantaleon-Clavecin von Spath bei Sotheby’s auf, das sich das National Music Museum in South Dakota, das größte Musikinstrumentenmuseum in den USA, an Land gezogen hat. Das wird da wie eine Ikone ausgestellt, obwohl es eigentlich nur ein Rumpf und nicht spielbar ist. Wenige Jahre später wurde dann ein weiteres Pantaleon-Clavecin von Spath gefunden. Das steht jetzt in der Musicalien-Kammer in Köthen und ist weltweit das einzige, das spielbar ist, weil ich es restauriert habe. Das wurde quasi noch gar nicht wahrgenommen, mit dem gibt es noch keine einzige Aufnahme. Dabei ist es klanglich unfassbar interessant.

Kommt da noch viel Neues zum Vorschein?

Man denkt immer, es kommt nichts mehr, aber es vergeht kein Jahr, in dem nicht Instrumente auftauchen, die praktisch bisher nicht bekannt waren. Wir müssen davon ausgehen, dass alles, was bis 1850 überliefert ist, nur ein ganz kleiner Teil ist von dem, was es gab. Bach hat sich zum Beispiel sehr für Instrumente interessiert, er hatte sehr viel Kontakt zu Instrumentenbauern, aber von den meisten wissen wir eigentlich gar nicht, was die gebaut haben. Wir kennen die Namen aus Quellen, wir wissen, dass Bach das beurteilt hat und mit wem er sich getroffen hat, aber wir kennen die Objekte nicht. Manchmal tauchen dann doch wieder Instrumente auf, von denen man dachte, sie blieben ein Rätsel für alle Zeit. 

Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, ein Instrument, das jemand entdeckt und Ihnen zur Verfügung stellt: Welches wäre es?

So ein Instrument aus dem Bach-Umfeld wäre schon spannend. Es gibt zum Beispiel das Gambenklavier, das im Inventar der Musicalien-Kammer in Köthen verzeichnet ist. Wir wissen aber nicht genau, was das war. Es gibt Hinweise darauf, dass das eine Art Geigenklavizimbel war, die in Nürnberg von Hans Heyden im 17. Jahrhundert erfunden wurden. Das klingt ganz zauberhaft. So ein rätselhaftes Ding unter den Fingern zu haben, das wär was. ¶

Hartmut Welscher

... ist Herausgeber von VAN. Er studierte Development Studies, Ethnologie und Asienwissenschaften in Berlin, Seoul, Edinburgh und an der London School of Economics und arbeitete im Anschluss zehn Jahre als Berater in Projekten der internationalen Entwicklungszusammenarbeit. 2014 gründete er mit Ingmar Bornholz den VAN Verlag, wo er auch als Geschäftsführer fungiert. hartmut@van-verlag.com