Nur die wenigsten jungen Musiker:innen werden nach Ende ihres Bachelor- oder Masterabschlusses in einem öffentlich finanzierten Orchester fest angestellt. Stattdessen wartet die Freiberuflichkeit: oft als Lehrkraft an Musikschulen oder als Aushilfe in den großen Orchestern. In jedem Konzert sitzen sie mit an den Pulten und zwischen den fest angestellten Instrumentalis:innen – sie tun das gleiche, sie üben genau so lang und oft, sie haben genau so lang und intensiv studiert, sie spielen ihr Instrument auf dem gleichen Niveau. Kein Orchester kommt ohne sie aus. Und dennoch arbeiten sie unter prekären Bedingungen.

Mitte Januar hat die Orchestervereinigung unisono eine Aushilfenampel veröffentlicht, die mit Blick auf Deutschland zeigt, was die jeweiligen Orchester ihren Aushilfen zahlen – für Probendienste und Konzerte. Zusammen mit der Erhebung kommt auch eine Empfehlung für Mindesthonorare. Anhand einer Deutschlandkarte illustriert unisono, welche Orchester diesen Mindesthonorarempfehlungen für freie Orchesteraushilfen entsprechen (grün) und welche nicht (gelb und rot). In NRW, Rheinland-Pfalz, Hessen und im Saarland dominieren vor allem gelb und ein bisschen grün – im Osten und Süden dagegen vor allem rot und ein bisschen gelb. Die Hauptstadt gleicht einer roten Blume mit gelbem Blütenstempel.

Unisono empfiehlt Folgendes: Bei TVK-A-Orchestern und Rundfunkklangkörpern soll ein Probendienst mit einer Dauer von maximal drei Stunden mit 160 Euro vergütet werden, eine Aufführung bis drei Stunden mit 240 Euro. Für B-Orchester sind es noch 140 und 190 Euro, und bei C- und D-Orchestern 115 und 165 Euro. Dazu soll es ein Plus von 25 Prozent geben für Sonderleistungen wie zum Beispiel den Transport großer Instrumente, das Stimmen von Tasteninstrumenten oder »besonders lange (über 3 Stunden) und besonders schwierige Werke«. Unisono schreibt dazu: »Die Honorarmindeststandards stellen eine absolute Untergrenze dar. Freischaffende Musiker:innen haben zahlreiche zusätzliche Aufwendungen, die sich aus ihrer Selbstständigkeit ergeben (u.a. Betriebskosten inkl. Instrumentenanschaffung, Altersvorsorge, Unfallversicherung, krankheitsbedingte Ausfalltage) und müssen individuelle Vorbereitungs- und Reisezeiten einkalkulieren. Diese Faktoren werden in der Honorarberechnung berücksichtigt.«

Foto: Brian Matangelo via Unsplash (Public Domain)

Laut unisono liegen die Berliner Orchester aber alle – teilweise weit – unter diesen Empfehlungen. Schlusslicht ist das Konzerhausorchester mit 85 Euro pro Probe und 160 Euro pro Aufführung. Ähnlich niedrig sind die Honorare beim DSO Berlin mit 90 Euro pro Probe und 170 Euro pro Aufführung. Staatskapelle und Orchester der Deutschen Oper sind mit 110 Euro und 190 Euro gelistet – die Berliner Philharmoniker zahlen mit 125 Euro pro Probe und 200 Euro pro Aufführung in Berlin noch am meisten.

»Von manchen Orchestern nehme ich Anfragen mittlerweile aus Protest gar nicht mehr an«, sagt Jan, ein freischaffender Musiker, gegenüber VAN. Er spielt regelmäßig Vertretungen in mehreren der Berliner Orchester – im Dezember allein 17 Konzerte –, könnte aber, wie er sagt, nicht davon leben. Seinen richtigen Namen, sein Instrument und auch konkrete Informationen zu seiner Verbindung zu den entsprechenden Orchestern möchte Jan nicht nennen, aus Angst, durch seine Aussagen zukünftige Engagements zu gefährden. »Man muss dazu sagen«, meint der Musiker, »dass die Kolleg:innen, die bei den Orchestern in der Verwaltung angestellt sind, um diese schlechte Bezahlung wissen und das furchtbar finden. Sie kümmern sich so gut es geht, dass man zum Beispiel Zulagen bekommt.« Und trotzdem erhielt er im vergangenen Jahr, laut hervorgekramtem Honorarbescheid, vom Konzerthausorchester nur 160 Euro für ein Konzert und 85 Euro für eine Probe. »Es gibt Orchester, in denen spiele ich wirklich gerne, weil die Atmosphäre toll ist und ich die Kolleg:innen sehr gern mag«, sagt Jan. »Aber das ist dann ein bezahlter Besuch bei Freund:innen. Das Honorar ist lächerlich.«

Als freischaffende:r Musiker:in könne man zudem nicht davon ausgehen, »dass die Anfragen vom Himmel fallen«, sagt Jan. »Du musst spielen, präsent sein, vorbereitet sein, Qualität zeigen. Wenn man schlecht spielt, wird man nicht angerufen, so einfach ist das.« Der permanent hohe Leistungsdruck ist hier nur ein Teil des Problems, die teilweise intensive Vorbereitung sorgt dafür, dass die Arbeitszeit bei einer Vertretung die drei Stunden von Probe oder Aufführung oft weit übersteigt. »Manche Stücke sind schwerer, andere nicht so sehr, manche hat man im Repertoire, andere nicht. Es gibt Sachen, in die investiere ich extrem viel Zeit, auch mal eine Woche – und das wird alles nicht bezahlt, das ist normal«, meint Jan. Dazu kommt, dass manche Aushilfen für ein Konzert extra anreisen müssen und dann nicht einmal die Fahrtkosten erstattet bekommen. »Das passiert immer wieder, dann werden Leute für die Aushilfe gebucht, bekommen aber kein Ticket, kein Hotel. Aber sie müssen ja irgendwo pennen« – und landen dann mitsamt Instrument, Noten und Konzertkleidung bei Freund:innen auf der Couch.

Auf Anfrage bestätigen die Berliner Orchester die unisono-Zahlen, allerdings mit gewissen Einschränkungen. Staatskapelle, Orchester der Deutschen Oper, DSO und RSB lassen in einer gleichlautenden Mail wissen, dass die Vergütung der Aushilfen nach gemeinsam verabschiedeten Richtlinien geschehe, und dass die entsprechenden Honorare »in einer Spannweite zwischen 11 und 28 Prozent angehoben wurden«. Dabei ergäben sich je nach Art und Länge der Proben und Konzerte und nach Funktion der Aushilfe »eine Spanne von 110 bis 175 Euro« für Proben und von »190 bis 280 Euro« für Konzerte. Auch Tagessätze seien demnach nicht einheitlich geregelt. Davon abgesehen sei jedoch der »allergrößte Teil« der beschäftigten Aushilfen »in anderen Orchestern fest angestellt« und verfüge »dort über ein gesichertes Einkommen«. Sehen diese Klangkörper also gar keine Notwendigkeit, die Honorare auf ein Niveau anzuheben, von dem auch freischaffende Musiker:innen leben können?

Wie viele der Aushilfen in anderen Orchestern fest angestellt und somit finanziell abgesichert sind und wie viele freischaffend arbeiten und von den Honoraren leben müssen, ist schwer nachzuvollziehen – zumal es hier große Unterschiede zwischen den Klangkörpern gibt. In der Künstlersozialkasse waren 2023 4.071 freiberufliche Musiker:innen, die in Orchestern und Kammermusikformationen ihr Geld verdienen, versichert – mit einem prognostizierten Durchschnittseinkommen von 13.134 Euro aufs ganze Jahr gerechnet (vor Steuern). Es ist davon auszugehen, dass ein großer Teil dieser Musiker:innen zumindest auch immer wieder als Aushilfe bei den Tariforchestern eingesetzt wird. Robin von Olshausen, Geschäftsführer von unisono, will das Argument von Staatskapelle, Orchester der Deutschen Oper, DSO und RSB darum nicht gelten lassen: »Hier wird unterschlagen, dass es eben doch einen Teil der Aushilfen gibt, der freischaffend arbeitet und nicht fair bezahlt wird«, erklärt er auf VAN Nachfrage.


ANZEIGE


Mit Blick auf die unisono-Aushilfenampel weist das Orchester der Komischen Oper darauf hin, dass man dort nicht davon ausgehe, dass es deutschlandweit überhaupt viele Orchester gebe, die die geforderten Aushilfssätze zahlen können (laut unisono immerhin neun Klangkörper). Grundsätzlich zahle die Komische Oper »Aushilfssätze, die den budgetären Möglichkeiten eines Hauses dieser Größenordnung entsprechen«. Was aus Perspektive der Orchester ein »hoher Aushilfssatz« ist, weicht scheinbar weit von dem ab, was diejenigen, die von diesen Sätzen leben müssen, als fair empfinden.

Die Berliner Philharmoniker betonen, dass die Aushilfenampel »zwei essenzielle Punkte« nicht abbilde: »Generalproben werden analog zum Konzertsatz vergütet und Konzerte i.d.R. drei Mal gespielt und entsprechend bezahlt. Unter Beachtung dieser Punkte zahlt die Stiftung Berliner Philharmoniker umgerechnet auf Tagessätze derzeit einen Satz von 260 Euro.«

Foto: Julio Rionaldo via Unsplash

Auf die Frage, was es bräuchte, damit die Orchester die empfohlenen Honorare zahlen könnten, hat indes keines der Orchester geantwortet. Die Berliner Philharmoniker weisen ihrer Antwort lediglich darauf hin, dass die Stiftung Berliner Philharmoniker die Honorarsätze neu berechnet und eine Umstellung auf Tagessätze erarbeitet habe, »die mit der kommenden Saison umgesetzt wird«. 

»Ich bin sehr froh, dass ich von der Aushilfearbeit nicht abhängig bin«, sagt Maren, ebenfalls freischaffende Musikerin und Instrumentalistin, die bei verschiedenen Berliner Orchestern aushilft. Auch ihr Name ist für diesen Text geändert worden. Von dem Argument, dass Konzerte ja mehrfach gespielt würden und deshalb der Tagessatz im Verhältnis mathematisch gesehen steige, hält sie nichts: »Das geht gar nicht, weil man fürs Üben nicht bezahlt wird. Deshalb müssen die Probengagen hoch genug sein – mit dem Konzert hat das nichts zu tun. Es kommt drauf an, welche Musik gespielt wird, und manchmal stecke ich locker acht Stunden Arbeit in ein Stück, bevor ich überhaupt zur Probe gehe.« In manchen Projekten, die mit den Berliner Orchestern nichts zu tun haben, werde sie oft deutlich fairer bezahlt (das berichtet übrigens auch Jan). »Neulich habe ich eine Tagesgage bekommen von 350 Euro«, sagt Maren. »Das bedeutete zwei Mal drei Stunden proben.« 175 Euro pro Probe also – etwas mehr sogar als die Empfehlung von unisono für A-Orchester.

Jan berichtet von Projekten mit Kantor:innen in Kirchen: »Die zahlen allen Musiker:innen 400 Euro, was eine Probe plus Konzert beinhaltet. Das ist gut bezahlt« – und entspricht übrigens genau der unisono-Empfehlung für A-Orchester. Wenn sein Part zudem ein solistischer sei, kämen auch mal 200 Euro obendrauf. »Das ist auch nicht das Beste, klar – aber ein Beispiel, das ich fair finde.«

Das Problem, das Jan sieht, ist, dass selbst wenn er aus Protest manche Aushilfsanfragen gar nicht mehr annimmt, »es immer Leute geben wird, die es machen – und auf echt hohem Niveau.« Maren zum Beispiel gehörte eine Zeitlang zu diesen Leuten: »Als ich meinen Master gemacht habe, habe ich sehr viele Vertretungen in Berliner Orchestern gespielt. Da war ich noch Studentin und zehn Jahre jünger und die Honorare waren auch noch viel niedriger – aber für mich war das damals ziemlich viel Geld.« Später dann, als immer mehr Monate kamen, in denen sie finanziell von den Aushilfen abhängig war, sah es schnell anders aus. »Aber ich habe es immer akzeptiert«, sagt sie. »Wenn ich heute von Aushilfen allein leben müsste, hätte ich ein Problem.« ¶

… schreibt als freiberufliche Musikjournalistin unter anderem für die Zeit, den WDR und den SWR. Nach dem Musikstudium mit Hauptfach Orgel und dem Master in Musikjournalismus promoviert sie am Institut für Journalistik der TU Dortmund im Bereich der Feuilletonforschung.