Die von Cate Blanchett verkörperte Lydia ist in Todd Fields Film Tár (2022) nicht die einzige, die den Taktstock schwingt. Da gibt es auch noch ihren Vorgänger bei den Berliner Philharmonikern, Andris, und die Gilbert-Kaplan-Kopie Eliot (Mark Strong), außerdem Társ persönliche Assistentin Francesca Lentini (Noémie Merlant), die hofft, Társ Assistentin bei den Berliner Philharmonikern zu werden, und den aktuellen Assistenten bei den Philharmonikern, Sebastian Brix (Allan Corduner), den die von Blanchett verkörperte Lydia loswerden will, weil er zum Team ihres Vorgängers und somit zum Ancien Régime gehört.

Lydia sehen wir anfangs durch Francescas Augen, und ihre gemeinsamen Szenen zeigen die Tyrannei im Kleinen, die im Laufe des Films mehr und mehr an Bedeutung gewinnt. Wir erfahren, dass Francesca eine aufstrebende Dirigentin ist, aber wir sehen sie nie musizieren: Sie kümmert sich um Lydias Flüge, ihr Gepäck und ihre Korrespondenz mit den Plattenfirmen. Auch bei den Proben und Aufnahmen ist sie dabei, steht aber selbst nie am Pult. Sebastian erscheint als unterwürfiger Kriecher – dass er bei einem Klarinettensolo in Mahlers Fünfter einmal nicht völlig bei der Sache ist, reicht Lydia als Begründung, um ihn loszuwerden.

Beide kommen im Film nicht gut weg. Francesca ist verständlicherweise verbittert, als sie am Ende nicht zum Zuge kommt; Sebastian fleht Lydia unangenehm devot an, nicht ersetzt zu werden. In Tár scheint es ein Verhängnis zu sein, der Chefdirigentin zuzuarbeiten. Aber das täuscht über die Bedeutung der echten Assistent:innen für die schlussendliche Aufführung im Opernhaus oder Konzertsaal hinweg, und über die Möglichkeiten, die die Position jungen Dirigent:innen bietet.

Nicolò Umberto Foron ist Assistent des Chefdirigenten des LSO, Antonio Pappano. Ich treffe Foron nach der Generalprobe von Mendelssohns Elias in einem Café im Londoner Barbican Centre. Seine aktuelle Position hat er bekommen, nachdem er im vergangenen Jahr den Donatella-Flick-Dirigierwettbewerb des LSO gewonnen hatte. Wie die meisten Assistent:innen ist auch Foron bereits ein etablierter Dirigent (er war unter anderem beim Mozarteum Orchester Salzburg, der Staatskapelle Weimar, der Opéra National de Montpellier und dem Tanglewood Festival Orchestra tätig).

Beim Elias war Forons Einsatz nicht nur auf musikalischer, sondern auch auf menschlicher Ebene gefragt (ohnehin ist beides eigentlich untrennbar). So kümmerte er sich um Ewan Christian, der den Knaben sang. Zusammen mit Christians Gesangslehrer half er dem Jungen beim Aufwärmen der Stimme, übte mit ihm knifflige Passagen, gab eine Führung durch den Backstagebereich des Barbican und sorgte dafür, dass Christian möglichst entspannt ins Konzert gehen konnte. (Den Kritiken nach zu urteilen, hat das funktioniert.)

Vor unserem Interview erlebe ich, wie Foron mit Studierenden der Guildhall School of Music & Drama, unterstützt durch Musiker:innen des LSO, Sibelius’ erste Symphonie einstudiert – und wie es ihm gelingt, die Musikalität des LSO, die er als Assistent täglich wie ein Schwamm aufsaugt, an die Studierenden weiterzugeben. Aber auch Foron lernt noch. »Einer der Gründe, warum ich immer noch assistiere, ist, dass ich mich in einer Art Übergangsphase befinde«, erzählt er mir. »Ich dirigiere jetzt Orchester, die wesentlich besser sind als die, mit denen ich bisher gearbeitet habe – hier kann ich sehen, wie man mit Musiker:innen eines solchen Kalibers umgehen sollte und was sinnvoll sein könnte.«

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Foron will mit seinem energischen Auftreten, seiner Energie und seinem auffälligen roten Haarschopf so gar nicht zur Vorstellung vom Assistenten als passiver Zweitbesetzung passen. Er schwärmt von seiner Arbeit: »Akustisch gesehen ist der beste Platz zehn Meter hinter dem Dirigenten – daran denken die Leute nie!« Der Assistent kann vom Parkett aus sehen und hören, was die Person am Pult nie hört – den Unterschied merke man vor allem, wenn Sänger:innen etwas vor dem Dirigenten auf dem Podium stehen.

Diese zehn Meter machen einen enormen psychologischen Unterschied aus. »Wenn man im Stress einer Probe ist«, sagt Foron, »gibt es so viele Dinge, um die man sich kümmern muss, dass ein gewisses Maß an Abstand nicht möglich ist. Pierre Boulez hat mal gesagt, was er am Dirigieren schwierig fand, war, dass er nie wirklich mit Abstand hören konnte – und sein Gehör war unglaublich!«

Die Assistentinnen und Assistenten erinnern uns daran, dass auch die Größen auf dem Pult immer noch Menschen sind, auch wenn das Marketing gerne anderes behauptet. Laut Foron ist Pappano ein kollegialer Chef. »Tony vertraut einem sehr«, sagt Foron. »Er dreht sich in drei Stunden vielleicht zehnmal um und bittet mich um Feedback. Ich stehe dann immer auf und rufe ›Tony‹«, fügt er hinzu. »Er möchte das so.«

Die Assistenzzeit berühmter Dirigentinnen und Dirigenten wird in der Rückschau gerne reich ausgeschmückt. Leonard Bernstein behauptete, er sei Assistent von Artur Rodziński bei den New Yorker Philharmonikern geworden, weil Gott selbst ihn für diese Position erwählt habe. Pappano war in den späten 1980er Jahren Korrepetitor bei den Vorsingen für die Bayreuther Festspiele unter Daniel Barenboim. Der hielt nicht viel von der Sopranistin, wollte aber den Pianisten behalten und nahm ihn als Assistent mit nach Bayreuth. 

Nach wie vor existiert der Mythos, große Dirigenten würden aus der Rolle des Assistenten herauswachsen wie eine Schlange, die sich häutet und bei der alle musikalischen Ideen und Visionen schon im Innern schlummern und nur darauf warten, herauszubrechen. In solchen Darstellungen hat die Assistenz nie einen Wert an sich, wird nicht als notwendig oder bereichernd angesehen. Man könnte fälschlicherweise meinen, um einen John Steinbeck zugeschriebenen Satz zu zitieren, dass Assistent:innen lediglich vorübergehend in Verlegenheit geratene Chefdirigent:innen sind.

Die Realität sieht, wie so oft, ganz anders aus. Das Buch von Nicholas Kenyon aus dem Jahr 2002 gibt einen Einblick in Simon Rattles frühe Tage als Assistent von John Carewe beim Glasgow Schools Symphony Orchestra. »Ich vermute, dass hier vieles von dem, was er schon über das Proben wusste, noch verstärkt wurde«, erinnerte sich Carewe. »Wir hatten viele Stimmproben, bei denen wir die Stücke auseinandernahmen und wieder zusammensetzten … Vielleicht hat Simon hier gesehen, wie man auch mit relativ schlechten Musikerinnen und Musikern ein hohes Niveau erreichen kann.«

Rodziński ließ Bernstein eine rigorose Ausbildung angedeihen, die eine göttliche Intervention überflüssig machte. Bei Rodzińskis »Blattproben« spielten die New Yorker Philharmoniker neue amerikanische Partituren, die oft von Bernstein ausgewählt und dirigiert wurden. »Manchmal hatte ich die Gelegenheit, die Partituren am Vorabend einzusehen, manchmal nicht«, sagte Bernstein später. »Das war ein enormes Training, wie Sie sich vorstellen können … Ich wusste, wie es war, auf diesem Podium zu stehen und die Philharmoniker zu dirigieren.«

Auch ein Opernhaus, mit all seinen Gewerken, parallelen Abläufen und zum Teil konkurrierenden Bedürfnissen, funktioniert nicht ohne Assistent:innen. Genevieve Ellis ist stellvertretende Chorleiterin am Royal Opera House in London. Ihre Aufgabe ist es, mit dem Chor die Feinheiten der Musik und des Textes herauszuarbeiten, während die szenischen Proben fortschreiten und die Produktion auf die Hauptbühne kommt. (Dabei ergeben sich im Zusammenspiel mit der Aufstellung im Bühnenbild und den Kostümen immer wieder neue musikalische Herausforderungen.)

Als Assistenzdirigentin »ist es wichtig, immer wieder auch zu dirigieren«, sagt sie, »aber man muss bereit sein, sein Künstler-Ich bis zu einem gewissen Grad aufzugeben«. Trotzdem »muss man sich in die Denkweise derer versetzen, die an der Aufführung beteiligt sind … Für den Chor ist die Premiere die Premiere. Man spürt diese Energie und muss in dieser Spannungskurve mit dem Chor mitgehen können.« Für Ellis fühlen sich die ersten Proben mit den Dirigent:innen, die bei den Aufführungen am Pult stehen werden, meistens selbst wie eine Aufführung an – sie sind Höhepunkte harter Arbeit mit nur einer einzigen Person im Publikum. 

Ellis dirigiert nach wie vor auch vor Publikum. Assistent:innen sind in der Oper unverzichtbar bei den zahlreichen spektakulären Einsätzen von Musiker:innen aus dem Off: der festlichen Banda zu Beginn des Rigoletto, der Kantate im zweiten Akt von Tosca. Zu Ellis’ besonderen Favoriten gehören der grimmige Chor am Ende von Boris Godunov und die Kirchenszene im zweiten Akt von Peter Grimes – Teile der Opern, die man nicht sieht, aber sehr wohl hört. Im Jahr 2023 bereitete Ellis den unheimlichen Chor aus dem Off bei der britischen Erstaufführung von Kaija Saariahos Innocence vor und dirigierte ihn. Der Chor intoniert die Namen derjenigen, die beim Massaker an der Schule, die im Mittelpunkt der Oper steht, ermordet wurden. Ellis war so für eines der eindringlichsten und markantesten Elemente der Partitur verantwortlich.

Charlotte Corderoy begleitet Barbara Hannigan auf einer Europatournee von The Rake’s Progress mit dem Swedish Chamber Orchestra und dem Swedish Radio Choir. Wenn Hannigan nicht anwesend sein kann, muss Corduroy als ihr »Spiegel« auf dem Podium fungieren. Sie arbeitet mit Hannigan im Rahmen des Equilibrium Young Artists-Programms zusammen, einem Programm für Musiker:innen in den ersten Phasen ihrer beruflichen Laufbahn. Das Programm garantiert jemandem wie Corderoy eine angemessene Vergütung als Assistenzdirigentin, einen Anteil am Rampenlicht und eine umfassende Beteiligung an jeder Phase der kreativen und dramaturgischen Umsetzung eines Projekts. Assistenzdirigent:innen haben in der Oper immer viel zu tun, aber in Josie Daxters Semi-Inszenierung tritt Corderoy selbst aufs Podium, wenn Hannigan zur Seite tritt und zur »Brotmaschine« wird. (In einer Sequenz träumt Tom Rakewell von einer wundersamen Vorrichtung, die Steine in Brote verwandelt.)

Corderoy ist außerdem auch Assistentin beim City of Birmingham Symphony Orchestra, wo sie eng mit Chefdirigent Kazuki Yamada zusammenarbeitet. »90 Prozent meiner Arbeit besteht aus Balance«, sagt sie, was bedeutet, dass sie viel Zeit damit verbringt, sich im Zuschauerraum Notizen zu machen. Doch zeitgenössische Orchesterprogramme und Musikdramaturgien geben Corderoy und anderen noch deutlich mehr zu tun. Das CBSO kombinierte jüngst Beethovens Eroica mit Strauss’ Don Quijote und außerdem noch Choreografie, Beleuchtung und Video. »Plötzlich muss man sich auch mit dem Kamerateam abstimmen; die Leute, die die Animationen machen, müssen wissen, wo eine markante Stelle im Orchester ist«, so Corderoy. »In einem Abschnitt, einer Fuge, mussten die Musikerinnen und Musiker für ihre Einsätze aufstehen … Also musste ich zwischen dem Orchester und dem Choreographen vermitteln.«

In Tár sieht die Assistentin Francesca in der Chefdirigentin Lydia das, was sie ist. Als Lydia Francesca nicht die Stelle als Assistentin bei den Philharmonikern gibt, weil sie ihre Loyalität in Zweifel stellt, führt dieser Vorfall zu Lydias endgültigem Sturz. Als Lydia Francesca in ihrer Wohnung aufsucht, um sie zur Rede zu stellen, findet sie nur das Manuskript ihres Buches vor, in dem »Tár« überkritzelt und durch seine Umkehrung ersetzt ist: »Rat« – Ratte. Vom Parkett aus betrachtet sieht eben alles ganz anders aus als auf der Bühne selbst. 

Die Assistentinnen und Assistenten, mit denen ich gesprochen habe, scheinen ganz im Gegensatz dazu überhaupt keine Pläne zu hegen, ihre Kolleginnen oder Kollegen zu stürzen. Vielmehr freuen sie sich über die Möglichkeit, eine Art von Aufmerksamkeit einzuüben, die für Dirigent:innen unverzichtbar ist. »Sowas kann man nicht an der Musikhochschule lernen«, meint Corderoy. »Man muss die Dynamik der Probe aus erster Hand verstehen, die Dynamik hinter der Bühne, was in der Pause passiert, wann man welche Gespräche führt und wann nicht.« So zeigt sich: Das Gehör kann sich auf ganz unterschiedliche Weise bilden, Balance gilt es sowohl auf sozialer als auch auf klanglicher Ebene zu erreichen. Diese Fähigkeiten sind für alle Musiker:innen wichtig, aber die Assistenzstelle ist in einer besonders guten Position, um sie zu verfeinern.

Um Assistentin oder Assistent zu sein, braucht es Aufgeschlossenheit, Geduld, die Bereitschaft, zuzuhören und zu schauen, bevor man sich auf etwas stürzt, kein übertriebenes Ego und Auge und Ohr fürs Detail. Einige dieser Eigenschaften stehen im Widerspruch zu den traditionellen Vorstellungen von musikalischer Führung, bei denen ein Maestro sein Orchester durch schiere Willenskraft und eine nicht allzu sensible Kommunikation motiviert oder zurechtweist. (Erst schlagen, dann fragen.) Ein solches Verhalten ist in einem Beruf, dessen Werte sich wandeln, nicht mehr tragfähig. Die Dirigentinnen und Dirigenten von morgen können sich hier einiges abgucken bei den Assistentinnen und Assistenten von heute. ¶