So sehr viele Ehen von – mehr oder weniger bekannten – Komponistinnen mit Komponisten gibt es gar nicht! Margarethe und Franz Danzi, Clara und Robert Schumann, Alma und Gustav Mahler, Elsa und Ottorino Respighi, Kaija Saariaho und Jean-Baptiste Barrière, Younghi Pagh-Paan und Klaus Huber, Chen Yi und Zhou Long. In der Liste fehlen aber noch mindestens zwei. Aus einer mit dieser »Liste« noch gar nicht »abgedeckten« Epoche, nämlich dem Spätbarock. Um uns dem zu widmen, müssen wir nach Venedig reisen. Ins Venedig der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts.

Die berühmten Gondolieri der Stadt blieben als fahrende und (gelegentlich) singende Männer lange Zeit unter sich. Erst 2010 durfte endlich eine Frau ans Ruder … Aber die Tradition singender (wenn auch – noch – nicht steuernder) Frauen auf den Gondeln Venedigs ist bedeutend älter. In den Kirchen Italiens galt lange ein mulier taceat in ecclesia (Die Frau schweige in der Kirche) – aber ein mulier taceat in canale di venezia? Nein. Rosanna Scalfi – geboren wohl 1704 oder 1705 – war eine dieser Gondelsängerinnen. Und laut einer Legende verliebte sich, so berichtet Mary Frech McVicker in ihrem Buch Women composers of classical music – 369 biographies from 1550 into the 20th century, der berühmte adelige Barock-Komponist Benedetto Marcello (1686–1739), zugleich Gesangslehrer, am offenen Fenster am Canale Grande in die Stimme Rosanna Scalfis. Marcello ließ (so die Legende denn auf wahren Tatsachen beruht) möglicherweise nach der schönen Stimme Scalfis recherchieren, war darin erfolgreich und nahm die junge Frau als seine Gesangsschülerin auf.

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Die beiden heirateten, ließen sich vom Patriarchen von Venedig trauen. Doch als Marcello 1739 an Tuberkulose starb, wurde seiner Witwe Rosanna kein Rechtsanspruch auf das Erbe zugestanden. Joachim Raff (1822–1882) schrieb 1877/78 seine Oper Benedetto Marcello – und in dieser spielt die Liaison von Marcello und Scalfi eine bedeutende Rolle. Die ganze posthum in diese Beziehung hineinfantasierte Romantik brachte Rosanna Scalfi nichts. Sie starb mittellos irgendwann nach 1742.


Rosanna Scalfi Marcello (1704/05– nach 1742)
Corre al lume (ca. 1730)

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Rosanna Scalfi Marcello war nicht nur Sängerin. Auch komponierte sie – und zwar mindestens 12 Kantaten für Alt und Basso continuo. Um 1730 entstand die vierte Kantate mit dem Titel Corre al lume. Möglicherweise zeichnete Scalfi auch für alle von ihr vertonten Texte verantwortlich. Corre al lume dreht sich – natürlich hochsymbolisch – um einen Schmetterling, der zum Licht fliegt, obwohl seine Federn bereits brennen. Und: »Seine Seele sehnt sich nach Ruhe, um in der Glut der Flamme freudvoll zu zergehen.«

Zunächst strebt die Melodie immer aufwärts, um dann – wie ein Schmetterling, der sich von der Blüte (oder der Flamme) wieder zurückfallen lässt – in längeren Notenwerten melodiös niederzusinken. Der Stollen wird sogleich von seiner Melodiestruktur her wiederholt. Und dann, na klar, folgt die ausführlichere Abgesangs-Variation des Ganzen. Auch diese Zusammenfassung steigt erst auf – und fällt dann ab, nur in kleinen Koloraturen, die das Flattern des amourös-suizidalen Insekts fein bebildern. Ein berührendes, kleines Stück Musik! ¶

... ist Konzertveranstalter, Moderator, Komponist und Pianist. Er gestaltet innovative Konzertformate, arbeitet als Musik-Satiriker, schreibt Stücke für Solist:innen und Ensembles und Texte für VAN, die Wiener Philharmoniker, die New York Philharmonics und die Bamberger Symphoniker. 2019 war er als Schauspieler an der Volksbühne zu erleben.