Neben der von der Esoterikindustrie einverleibten Hildegard von Bingen (1098–1179) ist Clara Schumann wohl die bekannteste Schöpferin eigener Musik überhaupt. Häufig erklingen ihre Werke nur mit »Beigaben« der Musik ihres späteren Gatten Robert. Bei keiner Konzertreihe mit »Musik und Lesung« dürfen »Clara und Robert« fehlen, ja, die beiden füllen gefühlt 90 Prozent derartiger Veranstaltungsformate. Fast immer ist dabei genüsslich-voyeuristisch vom Alltag der Eheleute Schumann die Rede. Wo Clara, da auch Robert. Und wenn es in Programmtexten um die Rezeption der Werke Roberts geht, da sind ein paar – meist erwartbar »begeisterte« – Worte von Clara als eingefügtes Zitat meist fast so etwas wie »Pflicht«.
Manche Rezipienten vergleichen tatsächlich zynisch die Musik von Clara und Robert miteinander – und blenden dabei aus, dass im 19. Jahrhundert die »Familienpflichten« so sehr auf der Seite der Frau lagen, dass es unmöglich war, ständig neue Werke zu schaffen; von den »Pflichten« der großartigen Klavierinterpretin Clara Schumann ganz abgesehen. Albertine Selunka hebt in ihrem Aufsatz Clara Schumanns musikalische Aktivitäten in Dresden (erschienen in dem interessanten Band Clara und Robert Schumann in Dresden) beispielsweise hervor: »Zwischen Soireen und Gewandhauskonzerten in Leipzig fuhr Clara Schumann auch einmal für nur einen Tag nach Dresden, um bei einem Hofkonzert mitzuwirken. Bei all dieser regen Konzerttätigkeit darf nicht vergessen werden, dass die Familie im Januar 1848 und im Juli 1849 zwei weitere Söhne bekam. Beim Wegzug aus Dresden hatten die Schumanns fünf Kinder zu versorgen. Clara spielte Konzerte mitunter hochschwanger oder ging in anderen Fällen über körperliche Schmerzen einfach hinweg. Sie wusste aus Erfahrung, dass sie Beschwerden nur vor und nach dem Konzert spürte. Die von ihrem Vater Friedrich Wieck seit frühester Jugend antrainierte Disziplin und das damit einhergehende Durchhaltevermögen machte sie sich für das anspruchsvolle Kleinunternehmen ›Familie Schumann‹ zunutze.«
Über die Schwierigkeiten, die die am 13. September 1819 in Leipzig geborene Clara Wieck hinsichtlich ihres Vaters Friedrich im Zuge der Heiratspläne mit Robert (geheiratet wurde dann offiziell am 12. September 1840) zu überwinden hatte, wurde bereits viel geschrieben. Auch über die Sorgen um den kranken Gatten, der sich früh eine Syphilis (Harald Schmidt nannte die Erkrankung einmal eine »typische Komponistenkrankheit«) eingefangen hatte. Ein weiteres beliebtes Thema ist die Beziehung von Clara Schumann zu Johannes Brahms. Im Grunde müsste man den erst jüngst herausgegebenen Briefwechsel von Clara und Robert – 20.000 Briefe wären zu studieren – noch einmal ganz neu lesen, um die komplexen Anforderungen des Lebens von Clara Schumann auch nur annähernd nachvollziehen zu können. (Bis dahin lese man die hervorragende und kostenlos verfügbare MUGI-Darstellung des Lebens und Wirkens von Clara Schumann.)
In ihren Briefen erweist sich Clara wohl als empathisch und diplomatisch, wie Clara-Schumann-Expertin Janina Klassen in einem VAN-Interview mal feststellte: »Das Verhältnis von Clara Schumann zu Johannes Brahms stellt sich bei der Lektüre der Briefe als ziemlich schwierig dar. Da gibt es alte Wunden. Mir fällt da auf, dass sie sich immer wieder bemüht, einen Konsens zwischen beiden herzustellen. Gleichzeitig ist sie aber auch scharf in ihrer Kritik. In ihrer Kommunikation mit ihrem bevorzugten Kammermusikpartner, dem Geiger Joseph Joachim, ist Clara Schumann ebenfalls sehr direkt und konkret. Tough urteilt sie über bestimmte Werke, wenn sie nicht in ein geplantes Programm passen oder dergleichen.«
Clara Schumann war also keineswegs die »Leidende« oder »Hinnehmende«, wie wir es vielleicht eingetrichtert bekommen haben. Sie war ein großartiger, starker und musikalisch unfassbar begabter Mensch. 76 Jahre wurde sie alt und starb am 20. Mai 1896 in Frankfurt am Main. Und, um jetzt doch letztmals (und einmal mehr) in die »Robert-Falle« zu tappen: Sie überlebte ihren Gatten (der am 29. Juli 1856 gestorben war) um ganze 40 Jahre.
Clara Schumann (1819–1896)
Klaviertrio g-Moll op. 17 (1846)
Die Hälfte der Werke Clara Schumanns tragen keine Opuszahl. Für ein paar Jahrzehnte »verstummte sie« (aus oben genannten Gründen) als Komponistin vollends. Bis dato waren vor allem Klavierwerke und Kunstlieder entstanden, auch das Konzert für Klavier und Orchester a-Moll op. 7 (1833–1835). Immer häufiger wird heute zudem ihr Klaviertrio g-Moll op. 17 aus dem Jahr 1846 auf die Spielpläne gesetzt.
Es gibt zu Beginn von Schumanns Opus 17 kein irgendwie »verharmlosendes« Vorspiel im Klavier und grundsätzlich keine musikalischen Biedermeierlichkeiten. Alle Instrumente beginnen gleichzeitig. In der Violine erscheint eine sich neigende und sogleich wieder aufsteigende Quinte; ein Intervall, das Clara Schumann in musikthematischen Kontexten liebte – und damit diverse Erinnerungen verband.
Die Klavierbegleitung ist dabei nie überfrachtet, sondern rankt sich lyrisch-verinnerlicht fort und fort. Auch die typische Schumannsche Punktierung findet sich in Takt 3 (in der Geige). Von den »Ranken« der Achtel-Klavierbegleitung geht die Komponistin in stellenweise fast still-atemlose Begleitmodelle über, die sich zwischen linker und rechter Hand komplementär abspielen. Hier ist kein Platz, um die Tiefe und Schönheit dieses Trios in Sprache zu fassen: Aber wer sich ernsthaft mit dieser Musik voller kleiner, subtiler Stimmungswechsel, voller inniglicher Fragestellungen, voller differenzierter Liebesschwüre beschäftigt, der wird früher oder später erkennen: Clara Schumann war eine großartige Komponistin. Hier ist Tiefe, Poesie und Originalität am Werke. Niemand sollte demnach sich aufgefordert fühlen, die hohe Qualität ihrer Musik irgendwie noch »verteidigen« zu müssen. ¶