250 Komponistinnen. Folge 56: 102 Jahre italienische (Kompositions-)Geschichte.
Am 24. März 1894 wurde die spätere Schriftstellerin, Psychologin und Frauenrechtlerin Alice Rühle-Gerstel geboren, die sich – mit Frida Kahlo und Leo Trotzki befreundet – am Tag des Herztodes ihres Mannes, dem SPD-Politiker Otto Rühle (1894–1943), das Leben nahm. Am selben Tag kam in Rom Elsa Olivieri-Sangiacomo zur Welt.
Viel ist über Elsa Olivieri-Sangiacomos frühe Jahre nicht bekannt. Als Mädchen erhielt diese wohl zunächst Klavierunterricht bei der nicht weiter bekannten römischen Instrumentalpädagogin Clotilde Poce. Auch Giovanni Sgambati (1841–1914) gab der jungen Elsa Klavierstunden. Sgambati – Pianist, Komponist und Dirigent – setzte sich für die Verbreitung der Werke Beethovens und seines Lehrers Liszt in Rom ein und galt außerdem als glühender Verehrer Wagners, den er 1876 persönlich kennenlernte. (Trotz dessen Rat, es als Komponist einmal mit der Gattung »Oper« zu versuchen, schrieb Sgambati mehrheitlich Klavierstücke und Kammermusik.) Ob Sgambati Elsa Olivieri-Sangiacomo privat, an einem privaten oder öffentlich zugänglichen Institut oder gar an der altehrwürdigen Accademia Nazionale di Santa Cecilia in Rom unterrichte, ist nicht bekannt. Remigio Renzi (1857–1938) – ein Kirchenmusiker der alten Schule – war zu dieser Zeit Lehrer für Harmonie und Kontrapunkt an eben jener Accademia Santa Cecilia – und recht sicher Elsas Professor für Harmonie und Kontrapunkt. (Renzi unterrichtete, komponierte – und wirkte von 1883 an für erstaunliche 55 Jahre als Organist am Petersdom.)
Seit 1913 hatte Ottorino Respighi (1879–1936) eine Kompositionsprofessur an der Accademia in Rom inne. Zu dieser Zeit trat Elsa Olivieri-Sangiacomo offenbar schon als Sopranistin in Erscheinung und schrieb sich im Jahr 1915 gleichzeitig für ein Kompositionsstudium bei Respighi ein. Die 21-Jährige und der 36-Jährige verliebten sich ineinander und heirateten 1919.
Die Ehe blieb kinderlos – und so ist zu vermuten, dass Elsa früh als sekundierende Assistentin und Pflegerin des musikalischen Werkes ihres Mannes tätig war, wiewohl das Ehepaar auch gelegentlich als gleichberechtigtes Künstler:innen-Duo (Klavier/Dirigent und Gesang) auftrat. Ottorino Respighi feierte mit seiner bis heute in den Konzertsälen dieser Welt präsenten Römischen Trilogie – Fontane di Roma (Die Brunnen von Rom, 1916), Pini die Roma (Die Pinien von Rom, 1924) und Feste Romane (Die römischen Feste, 1928) – einen bleibenden Erfolg, der auch die Aufmerksamkeit des faschistischen Regimes Italiens auf sich zog; von diesem politischen Vereinnahmungsansinnen, so berichtet die eine Seite, habe sich der »Mann mit kindischen Charakterzügen« bewusst ferngehalten, wohingegen die andere Seite darauf beharrt, Respighi sei »ein glühender Verehrer Mussolinis« gewesen. (Angaben über Elsas diesbezügliche Einstellung fehlen. In einem Interview von 1978 erwähnt sie lediglich beiläufig, manch einer sei per se davon ausgegangen, Ottorino Respighi sei ein Faschist gewesen.)
Nach dem Tod ihres Mannes im Jahr 1936 engagierte sich Elsa Respighi durch Gründung von Initiativen für die musikalische Bildung in ihrem Heimatland, trat fortan aber vor allem als Botschafterin für das Fortleben des Oeuvres Ottorino Respighis auf. So vollendete sie beispielsweise seine Oper Lucrezia, da Ottorino während der Arbeit an diesem Werk gestorben und nicht mehr mit der Orchestration fertig geworden war.
Elsa Respighi überlebte ihren Ehemann um erstaunliche 60 Jahre – und starb am 17. März 1996 eine Woche vor ihrem 102. Geburtstag in Rom.
Elsa Respighi (1894–1996)
3 Canzoni su testi spagnoli, No. 1: La muerte del Payador (1917)
Neben immerhin drei Opern aus den Jahren 1918, 1941 und 1945 – Angaben zu etwaigen Aufführungen sind nicht ohne Weiteres zu finden – komponierte Elsa Respighi vor allem Werke für Sopran und Orchester: als quasi inner-eheliches Repertoire, das sie zusammen mit ihrem Mann als Dirigenten namhafter Ensembles aufführte. Auch ein paar Klavierlieder finden sich im Werkkatalog der Komponistin, so die 1917 vorgelegten Drei Lieder auf spanische Texte.
Das Lied La muerte del Payador ist Liebes- und Abschiedslied zugleich. In dem volkstümlichen spanischen Text besingt eine Person ihr amouröses Gegenstück als »meiner Seelen Licht« (»luz del alma mía«); weitere Metaphern für die verlorene Liebe folgen. Elsa Respighi lässt das Klavier in f-Moll zunächst eine schlichte Laute imitieren; in Quarten und Quinten wird ein »typischer spanischer« Volksliedbeginn beschworen. Doch Respighi »bricht« die Erwartungshaltung eines braven folkloristischen Absingens, indem sie – ein wenig an die individualisierte »Exotik« Debussys erinnernd – die erste Note der Gesangsstimme auf die leichteste aller hier möglichen Zählzeiten setzt: auf die letzte Achtel des zweiten Taktes. Auch folgt nun keineswegs ein eingängiger Gesang, sondern zunächst eine langgezogene Note; Schmelztiegel der inneren Gefühlswelten; als könne dies nicht unwidersprochen bleiben, gesellt sich zugleich ein Mini-Kontrapunkt im Klavier hinzu; wie eine zweite Gesangsstimme, die jedoch ohne Text bleiben muss.
Äußerst agil geht Respighi im Folgenden mit Stimmungswechseln um; die Komponistin öffnet einen ganzen, edlen, fast jugendstilartig ornamentierten Tuschkasten von Harmoniewelten im Kleinen. Immer wieder kehrt die staccatierte Begleitfigur des Beginns rondoartig wieder; dann tönen plötzlich schwelgerische Impressionismus-Akkordketten vor sich hin, gleichsam kirchentonartliche Klang- und Bedeutungsräume öffnend… ¶