Heute vor genau 61 Jahren – am 12. Oktober 1961 – starb Marguerite Monnot in Paris. Mancherorts findet man den lakonischen Hinweis, sie habe mit drei Jahren »ihre Karriere begonnen«. Andere zitieren gerne Komponist Camille Saint-Saëns, der Marguerite Monnot als »beste Pianistin der Welt« bezeichnet haben soll.

Geboren wurde Monnot am 28. Mai 1903 in der kleinen französischen Stadt Decize im Département Nièvre (in der Region Bourgogne-Franche-Comté, ungefähr auf der Hälfte der Strecke Paris – Lyon gelegen). Mit 16 Jahren kam sie als Studentin ans Pariser Konservatorium. Dort war unter anderem Vincent d’Indy (1851–1931) ihr Harmonie- und Fugen-Lehrer. Alfred Cortot (1877–1962) erteilte Monnot Klavierunterricht, Nadia Boulanger (1887–1979) zeichnete für die Kompositionsstunden verantwortlich. Bessere und berühmtere Lehrerinnen und Lehrer konnte man zu dieser Zeit nicht haben!

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Als Teenager tourte Monnot pianistisch durch Europa, interessierte sich zwischenzeitlich für spanische Folklore, schlug aber ein Anstellungsangebot am spanischen Königshof aus. Angeblich habe sie an so starkem Lampenfieber gelitten, dass sie schließlich von Pianistin auf Komponistin umsattelte. Monnots Interesse an der Avantgarde ihrer Zeit war jedoch mäßig ausgeprägt. Dafür liebte sie Chansons! Und bereits 1936 kam es zur Begegnung mit der legendären Édith Piaf (1915–1963). Ein Glücksfall. Eine Zusammenarbeit, aus der Hits wie Milord (1958) hervorgingen. Und mit dem – später von Billy Wilder (Hauptrollen: Jack Lemmon und Shirley MacLaine) verfilmten – Musical Irma la Douce (nach einem Text von Alexandre Brefford) 1956 konnte Monnot schließlich auch einen großen Bühnenerfolg feiern. Das Stück wurde am 10. November 1956 am Théatre Gramont in Paris aus der Taufe gehoben. In die Hauptfigur der Prostituierten Irma – sie wird von ihren Freiern »La Douce« (»Die Süße«) genannt – verliebt sich der arme Jurastudent Nestor. Dieser muss zunächst einmal Irmas Zuhälter ausschalten. Anschließend betätigt sich Nestor als der neue Zuhälter Irmas, kommt aber mit seiner nun einsetzenden eigenen Eifersucht nicht klar … Alles steuert auf eine Katastrophe hin. Doch am Ende setzt es ein – musicaltypisches – Happy End: Irma und Nestor heiraten.

Und Marguerite Monnot und Édith Piaf blieben wohl ein Leben lang gute Freundinnen. Piaf starb 1963. Monnot ging ihr am 12. Oktober 1961 voraus. Sie starb an den Folgen eines Blinddarmbruchs und einer daraus resultierenden Bauchfellentzündung – und wurde nur 58 Jahre alt.


Marguerite Monnot (1903–1961)
Hymne à l’amour (1950)

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Die 1950 für Édith Piaf komponierte Hymne à l’amour gehört fraglos zu den schönsten und nostalgischsten Chansons überhaupt. Der Text – er stammt von Piaf selbst und war ihrem (verheirateten) Liebhaber, dem Boxer Marcel Cerdan (1916–1949) gewidmet, der 1949 mit 33 Jahren bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam – schwärmt von komplett entgrenzter, großer Liebe. »Solange deine Liebe am Morgen meine Tage durchflutet, gibt es für mich keine Sorgen.« Wie süß und auch ein wenig – in der ganzen überbordenden Verliebtheit – ironisch das Ganze formuliert ist! Doch der Hintergrund ist, wie gesagt, durchaus ernst. Und die Entgrenzung von Verliebtheit und dem Gefühlsumstand, diesen einen Menschen aber nie wirklich »besitzen« zu können, treibt die Texterin und Sängerin Piaf schließlich zu Formulierungen, die – für bare Münze genommen – sorgenvoll stimmen sollten: »Peu m’importe les problèmes« (»Mir sind meine Probleme egal«), »Je renierais mes amis« (»Ich würde meine Freunde verleugnen«), »Je ferais n’importe quoi / Si tu me le demandais« (»Ich würde alles tun, wenn du mich darum bittest«).

Den ganzen süßen Schmerz der Welt der (unglücklich) Verliebten legt Monnot in ihrer Vertonung bereits mit der herzzerreißenden melodischen Ansteuerung der Terz (»Le ciel bleu …«) in das Liebeshymnengeflecht hinein. Dem besungenen Umstand einer potentiell einstürzenden Welt (»… sur nous peut s’effondrer …«) wird harmonisch mit dem Tonikagegenklang »entsprochen«. Und die zweite Liedzeile erscheint sogleich eine Sekunde hochsequenziert. (Ein Mittel, das unzählige ikonische Songs aus Jazz und Chanson zum Hit gemacht hat.) In der G-Dur-Version betritt also nach der anfänglichen G-Dur-Tonika eine a-Moll-Verschattung den Raum. Wie passend für diesen Text zwischen größter Verliebtheit und Verleugnung der eigenen Person! Zum Hit wurde Hymne à l’amour aber vor allem wohl durch die leidenschaftliche – und intervallisch schlau konzipierte – Fortsetzung des Liedes. »Peu m’importe si tu m’aimes« (»Es ist mir egal, ob du mich liebst«) heißt es im Text. Erotik allein soll die »Lösung« sein; der eigene, zitternde Körper in den Händen des Geliebten. Mit den beiden letzten Silben des Wortes »m’importe« fällt melodisch eine Quinte herab. Doch damit nicht genug! Die Aufgabe jedweder Rationalität (in der Sprache der Verliebten gesprochen: im Moment des größten Gefühls für jemanden) bei dem Wort »m’aimes« erscheint durch die nach oben gerichtete Aufspreizung zur großen Sexte zu allem Überfluss auch noch hymnisch gefeiert zu werden! Dies ist keine »Hymne der Liebe«, sondern ein eigentlich tottrauriges (und großartig komponiertes) Chanson, das größtes Liebesunglück inbrünstig besingt! ¶

... ist Konzertveranstalter, Moderator, Komponist und Pianist. Er gestaltet innovative Konzertformate, arbeitet als Musik-Satiriker, schreibt Stücke für Solist:innen und Ensembles und Texte für VAN, die Wiener Philharmoniker, die New York Philharmonics und die Bamberger Symphoniker. 2019 war er als Schauspieler an der Volksbühne zu erleben.