»Wir spielen keine Songs, wir spielen Alben«, beschreibt Wooden Elephant das eigene Tun. Das heißt: Alben von Björk, Beyoncé, Radiohead. Die Erstsprache des Quintetts sind Streichinstrumenten, aber es wird auch oft und gerne mit allen möglichen und unmöglichen anderen Klangerzeugern kommuniziert. Heraus kommt Musik, die roh, kitschig, brutal und groovy ist und viel besser, als man es bei einem solchen Genre-Mashup-Projekt vermuten mag. 

Wir haben die fünf Musiker:innen aus Irland, Bulgarien, Island, Schottland und Norwegen um eine Playlist gebeten – nicht mit Alben, sondern einzelnen Stücken, die ihnen besonders viel bedeuten. 


STEFAN HADJIEV (auf dem aktuellen Album Cello, Papier, Waschbeckenstöpselkette, Partytröte, Spielzeugglocken (gestrichen), Spielzeugbogen)

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Sergei Prokofjew: Klaviersonate No. 7, 3. Satz Precipitato • Grigori Sokolow

Während meines Studiums in London hatte ich eine Zocker-Phase, in der ich mehr Zeit mit meiner Playstation als mit meinem Cello verbracht habe. Damals habe ich auch viel elektronische Musik gehört, klassische Musik rückte, was mein Leben und meinen Alltag anging, eher in den Hintergrund. Einer der Gründe, warum ich zu ihr »zurückgekommen« bin, ist dieses Stück. Es kam im Soundtrack eines Computerspiels vor und ich erinnere mich noch, wie ich das Spiel stundenlang gespielt habe, nur um das Stück wieder und wieder zu hören. Ich mochte schon immer Musik, die groovt, egal in welchem Stil. Und dieses Stück hat einfach einen großartigen Groove – und gleichzeitig dieses sehr Bluesige. Außerdem ist die Interpretation von Sokolow natürlich fantastisch! 


IAN ANDERSON (auf dem aktuellen Album Bratsche, Arrangement, Heulschlauch, Waschbeckenstöpselkette, Plektrum, Partytröte, Hand-Ventilator, Weinglas, Spielzeugbogen, Spielzeugglocken (gestrichen), Quietscheschwein, Akkuschrauber)

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Luciano Berio: Sinfonia, Section III • The Swingle Singers, New York Philharmonic und Luciano Berio (Dirigat)

Dieses Stück habe ich als Teenager in der Musikschule kennengelernt. Bis dahin hatte ich noch nie davon gehört, dass eine Komponistin oder ein Komponist sich ein bestehendes »Meisterwerk« (in diesem Fall Mahlers zweite Sinfonie) schnappt und damit herumspielt, so dass etwas Vertrautes, aber gleichzeitig völlig Neues dabei herauskommt (bei Berio ist das Ergebnis auch für sich genommen ein absolut unglaubliches und originelles Stück). In der Welt der klassischen Musik wird uns von klein auf beigebracht, dass die »Meisterwerke« heilig und unantastbar sind, und dass es Ketzerei gleichkommt, etwas anderes zu tun, als zu versuchen, möglichst genau wiederzugeben, wie das Stück im Kopf der Komponistin oder des Komponisten geklungen haben könnte. Dieses ungeschriebene Gesetz wurde, zumindest für mich persönlich, von Berios Sinfonia in der Luft zerfetzt. Seitdem denke ich, dass man mit »Meisterwerken« machen kann, was man will, solange man sich ihnen mit Respekt und Liebe nähert.


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AOIFE NÍ BHRIAIN (auf dem aktuellen Album Geige, Maultrommel,  Partytröte, Weinglas, Flexaton, Milchschäumer, Ebow auf Ukulele, Kalimba, Spielzeugglocken (gestrichen), Spielzeugbogen, Papier, Mundharmonika)

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Gwerz: Ar sorserez

Mit 10 Jahren mitten in der Nacht mit den Erwachsenen rauszugehen, wenn der volle Mond auf die Felder scheint – schon das allein hat etwas Magisches. Und dann stundenlang mit Hunderten von Leuten, sich gegenseitig nur am kleinen Finger haltend, in Kreisen über die Wiesen tanzen, begleitet von Rufen, Jubel und Jauchzen – ein völlig verrückter Zustand. Ich trinke als einzige Apfelsaft, alle anderen trinken bretonischen Cidre.

Das war mein erstes »Fest-Noz« in der Bretagne. Ohne das »Interceltique«, ein anderes Festival im bretonischen Lorient, hätten meine Eltern sich nicht kennengelernt und ich wäre nie geboren. Gwerz ist meine absolute Lieblingsband unter den bretonischen. Wie auch traditioneller irischer Folk zeigt diese Band mir immer wieder, dass Musik einen ganz schön um den Verstand bringen kann. 


NIKOLAI MATTHEWS (auf dem aktuellen Album Kontrabass, Kalimba, Papier, Waschbeckenstöpselkette, Partytröte, Heulschlauch, Spielzeugglocken (gestrichen), Mundharmonika, Paukenschlägel)

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John Cage: Water Walk

John Cage bringt das Publikum immer wieder dazu, zu überlegen, was Musik eigentlich ist – auch hier. An diesem Stück mag ich besonders, wie konzentriert Cage bei der Sache ist, und dass man trotzdem merkt, mit wieviel Spaß er jede einzelne Handlung ausführt. Ich mag auch, dass das Stück Water Walk heißt – einfach weil Cage eben herumläuft und Wasser darin vorkommt. 



HULDA JÓNSDÓTTIR (auf dem aktuellen Album Geige, Papier, Spielzeugglocken (gestrichen), Partytröte, Fußglöckchen, Plektrum, Shaker, Wah-Wah, Mundharmonika, Spieluhr) 

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Sergei Prokofjew: Romanze aus Leutnant Kishe

Was ich an Musik generell vielleicht am meisten mag, ist die Möglichkeit, ihr in andere Zeiten zu folgen – näher können wir echten Zeitreisen wahrscheinlich nicht kommen. Diese Romanze aus Prokofjews Leutnant Kishe trägt mich gleich an mehrere Orte und Zeiten: In meine Anfangszeit im Jugendorchester, wo ich gefesselt war von Prokofjews Umgang mit Klangfarbe und Timbre. In ein Russland, wie es vielleicht für Prokofjew geklungen hat. Und in die Welt des Leutnant Kishe, den sich die Untergebenen des Zaren Paul I. in einer fiktiven Geschichte ausdenken, um eigene Fehler vor dem Herrscher zu vertuschen, und dessen Biografie sie dann immer weiter spinnen müssen. 

Prokofjew ist eigentlich nicht unbedingt bekannt für seine Filmmusik, aber 1933–34 widmete er sich dem Soundtrack für den Film Leutnant Kishe, der auf einem Roman von Yury Tynyanov basiert. Die Geschichte beginnt damit, dass Zar Paul I. mitten in der Nacht durch Geräusche im kaiserlichen Palast geweckt wird. Verärgert über den Vorfall verlangt der er, dass der Übeltäter gefunden und bestraft wird. Einer seiner Untergebenen erstellt dazu zunächst eine Liste mit allen Menschen, die sich zur fraglichen Zeit im Palast aufgehalten haben. Allerdings wird er müde, sein Stift rutscht auf dem Blatt ab und das dabei entstandene Gekrakel sieht aus wie »Kishe«. Der Beamte traut sich nicht, diesen einfachen Fehler zuzugeben, und so verstrickt sich die Dienerschaft in immer ausuferndere Lügengeschichten um den angeblichen Leutnant Kishe, der – obwohl nur auf dem Papier existent – erst der Ruhestörung bezichtigt und nach Sibirien verbannt, dann befördert, dann mit Prinzessin Gagarina vermählt und schließlich nach seinem angeblichen Tod posthum wieder degradiert wird.

Prokofjew pendelte in der Zeit, in der diese Filmmusik entstand, schon eine Weile zwischen Paris und Moskau, war aber bestrebt, seinen Ruf in der Heimat zu verbessern. Nachdem er dort zuvor als Avantgarde-Komponist abgestempelt worden war, wollte er sich mit diesem Werk nun den offiziellen sowjetischen Vorstellungen von Kunst annähern. Damit ist in diese Musik ein weiteres Element der Zeitreise eingebettet, denn sie ist von der Epoche inspiriert, in der die ansonsten fiktive Geschichte spielt: dem späten 18. Jahrhundert. Prokofjew schafft eine Klanglandschaft, in der Elemente der Musik dieser Zeit auf seinen charakteristischen melodischen und schrulligen Stil treffen. Die Romanze ist, wie der Titel vermuten lässt, eine musikalische Beschreibung der Beziehung von Leutnant Kishe und Prinzessin Gagarina. ¶