Vor zwei Wochen lud das Staatstheater Wiesbaden zum alljährlichen Theaterfest. Bei Workshops, Konzerten, Kostümversteigerungen und Führungen durch die Werkstätten konnten Theaterfans zum Saisonauftakt den beliebten Blick hinter die Kulissen erhaschen. Wer hingegen tief in die zwischenmenschlichen Abgründe beim Staatstheater blicken möchte, der wird in der Zeitung fündig: Dort wird verlässlich die schmutzige Wäsche gewaschen, die in Wiesbaden mittlerweile fast wöchentlich anfällt.

Auf Leitungsebene befinden sich Intendant Uwe Eric Laufenberg und der Geschäftsführende Direktor Holger von Berg in einer offen ausgetragenen Feindschaft, von dort verlaufen die Gräben grob entlang der Spartengrenzen durchs ganze Haus, und es wird nach allen Seiten ordentlich ausgeteilt. Die Verhältnisse sind so zerrüttet, dass man stets das Gefühl hat, dass die Talsohle durchschritten sein muss – bis ein neuer Tiefpunkt kommt. So warfen die Dramaturgin Anika Bárdos und der Schauspieldirektor Wolfgang Behrens Direktor von Berg vorletzte Woche in einer »öffentlichen Erklärung« tyrannisches Verhalten und – aufgrund des von ihm durchgeführten Sparkurses – eine Beschädigung des Theaterbetriebs vor. Eine Zusammenarbeit mit ihm sei nicht mehr möglich. Das von von Berg beauftragte Anwaltsbüro wies sämtliche Vorwürfe prompt zurück und bewertete diese als »die persönliche Meinung der Gefolgsleute des Noch-Intendanten Laufenberg«. Nachdem auch das Hessische Kunstministerium die Erklärung als »einseitig öffentliche Schuldzuweisungen und in dieser Form nicht überprüfbare Anschuldigungen« kritisiert hatte, legten Bárdos und Behrens nach, und kurz darauf auch Intendant Laufenberg: Von Berg komme seiner Aufgabe, die Finanzen des Staatstheaters so zu ordnen, dass die Künstler:innen arbeiten können, in keiner Weise nach, »wobei offenbleibt, ob dies am fehlenden Willen oder Können liegt«.

So steht es also nun um Wiesbaden. Man kann das alles als Provinzposse abtun, als Seifenoper um Eitelkeiten und zu große Egos, bei der es bisweilen so wirkt, als würden einige kaum mehr trennen zwischen theatralem Drama auf und hinter der Bühne. (Dazu passt, dass die Privatfehde zwischen Intendant Laufenberg und Kunstministerin Angela Dorn (Grüne) mittlerweile auch auf der Bühne ausgetragen wird.) Der Wiesbadener Schlamassel ist aber auch ein politischer Skandal, denn hier verwandelt sich ein öffentlich finanziertes Theater sukzessive in eine dysfunktionale Organisation, ohne dass es den Trägern, dem Land Hessen und der Stadt Wiesbaden, gelungen wäre, die Eskalationsspirale zu durchbrechen. Leidtragende sind die rund 600 Mitarbeitenden des Theaters, dessen Ruf Schaden nimmt und dessen Arbeitsklima mittlerweile derart von Misstrauen geprägt ist, dass man sich fragt, wie eine produktive künstlerische (Team-)Arbeit in so einem Umfeld überhaupt noch möglich ist.

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Der Problemfall Wiesbaden beschäftigt das Ministerium schon seit Jahren: Der Streit um Uwe Eric Laufenbergs »Solo-Diskurse«, in denen sich der Intendant auf den theatereigenen Kanälen gegen die Corona-Maßnahmen gestellt, die »Aussetzung des Grundgesetzes« angeprangert und sich dabei auch auf umstrittene Personen wie den Mainzer Mikrobiologen Sucharit Bhakdi berufen hatte, Auseinandersetzungen mit Stadt und Land über Hygienekonzepte und mit dem Orchester über falsche Disposition und zu hohe Arbeitsbelastung, die vorzeitige Kündigung des Generalmusikdirektors Patrick Lange wegen »künstlerischer Differenzen mit dem Intendanten«, der Streit um den Auftritt Anna Netrebkos … Die Reaktion des Ministeriums lautet dabei meist: Aussitzen, Hinauszögern, Prüfen, Appellieren. Ansonsten spielt man den Ball zurück ins Theater: Es gebe Dienstvereinbarungen, die erfüllt werden müssten. Und wenn nicht? 

Nachdem auch die letztes Jahr eingesetzte externe Mediation gescheitert war, scheint das Ministerium mittlerweile akzeptiert zu haben, dass die Vorgänge am Theater außer Kontrolle geraten sind. Darauf weist ein aktueller Fall hin: So hat Theaterintendant Laufenberg nach VAN-Informationen Anwalts- und Gerichtskosten aus der Theaterkasse beglichen, obwohl ihm dies vom Ministerium untersagt worden war. Hintergrund ist eine Auseinandersetzung zwischen Laufenberg und dem ehemaligen Orchestervorstand, dem Trompeter Martin Schneider, die mittlerweile in drei Verfahren verhandelt wurde beziehungsweise wird. Gegenstand sind Äußerungen Laufenbergs gegenüber dem Wiesbadener Kurier im sogenannten »Hakenkreuz-Skandal«. In diesem hatte der ehemalige Orchesterdirektor des Staatstheaters, Ilia Jossifov, dem Geschäftsführenden Direktor Holger von Berg »systematisches Mobbing« und Antisemitismus vorgeworfen und war dabei von Intendant Laufenberg unterstützt worden, der vom Ministerium von Bergs Beurlaubung forderte. Schneider wie auch der aktuelle Orchestervorstand wiederum hatten Holger von Berg verteidigt. (Ein externes Gutachten kam laut Ministerium zu dem Schluss, dass zumindest der Antisemitismus-Vorwurf gegenüber von Berg »einer sachlichen Grundlage entbehrt«.) 

In einem Artikel im Wiesbadener Kurier mit dem Titel Kein Antisemitismus? Entlastung im Hakenkreuz-Skandal vom 27. September 2022 wurde aus einer E-Mail Laufenbergs an die Zeitung zitiert, in der der Intendant Schneider »angewandten Antisemitismus« vorwirft. Schneider hatte gegen Laufenbergs Äußerungen zunächst am 28. Oktober 2022 beim Landgericht Frankfurt am Main eine einstweilige Verfügung erwirkt, die vom Gericht nach einem Widerspruch des Intendanten Anfang Mai 2023 rechtskräftig bestätigt wurde (das Urteil liegt VAN vor). Gleichzeitig hatte Laufenberg ein Hauptsacheverfahren angestoßen, das sich derzeit beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main in Berufung befindet. Ein weiteres Verfügungsverfahren, das Laufenberg wegen einer vermeintlichen Fristverletzung vonseiten Schneiders Anwalt angestrengt hatte, hat der Intendant ebenfalls rechtskräftig verloren. Laut Kostenfestsetzungsbeschluss des Gerichts vom Juni 2023, der VAN vorliegt, musste Laufenberg Schneider daraufhin 2.469,25 Euro an Anwaltskosten erstatten.

Allerdings überwies Laufenberg diese Summe nicht von seinem privaten Konto, sondern am 14. Juli 2023 aus der Theaterkasse. (Der Überweisungsträger liegt VAN vor.) Auf Nachfrage teilt das Hessische Kunstministerium mit, dass Laufenberg zwar am 28. März 2023 für den genannten Rechtsstreit Rechtsschutz vom Ministerium ersucht hatte, dieser jedoch am 1. Juni 2023 abgelehnt worden war. (Der Ablehnungsbescheid liegt VAN vor.) »Der Intendant war rechtsirrig der Auffassung, dass er Anspruch auf die Gewährung von Rechtsschutz nach den Verwaltungsvorschriften über die Gewährung von Rechtsschutz für Landesbedienstete habe«, so der Pressesprecher des Ministeriums gegenüber VAN. Laufenberg beglich also Kosten aus der Theaterkasse, obwohl ihm dies von seinem Arbeitgeber nicht gestattet worden war.

Nach VAN-Informationen rechnete Laufenberg im oben genannten Verfügungsverfahren auch Gerichtskosten und seine eigenen Anwaltskosten über die Theaterkasse ab. Wie aus einer internen Korrespondenz hervorgeht, die VAN vorliegt, wies der damalige Stellvertretende Geschäftsführende Direktor Jan Rathgeber die Zahlungen am 28. November 2022 mit dem Hinweis an, bei den Anwaltskosten handele es sich um »personalrechtliche Beratungen für Herrn Laufenberg«. Insgesamt wurden vom Theater 515,70 Euro Verfahrenskosten an das Landgericht Frankfurt und Honorarrechnungen in Höhe von insgesamt 9.662,80 Euro an Laufenbergs Anwalt überwiesen. 

Weder das Theater noch das Ministerium wollten sich zur Summe der getätigten Zahlungen äußern. Das Ministerium gibt jedoch an, die vom Staatstheater »ohne rechtliche Verpflichtung geleisteten Zahlungen im Zusammenhang mit den Rechtsstreitigkeiten des Intendanten vor dem Landgericht Frankfurt am Main« zurückgefordert zu haben. Auf die Nachfrage, ob Laufenberg die entsprechenden Summen bereits zurückgezahlt habe und welche aus dem Rechtsstreit resultierenden Kosten insgesamt aus der Theaterkasse bezahlt wurden, teilt das Ministerium schmallippig mit, dass man dies auch nicht wisse: »Auskunft zu den Summen der Zahlungen des Staatstheaters, zum Datum der Rückforderungen und der Frage, inwieweit die Rückzahlung erfolgt ist, müsste Ihnen das Staatstheater geben.« Auf die Nachfrage beim Theater antwortet der Intendant über seinen Anwalt: »Bei der von Herrn Schneider initiierten juristischen Auseinandersetzung handelt es sich um eine dienstinterne Angelegenheit des Staatstheaters Wiesbaden.« Im Übrigen seien sämtliche Zahlungen durch das Theater von der Rechts- und Verwaltungsordnung gedeckt. Allerdings sieht letztere regelmäßig nur Prozesskostenvorschüsse vor, keine nachträglichen Zahlungen nach verlorenem Rechtsstreit. Laufenberg nahm die Überweisung jedoch vor, nachdem das Land die Kostenübernahme bereits abgelehnt hatte. 

Die Frage, ob sich Laufenberg also unrechtmäßig aus der Theaterkasse bedient hat, bleibt bis auf Weiteres im Raum. Der Intendant hat gegen die Zurückweisung seines Rechtsschutzersuchens Widerspruch eingelegt. Er sei mit seinen Äußerungen lediglich der »arbeitgeberseitigen Fürsorgepflicht« gegenüber Ilia Jossifov nachgekommen, lässt er über seinen Anwalt wissen. Das Ministerium ist nun in einer Zwickmühle: Entweder müsste man als Land für die Prozesskosten Laufenbergs einstehen, die schnell auf eine noch größere fünfstellige Summe als die bereits gezahlten 12.600 Euro anwachsen könnten – kaum darstellbar gegenüber dem Steuerzahler und in einer Zeit, in der am Theater ohnehin schon ein Streit um das knappe Budget schwelt. Oder man müsste entsprechende arbeitsrechtliche Schritte gegen den Intendanten einleiten. In Wiesbaden gehen viele davon aus, dass das Ministerium den Fall lieber auf die lange Bank schiebt, vor allem, da in Kürze Landtagswahlen anstehen. 

So bleibt die Theaterkasse bis auf weiteres eine Black Box. Laufenbergs Handeln fällt dem Ministerium noch an anderer Stelle auf die Füße – und verursacht Kosten: So musste das Ministerium sich selbst am Verwaltungsgericht Wiesbaden in einem Rechtsstreit gegen Ex-Orchestervorstand Schneider verantworten, nachdem Laufenberg dem Musiker im September 2022 Hausverbot erteilt hatte – »aufgrund unqualifizierter Äußerungen« in der Presse und »wegen nachhaltiger Störung des Betriebsfriedens.« Das Hausverbot wolle er »ab sofort, notfalls polizeilich, durchsetzen«, so Laufenberg in dem Schreiben an Schneider, das VAN vorliegt. Am 16. September 2022 hatte Schneider Widerspruch gegen das Hausverbot eingelegt. Eine Reaktion des Staatstheaters hierauf erfolgte nicht, auch nicht, nachdem das Ministerium für Wissenschaft und Kunst den Intendanten zur Bearbeitung des Widerspruchs aufgefordert hatte. In seinem Urteil vom 27. Juli 2023 hob das Verwaltungsgericht Wiesbaden das Hausverbot schließlich auf. Die Kosten des Verfahrens trägt das Ministerium. »Hätte das Ministerium das Hausverbot früh zurückgenommen, hätten sie jetzt nicht den Ärger und die Kosten eines verlorenen Rechtsstreits«, so Christian Russ, der Anwalt Schneiders, gegenüber VAN. »Dabei war von Anfang an klar, dass ein ›lebenslängliches Hausverbot‹ gegenüber einem verdienten Orchestervorstand völlig unverhältnismäßig war, nur weil der den Intendanten öffentlich kritisiert hatte.«

In Wiesbaden sollen es nun die Berater richten: Es werde eine »renommierte Unternehmensberatung« beauftragt, um am Staatstheater »die Strukturen zu analysieren und Verbesserungsvorschläge zu machen«, heißt es am 4. September 2023 in einer gemeinsamen Pressemitteilung vom Land Hessen und der Stadt Wiesbaden. Für die zerstrittene Bühnenleitung gebe es zudem eine Dienstanweisung, die fordere, dass Intendant und Geschäftsführender Direktor ihre Aufgaben »im Einvernehmen mit dem jeweils anderen« erfüllen müssen. »Dass das derzeit nicht optimal gelingt, ist kein Geheimnis«, so Staatssekretärin im Kunstministerium Ayse Asar (Grüne). Das viele Geld sollte man sich vielleicht besser sparen: Eine Beratung erzielt bekanntermaßen nur dann Erfolge, wenn ein Veränderungsbereitschaft da ist. Wie es um diese bestellt ist, geht aus einer Pressemitteilung des Theaters als Reaktion auf die Ankündigung des Landes und der Stadt hervor: Die Politik mache im Grunde genommen nichts, als die Probleme, welche die Politiker klären und ordnen müssten, erneut weiterzugeben, heißt es darin. »Es ist Wahlkampf! Die Grüne Spitze des Ministeriums und die SPD-Spitze der Landeshauptstadt Wiesbaden haben gemeinsam eine Lösung gefunden, die Verhältnisse im Hessischen Staatstheater Wiesbaden zu ordnen, indem sie eine weitere Maßnahme ergreifen, nachdem schon zwei ›Maßnahmen‹ stattgefunden haben, ohne dass diese bisher zu Ergebnissen geführt haben.« Und Intendant Laufenberg legt im Hessischen Rundfunk nach: Eine Dienstanweisung sei nur sinnvoll, wenn sie erfüllbar wäre. »Und wenn Sie Unmögliches von verschiedenen Personen erwarten, dann wird das einfach nicht stattfinden können.« 

Auf Dorothea Hartmann und Beate Heine, die ab der nächsten Saison die Intendanz am Staatstheater Wiesbaden übernehmen, kommt die Mammutaufgabe zu, die Gräben zu schließen und die vielen Verletzungen zu heilen. Bis dahin, so ist zu befürchten, wird in Wiesbaden auch weiterhin sehr viel Porzellan zerbrochen.  ¶

... ist Herausgeber von VAN. Er studierte Development Studies, Ethnologie und Asienwissenschaften in Berlin, Seoul, Edinburgh und an der London School of Economics und arbeitete im Anschluss zehn Jahre als Berater in Projekten der internationalen Entwicklungszusammenarbeit. 2014 gründete er mit Ingmar Bornholz den VAN Verlag, wo er auch als Geschäftsführer fungiert. hartmut@van-verlag.com

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