»Arbeitszeit ist, was anfällt«, beschreibt Lauren Schubbe von der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger (GDBA) flapsig, wie aktuell an so manchem Theaterhaus mit der Arbeitszeit der Bühnenkünstler:innen verfahren wird. Sowohl die Gewerkschaften der Bühnenangestellten (neben der GDBA die Vereinigung deutscher Opern- und Tanzensembles und der Bundesverband Schauspiel) als auch der Bühnenverein auf Arbeitgeberseite bemühten sich ab Oktober 2022 in Tarifverhandlungen um klarere Arbeitszeitregelungen und eine bessere Planbarkeit der Arbeitszeiträume für alle Beteiligten. Die Gewerkschaften haben diese Verhandlungen jetzt für gescheitert erklärt, mit der Begründung, dass der Bühnenverein bereits erzielte Verhandlungsfortschritte wieder zurückgenommen habe. Der Bühnenverein wiederum will die Verhandlungen zwar fortführen, wirft den Gewerkschaften aber zugleich vor, mit ihrer Agenda »auf die Abschaffung von Ensemble- und Repertoiretheater an den deutschen Bühnen« zu zielen und viel mehr an der Gewinnung neuer Mitglieder als an einer Verbesserung der Arbeitszeitregelungen interessiert zu sein. Die Vielfalt der deutschen Bühnen, finanzieller Druck, das lange gepflegte Ideal des selbstverständlichen Aufopferns für die Kunst, Phasen extremer Belastung, kurzfristig kommunizierte Arbeitszeiten, die Notwendigkeit von Flexibilität für kreatives Schaffen und der Status vieler künstlerisch Tätiger weit unten im Machtgefüge der Häuser bilden eine Gemengelage, innerhalb derer sich beide Tarifparteien nun offensichtlich unlösbar verhakt haben. 

Im aktuell für Bühnenkünstler:innen gültigen Tarifvertrag, dem NV Bühne (mit »Sonderregelung Solo«), ist zur Arbeitseinteilung grundlegend lediglich festgeschrieben, dass die Arbeitszeiten für den Folgetag spätestens bis 14:00 Uhr mitzuteilen sind (Ausnahmen sind allerdings selbst hier noch möglich). »Wenn man irgendeine Form von Privatleben, Familie, Hobbys, aber auch nur einen Arztbesuch oder Behördengang planen will, ist das alles immer unter dem Vorbehalt, dass auf dem Tagesplan etwas stehen könnte, was man nicht absehen konnte, und dann muss man die Planung umwerfen«, so Lauren Schubbe von der GDBA auf VAN-Nachfrage. »Selbst, wenn das an vielen Häusern selten vorkommt, liegt diese Unsicherheit immer latent drunter: Kann ich es riskieren, keine Kinderbetreuung zu organisieren? Was passiert, wenn ich doch auf dem Probenplan stehe?« Die Dauer der Arbeitszeit regelt dabei das Arbeitszeitgesetz: Maximum sind 10 Stunden am Tag. Eineinhalb freie Tage sind laut gültigem Tarifvertrag pro Woche zu gewähren, möglichst mit einem Abstand von maximal 12 Tagen zwischen zwei freien Tagen. Alle freien Ausgleichstage sind innerhalb von einer Spielzeit zu disponieren. Diese Regelungen führten aktuell laut GDBA dazu, dass die über NV-Bühne mit der »Sonderregelung Solo« Angestellten, die sogenannten Solomitglieder (beispielsweise Schauspieler:innen und Sänger:innen, aber auch Assistent:innen der Regie und Intendanzen sowie Dramaturg:innen und Pädagog:innen) sich an manchen Häusern sechs Tage die Woche bis zu 14 Stunden bereithalten müssen für den Fall, dass der Arbeitgeber spontan eine Probe oder auch eine Anprobe oder Korrepetitionseinheit einplant. Zudem gilt für darstellende Solomitglieder laut Tarifvertrag aktuell eine Erreichbarkeitspflicht bis drei Stunden vor Vorstellungsbeginn, selbst wenn sie proben- der aufführungsfrei haben.  

Um hier eine Verbesserung herbeizuführen, seien ab Oktober 2022 Tarifverhandlungen geführt worden – zunächst konstruktiv, so Schubbe. Das Grundanliegen des Bühnenvereins lag dem der Gewerkschaften dabei in Teilen gar nicht fern: eine bessere Planbarkeit der zwei- bis dreiwöchigen Endprobenzeiten mit Spitzenbelastungen, also Arbeitszeiten über acht Stunden, und demgegenüber der sogenannten »Freiphasen« ohne Proben, lediglich mit Vorstellungen. »Die Abwechslung dieser Phasen ist derzeit nicht strukturiert«, so Claudia Schmitz, Geschäftsführende Direktorin des Deutschen Bühnenvereins, gegenüber VAN. »Es gibt keine Regelung, wann eine solche Spitzenbelastung abgebaut werden muss – nur bis zum Ende der Spielzeit, das ist klar. Dafür zu sorgen, dass auf Zeiten der Belastung planbar Zeiten der Entlastung folgen, das ist unser Anliegen.« 

Die Gewerkschaften forderten darüber hinaus die Einführung eines Rahmenmodells: Dessen Idee ist, dass Künstler:innen mit Vorlauf informiert werden über Vier-Stunden-Blöcke (die sogenannten Rahmen), in denen sie in Probenzeiträumen gebraucht werden könnten. Innerhalb dieser zeitlich genau festgelegten und in der Anzahl begrenzten Rahmen könnte die Arbeitszeit auch spontan frei disponiert werden. Zeiten außerhalb der Rahmen könnten dann fest verplant werden für Kinderbetreuung oder »ein Leben neben dem Theater«. Etwas ähnliches passiere, so Schubbe, bereits an vielen Häusern über Wochen- und Monatspläne, »nur hat man aktuell keinen Anspruch darauf. Wenn das Theater sagt: ›Das war der Monatsplan, und das haben wir uns gut gedacht, aber der Regisseur hat jetzt das Gefühl, er braucht doch noch eine zusätzliche Stunde oder eine zusätzliche Probe …‹ Wir sind der Meinung, es ist Regisseur:innen und Theaterleitungen zuzumuten, sich darüber ein paar Tage im Vorhinein Gedanken zu machen.« Der Bühnenverein pochte stattdessen auf größere Freiräume in der Planung: »Wir befinden uns in kreativen Prozessen, in denen Kunst entstehen soll«, so Claudia Schmitz. »Flexibilität, gerade wenn es auf eine Premiere zugeht, wird von allen an der Produktion Beteiligten immer gefordert sein. Künstlerinnen und Künstler arbeiten unterschiedlich.«

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Zudem ließen sich solche Regelungen an den einzelnen Häusern treffen – über Betriebs- und Dienstvereinbarungen sowie Verhaltenskodexe, die den lokalen Gegebenheiten besser gerecht würden, so Schmitz. Solch eine Betriebsvereinbarung kann jedoch, im Gegensatz zu einem Tarifvertrag, gekündigt werden. Bei einem Verhaltenskodex besteht die Gefahr, dass dieser sich auf Willensbekundungen beschränkt und für die Leitung demnach wenig bindend bleibt. Die Gewerkschaften bestehen darum auf einer Änderung des Tarifvertrages. »Wir machen den Tarifvertrag nicht für schönes Wetter und wir machen den Tarifvertrag nicht für nette oder vorausschauende Intendanzen«, so Schubbe. »Man muss gar keinen bösen Willen unterstellen: Es gibt Häuser, bei denen der Druck, vielleicht auch der finanzielle Druck, viel Output zu generieren mit wenig Ressourcen so groß ist, dass die Theaterleitungen sich genötigt fühen, sich maximale Flexibilität aufrecht zu erhalten.« Bei allen offenen Fragen, so berichten es zumindest die Gewerkschaften, waren beide Parteien über mehrere Verhandlungsrunden hinweg jedoch konstruktiv im Gespräch. 

Ende April, so die Gewerkschaften in einer Pressemitteilung, habe der Bühnenverein dann »bereits erzielte Verhandlungsfortschritte wieder zurückgenommen«. Unter anderem sei die Forderung geäußert worden, in Endproben bis zu 15 Rahmen pro Woche zu disponieren. »Mit 15 Rahmen in der Woche wäre die Konsequenz, dass sich Bühnenkünstler:innen – zumindest in den Wochen, in denen diese zum Zuge kommen – 60 Stunden bereithalten müssten«, so Schubbe. Zudem sei wieder von der gesamten Spielzeit als Ausgleichszeitraum von Überbelastungen die Rede gewesen. »Diese Ausdehnung von verfügbaren Rahmen pro Woche auf ein Maß, das alles bisher diskutierte deutlich überschritten hat, und die Ausdehnung des Ausgleichszeitraums ins Extreme, die rechtlich fragwürdig ist und in der Sache überhaupt nicht dienlich, um sich zu regenerieren nach einer Belastungsphase – das war der Punkt, an denen im April die Verhandlungen zunächst unterbrochen wurden.« Der Bühnenverein beobachtete daraufhin, mit den Worten Claudia Schmitz’, von Seiten der Gewerkschaften keine Bereitschaft mehr, »sich mit unseren Vorschlägen und Beispielen aus den Dispositionen der Häuser auseinanderzusetzen«. Man habe lediglich die Agenda, Spitzenbelastungen komplett auszuschließen, durchdrücken wollen. »Wenn Spitzenbelastungen komplett ausgeschlossen werden, komme ich aber nicht mehr auf eine Vollzeitbeschäftigung. Die Ausgleichszeiträume, die ich habe, korrelieren mit Zeiträumen, in denen die Arbeitsbelastung höher ist, das ist das Prinzip der Arbeit an den Bühnen.«

Nach Wahrnehmung der Gewerkschaften habe man demgegenüber nicht auf Maximalforderungen bestanden, sondern vielmehr konkrete Kritik vom Bühnenverein vermisst: »Der Knackpunkt ist, dass der Bühnenverein uns nicht im Detail sagen konnte, in welchen Punkten das gemeinsam erarbeitete Modell, der Verhandlungsstand – in der Formulierung der Gewerkschaften – nicht mit der Theaterpraxis übereinstimmt. Welche Produktion an welchem Haus könnte nicht stattfinden, wenn es diese Einschränkungen gibt? Die Antworten waren sehr allgemein. Es gab wenig Möglichkeit für uns, konstruktiv mit weiteren Kompromissen darauf zu reagieren, weil die Stellen, an denen es nicht funktioniert, nicht präzise benannt waren.« Als auf weitere Nachfragen der Gewerkschaften seitens des Bühnenvereins erneut neue Vorschläge ins Feld geführt wurden, ohne die alten en detail zu erläutern, habe man die Verhandlungen schließlich abgebrochen, so Schubbe. Dabei habe auch die Frage im Raum gestanden: Welches Mandat hat die Verhandlungskommission des Bühnenvereins in dieser Sache überhaupt? »Weil sich der Eindruck eingestellt hatte, dass sie von einer anderen Kommission zurückgepfiffen wurden.«

Foto Christoph Seiffert (CC BY-NC-ND 2.0)

Das von der zunächst konstruktiven Grundhaltung auf beiden Seiten nicht mehr viel zu spüren ist, zeigt sich auch in der Pressemitteilung des Bühnenvereins, der den Gewerkschaften unterstellt, mit ihren Forderungen das Ensemble- und Repertoiretheater abschaffen zu wollen. »Die Verhandlungsposition der Gewerkschaften war für uns nicht konsensfähig, da sie dazu geführt hätte, dass in Endprobenphasen sogar bis hin zum gesamten Probenzeitraum für eine Produktion keine Vorstellungen mit den Spieler:innen mehr hätten stattfinden können, die sich gerade in den Proben befinden«, erläutert Schmitz gegenüber VAN. »Daher unsere Aussage: Dann geht kein Repertoire mehr, denn Repertoire bedeutet: Ich probe und spiele. Und nicht: Ich probe eine Produktion, dann kommt sie raus, ich spiele sie, dann ist sie weg und ich probe die nächste. Das ist dann Stagione. Und wenn ich kein Repertoire mehr spiele, brauche ich kein Ensemble mehr.« Hinter dem Abbruch der Tarifverhandlungen von Seiten der Gewerkschaft vermutet Schmitz eine Kampagne der GDBA zur Gewinnung neuer Mitglieder (aktuell sind in der GDBA über 6.000 Theaterschaffende organisiert). Die Sorge, dass neue Arbeitszeitregelungen negative Auswirkungen auf den Repertoire- und Ensemble-Betrieb haben könnten, könne er sogar nachvollziehen, so Lauren Schubbe von der GDBA. »Das als Ziel zu unterstellen – ich weiß nicht, auf welcher Grundlage man das konstruiert, außer um die öffentliche Debatte anzuheizen.« Eine Kampagne zur Mitgliedergewinnung mache man jetzt tatsächlich, nur habe der Bühnenverein die Kausalitäten »verdreht«: »Eine Gewerkschaft kann umso mehr durchsetzen, je mehr Mitglieder sie hat. Und wenn jetzt Theaterschaffende sehen, über welche Grenzen der Bühnenverein nicht gehen will …« Den Gewerkschaften wäre jedoch eine gute Arbeitszeitregelung sehr viel lieber gewesen als eine Kampagne zur Mitgliedergewinnung.

So zeigt sich aktuell im Tarifstreit auf der einen Seite die grundsätzliche Infragestellung der Kompetenzen des Verhandlungspartners und auf der anderen ein offenbar absichtliches Missverstehen und die Unterstellung der Instrumentalisierung der Verhandlungen. Ob die Gewerkschaften so auf das Angebot des Bühnenvereins, die Gespräche über einen vermittelnden Workshop weiterzuführen, eingehen, ist mehr als unklar. Dabei könnten selbst die Theaterleitungen von einer stärkeren Festlegung der Arbeitszeiten im Tarifvertrag profitieren – auch abgesehen von den grundsätzlichen Vorteilen einer nachhaltigen Mitarbeiterführung, meint Lauren Schubbe. Er bringt dazu ein Beispiel aus den erfolgreichen Tarifverhandlungen zur Mindestgage aus dem Juni 2023: »Ich höre von Theaterleitungen, die sagen: ›Endlich habt ihr diese Erhöhung der Mindestgage verhandelt, jetzt muss ich nicht mehr begründen, warum ich die Leute nicht für 2.000 Euro beschäftige.‹ Wenn es der Nettigkeit der Intendanz überlassen ist, vernünftige Arbeitsbedingungen zu schaffen, ist sie viel mehr dem Druck der Träger ausgesetzt, auch was die Arbeitszeit angeht.« Eine genauere Festlegung der Arbeitszeiten und -planung im Tarifvertrag sei darum »eigentlich auch eine Stärkung der Theater insgesamt und des Werts der Arbeit, die dort gemacht wird«.

Wie die Gewerkschaften nun nach den abgebrochenen Tarifverhandlungen weitermachen – ob zum Beispiel gar ein Streik folgt –, bleibt aktuell noch im Dunkeln, oder mit den Worten Lauren Schubbes, »der Cliffhanger bis nach der Sommerpause«. ¶

... machte in Köln eine Ausbildung zur Tontechnikerin und arbeitete unter anderem für WDR3 und die Sendung mit der Maus. Es folgten ein Schulmusik- und Geschichtsstudium in Berlin und Bukarest. Heute lehrt sie Musikwissenschaft an der Universität der Künste Berlin und ist Redakteurin bei VAN. merle@van-verlag.com