Wie wird man zur Legende? Durch eine Kindheit und Jugend, in der alles in Ordnung ist? Im Gegensatz zu den Geburtsumständen der meisten, in bildungsbürgerlichen oder sogar aristokratischen Gefilden aufgewachsenen Komponistinnen waren die von Barbara Strozzi scheinbar vergleichsweise problematisch. Die wohl in eine Familie von unehelichen Kindern »hineingeborene« (jedenfalls am 6. August 1619 in Venedig getaufte) Strozzi machte ihren Weg. Dazu trug, ein Ausnahmefall der Komponistinnen-Musikgeschichte, ihr Vater, der Dichter Giulio Strozzi nicht unwesentlich bei.

Barbara Strozzis Mutter hatte zuvor als Haushälterin für Vater Giulio gearbeitet. Dieser vertraute auf ein profundes Bildungspaket, das er seiner Tochter angedeihen ließ. Bei dem großen Barockkomponisten Francesco Cavalli (1602–1676) – dem Stolz der damaligen Opernstadt Venedig – erfolgten Kompositionsstunden. Musikwissenschaftlerin Antje Tumat betont, unsere Eindrücke rückblickend bestätigend, dass Frauen musikalisch derart reichhaltige Erfahrungen nur im Kloster oder, aber auch in dieser Form nur in Venedig, mittels des Besuchs einer der vier Mädchenkonservatorien machen konnten.

Giulio Strozzi war in Venedig extrem gut vernetzt, war Mitglied mehrerer Akademiezirkel der vor Opernliebe nur so brennenden Stadt (deren Opernhäuser selbst immer wieder abfackelten). In diesen Zirkeln kam man regelmäßig zusammen – und diskutierte die Novitäten in Sachen Musik, Literatur und Philosophie. Eine der Akademien, in denen der Vater mitmischte, betrieb gar ein eigenes Theater, das Teatro Novissimo, das die Entdeckungslust und die Theaterbegeisterung gewissermaßen schon im Namen mit sich führte. Die Gattung Oper war da gerade einmal rund 40 Jahre alt, doch: Barbara Strozzi schrieb ihr Leben lang keine einzige Oper.

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Möglicherweise, so Autorin Tumat, war die Stimme Strozzis für die Opernbühne nicht »groß« genug, weshalb die vor allem früh als Sängerin positiv Auffallende sich auf eine Konzertlaufbahn im Schlaglicht der bürgerlich-intellektuellen Akademiekreise kaprizierte. So ergab sich wohl auch ein Kontakt zum ersten großen Opernkomponisten überhaupt, zu Claudio Monteverdi.

Aber so fortschrittlich die Zeit an sich schien, so hermetisch gaben sich freilich die Bildungs- und Diskussionseinrichtungen Venedigs. Frauen hatten zu Akademien eigentlich keinen Zugang. Anders Barbara Strozzi, wie Antje Tumat erklärt: »Barbara Strozzi bildete in der um sie gegründeten Zusammenkunft insofern offensichtlich eine Ausnahme. Hier war sie der leitende Geist, sie sang bei den Treffen und schrieb die Themen vor, die diskutiert wurden, sie beurteilte die Diskursführung und verlieh Preise für die besten Argumentationen.«

Mitreden zu dürfen war Strozzi aber nicht mehr genug. Wohl ab Mitte der 1640er Jahre brachte sie eigene kompositorische Werke zu Papier. Über 125 Einzelwerke sind, rekordverdächtig für eine Komponistin des 17. Jahrhunderts, von ihr überliefert.

Barbara Strozzi bekam vier Kinder von zwei Männern. Offenbar verdiente sie ihren Lebensunterhalt mühevoll als »ehrenwerte Kurtisane«, wie Tumat in ihrem Artikel vermutet.

Sie starb am 11. November 1677 in Padua und wurde circa 58 Jahre alt.


Barbara Strozzi (1619–1677)
Che si può fare (1664)

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Spricht man mit Sängerinnen über Barbara Strozzi, so rühmen diese die Komponistin als »die Größte«, als diejenige, die am besten für Stimmen komponieren konnte. Und so existieren allein von Strozzis 1664 herausgegebener Arie Che si può fare für Sopran und Basso continuo erstaunlich (und erfreulich) viele Aufnahmen.

Das Gedicht von Gaudenzio Brunacci (1631–1667), einem Mitte des 17. Jahrhunderts beliebten Poeten, eröffnet mit einer Frage: »Was können wir tun?« Der Blick wird gen Himmel gerichtet, die rubinroten Sterne werden gelöchert. Aber diese haben kein Erbarmen, denn offensichtlich geben sie keine Antwort. Und obwohl der Himmel nicht antwortet, ist von der Beständigkeit des Glaubens (vielleicht ist es auch nur der Glaube an die Liebe …) und später von »Geistern« die Rede. Diese »Geister« mögen sich jedoch zum Teufel scheren, sinngemäß: »Wie alle Rachegöttinnen wollt ihr doch nur meine Seele quälen.« Und schließlich: »Ich werde in der Hölle vermodern, denn so geschieht es denjenigen, die dem Schatten eines blinden Gottes folgen, dass sie am Ende fatal ins Stolpern geraten.« Der »blinde Gott« – natürlich ist Amor gemeint!

Einer Passacaglia gleich hören wir im Untergrund immer die durchgehend gleichbleibende, abschreitende Linie von vier Noten. Immer wieder abwärts, in Sekunden, dem quasi nächstliegenden Tonschritt zu. In den Abgrund der Liebe! Darüber bettet sich die Singstimme – zum Sterben (schön). Diese ist recht vielfältig und sehr sangbar gestaltet. Die formulierte Frage (»Was können wir tun?« oder »Was kann man tun?«) wird auch als solche zunächst in Tönen »gestellt«. Am Ende eines Fragesatzes muss die Stimme angehoben werden. So geschieht es auch hier, mit einem seufzenden Abschwung (bei »che che«) zwischendrin.

Die Tonabstände werden bald weiter, der erforderliche Gesamtstimmumfang ist erstaunlich groß. Dazwischen erklingt die abschreitende Trauerlinie – auf der sich seitens der Continuogruppe freilich trefflich improvisieren lässt – auch einmal alleine, ganz ohne Gesang. Zwischen Seufzen und Weinen des liebeszerstörten Menschen tönt also diese Linie hindurch; diese ewige Linie, die die Grundstimmung immer wieder erinnernd ins Bild rückt.

Anlässlich der Wiederholung der Worte »mi piova«, wenn die Rede davon ist, dass das Unglück vom Himmel herunterregnet, erscheint dieses »herunterregnen« im trauernden »Lichte« von 24 Tönen, die einem einzigen Wort gewidmet werden; dem Wort »piova«. Das ist von so großer Schönheit und von herzzerreißend erfüllter Traurigkeit; eben, weil der hier weinende Mensch sich mittels der Musik Strozzis gleichsam irgendwie auch »einsichtig« zeigt: Das Ganze hat hier ein Ende. Es kann eben nichts mehr für ihn getan werden … ¶

... ist Konzertveranstalter, Moderator, Komponist und Pianist. Er gestaltet innovative Konzertformate, arbeitet als Musik-Satiriker, schreibt Stücke für Solist:innen und Ensembles und Texte für VAN, die Wiener Philharmoniker, die New York Philharmonics und die Bamberger Symphoniker. 2019 war er als Schauspieler an der Volksbühne zu erleben.