Bedřich Smetana (1824–1884) wurde am 2. März 1824 in Litomyšl (Ostböhmen) geboren. Er ist vermeintlich einer jener Komponisten, die nur einen »Hit« hatten: Die Moldau aus dem Orchesterzyklus Má vlast (Mein Vaterland) – 1875 in Prag uraufgeführt. Als »One-Hit-Wonder-Komponist« kommt er allerdings längst nicht infrage, schließlich steht mindestens seine 1866 uraufgeführte Komische Oper Prodaná nevěsta (Die verkaufte Braut) auch aktuell noch auf den vielen Spielplänen unzähliger Opernhäuser weltweit.

Was aber gibt es darüber hinaus Lohnenswerte im Zeichen des Jubilars zu entdecken? Wie sieht es in Sachen Smetana-Forschung aus? Haben wir eigentlich, was Noten angeht, schon den vollständigen Smetana »auf dem Tisch«? Und was sind andere große Fragen, die den berühmten Sohn Böhmens umgeben? Wir haben dazu Sandra Bergmannová interviewt. Sie ist Leiterin des Bedřich-Smetana-Museums – Teil des Tschechischen Musikmuseums – in Prag.

VAN: Welche Frage haben die Menschen auf dem Herzen, wenn sie zu Ihnen ins Smetana-Museum kommen?

Sandra Bergmannová: Die meisten wollen wissen, wann genau Smetana sein Gehör verloren hat oder wie seine musikgeschichtliche Bedeutung zu Lebzeiten in Tschechien war. Oder auch häufig: Wie ist es möglich, dass Smetana in Tschechien als ›Nationalkomponist‹ gilt, obwohl er Deutsch gesprochen und geschrieben hat?

Und, wie ist das möglich?

Nun, ab 1806 wurde Böhmen Teil des habsburgischen Kaiserreiches. Das hieß: In der ganzen ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war die tschechische Sprache in den Schulen meist nur ›Wahlfach‹. Die Unterrichtssprachen waren Latein und Deutsch. Bedřich Smetana wurde in eine wohlhabende bürgerliche Familie hineingeboren. Friedrich – so wurde er gerufen – hat von Anfang an Deutsch gesprochen. Tschechisch kam erst später hinzu. Wir können ihn natürlich nicht mehr fragen, wie es genau um sein ›Nationalgefühl‹ bestellt war, als er noch ein Kind war. Aber schon 1860 schrieb er in ziemlich rudimentärem Tschechisch an den Pianisten und Pädagogen Jan Ludevít Procházka, dass er sich ›mit Leib und Seele als Tscheche‹ fühle. Ab 1860 war es dann aufgrund der gesellschaftspolitischen Situation in Böhmen viel leichter möglich, beispielsweise tschechische Literatur zu veröffentlichen. Smetana entschied sich, ein Teil dieser Entwicklung zu werden, und kehrte aus Göteborg nach Böhmen zurück, lernte Tschechisch und schrieb auch ab diesem Zeitpunkt immer häufiger Briefe und so weiter in dieser Sprache.

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Was für ein Typ war Smetana?

Aus den Memoiren von Smetana nahestehenden Menschen oder etwa seiner Familie wissen wir, dass er ein sehr geselliger Typ war. Er liebte es, mit anderen zusammen Zeit zu verbringen, ging gerne tanzen und hatte fest im Sinn, die Musikkultur Tschechiens zu fördern. Er war nicht gerade sehr groß, etwa 160 cm, hatte sehr dunkle Haare und seine Dioptrien-Stärke lag bei 7. Er konnte also ohne Brille sehr schlecht sehen. 1874, mit 50 Jahren, verlor er die Fähigkeit, zu hören. In dieser Zeit seiner Gehörlosigkeit, als er schon auf dem Land in Jabkenice lebte, reiste er trotzdem häufig nach Prag, um Konzerte zu erleben oder Freunde zu treffen, damit er sich nicht einsam fühlte.

Gibt es einen Punkt, über den sich alle Smetana-Forscher:innen streiten?

Ich würde es nicht so formulieren, dass sich ›alle‹ streiten, aber viele Fachleute haben auch heute noch unterschiedliche Meinungen zu Smetanas Spätwerk. In seinen letzten Kompositionen gab sich Smetana ungewöhnlich streng und vor allem harmonisch sehr kühn, was seine Zeitgenossen als ›Symptom‹ seines schlechter werdenden Gesundheitszustandes interpretierten und die entsprechenden Werke als ›dekadent‹ einstuften. Obwohl man heute nicht mehr sehr häufig auf diese Sichtweise trifft und wir beispielsweise das zweite Streichquartett Smetanas längst als visionär erkannt haben, sind seine späteren Arbeiten für manche – im Vergleich zu den früheren Stücken – etwas kryptisch und vermeintlich nicht so hochwertig.

Was ist visionär an Smetanas zweitem Streichquartett?

Okay, ›visionär‹ ist es vielleicht in einem ganz strengen Sinne nicht. Aber die musikalische Sprache, die er in diesem Werk ›spricht‹, unterscheidet sich doch schon etwas von seinen vorangegangenen Kompositionen. Zum Beispiel arbeitet er viel apodiktischer und verwendet Harmonien, die stellenweise schon Spuren späterer Entwicklungen der Musik des 20.Jahrhunderts aufweisen.

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Gibt es die eine große unbeantwortete Frage zu Smetana?

Was seinen Nachlass angeht: nein. Viele fragen immer noch, ob es stimmt, dass Smetana an Syphilis litt und ob daraus seine anderen gesundheitlichen Probleme resultierten. Es gibt aber auch die Theorie, dass die Gehörlosigkeit Smetanas von einer Verletzung aus Kindheitstagen herrührte. Am Ende seines Lebens hörte Smetana Stimmen in seinem Kopf. Das muss für ihn unglaublich stressig, psychisch extrem belastend gewesen sein. Letztlich starb er dann 1884 an einer Lungenentzündung und wurde ziemlich genau 60 Jahre alt.

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Haben wir alle Noten von den Werken Smetanas vorliegen? Oder gibt es Werke, die noch als verschollen gelten?

Fast alles ist vorhanden. Ein paar Autographe seiner ganz frühen Zeit sind allerdings noch verschollen und es ist leider nicht sehr wahrscheinlich, dass man sie noch findet. Es gibt aber einige Briefe von Smetana, die immer mal wieder auf Auktionen in der ganzen Welt auftauchen. Die sind natürlich auch sehr wertvoll – und wir bemühen uns natürlich, diese zu erwerben. Die sind auch sehr wertvoll – und wir bemühen uns natürlich, diese zu erwerben.

Welches Werk von Smetana halten Sie für unterschätzt?

Da fällt mir zum Beispiel die Triumph-Symphonie E-Dur op. 6 ein, die Smetana zur Feier der Hochzeit des österreichischen Kaisers und böhmischen Königs Franz Joseph I. mit Elisabeth von Bayern komponiert hat.

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Als zentrales musikalisches ›Motto‹ der Komposition verwendete er ein Zitat aus der österreichischen Nationalhymne, das sich – mit Ausnahme des Scherzos des dritten Satzes – als Leitmotiv durch das gesamte Werk zieht und in seiner Gesamtheit im letzten Satz noch einmal zeigt. Smetana wollte dem Kaiser Tribut zollen, was sich angesichts späterer Ereignisse als schlechter Schachzug erwies, weshalb der enttäuschte Komponist das Werk verwarf und nur das Scherzo daraus aufführen ließ. Obwohl Smetana das Werk gegen Ende seines Lebens überarbeitete und erneut zur Aufführung brachte, ist es in den folgenden Jahren auf wenig Verständnis gestoßen und nur noch ausnahmsweise gespielt worden. Das ist bis heute so – und liegt sicherlich daran, dass die Erinnerungen an gewisse Monarchien nicht mehr so positiv besetzt sind und uns nicht mehr so stark emotionalisieren wie früher. Gleichzeitig handelt es sich um Smetanas erstes Orchesterwerk, das – allein schon im Hinblick auf die spätere Entwicklung seiner musikalischen Sprache – zweifellos interessant ist.

Welche Aufnahme würden Sie einem Smetana-Einsteiger empfehlen?

Ich würde bestimmt empfehlen, eine Aufnahme von Má vlast zu hören, beispielsweise die Einspielung von Rafael Kubelík mit der Tschechischen Philharmonie von 1990. Von den neueren Recordings empfehle ich die Aufnahme von Jakub Hrůša und den Bamberger Symphonikern, 2020 erschienen. Und dann die Einspielung von Smetanas Klavierwerken von Jan Novotný sowie die Streichquartett-Aufnahmen vom Pavel Haas Quartett. ¶

... ist Konzertveranstalter, Moderator, Komponist und Pianist. Er gestaltet innovative Konzertformate, arbeitet als Musik-Satiriker, schreibt Stücke für Solist:innen und Ensembles und Texte für VAN, die Wiener Philharmoniker, die New York Philharmonics und die Bamberger Symphoniker. 2019 war er als Schauspieler an der Volksbühne zu erleben.