Am 13. September wurde die 22-jährige iranisch-kurdische Mahsa Amini von der »Sittenpolizei« der Islamischen Republik Iran in Teheran festgenommen. Drei Tage später starb sie in Polizeigewahrsam. Im ganzen Land brachen Proteste aus, die von Frauen angeführt wurden und sich in erster Linie gegen das richteten, was Niloufar Nourbakhsh, die iranische Komponistin und künstlerische Leiterin der Iranian Female Composers Association, als »Gender Apartheid« bezeichnet. In einer Erklärung, in der sie den »schrecklichen Mord« an Amini verurteilt, schreibt die IFCA: »Wir sind der festen Überzeugung, dass die Künste nur in einer politisch und sozial freien Gesellschaft blühen können, und das Recht auf freie Kleiderwahl ist einer der grundlegenden Aspekte einer solchen Gesellschaft.« Ich erreiche Nourbakhsh per Videochat in ihrem Haus in Maryland.
VAN: Haben Sie mit Ihren Kolleginnen von der Iranian Female Composers Association viel über die Demonstrationen gesprochen?
Niloufar Nourbakhsh: Ja, mit ein paar von ihnen. Tatsächlich organisieren wir im Dezember ein Konzert im Iran, darum sind gerade zwei Mitglieder unseres IFCA-Teams dort. Es ist schon komisch, wenn wir über dieses Konzert und die Koordination sprechen und dann auch noch: ›Oh, hast du den Protest gesehen? Gehst du auch raus?‹ Allmählich fokussieren sich alle unsere Gespräche eher auf Letzteres und zumindest für mich ist es sehr schwierig, mich auf die Arbeit zu konzentrieren oder Musik zu machen.
Künstler:innen nehmen auf ganz unterschiedliche Weise an solchen Bewegungen teil. Für mich fühlt es sich richtig an, einfach die Stimme der Menschen im Iran zu sein, die auf die Straße gehen und ihr Leben riskieren für das, was sie fordern, nämlich Freiheit. Und einfach ihre Stimmen zu teilen – das ist, was ich tun kann.
Ihr Stück Veiled aus dem Jahr 2017 widmet sich mit einem sehr ähnlichen Thema einem damaligen Protest. Erleben Sie so etwas wie ein Déjà-vu, wenn Sie die aktuellen Proteste sehen?
Ja, aber ich glaube, was wir hier sehen, ist beispiellos: diese Einigkeit, vor allem unter den Frauen. Eine Bewegung zu sehen, bei der Frauen im Mittelpunkt stehen, ist wichtig und auch anders als bei allen bisherigen Bewegungen, denn während der Proteste von 2017, die mich zu meinem Stück inspiriert hatten, haben Männer oft zugeschaut und Videos gemacht, aber sie haben die protestierenden Frauen nicht geschützt, sodass die Polizei kommen und sie mitnehmen konnte und alle dem einfach zugeschaut haben.
Das ist jetzt der nächste Schritt: Alle verteidigen die Frauen. Der Hidschab-Zwang ist eine der Hauptsäulen der Islamischen Republik Iran, und in den letzten Jahren haben immer mehr Frauen dagegen protestiert. Wir sehen, dass die Sittenpolizei immer mehr verhaftet, wir sehen, wie lang die Strafen für diese Frauen sind, die durch das Ablegen des Schleiers protestieren. Wir sehen auch, dass die Sittenpolizei immer gewalttätiger wird. Bei vielen unserer Freiheitsbewegungen in den letzten 40 Jahren haben Frauen bei jeder Gelegenheit, bei der sich die Möglichkeit bot, Reformen zu fordern, das Recht verlangt, ihre Kleidung selbst zu wählen.
Die Reformer oder die Anführer der Bewegungen meinten dann immer etwas wie: ›Das hat jetzt nicht Priorität. Wir müssen erst andere Dinge fordern.‹ Es wurde immer beiseite geschoben, und jetzt ist ganz klar, dass Frauen eigentlich im Mittelpunkt jeder Forderung nach Freiheit im Iran stehen sollten.
Können Sie sich vorstellen, ein neues Stück zu schreiben, das sich mit der aktuellen Protestbewegung auseinandersetzt, oder sagt Veiled eigentlich schon alles, weil die Thematik so ähnlich ist?
Ich glaube, Veiled transportiert das, was ich dazu sagen will. Vielleicht schreibe ich auch noch ein weiteres Stück, aber ich habe auch schon eine Oper geschrieben, die von der Grünen Bewegung im Iran 2009 inspiriert ist, die dem, was gerade passiert, sehr ähnlich ist: We, The Innumerable, die am 21. Oktober im National Sawdust in New York aufgeführt wird.
Auch hier wird darüber reflektiert, wie Propaganda funktioniert. In der Oper geht es um eine Frau, die den Mut fasst, nicht mehr zu lügen, was die Person, die sie geliebt hat, angeht, und die Erinnerungen an sie zu wahren. Der Schutz von Erinnerungen – wir wahren gerade die Erinnerung an Mahsa Amini – kann auf viele verschiedene Arten zur Freiheit führen.
Sind Sie es irgendwann leid, Werke zu schreiben, die mit den politischen und sozialen Bewegungen in Ihrem Land zu tun haben, oder bieten die viel Stoff und Inspiration?
Nein, ich werde das nicht leid. Ich schreibe ja auch nicht nur darüber. Aber sie sind inspirierend. Es ist für mich interessant, solche Geschichten in einem Stück klanglich zu untersuchen. Ich bezeichne sie nicht als politische Stücke, aber sie sind definitiv von politischen Situationen inspiriert und davon, wie sie sich auf die Menschen auswirken, und das ist es auch, was ich zu untersuchen versuche: Wie werden die Menschen von diesen politischen Maschinerien beeinflusst?
Sehen Sie eine Analogie zwischen iranischen Frauen, die den Hidschab ablegen, und iranischen Frauen, die Kunst machen?
Auf jeden Fall. Ich denke, es ist auch wichtig zu wissen, dass iranische Frauen nicht solo singen dürfen. Auch da ist es ähnlich – iranische Frauen singen jetzt, erheben ihre Stimmen. Das ist sehr bedeutsam.
Wünschen Sie sich gerade manchmal, auch im Iran zu sein?
Ja. Ich wünschte, ich wäre im Iran, und ich wünschte, ich wäre so mutig wie die Menschen, die auf die Straße gehen. Ich wünschte, ich wäre so mutig wie die Frauen, die ihr Haupt entblößen vor zehn, zwanzig Wachen, die nur darauf warten, sie zu verprügeln. Ich weiß nicht, ob ich den Mut dazu hätte; ich bewundere sie wirklich. ¶