Eine große, helle Altbauwohnung im Südosten von Hannover. Meterweise Bücher an den Wänden, Kunst auch, mittleres 20. Jahrhundert, in fast jedem Raum Instrumente: Cembali und Clavichorde, ein Tafelklavier, ein Orgelpositiv, eine digitale Orgel… Am Couchtisch sitzt Lajos Rovatkay, vor 90 Jahren in Budapest geboren, am 15. September 1933. Er ist einer der maßgeblichen Pioniere der historisch informierten Aufführungspraxis. Nach seiner Flucht aus Ungarn 1956 kam er als Lehrer für Orgel und Cembalo an die hannoversche Musikhochschule, gründete dort später als Professor das Studio für Alte Musik. Unzählige hat er instruiert und inspiriert, auch als Leiter der von ihm gegründeten Capella Agostino Steffani. Als hellwacher Entdecker, Forscher, Interpret ist er bis heute tätig. Neben der Kapselmaschine für Espresso auf dem Couchtisch liegt die frische dritte CD mit Musik von Gregor (1693–1766), die Rovatkay zusammen mit dem jungen Ensemble la festa musicale und Sängern aufgenommen hat. Werner? Mit dem fangen wir an, ehe es, zwei Stunden lang, durch die Jahrhunderte geht, nicht nur in die Alte Musik, auch ins Ungarn der 1950er zu György Ligeti, zum Lehrer Helmut Walcha, in die Gegenwart… »und wir werden immer wieder auf Bach kommen«, sagt er gleich.

VAN: Du beschäftigst dich schon seit langem mit Gregor Joseph Werner, der unbekannten ›Riesengestalt an der Schwelle zur Wiener Klassik‹, wie du ihn nennst. Was hat dich zu ihm geführt?

Lajos Rovatkay: Einmal die venezianische Schiene – er war Österreicher, aber venezianisch geschult durch Antonio Caldara, den großen Vizekapellmeister in Wien am Kaiserhof. Es ist ein echter roter Faden bei mir, das Venezianische. Nichts war für das Komponieren im deutschen Sprachgebiet so wichtig wie dieser Einfluss, jahrhundertelang. Schon bei Bach ist das unglaublich, sein ganzes Leben hat er sich auseinandergesetzt mit venezianischem Formbau, mit der Ritornellstruktur. Und mir fiel bei Werner die Qualität seiner Musik auf. Mich hat gefesselt, dass er ein sehr starker Kontrapunktist war, der nicht einfach nur gute Fugen schrieb. Alles, was er formulierte, war gleich kontrapunktisch verwendbar. Dann hat mich die Harmonik gefesselt. Die dunkel schimmernde chromatische Harmonik, die man beim späten Mozart hört, weniger bei Haydn, ist bei Werner vorgeprägt.

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Und diese Harmonik geht auf Caldara zurück?

Der übermäßige Sextklang, ein Herzstück der Wiener Harmonik bei Mozart, ist bei Caldara schon venezianisches Erbgut. In den Messen verwendet er das, aber es kommt schon bei Legrenzi im 17. Jahrhundert vor, dort allerdings immer für erotische Texte. Die übermäßige Sexte hat auch etwas Geiles, etwas Überspanntes, das verwandelte sich und wurde in der Kirchenmusik transzendental. Bach hat diesen Klang scheinbar gehasst, ganz lang. Ausnahmsweise findet man den im Wohltemperierten Klavier 1. Nachdem er Caldara rezipiert und katholische Kirchenmusik reflektiert hat, wendet er ihn plötzlich in der h-Moll-Messe an, fünf Mal an transzendentalen Stellen.  

Was ist das für ein Klang?

Rovatkay steht auf und geht zu einem Wiener Tafelklavier von 1840, auf dem Weg zieht er noch eine Taschenpartitur aus dem Regal. Dann spielt er im Stehen aus dem Crucifixus der h-Moll-Messe Takt 15, ›crucifixus etiam pro nobis‹, der auf der dritten halben Note den Akkord C, Fis, Ais, E erreicht, aufgelöst nach e-Moll. Die übermäßige Sexte ist die zwischen C und Ais

Ein Leckerbissen! Das Crucifixus ist ja die Übernahme der frühen Kantate Weinen, Klagen…, aber da gibt´s bei aller Chromatik keine einzige übermäßige Sexte. Nur diesen Ton [das Ais] hat er geändert. Es ist so signifikant wie ein Stempel – eine neue Sache ab jetzt. Denselben Klang hat sein Zeitgenosse Werner ausgeschlachtet und potenziert.

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Werner war nach allem, was man auf den CDs hören kann, keiner, der einfach seine Zeit gehabt hat und zu Recht vergessen wurde. Warum wurde er vergessen?

Rovatkay steigt ein in die Geschichte des Fürstenhauses Esterházy. In dessen Schloss in Eisenstadt war Werner als Kapellmeister bis 1761 der Amtsvorgänger von Joseph Haydn. Die Manuskripte beider Komponisten blieben dort bis 1930, seit 1952 befinden sie sich in der Budapester Nationalbibliothek. Vieles von Haydn war da bereits gedruckt, von Werner fast nichts, zudem umfassten dessen 350 Manuskripte nur Einzelstimmen, aus denen die Partituren erst zusammengefügt, spartiert werden mussten. Damit begann Lajos Rovatkay ab 1980. 

›Ein Haydn-Vorgänger kann nur ein Kleinmeister sein‹, so lautete lange das Vorurteil. Und dass er ein gewiefter Kontrapunktiker war, hat ihm auch nicht zum Vorteil gereicht. Das galt als konservativ. Inzwischen gibt es aber in Budapest das Haydneum, Institut für Alte Musik in Ungarn, und für diese Leute wird jetzt auch Haydns Umfeld interessant. Sie haben alle Manuskripte digitalisiert und eine Forschergruppe in Gang gebracht, um den gesamten Werner zu spartieren. Der gehört jetzt zur ungarischen Identität.

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Du wurdest selbst in Budapest geboren, vor bald 90 Jahren. Ich las, dass dein Vater Maler war. Wie bist du zur Musik gekommen?

Er war Kunstmaler, Professor an der Werkkunstschule. Kein moderner Maler – naturalistisch, dekorativ. Er war sehr musisch, hat Flöte gespielt und virtuos Mundharmonika. Mit sechs Jahren bekam ich Klavierunterricht. Ich habe ganz schön Klavier gespielt, da war aber in der Kirche zunächst Bedarf an einem Organisten für die Messe. Später verband sich mit der Orgel starkes Interesse an Bach und am Buch über ihn von Albert Schweitzer, mit dem ich mir meinen deutschen Wortschatz angeeignet habe. Auch wenn es veraltet ist, es bleibt gültig als Anstoß, zur Beziehung zwischen Wort und Ton, zur Artikulation. Am Konservatorium hatte ich einen fantastischen Orgellehrer, János Hammerschlag, bei dem fanden sich schon viele Elemente der sogenannten historischen Praxis. Er war fast eine Nervensäge. Ganz detaillierte Artikulation und Agogik, zum Verrücktwerden! Ich habe damals Hefte zusammengeschrieben, ein System von Artikulationsbögen bei Bach, die in der Musik für Orgel und Cembalo nicht zu sehen sind, aber in den Kantaten, wo es Text gibt und reichhaltige Angaben für Streicher und Bläser. Diese Hefte hatte ich im Rucksack, als ich 1956 geflüchtet bin und nur wenige Sachen mitnahm.

Ehe es zu dieser Revolution und ihrer Niederschlagung kam, hast du György Ligeti kennenlernt, zehn Jahre vor dir geboren.

Ich bin zur Akademie gegangen und habe da auch Musikwissenschaft belegt. Es gab einen Theorielehrer, Lajos Bárdos, der hellste Kopf für historischen Tonsatz, also dafür, wie der Tonsatz sich entwickelt hat. Zu dem ist Ligeti auch hingegangen, als Kollege. Er hatte einen Lehrauftrag für klassische Harmonielehre und Palestrina-Kontrapunkt, als Komponist veröffentlichen konnte er nur, was im leichten folkloristischen Stil war. Ligeti hatte eine große schöne Wohnung mit seiner Frau, wo er regelmäßig oratorische Werke nur mit Klavier und ein paar Singstimmen aufführte. Ich war der Pianist, der das begleitet hat. Einmal haben wir die ganze Matthäuspassion gemacht, einmal Orffs Carmina Burana. Ich weiß nicht, ob es verboten war. Das ist der deutsche Kodály, hat er gesagt, werde ich nie vergessen. Und Hindemiths Amerikanisches Requiem, 1946, mit Texten von Walt Whitman. Das spiegelt auch Ligetis Bandbreite und Überblick. Einmal kam Bárdos und sagte zu uns: ›Ligeti hat mich heute angerufen. Der hat nachts im Kölner Rundfunk aus dem elektronischen Studio einen elektronisch verlängerten Paukenschlag gehört und – er kommt nicht mehr drüber weg!‹ [Er lacht.] Ich habe auch nicht vergessen, wie Ligeti über die alten Niederländer sprechen konnte, Josquin und Obrecht. Er wusste genau Bescheid in der frankoflämischen Polyphonie des 15. Jahrhunderts. Er hat seine Mikropolyphonie im Wesentlichen aus dieser Zeit abgeleitet, darüber haben wir uns vor allem nach seiner Flucht ausgetauscht. 

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Was war es für eine Situation vor der Revolution?

Ich kann nur sagen: Wenn ein Massenmörder und Verbrecher wie Stalin offiziell vergöttert wird, jahrelang, dann gibt es eine Vergiftung in der geistigen Atmosphäre, die schlimmer ist als Umweltverschmutzung. Die Musik wurde dabei reglementiert im Sinn des Sozialistischen Realismus, in fürchterlicher Weise. Schdanow hat das erfunden, der Nachfolger Stalins werden sollte … der Schdanowismus wurde in Ungarn eins zu eins kopiert. 

Rovatkay öffnet eine Mappe mit Fotos und zieht ein Foto von Ligeti heraus, der, etwa 70-jährig, auf einen maschinegetippten Brief blickt. 

György Ligeti als etwa 70jähriger mit der Bartók-Verbotsliste von 1950 • Foto vom Foto: Nils Ole Peters

Er zeigt hier, da war er längst in Deutschland, die Liste des Ungarischen Rundfunks von 1950, auf der es um Béla Bartók geht. Stalin lebte da noch. Ich übersetze: ›Der ungarische Rundfunk spielt folgende Werke von Bartók nicht, die am ehesten bourgeoisen Einfluss zeigen. A, Bühnenwerke: Der wunderbare Mandarin. B, Konzertwerke: 1. Klavierkonzert, Konzert für 2 Klaviere, Schlagzeug und Orchester, 2. Klavierkonzert. C, Kammermusik: Drittes, viertes, fünftes Streichquartett…‹ Guck mal, wie Ligeti das anschaut. Er war der einzige der zeitgenössischen Komponisten, der den Stalinismus genauso verworfen hat wie den Hitlerismus. Aber es gab Nischen. Bevor ich abgehauen bin, habe ich an der Akademie sogar noch ein Collegium Musicum gegründet, und ein Konzert fand statt. Nur deutsche Musik, 17. Jahrhundert, Schütz, Buxtehude, Tunder. Ganz toll, viele Leute kamen. 

Man muss doch unheimlich mutig sein, die vertraute Stadt zu verlassen mit ungewissem Ziel.

Das ging ganz schnell. Abschied von meinen Eltern, Taschengeld von denen noch schnell, in die Eisenbahn. Der Druck ist so groß gewesen, dass ich über Nacht abgehauen bin. Wir sind 1956 auf die Straße gegangen und die sowjetischen Panzer waren nicht nur bereit, die haben reingeschossen. Wir sind für die Sowjets alle nur Faschisten gewesen. Das darf man nicht vergessen, die Begriffe Faschismus und Nazismus wurden missbraucht in verlogenster Weise, denn nicht die Faschisten oder Nazis waren damit eigentlich gemeint, sondern nur die, die dem Sowjetkommunismus nicht dienen wollten. Die Verlogenheit, die Repressalien – du konntest dir nicht vorstellen, dass du da noch atmen kannst. Das ist nicht bekannt genug, dass die Pervertierung des Faschismusbegriffs von Stalin hochgradig betrieben wurde. Heute sieht man, dass nichts davon ausgestanden ist, weil es viel zu wenig bearbeitet wurde.

Wohin bist du geflüchtet?

Nach Wien, wie Zehntausende. Die Wiener Uni war wunderbar, die haben gar keinen Betrieb mehr gehabt und haben nur den ungarischen Flüchtlingen geholfen… ich war nur relativ kurz dort und kurz in Venedig, endlich mal Venedig! Es gab die Möglichkeit, dorthin zu fahren, zwei große Fiatbusse. Ich habe den Markusdom nachts beleuchtet gesehen, und ich dachte: ich – halts – nicht – aus! Da war sogar ein ungarisches Hotel in der Ecke unter den Arkaden! Ich kam zurück nach Wien und habe ein Stipendium gekriegt für Frankfurt, um bei Helmut Walcha zu studieren. Der blinde Organist. Mein Weggehen aus Budapest war dadurch erleichtert, dass ich sowieso bei ihm studieren wollte, man konnte ja seine Rundfunkaufnahmen und Schallplatten immer hören. 

Was hat dich an ihm interessiert?

Er war Avantgardist mit seiner Artikulation. Er kam aus Leipzig aus der Schule von Günther Ramin, fühlte sich aber eher Karl Straube verbunden, der war Schulmeister und Spätromantiker in einem. Walcha war durch seine Blindheit gezwungen, alles ganz anders, viel präziser zu machen, und kam zu einer musikalisch sehr brauchbaren, aber dann schnell veraltenden Spielweise. Mir kam sie damals ganz natürlich vor. Aber er hat mir eigentlich weniger beigebracht, als ich hoffte. [Denkt schweigend nach.] Er hatte ja diese polyphone Durchdringung im Spiel. Er verlangte, dass man jede Stimme singen konnte, ob mit oder ohne das Stück dazu zu spielen. ›Jetzt singen sie mal den Alt.‹ Nur die Linearität und die große gedankliche Intensität der Polyphonie hat er herausgestellt. Aber das Emotionelle, und wie sich die Harmonik Hand in Hand mit der Polyphonie entwickelt, das war nicht in seinem Blickfeld. Er war eine Art Asket, der durch seine Blindheit in dieser Richtung arbeiten musste und das, finde ich, ist ein Problem, damals fand ich das nicht.

Aber du hattest ja schon ein ganzes System zur Artikulation erarbeitet. 

Der Abstand zwischen meinen Erkenntnissen und dem, was dann die historisch informierte Aufführungspraxis machte, war gleich Null. Aber so, wie ich das im Spiel angewendet habe, war es passend für Walcha. [lacht] Er hat mein Spiel sehr gern gehabt und machte mich zu seinem Assistenten. Später war er sehr verletzt, als sein Spiel als veraltet galt, weil er, plump gesagt, immer noch zu viel bindet. Die Artikulationserkenntnisse für die historisch informierte Interpretation veralten dagegen nicht. Da gibt´s natürlich fürchterliche Klischees bei Musikern, Affigkeiten, Kurzatmigkeiten, aber im Kern bleibt das richtig. Walcha ist dagegen eine Enklave. Er war ein großer Mann, eine wichtige Station. Und er hat mich sehr empfohlen für die Stelle in Hannover.

Dort hast du vor jetzt mehr als 60 Jahren als Lehrer für Orgel und Cembalo angefangen, später als Professor das Studio für Alte Musik gegründet. Wie nimmst du die Entwicklung der historisch informierten Aufführungspraxis seitdem wahr? Mir kommt es manchmal vor, als hätte man es sich bequem gemacht auf den Schultern der Pioniere.

Es ist fast ein Naturgesetz, dass nach großen Aufbrüchen eine Verflachung reinkommt. Einfach nachmachen, das gab´s immer. Es ist verheerend, wenn die Musiker nicht mehr historisch informiert sind, sondern nur darüber, wie es die anderen machen. Und es gibt verlängerte Kinderkrankheiten wie die Kurzatmigkeit, das Fehlen melodischen Gefühls. Natürlich kann man das erklären als Reaktion auf die Legatosoße vorher… Auch auf höchster Ebene erlebe ich es immer wieder, dass die emotionelle Basis für das Erfassen von Melodie und Harmonik fehlt. Struktur muss aus dem Ausdruck kommen. 

Die Musiker von la festa musicale und die Sänger, mit denen du Werner aufgenommen hast, sind schon fast deine Enkelgeneration. Gibt es keine Differenzen?

Es sind sehr gute Spieler, und mich hat gereizt, dass die eine sehr musikantische Gruppendynamik haben, ein Kollektivgefühl. Es infiziert sie, wenn ich direkt zum musikalischen Affekt komme. Es muss auch assoziativ sein und sich verbinden mit dem, was wir in uns haben im täglichen Gefühlsleben. Der Glaube, dass man etwas ›historisch getreu‹ macht, war mal ein wichtiges Vehikel, aber das ist eine dumme Sache, weil wir ja zeitlich ganz weit weg sind.  

Eine deiner großen Entdeckungen war Agostino Steffani, für acht Jahre Hofkapellmeister in Hannover. Seine Oper Enrico Leone von 1689 wurde 1989 unter deiner musikalischen Leitung und in der Regie von Herbert Wernicke ein großer Erfolg. Wie bist zu dem Projekt gekommen?

Mich hat die Gattung Oper eigentlich nicht so interessiert, aber bei Steffani habe ich bewundert, wie er den venezianischen Stil mit dem französischen vereint. Diese unglaublichen Rezitative, die je nach Text freie ariose Exkursionen machen! Es spielte auch eine Rolle, dass Steffani im Gegensatz zu den Venezianern reichlich Holzbläser angewendet hat. Meine liebe Frau [Siri Rovatkay-Sohns], die vor sechs Jahren gestorben ist, spielte so fantastisch Blockflöte, sie hat Enrico Leone vergoldet mit ihrem Spiel. Dazu kommt noch, dass ich den Händel nie so richtig ausstehen konnte. Ich fand es ungerecht, dass er in Hannover, wo er nur kurz Station machte, als Aushängeschild galt. Da dachte ich: ›Wahnsinn, da gibt´s doch einen ganz anderen…‹

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Seitdem sind unzählige Barockopern neu entdeckt worden.

Das führt zur eigentlichen Tragweite der historisch informierten Interpretation. Es geht nicht nur darum, dass Spielweisen reformiert wurden, sondern dass überhaupt Musik darstellbar wurde. Du konntest ja vorher keinen Josquin hören, kein Frühbarock, das Vibrato der Sänger funktionierte für so etwas nicht. Das ganze 16. und 17. Jahrhundert – du konntest nichts davon hören, nichts. Jetzt wird unsere ganze musikalische Identität und Grundlage hörbar gemacht, es gibt so tolle Ensembles, es wird immer reicher. Dieses Erschließen durch die historisch informierte Praxis ist für die Musik die größte Erneuerung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – dagegen sind die Experimente der zeitgenössischen Komponisten Eintagsfliegen! 

Gibt es nicht auch Berührungspunkte zwischen beiden? 

Aber ja, Ligeti! Er war der einzige moderne Komponist, der die mitteltönige Stimmung aus dem 16. Jahrhundert anwendete, in der Passacaglia Ongarese für Cembalo. 


Am 16. September spielt Lajos Rovatkay in der Marktkirche Hannover Orgelwerke von J.S.Bach.

…lebt als Buchautor, Journalist und Musiker in Norddeutschland. Er studierte Viola in Hannover, war Feuilletonredakteur in Hannover und Leipzig und ist seit 1996 selbstständig als Autor u.a. für ZEIT und Deutschlandfunk. Im Rowohlt Verlag erschienen von ihm »Bachs Welt« (2016) und »Der Klang von Paris« (2019). Sein neues Buch »Flammen. Eine europäische Musikerzählung 1900–1918« erscheint im April 2022.