»Anerkennung, Theaterkindergärten, keine Samstagsproben, bessere Gagen, angemessene Arbeitzeiten, Teilzeitmöglichkeiten, Endproblematisierung von Schwangerschaften und Kindern«
So formuliert eine Teilnehmerin der Pilotstudie zu »Belastungen, Bedürfnissen und Herausforderungen von Bühnenmüttern« ihre Zukunftsträume für ihr Berufsleben – und zeigt damit gleichzeitig, welche Facetten ihres Berufes aktuell für sie die größten Hürden darstellen. Die am 15. September veröffentlichte Studie hat zum Ziel, Informationen zur Lebenssituation von Bühnenkünstlerinnen, die Kinder haben, schwanger sind oder in naher Zukunft Mutter werden möchten, zu sammeln und zugänglich zu machen. Teilgenommen haben 121 Künstlerinnen aus den Sparten Oper, Schauspiel, Musical und Ballett, auch aus den Bereichen Regie, Dramaturgie und Bühnenbild. Fast die Hälfte der Befragten (45 Prozent) gab an, im Berufsleben bereits diskriminierendes Verhalten aufgrund der Mutterschaft erfahren zu haben: abfällige Bemerkungen, mangelnde Kooperationsbereitschaft oder Druck seitens der Arbeitgeber:innen. Jede Vierte hat gar eine Vertragsauflösung oder den Ausschluss von einer Produktion erlebt. 40 Prozent der Teilnehmerinnen bestätigten, aufgrund der schwierigen Vereinbarkeit von Beruf und Familie in Erwägung zu ziehen, nicht mehr als Bühnenkünstlerin zu arbeiten, 9 Prozent der befragten Frauen sind diesen Schritt bereits gegangen, 4 Prozent bereiten eine berufliche Umorientierung vor. Fast die Hälfte der Teilnehmerinnen will trotz der komplizierten Alltagsgestaltung am Beruf festhalten.
Auch in anderen Branchen stellt das Doppelleben als Mutter und Berufstätige Frauen vor Herausforderungen. Die meist mit dem »Normalvertrag Bühne« geregelte Anstellungen von Künstlerinnen am Theater birgt jedoch besondere Tücken: Es wird ein hohes Maß an zeitlicher Flexibilität und die regelmäßige Arbeit an Abenden sowie Wochenende und Feiertagen gefordert, Verträge gelten für gewöhnlich nur für eine Spielzeit und können aus rein subjektiven Gründen nicht verlängert werden, die Bezahlung ist relativ schlecht (verglichen zum Beispiel mit Orchestermusiker:innen). Derartige Klauseln sollen den künstlerischen Leitungen große Gestaltungsspielräume und damit eigene kreative Handschriften ermöglichen, sind jedoch mit dem Familienleben häufig schlecht vereinbar.
»Wir haben diese Studie ins Leben gerufen, um unsere Vermutungen, die auf Gesprächen mit unseren nahen Kolleginnen basieren und auf dem, was wir privat erfahren haben, zu belegen und zu untermauern«, erklärt Verena Usemann, Mezzosopranistin und dreifache Mutter. Zusammen mit Annika Sophie Mendrala, Sopranistin und zweifache Mutter, nutzte sie die Zeit des heruntergefahrenen Kulturlebens während der Pandemie, um eine Initiative (mittlerweile ein eingetragener Verein) zu gründen, die sowohl »Bühnenmütter« vernetzt und bestärkt, als auch für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Bühnenkünstlerinnen mit Kind(ern) einsteht.

Die jetzt veröffentlichte Studie liefert dabei ein umfassendes Bild der Herausforderungen, mit denen diese sich konfrontiert sehen. Die zugrundeliegende Befragung der Künstlerinnen fand im Jahr 2021 statt, bezog sich inhaltlich jedoch explizit nicht auf die Corona-Zeit. Ein Drittel der Studienteilnehmerinnen arbeitet fest an einem Theater, rund 55 Prozent sind freiberuflich tätig, etwa fünf Prozent befinden sich in Elternzeit oder im Mutterschutz.
»Es ist wie ein Allgemeinplatz, dass dieser Beruf nicht zu einem Familienleben passt«, so Verena Usemann. »Das wird einem im Studium schon so gesagt. Man denkt dann irgendwann selbst, dass man es dann halt akzeptieren muss, wenn es sich unschaffbar anfühlt.« »Viele suchen das Problem bei sich, denken, sie sind nicht organisiert genug, haben nicht genug Kraft. Wir wollen den Frauen zeigen: Du bist nicht alleine, es geht ganz vielen so«, berichtet Annika Sophie Mendrala. Das Problem seien die Strukturen und Haltungen an den Häusern, nicht die einzelnen Künstlerinnen mit Kindern. »Im zweiten Schritt geht es deswegen darum, mit den Theaterleitungen und der Politik ins Gespräch zu kommen.«
»Nachmittagsprobe ist ein Horror. Wer holt ab? Wer kann das Kind mitnehmen? Wer bringt das Kind ins Bett?«
Zitat einer Künstlerin aus der Pilotstudie
Als ein großes Problem scheint in Statements von Künstlerinnen im Rahmen der Studie immer wieder die Arbeit am Nachmittag, Abend oder Wochenende auf – zu Zeiten also, in denen klassische Einrichtungen wie Kita oder Hort nicht mehr zugänglich sind und selbstorganisierte Betreuungsangebote durch Tagesmütter oder Nannys besonders kostspielig. Annika Sophie Mendrala berichtet von Schauspielerinnen mit festen Ensemblestellen, die Kredite aufnehmen müssen, um die Kinderbetreuung am Abend und am Wochenende finanzieren zu können.
In den der Studie angehängten Forderungen der »Bühnenmütter« heißt es darum, die Kinderbetreuung vor Ort an den Theatern sollte, wie Betriebskindergärten, der Regelfall werden. Auch eigene Theaternannys könnten eine Lösung sein, da sie niedrigschwelliger ins Haus zu integrieren sind, genau wie institutionelle Kooperationen mit örtlichen Kitas. Ein anderer Lösungsansatz wäre die Erstattung oder Beteiligung von entstehende Babysitterkosten, die durch die besonderen Arbeitszeiten und -bedingungen entstehen. Außerdem erschwere die Organisation der Kinderbetreuung erheblich, dass Probenpläne für gewöhnlich erst am Vortag erstellt werden, so ein Ergebnis der Studie. Hier sollte mindestens wochenweise im Vorhinein geplant werden.
Auch wenn in der sogenannten »freien Szene« das Verständnis der Kolleg:innen und in der Projektleitung laut Studienteilnehmerinnen für die Anliegen der Mütter oft größer sei, ist die Finanzierung der Kinderbetreuung zum Teil auch hier ein Problem – gerade weil frei arbeitende Künstlerinnen oft nicht am Heimatort tätig sind und dann regelmäßig die Kosten für Reise und Unterbringung der Kinder übernehmen oder eine entsprechende tagelange Betreuung organisieren müssen. »Für Menschen, die in der freien Szene arbeiten, gibt es zum Beispiel nicht die Möglichkeit, in Projektanträgen für Fördermittel Kinderbetreuung als Kostenpunkt anzugeben«, so Annika Sophie Mendrala. »Teresa Monfared aus unserem Verein spricht dazu gerade mit Mitgliedern des Bundestages, da sind wir dran.« Erschwert wird eine solche Lobbyarbeit allerdings dadurch, dass die Länder für die Kulturförderung zuständig sind. Es gibt also nicht den einen Ansprechpartner, sondern eine Vielzahl von verantwortlichen Akteuren.
»Teilzeit in dem Beruf wäre wirklich toll.«
Zitat einer Künstlerin aus der Pilotstudie
Zudem müsse laut der Studie über Möglichkeiten der Teilzeit im Festengagement, wie es auf Chorstellen bereits gang und gäbe ist, nachgedacht werden. Viele Sängerinnen mit Kind gingen gezielt für diese Möglichkeit in den Chor, berichtet Annika Sophie Mendrala. Schauspielerinnen, Tänzerinnen oder Sängerinnen, die weiter als Solistin arbeiten wollen, bietet sich keine solche Option. »Ich habe meinen Festvertrag aufgelöst nach der Geburt meines dritten Kindes, weil ich eine volle Stelle nicht mehr bedienen konnte«, erklärt Verena Usemann. »Da gab es dann nur ganz oder gar nicht.«
»Wir müssen uns nicht verstecken.«
Zitat einer Künstlerin aus der Pilotstudie
Insbesondere bei Solokünstlerinnen stehe eine Scham dem Eintreten für familienfreundlichere Arbeitsbedingungen im Weg. »Es war eine unserer ersten Beobachtungen, dass das Thema eine Tabuisierung erfährt«, so Verena Usemann. »Frauen, die Probleme damit haben, diesen Beruf und ihre Familien miteinander zu vereinbaren, sprechen nicht gerne darüber, umso weniger, je prominenter sie sind. Die Frauen schämen sich, dass sie das Konzept dieses Berufs, das Bild einer Künstlerin, die sich total hingibt, für den Beruf brennt und immer flexibel und einsetzbar ist, nicht mehr erfüllen. Was ja total logisch ist, weil man seine Kräfte aufteilt, aufteilen muss wenn man Kinder hat. Aber es löst mitunter Schamgefühle aus. Und das führt dazu, dass man sich nicht äußern mag.« Dazu komme noch die Angst, durch eine Kollegin ohne Kinder, die folglich zeitlich flexibler ist und auch keinen Babysitter bezahlen muss, ersetzt zu werden. »Solange es eine Angst gibt, diese Probleme öffentlich zu machen, wird sich nichts tun.«
»Es geht: Familie und Theater!«
Zitat einer Künstlerin aus der Pilotstudie
Viele der befragten »Bühnenmütter« (43 Prozent) haben allerdings auch positive Erfahrungen gemacht. Explizit gelobt wurden dabei konkret das Theaterhaus Jena, das standardmäßig keine Abend- und Wochenendproben ansetze, das Theater Magdeburg wegen der Rücksicht bei erkrankten Kindern, die Staatsoper Hamburg, die eine Produktion wegen einer Schwangerschaft um ein Jahr verschob, sowie die Schauspieldirektion des Theaters Bonn und das Staatstheater Nürnberg, welche Kinderbetreuungskosten übernehmen. Damit solche Häuser ihre Bemühungen besser kommunizieren und sogar auf diesem Feld konkurrieren können, will der Verein der Bühnenmütter auf die Einführung eines Familienfreundlichkeitssiegels für Theater hinwirken.
Außerdem haben viele »Bühnenmütter« laut der Studie nicht das Gefühl, dass ihr Doppelleben sich negativ auf ihre Kreativität und ihr Kunstschaffen auswirkt. »Die Frauen sagen durchweg, dass sie als Mütter eigentlich interessantere Künstlerinnen geworden sind: mit mehr Geduld, Stringenz, besser organisiert«, berichtet Annika Sophie Mendrala. »Aber das wird von außen oft anders bewertet. Jedes einzelne Theater, das sich diesem Thema widmet, ist ein Gewinn. Denn Künstlerinnen, die vielleicht quantitativ nicht so viel arbeiten können, weil sie auch eine Familie haben, sind qualitativ natürlich keine schlechteren Künstlerinnen, ganz im Gegenteil. Mutterschaft lässt einen völlig neue Perspektiven gewinnen und stellt vieles in Frage. Ein Nährboden für spannende Kunst.« ¶