Sie war Akkordeonistin, Synthesizer-Ingenieurin, kämpferische Feministin – und zugleich eine der ersten Komponistinnen, die künstlerisch mit Tonbändern und deren gestalterischen Möglichkeiten experimentierten. Geboren wurde sie am 30. Mai 1932 in Houston (Texas): Pauline Oliveros. Ihr Vater habe sich – wie man erfährt – vor allem durch dauerhafte Abwesenheit ausgezeichnet. Dafür waren Mutter und Großmutter präsent. Beide arbeiteten als Klavierlehrerinnen. Und natürlich konnte daran auch Tochter (beziehungsweise Enkelin) Pauline musikalisch partizipieren.
Oliveros studierte – nach den besagten, frühen Klaviererfahrungen – von 1949 bis 1952 in ihrer Geburtsstadt Houston und setzte ihre Studien von 1954 bis 1956 in San Francisco fort. 1953, Oliveros war 21 Jahre alt, kam es zu einem Schlüsselerlebnis für die junge Künstlerin, als sie mit ihrem ersten eigenen Tonbandgerät experimentierte und, wie man liest, geradezu geschockt davon war, dass nicht nur die intendierten Geräusche und Klänge auf dem Tonband zu hören waren, sondern auch der Straßenlärm, der vom offenen Fenster heraus nach innen drang. Aus dieser auditiven Achtsamkeitserfahrung heraus entwickelte Oliveros später das Konzept des »Deep Listening«, mit dem sie Hören von Zuhören unterschied; ihre Idee (die später tatsächlich auch in meditative Techniken und entsprechende Musiken umgesetzt wurde) fasste sie wie folgt zusammen: »Hören ist das physische Mittel, das die Wahrnehmung ermöglicht. Zuhören bedeutet, dem Wahrgenommenen Aufmerksamkeit zu schenken, sowohl akustisch als auch psychologisch.«
1988 entstand mit der »Deep Listening Band« das Album Deep Listening: ein Meilenstein der räumlichen Klangkunst. Neben all diesen Entwicklungen, die kompositorisch von der Schaffung »normaler« Kammermusikwerke, aber auch von Stücken mit Einbeziehung »externer« technischer Gerätschaften begleitet wurden, trat Oliveros weiterhin auch als (improvisierende) Akkordeonistin auf. In ihren vielfältigen Projekten arbeitete sie mit diversen Künstlerinnen und Künstlern zusammen. 2017 wurden ihre Werke posthum auf der »documenta 14« präsentiert. Schon seit den 1960er Jahren hatte Oliveros zahlreiche bedeutende Kompositions- und Klangkunstpreise erhalten.
Die offen lesbisch lebende Pauline Oliveros starb am 25. November 2016 mit 84 Jahren in New York City.
Zusammen mit den beiden weltweit bekannten Komponisten Terry Riley (*1935) und Steve Reich (*1936) hatte Oliveros schon 1961 das »San Francisco Tape Music Center« gegründet: Tobias Stosiek kommentiert die prominente Provenienz, innerhalb derer sich Oliveros zeitlebens bewegte: »Dass die Namen der zwei Kollegen [Riley und Reich] heute bekannter sind als ihrer, mag auch mit dem Sexismus innerhalb der Musikszene zu tun haben. Oliveros hat ihn jedenfalls selbst erlebt – und öffentlich angeprangert. Am prominentesten 1970 in der New York Times, in einem Artikel mit dem Titel And Don’t Call Them ›Lady‹ Composers.«
Pauline Oliveros (1932–2016)
Bye Bye Butterfly für zwei Hewlett-Packard-Oszillatoren, zwei Leitungsverstärker in Kaskade geschaltet, einem Plattenspieler mit Aufnahmefunktion und zwei Kassettenrekordern in Echo-Schaltung (1965)
1965 komponierte Pauline Oliveros das Stück Bye Bye Butterfly, in dem sie eine ganze Reihe von technischen Geräten herrlich zusammenschaltet und miteinander korrespondieren lässt. Das Ganze beginnt mit einem hohen Pfeifen und einem Akzent, der vielleicht an die kindlichen Ungeschicktheiten bei Inbetriebnahme von elterlichen Schallplattenspielern gemahnt. Das Pfeifen wird lauter, glissandiert nach einer Minute nach oben – und zieht damit (scheinbar) den Klang-Vorhang hoch. Doch das Pfeifen brütet sich gleich wieder ein; erst nach fast einer weiteren Minute hören wir mehr »Action«. Der Ton schwankt mal ganz kurz, dann blubbert er räumlich hin und her; ein tiefes Sickern kommt dazu. Das ursprüngliche Pfeifen hat sich aufgesplittet, ist sozusagen polyphon geworden. Nach etwa dreieinhalb Minuten kehrt das Klopfen des Beginns zurück. Kurz darauf spielt Oliveros mit dem Moment einer absoluten Pathos-Chor-Überraschung. Im Klanghintergrund scheinen inbrünstige Gesangsausschnitte auf. Darüber legt sich ironisch das brütende Tönen der schon bekannten Klänge. An dieser Stelle wird auch die Sinnhaftigkeit des pseudo-nostalgischen Titels deutlich: Bye Bye Butterfly. Wird hier vielleicht Puccinis Madama Butterfly (mitsamt der sexistisch-kolonialistischen Aspekte des Werkes) kritisch auf den Plan gerufen? Oder geht es – viel abstrakter – um einen verstellten Blick in die Vergangenheit; um eine Reise in traumartige Phantasiewelten? ¶