Sofia Gubaidulina, geboren am 24. Oktober 1931 in Tschistopol (Tatarische Autonome Sowjetrepublik), gehört sicher zu den bekanntesten lebenden Komponistinnen unserer Zeit. Prominenteste Musikerinnen und Musiker bestellten bei Gubaidulina neue Werke, darunter Gidon Kremer, der Gubaidulinas Violinkonzert Offertorium 1981 aus der Taufe hob.

ANZEIGE

Schon mit acht Jahren hatte Gubaidulina begonnen, eigene Stücke aufzuschreiben. Seit 1963 ist sie – nach Heirat, Geburt einer Tochter und Scheidung – freischaffend tätig. Zunächst komponierte Gubaidulina vor allem diverse Werke für alle möglichen Filme. Ab 1975 widmete sie sich außerdem mit ihrem Ensemble »Komponistenlabor« der Improvisation und trat unter anderem in Jazzclubs auf. Mit ihrer offen gelebten Religiosität eckte sie im kommunistischen Russland immer wieder an. In vielen Werken, eben auch im erwähnten Offertorium, kommt ihr Glaube in verschiedenen Facetten zum Ausdruck.

Gubaidulina ist keine Komponistin, die durch Heraufbeschwörung von »Materialständen« (beispielsweise durch das kataloghafte Abarbeiten im Verwenden experimenteller Spieltechniken) unbedingt eine Avantgardistin sein will, sondern die Musik schreibt, die vielleicht gerade wegen der dort aufzufindenden Plastizität, aufgrund der klanghaften »Anfassbarkeit« ihrer Musik bei den Interpretinnen und Interpreten bis heute so beliebt ist. Ein klares Bekenntnis auch hier also; ein Bekenntnis zu einer gewissen musikantischen Tradition, das der Musik inzwischen 91-jährigen (seit 1992 in Deutschland lebenden) Künstlerin abzulauschen ist.


Sofia Gubaidulina (* 1931)
Sonate für Kontrabass und Klavier (1975)

YouTube Video

»Bedingt« durch Gubaidulinas Religiosität hat die Komponistin bis heute keine (weltliche) Oper geschrieben, dafür aber großbesetzte Werke mit Gesang (und religiösem Inhalt), so ihre Johannes-Passion (2000). Hinzu kommen zahlreiche Solowerke (darunter viele Kompositionen mit Beteiligung des Bajan, der osteuropäischen Akkordeonvariante), Solo-Konzerte sowie Kammermusik, unter anderem ihre Sonate für Kontrabass und Klavier aus dem Jahr 1975.

Der Kontrabass startet in seinem ganz natürlichen Habitat, also nicht – wie in so vielen Werken von ungeduldigen Komponistinnen und Komponisten – in für dieses tiefe Instrument extremen (und extrem anstrengend zu greifenden!) Höhen. Töne dehnen sich aus, werden miteinander verbunden, bilden (mal zwei-, mal dreifache) Tonzusammenhänge – und erscheinen doch durch »Atempausen« in der Notation auch immer wieder voneinander abgetrennt. Eine Art von ganz kreatürlicher Meditation, tonlich traditionell verordnet – dabei zunächst keine klaren Harmonien bildend (wiewohl man die Takte 1–2 sowie 9–10 als »F-Dur« beziehungsweise »D-Dur« lesen könnte). Ein »merkbares« Thema schält sich dabei nicht heraus. Warum auch? Das Kontrabass-Instrument an sich hat etwas »Existenzielles«, das immer mitschwingt. So groß, so unhandlich – und dabei in der Intonation oft so schwer beherrschbar.

Erst nach mehr als eineinhalb Minuten steigt das Klavier mit ein. Den einzelnenTonzusammenhängen vom Kontrabass stehen tontraubenartige Akkorde gegenüber. Nach ziemlich genau drei Minuten halten »plötzlich« (weiterhin meditativ-nachdenklich) neue Spieltechniken dezent in der Kontrabassstimme Einzug. Ein Zittern. Ein unsicherer Pfad. Wackelige Fragen. ¶

... ist Konzertveranstalter, Moderator, Komponist und Pianist. Er gestaltet innovative Konzertformate, arbeitet als Musik-Satiriker, schreibt Stücke für Solist:innen und Ensembles und Texte für VAN, die Wiener Philharmoniker, die New York Philharmonics und die Bamberger Symphoniker. 2019 war er als Schauspieler an der Volksbühne zu erleben.

Eine Antwort auf “241/250: Sofia Gubaidulina”

Kommentare sind geschlossen.