März 1991: Die Jugoslawische Volksarmee beginnt den Kroatienkrieg. Im Juni des Jahres erklärt das kroatische Parlament die Unabhängigkeit Kroatiens. Zu Beginn dieses Jahres mit jenen geschichtlichen Ereignissen wird am 8. Januar 1991 Sara Glojnarić in Zagreb geboren.

Glojnarić studiert an der Musikakademie Zagreb Komposition bei dem kroatischen Avantgardisten Davorin Kempf (1947–2022), dessen Werke deutlich von der »Darmstädter Schule« geprägt sind. Weiter geht es mit einem Studium bei Michael Reudenbach (*1956) sowie bei Martin Schüttler (*1974) an der Stuttgarter Musikhochschule.

Ihre Arbeit umfasst Orchester- und Ensemblestücke sowie Videoarbeiten und multi-mediale/-sensorische Installationen. Glojnarićs Werke wurden bereits in Europa, Südamerika und Asien von renommierten Ensembles und Musiker:innen wie dem Ensemble Musikfabrik, den Neuen Vocalsolisten, dem Trio Catch und der Sängerin Sarah Maria Sun aufgeführt. 2019 kamen Arbeiten von ihr bei den Wittener Tagen für Neue Kammermusik zur Aufführung. Bei vielen weiteren internationalen Avantgarde-Festivals war sie ebenfalls schon vertreten.

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Die Werke von Sara Glojnarić versteht die Komponistin selbst als dezidiert politisch. Über die Rezeption ihrer Stücke (wie beispielsweise #popfem aus dem Jahr 2016) sagt die Komponistin und Soundkünstlerin im VAN-Interview: »Auf #popfem waren die Reaktionen sehr unterschiedlich, und das hing stark vom Kontext ab. Als das Video zum ersten Mal in Stuttgart in einer Galerie gezeigt wurde, waren die Reaktionen wie erwartet – es gab viele queere Leute im Publikum, viele Feminist:innen, und wir haben sehr interessante Gespräche über das Stück geführt. Nachdem ich den Kranichsteiner Musikpreis für die Installation bekommen habe, gab es einen großen Artikel über mich, in dem das Video auch verlinkt war. Und das war krass. Die Reaktionen unter diesem Text waren extrem frauenfeindlich, extrem unschön und sehr belastend für mich.«

Sara Glojnarić lebt und arbeitet in Stuttgart.


Sara Glojnarić (* 1991)
sugarcoating #2 für Klarinette, Violoncello und Klavier (2017)

YouTube Video

Das Trio für Klarinette, Cello und Klavier sugarcoating #2 stammt aus dem Jahr 2017. »Zuckerguss« also? Hört man in die Musik hinein, so wird klar: Dieser Titel muss ironisch gemeint sein.

Denn Sara Glojnarić komponiert avantgardistisch, am (nicht durch zu viel – musikalischen – Zuckerkonsum kariös gewordenen) »Zahn der Zeit«. Im Klavier ganz oben werden Tasten abgedämpft, so dass Klopfgeräusche beim Spielen resultieren. Ganz am Ende des Taktes erscheint im Klavier ein Akzent; ein Akzent mit dem Wert einer 32stel. Damit grenzt sich dieser jeweils letzte Klang – als kürzeste aber eben deutlichste Aktion innerhalb des sonst von 16tel-Pulsen durchzogenen Taktes – dialektisch ab. Cello und Klarinette sind dabei »partner in crime«. Denn auch bei ihnen erfährt die letzte 32stel der 16 ersten Takt-Einheiten einen Akzent. Die Geschehnisse innerhalb der Takt-Einheiten sind dabei nicht zu früh in ihrer Dramaturgie durchschaubar, was vor allem mit den unregelmäßig strukturierten Rhythmusereignissen zu tun hat.

Ab und zu gönnen Klarinette und Violoncello dem Klavier außerdem sein »Mini-Solo«, setzen kurz aus. Gut für die Ohren – und subtil komponiert, denn in genau dem Moment, in dem man sich an die gechillt aktionistischen Klang-Rhythmus-Aktionen »gewöhnt« hat, zerstört Takt 17 mit einem sehr kurzen Tumult-Cluster die »Wohlfühlatmosphäre« (die es ohnehin nie gab).

Die Wechsel von abwartend-klopfenden Spannungstakten mit lauten Parts ziehen sich fort. Die Aktionen sind dabei heftig dissonant, aber in sich gut ausgehört. Die rhythmischen Strukturen, die Glojnarić auf einem Band des Hörens aufspannt, sind interessant. Man möchte wissen, wie es weitergeht. Es schwingt die (gute) Kälte von Beat Furrer (*1954) und Bernhard Lang (*1957) mit. Aber das muss nicht weiter »stören«. Im Gegenteil. ¶

... ist Konzertveranstalter, Moderator, Komponist und Pianist. Er gestaltet innovative Konzertformate, arbeitet als Musik-Satiriker, schreibt Stücke für Solist:innen und Ensembles und Texte für VAN, die Wiener Philharmoniker, die New York Philharmonics und die Bamberger Symphoniker. 2019 war er als Schauspieler an der Volksbühne zu erleben.