Philippa Schuylers Lebensgeschichte bezeichnete mal jemand als die wohl tragischste der amerikanischen Kulturhistorie. Geboren wurde Philippa Duke Schuyler am 2. August 1931 in New York, sie wuchs im Stadtteil Harlem auf. Ihre Mutter – Josephine Cogdell Schuyler – war, wie wir in einem ausführlichen Artikel lesen, »a white Southern belle from a Texas ranch«, die nach New York umgezogen war, um einer wohlhabenden Familie von Rassisten geradewegs zu entkommen. Sie heiratete den Schwarzen George Schuyler, der damals als Journalist für die führenden Magazine der Black Community schrieb. Die Familie seiner Frau Josephine weigerte sich später, Konzerte mit Beteiligung von Philippa Schuyler zu besuchen.

Philippas Eltern investierten in die frühe Ausbildung ihrer Tochter; sie waren überzeugt, dass eine »mixed-race«-Tochter besondere – ja, sogar »übermenschliche« – Fähigkeiten entwickeln könne. Mit zweieinhalb Jahren las Philippa angeblich bereits Erwachsenenlyrik, begann in diesem Alter mit dem Klavierspiel, und mit dem Schreiben von Kurzgeschichten im Alter von drei Jahren. Ihr Intelligenzquotient soll bei 185 gelegen haben.

Mit acht Jahren wurde Philippa Schuyler als pianistisches Wunderkind-Attraktion angepriesen. Der Preis dafür war – unter anderem – die Isolation von Gleichaltrigen; ein in der Geschichte diverser »Wunderkinder« immer wieder beschriebenes (fatales) Phänomen. Ihre Mutter übte körperliche Gewalt gegen das Kind aus. In den 1940er Jahren war Schuyler so etwas wie ein »nationaler Kinderstar« der Schwarzen in den USA. Ihre erste Symphonie entstand, als sie 13 Jahre alt war. Im selben Alter trat sie 1944 auch schon als Klaviersolistin mit den New York Philharmonics auf. Doch der Begeisterungssturm – vor allem angefacht durch die Hoffnung Schwarzer Journalistinnen und Journalisten – ebbte bald (»naturgemäß« möchte man sagen) ab.

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Trotzdem verfolgte Schuyler ihre Musikerinnenlaufbahn zunächst noch weiter, unternahm 1952 eine Europa-Tournee und trat in den Folgejahren in über 80 Ländern auf. Bald realisierte Schuyler, wie sie von ihren Eltern instrumentalisiert worden und welchem immensen Erfolgsdruck sie ausgesetzt gewesen war. Mehrere lose Beziehungen endeten unglücklich und abrupt. In den frühen 1960er Jahren bekam Schuyler zunehmend finanzielle Schwierigkeiten. Ab 1962 lebte sie unter dem Namen Felipa Monterro oder Felipa Monterro y Schuyler. Gewissermaßen als Rückzugsort und Ausflucht vor und aus der Musikwelt begann Schuyler mit dem Schreiben von Texten. Für – unter anderem sehr konservative – Zeitungen reiste sie beispielsweise in den Kongo und nach Argentinien, um von dort über Gewalt auf der Straße und andere soziale und gesellschaftspolitische Themen zu berichten.

Zwischen 1960 und 1969 erschienen fünf Bücher aus der Feder Schuylers, in denen sie sich unter anderem mit Kolonialismus im Kongo, aber auch – leider unkritisch – mit der Geschichte katholischer Missionare auseinandersetzte. In Rom traf sie insgesamt zwei amtierende Päpste und reiste als Kriegsberichterstatterin in den Vietnam. Dort starb sie im Alter von 35 Jahren bei einem Hubschrauberabsturz. Das jähe Ende eines Lebens; gezeichnet von zu vielen (falschen?) Erwartungen ihrer Eltern – und »der Gesellschaft«.


Philippa Schuyler (1931–1967)
Five Little Pieces für Klavier (ca. 1938)

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Philippa Schuyler war vor allem Pianistin (und später, wie erwähnt, Autorin, Journalistin und Kriegsberichterstatterin). Ihre Interpretation des Chopinschen Scherzo cis-Moll op. 39 (hier ein VAN-Interpretationsvergleichs dieses verrückt-expressiv-hymnischen »Galoppstückes«) klingt ungewohnt trocken, gebannt – und erinnert in dieser Weise eindrücklich an die Spielweise Rachmaninows (der dieses Stück jedoch ungewohnt wahnsinnig – im guten Sinne – verstolpert).

Es ist unklar und noch längst nicht aufgearbeitet, wie viele Eigenkompositionen Philippa Schuyler hinterlassen hat. Die einzigen online leicht zugänglichen Stücke sind die Five Little Pieces für Klavier, die wohl 1938 zu Papier gebracht wurden. Schuyler war zu diesem Zeitpunkt gerade einmal sieben Jahre alt; das mit Abstand »jüngste« Stück, das in unserer Serie hier wohl als Beispiel einer kurzen Besprechung standhalten muss.

Im ersten Stück steigen Akkorde in die Höhe. Dann fallen ein paar Gesten erst nach oben hinweg, um im Erker gewisser Tiefen zu versickern. Das zweite Stück stellt ebenfalls Fragen an das eigene Instrument; und beantwortet diese mitunter lustig polternd. Dann tönen uns ein paar Melodiegesten »aus der neuen Welt« entgegen. Im nächsten Teil wird eine kreisende Figur exponiert. Ein Alberti-Bass rödelt kindgerecht vor sich hin. All diese kleinen Ausschnitte aus einer noch unbekannten Welt einer sensationslüstern betrachteten Biographie sagen uns: Hier zeigt sich eine Künstlerin, die – wäre sie älter geworden und bis zu ihrem Lebensende Komponistin geblieben – uns kompositorisch noch äußerst Vielversprechendes hätte liefern können! ¶

... ist Konzertveranstalter, Moderator, Komponist und Pianist. Er gestaltet innovative Konzertformate, arbeitet als Musik-Satiriker, schreibt Stücke für Solist:innen und Ensembles und Texte für VAN, die Wiener Philharmoniker, die New York Philharmonics und die Bamberger Symphoniker. 2019 war er als Schauspieler an der Volksbühne zu erleben.