Am 5. März 1832 erblickte Alfred Jaëll – als Pianist und Komponist ein späterer Freund von Chopin, Liszt und Brahms – in Triest das Licht der Welt. Also jener Österreicher, der 1866 die gebürtige Marie Trautmann (hier bereits porträtiert als die Komponistin Marie Jaëll) heiraten sollte. Am selben Tag wie Alfred Jaëll – am 5. März 1832 also – wurde auch Mathilde von Rothschild geboren. In Frankfurt am Main, einer Stadt, die bekanntlich lange Zeit von jüdischem Leben bereichert wurde. Die Wurzeln der jüdischen Community in Frankfurt reichen bis ins 12. Jahrhundert zurück. Schon 1241 kam es aber auch zum ersten Pogrom an den jüdischen Menschen der Stadt. Erst 1864 erfolgte die bürgerliche Gleichstellung. Mathilde von Rothschild war zu diesem Zeitpunkt 32 Jahre alt. Sie verbrachte ihr ganzes Leben in Frankfurt – beziehungsweise als Baronin Rothschild in Königstein im Taunus. Stets in Schlössern und Burgen; 1845 wurde gar ein Schloss in ihrem Namen (und dem Namen ihres Mannes) im Grüneburgareal in Frankfurt erbaut.

Mathilde von Rothschilds Mann, den sie 1849 geheiratet hatte, war ebenfalls ein von Rothschild: der Bankier Wilhelm Carl von Rothschild (1818–1901), ein Vetter des Vaters von Mathilde. Frei von finanziellen Sorgen residierte man also mal hier, mal dort, zählte illustre Persönlichkeiten wie wohl auch Frédéric Chopin – der bereits der Klavierlehrer von Mathildes Mutter gewesen war – zu gelegentlichen Gästen im Salon. Auch Mathilde selbst kam früh mit Musik in Berührung. Besonders bekannt wurde sie aber als Sammlerin von Gemälden alter Meister (während ihr Mann sich vor allem für europäische Silber- und Schatzkammerobjekte interessierte).

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Als »reichste Frau Frankfurts« war Mathilde von Rothschild schwer beschäftigt. Kaum jemand hat in der Geschichte der Stadt Frankfurt und der entsprechenden Region im 19. Jahrhundert wohl so umfangreich und großzügig Spenden verteilt, wie die Baronin. Mehrere Stiftungen rief sie ins Leben, unterstützte gemeinnützige Zwecke und engagierte sich nachhaltig für die Gründung der Universität Frankfurt im Jahre 1914.

Als Komponistin wurde Mathilde von Rothschild offenbar noch nirgendwo wirklich ausführlich gewürdigt. Sie starb am 8. März 1924 in Frankfurt, drei Tage nach ihrem 92. Geburtstag.


Mathilde von Rothschild (1832–1924)
Les papillons (1879)

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Entsprechend wenig ist über ihren Werkkatalog bekannt. Eine ungewöhnlich verlässliche Quelle für die Aufzählung von Liedtexten und ihren Vertonungen weist 71 bekannte Kunstlieder Mathilde von Rothschilds aus. Eines dieser Lieder trägt die Überschrift Les papillons (Die Schmetterlinge) – beziehungsweise Les papillons couleur de neige.

Wer das Wort »Papillons« in musikalischen Zusammenhängen hört, dem flattern als allererste Referenz wohl Schumanns frühe Klavierköstlichkeiten mit eben jenem Titel (Papillons op. 2, 1829–1832) in die Ohren. Die schneeweißen Schmetterlinge von Mathilde von Rothschild – das zugrundeliegende Gedicht stammt von Théophile Gautier (1811–1872) – tanzen mindestens so erregt wie bei Schumann ihren Tanz. In Schwärmen fliegen sie über das Meer. Das (weibliche) lyrische Ich möchte sich gar die Flügelchen dieser holden Insekten ausleihen, um sehnsuchtsvoll über den Ozean zu schwirren. Doch würde die Text/Lied-Protagonistin alle Nektarlockangebote ausschlagen: »Ohne den Rosen auch nur einen einzigen Kuss zu gönnen, würde ich durch Täler und Wälder fliegen, um auf deinen halbgeschlossenen Lippen zu landen, du Blume meiner Seele – um dort zu sterben!«

Voller (fast irrer) Verliebtheit schwirrt auch die Musik umher. Springende Figuren, die tatsächlich herrlich an Robert Schumann erinnern. Die Gestaltung der Singstimme ist französisch-eingängig, mal kurzfristig in Moll eingetrübt. Ein wunderschönes Lied voller spät- und tiefromantischer Sehnsuchtsschattierungen. ¶

... ist Konzertveranstalter, Moderator, Komponist und Pianist. Er gestaltet innovative Konzertformate, arbeitet als Musik-Satiriker, schreibt Stücke für Solist:innen und Ensembles und Texte für VAN, die Wiener Philharmoniker, die New York Philharmonics und die Bamberger Symphoniker. 2019 war er als Schauspieler an der Volksbühne zu erleben.