Mary Carlisle wurde am 4. April 1882 in Richmond geboren, die meiste Zeit ihres Lebens verbrachte Carlisle aber in der Gegend von Washington, D.C. Vater Calderon Carlisle wurde hier zu einem erfolgreichen Anwalt und hatte offenbar keine Probleme, die Klavierstunden für seine Tochter Mary zu bezahlen. Mit dem Erreichen des 18. Lebensjahres häuften sich die pianistischen Auftritte Marys und so konnte sie ihrem Klavierstudium am Peabody Institute der Johns Hopkins University – einem Musik- und Tanz-Konservatorium in Baltimore – entspannt entgegensehen. In Baltimore absolvierte Carlisle darüber hinaus auch ein Kompositionsstudium, unter anderem bei dem aus Hamburg stammenden Komponisten und Pianisten Richard Burmeister (1860–1944). Und 1933 schließlich führte der Weg nach Paris, wo Mary – wie könnte es anders sein? – Schülerin der nur fünf Jahre älteren Nadja Boulanger (1887–1979) wurde. (Carlisle gab später zu Protokoll, dass sie das Komponieren erst ab dem Jahr 1924 ernsthaft betrieben hatte.)

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1912 hatte Mary Carlisle den Militärangehörigen und Anwalt Walter Bruce Howe (1879–1954) geheiratet und dessen Namen angenommen. Aus der Ehe gingen drei Kinder hervor. Außerdem tat sie sich als Interpretin mit der amerikanischen Komponistin und Pianistin Anne Hull (1888–1984) zusammen und bildete mit ihr eine Zeit lang ein erfolgreiches Klavier-Duo. Darüber hinaus engagierte sich Howe im Musikleben in Washington, D.C., gehörte etwa dem Vorstand der »National Symphony Orchestra Association« an, war Gründerin des Frauenkomitees innerhalb dieser Institution und arbeitete viele Jahre lang als deren Vorsitzende. Im Zweiten Weltkrieg schrieb Mary Howe Ermutigungslieder für die US-Truppen und konnte überhaupt bis in ihre letzten Lebensjahre hinein komponieren. Ein gutes, sicheres Komponistinnen-Leben.

Mary Howe starb am 14. September 1964 im Alter von 82 Jahren in Washington, D.C.


Mary Howe (1882–1964)
Castellana für zwei Klaviere und Orchester (1935)

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Im Werkkatalog von Mary Howe finden sich vor allem viele Lieder, aber auch ein paar Orchesterwerke – sowie beispielsweise Stücke für zwei Klaviere, die Howe sehr wahrscheinlich auch mit ihrer Duopartnerin Anne Hull zur (Ur-)Aufführung brachte. 1935 entstand sogar ein kleines Klavierkonzert für zwei Klaviere und Orchester, dem Howe einen spanischen Titel gab: Castellana.

Feurig auch der Beginn des Ganzen. Über einem brodelnden Boden erhebt sich eine Trompete; fast militärisch, aber auch filmmusikalisch-verstörend. Ein Erwachsenenfilm, ganz klar. Vielleicht ein spanischer Western? Die Klaviere bauen sich kurz akkordisch auf; doch da ergreift die Trompete wieder ihr heroisches »Wort«. Dann verstricken sich Geigen chromatisch und äußerst klagend. Endlich tritt nach 60 Sekunden etwas »Frieden« in der Prärie ein, Flöte, Klarinette und Oboe spielen sich nun beruhigter die (Wüstensand-)»Bälle« zu. Die Harmonik erinnert vielleicht etwas an den Salome-Strauss: verwegen, changierend. Bei dem ersten prominenten Eintritt des Klaviere-Parts gerät die Musik in Schwelgen. Und nach ziemlich genau zweieinhalb Minuten wird man für die Salome-Assoziation ganz überraschend belohnt, da sich hier plötzlich – zwischengeflochten – ein Oboen-Schnörkel wiederfindet, den man so tatsächlich aus dem Strauss’schen Tanz der sieben Schleier kennt. Aufregend, hörenswert, exotisch! ¶

... ist Konzertveranstalter, Moderator, Komponist und Pianist. Er gestaltet innovative Konzertformate, arbeitet als Musik-Satiriker, schreibt Stücke für Solist:innen und Ensembles und Texte für VAN, die Wiener Philharmoniker, die New York Philharmonics und die Bamberger Symphoniker. 2019 war er als Schauspieler an der Volksbühne zu erleben.