Jane Savages genaues Geburtsjahr steht noch nicht einmal fest, doch geht man davon aus, dass sie 1752 oder 1753 geboren wurde. Als Geburtsort bietet sich dabei London an, denn dort wuchs sie auf, als Tochter von Mary Bolt Savage und William Savage und als Schwester von William und George. Vater William war, wie zu lesen ist, fünf Jahre lang – von 1748 bis 1753 – der Leiter des Knabenchores der Londoner St. Paul’s Cathedral. Diesen sehr traditionsreichen Chor gibt es noch heute: Die Knabenformation von St. Paul’s sang beispielsweise zum 90. Geburtstag von Queen Elizabeth II. im Jahre 2016. (Neben seiner Chorleitertätigkeit war William Savage außerdem als Pianist, Sänger, Komponist und Musiklehrer tätig. Ein umfangreiches Paket an Kompetenz konnte so unter anderem an seine Tochter Jane weitergegeben werden.)
Jane Savage reifte zu einer äußerst profunden Cembalistin, Pianistin und Organistin heran. Und bald entstanden eigene kompositorische Arbeiten. Diese gab sie auch im Druck heraus, darunter vor allem Stücke für Tasteninstrumente sowie Lieder und Kantaten. Gleichermaßen als Interpretin und Komponistin wurde sie also geschätzt. Hört man beispielsweise ihr Rondo No. 1 G-Dur op. 3 für Klavier (1786), so erinnert man sich an die liebreizend-kindliche Melodienseligkeit Mozarts, ja, stellt eine unmittelbare Nähe zwischen beiden fest; Grüße aus der (1791 – also später – komponierten!) Zauberflöte scheinen hinüberzuwehen (aber eben von London nach Wien; nicht umgekehrt). Savage wird – wie Mozart drüben auf dem Festland – ihre Kompositionen meist selbst auf einem jeweils zur Verfügung stehenden Tasteninstrument vorgetragen haben. Was kam also »dazwischen«? Warum ist uns Jane Save nicht als »weiblicher Mozart Englands« bekannt geworden?
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Sicher läutete die Eheschließung mit dem Kaufmann Robert Rolleston (ein ehemaliger Klavierschüler von Vater William) im Jahre 1790 das Ende der musikalischen Laufbahn Savages ein. Jedenfalls trägt kein musikalisches Druckerzeugnis ab 1790, das man ihr hätte zuordnen können, ihren (neuen) Namen: Jane Rolleston.
Wie viele britische Komponistinnen und Komponisten schrieb Savage ihre ganz eigene Fassung von God Save the King – und das im Jahr der Französischen Revolution (1789). Ob der zu dieser Zeit amtierende König Georg III. (1738–1820, Zeit der Regentschaft: 1760–1820) von dieser Komposition Notiz nahm? Unbekannt – wie so vieles im Zusammenhang mit dem Leben und Wirken von Jane Savage, die am 9. November 1824 in Camberwell (London) starb.
Jane Savage (1752–1824)
While shepherds watched their flocks by night (ca. 1785)
Das in England populäre Weihnachtslied While shepherds watched their flocks by night (1702, Text wohl von Nahum Tate, 1652–1715) wurde von mehreren Komponistinnen und Komponisten vertont. Der inzwischen wahrscheinlich bekannteste (und natürlich schöne, wenn auch mit 1923 etwas sehr hymnisch »späte«) Satz stammt von dem englischen Organisten und Komponisten Alan Gray (1855–1935) und dürfte hierzulande viele Hörerinnen und Hörer sehr an die DDR-Nationalhymne (1949) von Hanns Eisler (Text: Johannes R. Becher) erinnern.
Auch Georg Friedrich Händel persönlich vertonte den alt-irischen Weihnachtshirten-Text. Und circa 1785 erschien Savages Version von While shepherds watched their flocks by night im Druck (Noten hier ab Seite 85), als Teil der Sammlung The Hymns and Psalms used at the Asylum.
Savage macht das Weihnachtslied zu einem Mini-Oratorium schönster, memorierbarster Art. Stehen die meisten Vertonungen des Textes in einem 4/4-Takt, so verwendet Jane Savage hier einen »religiöseren« (Vater, Sohn, Heiliger Geist) 3/4-Takt. Fein unterscheidet die Komponistin dabei zwischen Soli, Semi- und Tutti-Chor. Ist im Text von der Angst (»Fear not, said he«) die Rede, baut Savage einen Abwechslung bringenden Solo-Abschnitt in g-Moll ein. Doch bald reiht sich alles wieder in herrlichsten Sext- und Terzketten auf. Überhaupt hat man das Gefühl, dass dieses menuettartige Weihnachtsstück uns durch berührend-festliche Vorhalte und die sich immer wieder »versammelnden« Sext- und Terz-Passagen geradezu »mitnimmt«, ins Kollektiv überführt: wir als die Schäfchen, die bitte nicht verlorengehen mögen! Jesus als der (spätere) Hirte, der hier noch in Strohwindeln zu Bethlehem liegt. Wunderschön. Die Sing-Alternative zum Weihnachtsfest! ¶