Erst zwei australische Komponistinnen waren bei uns zu Gast: die in Melbourne geborene Penny Glanville-Hicks (1912–1990) sowie Anne Boyd (*1946) aus Sydney. Heute besucht uns die am 14. März 1904 in Melbourne zur Welt gekommene Esther Rofe. In ihrem Heimatland bezeichnet man sie als die »Grand Dame der australischen Komponistinnenszene«.

Rofe erlernte als Kind das Spiel an Geige und Klavier und studierte Komposition unter anderem bei ihrem australischen Landsmann Alberto Zelman (1874–1927), der 1906 das bis heute bestehende Melbourne Symphony Orchestra gegründet hatte. Als Pianistin begleitete sie viele Musikerinnen und Musiker, fokussierte sich dann aber zunehmend aufs Komponieren – und schrieb sich in den frühen 1930er Jahren am Londoner Royal College of Music ein, um dort unter anderem bei Ralph Vaughan Williams (1872–1958) zu studieren.

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Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs kehrte Rofe nach Australien zurück, arbeitete mehrere Jahre lang beim Radio und wechselte dort als Arrangeurin und Komponistin problemlos und virtuos zwischen Ernster und Unterhaltender Musik. In dieser Zeit erhielt sie auch mehrere Ballettmusik-Kompositionsaufträge des tschechisch-australischen Tänzers und Choreographen Edouard Borovansky (1902–1959).

Ab den 1960er Jahren ging die Nachfrage an Rofes Musik jedoch zurück. Rofe »verweigerte« sich den aufkommenden »Moden« avantgardistischen Komponierens. Und in ihren letzten Jahren machte ihr eine zunehmende Sehschwäche das Leben schwer. Sie schrieb jedoch weiter unbeirrt Musik und starb am 26. Februar 2000 kurz vor ihrem 96. Geburtstag.


Esther Rofe (1904–2000)
Terra Australis. Ballettmusik (1946)

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Neben Arbeiten für Klavier, wenigen Kammermusikstücken und Vokalwerken finden wir in Rofes Werkkatalog vor allem mehrere Ballettmusiken, darunter auch das 1946 entstandene Ballett Terra Australis – komponiert für die Kompagnie des besagten Edouard Borovansky.

Filmmusikalisch macht das Horn ganz alleine den Anfang. Anschließend zerfließt das gemächlich einsetzende Orchester; zerknirscht. Dann vernehmen wir einen kleinen Impuls, zögernd kommt die Musik in einen gewissen Fluss hinein. Das Orchesterklavier knipst kleine Lichter an. Aber die Gesamtsituation präsentiert sich doch noch als elegisch und ursuppig. Die Musik erinnert ein wenig an den mittleren Richard Strauss: Harmoniefolgen werden zwar anfänglich traditionell inszeniert, aber dann chromatisch verwegen weitergeführt.

Der elegische, leicht heroische Charakter dieser spätromantisch tönenden Ballettmusik hängt eng mit dem (nicht zuletzt kolonialistischen) Sujet zusammen: Erzählt wird die Besiedlung Australiens; auch Indigene treten auf. 2003 bemerkte man anlässlich der Erinnerung an das Borovansky-Stück den »angestrengten Symbolismus« und die »Schwierigkeiten, diese Erzählung mit dem heutigen Bewusstsein für die indigene Geschichte und die Kultur« zu vereinbaren. Die Musik Rofes hat hier mehr zu bieten und ist vielfältiger deutbar als die damals (sehr wahrscheinlich) kolonialistische, rassistische Tanzdarbietung, die einigermaßen gruselig gewesen sein dürfte. Es könnte für die Tanzszene spannend sein, durch das Kaleidoskop der Musik Rofes deren Ballettarbeiten und Choreographiepotentiale wiederzuentdecken. ¶

... ist Konzertveranstalter, Moderator, Komponist und Pianist. Er gestaltet innovative Konzertformate, arbeitet als Musik-Satiriker, schreibt Stücke für Solist:innen und Ensembles und Texte für VAN, die Wiener Philharmoniker, die New York Philharmonics und die Bamberger Symphoniker. 2019 war er als Schauspieler an der Volksbühne zu erleben.