In den 1890er Jahren diskutierte man auf dem australischen Kontinent darüber, wie eine Zusammenlegung der selbstverwalteten britischen Kolonien politisch realisierbar wäre. Melbourne und Sydney beanspruchten dabei den Hauptstadt-Status für sich. Nach langwierigen und komplexen Streitigkeiten um die Frage einer »Hauptstadt auf neutralem Boden« fiel die Entscheidung auf Canberra. Ursprünglich war dieser eingezirkelte Landstrich ein Teil des Siedlungsgebietes der Aborigines. 1911 wurde ein Architekten-Wettbewerb zur Errichtung der Stadt Canberra ausgeschrieben, 1912 darüber endgültig befunden – und 1913 mit dem anfänglichen Spatenstich begonnen. (Der Erste Weltkrieg verzögerte den Bau freilich – und erst 1927 wurde Canberra offiziell Hauptstadt Australiens.)

In diese Zeit der Suche nach der Hauptstadt eines ganzen Kontinents fällt die Geburt von Peggy Glanville-Hicks, die am 29. Dezember 1912 in Melbourne zur Welt kam. Glanville-Hicks’ künstlerisches Talent fiel, wie zu lesen ist, schon im frühkindlichen Alter auf. Als erstes Instrument wird sie wohl Klavier gelernt haben, schließlich nahm sie Anfang der 1930er Jahre ein Klavierstudium am Royal College of Music in London auf. (Hier war Arthur Benjamin (1893–1960) ihr Klavier-Professor, der neben seiner pianistischen Tätigkeit als Filmkomponist äußerst präsent in Erscheinung trat; so stammt beispielsweise die Filmmusik des Hitchcock-Klassikers The Man Who Knew Too Much aus dem Jahr 1934 von Benjamin.) Zuvor hatte Glanville-Hicks Kompositionsstudien in Melbourne betrieben; dort war ihr Lehrer der englische Komponist und Dirigent Fritz Hart (1874–1949), der als Chorknabe an der Westminster Abbey begonnen und am Royal College of Music in London studierte hatte und 1908 als Konservatoriumsdirektor nach Melbourne übersiedelte, um den Rests seines Lebens als Professor der Universität von Honolulu und als Dirigent des Honolulu Symphony Orchestra auf Hawaii zu verbringen.

Neben dem Klavierstudium bei Arthur Benjamin belegte Glanville-Hicks das Fach Komposition bei Ralph Vaughan Williams (1872–1958) sowie Dirigieren bei dem Engländer Malcolm Sargent (1895–1967), dessen nationalstolzes Arrangement von Rule, Britannia! bis heute fester Bestandteil der Last Night of the Proms ist und der viele Werke der großen britischen Kompositionskollegen zur Uraufführung brachte, darunter eine »Romantic Ballad Opera« mit dem Titel Hugh the Drover, or Love in the Stocks von Vaughan Williams. (Von dieser Uraufführung im Jahre 1924 ist gar eine Originalaufnahme erhalten.)

Mitte der 1930er Jahre wagte Glanville-Hicks den Gang nach Paris, wo sie ihre Studien bei der großen Kompositionslehrerin Nadia Boulanger (1887–1979) fortsetzte. Glanville-Hicks wurde auch von Egon Wellesz (1885–1974) in Wien unterrichtet, dessen Werke – trotz Abkehr vom jüdischen Glauben im Jahre 1917 – von den Nationalsozialisten als »entartet« diffamiert wurden; 1938 verließ Wellesz Wien über Amsterdam nach England. Im selben Jahr wurde Glanville-Hicks’ Choral Suite im Rahmen des Festivals der Internationale Gesellschaft für Neue Musik (IGNM) aufgeführt; damit war Glanville-Hicks der erste australische Mensch überhaupt, von dem ein Werk im Rahmen einer Veranstaltung der einflussreichen IGNM zur Aufführung gebracht wurde.

1941 siedelte Glanville-Hicks nach New York über, wo sie als Kritikerin für die New York Herald Tribune schrieb und als Musikalische Direktorin am Museum of Modern Art wirkte. Dort führte Leopold Stokowski (1881–1977) im Jahr 1954 ihre archaische Orchesterdichtung Letters from Morocco auf – und hier, in New York, fand Glanville-Hicks auch zur Filmmusik. (So entstand 1959 das Fernsehballett Saul and the Witch of Endor.)

1949 erhielt Glanville-Hicks die US-amerikanische Staatsbürgerschaft, engagierte sich sehr erfolgreich in verschiedenen Lobby-Verbänden, wurde zu einer äußerst einflussreichen Person in Sachen Musik und verließ das Land zunächst in Richtung Griechenland, um sich auf ihre Arbeit an der Oper Nausicaa (1961) vorzubereiten. Mit ihrer Oper The Transposed Heads. A Legend of India (nach Thomas Manns Die vertauschten Köpfe) hatte sie 1953 ihren größten Erfolg gefeiert – konnte jedoch mit der Anfang der 1960er Jahre entstandenen Oper Sappho nicht entsprechend daran anknüpfen; groß angekündigt hatte man Maria Callas als Besetzung für die weibliche Hauptrolle auserkoren, die jedoch – zum Missfallen von Komponistin und Veranstalter – ihre Beteiligung absagte.

Während der Premiere ihres Rimbaud-Balletts A Season in Hell zeigten sich 1965 urplötzlich – Glanville-Hicks konnte angeblich von einem Moment auf den Nächsten nichts mehr sehen – massive gesundheitliche Beschwerden. Nach der Operation an einem in der Folge diagnostizierten Gehirntumor erlangte die sehr erfolgreiche Komponistin zwar langsam ihr Augenlicht wieder, doch die psychischen Auswirkungen der Erkrankung ließen Glanville-Hicks bis zum Ende ihres Lebens kompositorisch verstummen.

Ihr finanzielles Vermögen vermachte Glanville-Hicks kurz vor ihrem Tod einer Stiftung zugunsten notleidender Musiker:innen. Sie, die sie zeitlebens, wie man liest, den Ausdruck »woman-composer« hasste, starb am 25. Juni 1990 im Alter von 77 Jahren in Sidney.

Peggy Glanville-Hicks (1912–1990)Etruscan Concerto (1954) für Klavier und Orchester

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Neben sechs Opern und drei Symphonien komponierte Peggy Glanville-Hicks neun Ballett-Musiken und mehrere Werke für Solo-Stimme beziehungsweise Solo-Instrument und Kammerorchester, darunter auch ihr Etruskisches Konzert für Klavier und Orchester aus dem Jahr 1954.

Das Stück Musik macht keine Umschweife in Richtung »Introduktion«. Kein »Ich muss mit meiner Geschichte jetzt mal ganz vorne anfangen!«, nein. What you hear is what you get. Melodische Partikel im Verbund mit schmissigen Rhythmen stehen im Vordergrund. Eine kurze Hymne der Trompete lässt nach eineinhalb Minuten eine Held:innen-Erzählung erahnen; die stimmungsvollen Schellen und Glöckchen stehen für die Exotik der Landschaften und Kultur, die hier offenbar Gegenstand musikalischer Abläufe sind.

Die Hymne der Trompete findet Widerhall im Sinne einer ganzheitlichen Unterstützung des Orchesters. Dazu passagiert das Klavier auf und ab, ist eher noch »Umspieler« denn solistischer Wortführer. Und nach zweieinhalb Minuten werden die getupften Copland-Momente wieder häufiger; hier wird Bezug genommen! Auf den Beginn. Der richtige Zeitpunkt für das Klavier, seine Protagonisten-Rolle anzunehmen und spielerisch auszuleben.

Komponistin, Pianistin, Kritikerin und frühe Musiklobbyistin: Peggy Glanville-Hicks und ihr ›Etruscan Concerto‹ (1954) für Klavier und Orchester in @vanmusik.

Glanville-Hicks komponiert lustvolle, pointierte und niemals langweilige Musik, Musik mit Witz, Farbe – und mitreißend melodiösen Bewegungsblöcken, die man sofort noch einmal hören möchte. ¶

... ist Konzertveranstalter, Moderator, Komponist und Pianist. Er gestaltet innovative Konzertformate, arbeitet als Musik-Satiriker, schreibt Stücke für Solist:innen und Ensembles und Texte für VAN, die Wiener Philharmoniker, die New York Philharmonics und die Bamberger Symphoniker. 2019 war er als Schauspieler an der Volksbühne zu erleben.