Exakt vier Tage vor der Geburt des späteren Frankfurter Journalisten und Kritikers Ludwig Börne (1786–1837) kam in Genf Caroline Butini zur Welt, am 2. Mai 1786. Zwar war, wie man liest, offensichtlich niemand in ihrem unmittelbar familiären Umfeld Musikerin oder Musiker, doch entfachte wohl Carolines Vater Pierre (1759–1838) – ein bekannter Mediziner seiner Zeit, der seine geliebte Tochter um zwei Jahre überleben sollte – die Leidenschaft für diese Kunstform. Wirtschaftlich war privater Musikunterricht kein Problem, daneben wurde Caroline Butini eine ausgezeichnete Allgemeinbildung zuteil.

Im Alter von 22 Jahren initiierte man familienseitig die Ehe zwischen Caroline Butini und Auguste-Jacques Boissier (1784–1856). Boissier war wohl selbst Amateur-Geiger und im öffentlichen Leben Großgrundbesitzer, der seiner Frau – ganz im Gegensatz zu vielen anderen Komponistinnen-Gatten des 18. bis 20. Jahrhunderts – das Komponieren und Musizieren nicht verbot. Aus der Ehe gingen Sohn Edmond (1810–1885) und Tochter Valérie (1813–1894) hervor. Valérie wurde zu einer bedeutenden Schriftstellerin, die sich gegen Sklaverei und Korruption engagierte. Im Alter von 14 Jahren hatte sie Unterricht bei dem damals gerade einmal 16 Jahre alten Franz Liszt bekommen, hielt ihre pianistischen Fähigkeiten aber selbst für begrenzt und verfolgte demnach keine Pianistinnenlaufbahn. Dafür veröffentlichte sie 1832 ihr Buch Liszt pédagogue (Franz Liszt als Lehrer), das wohl früheste schriftliche Zeugnis der klavierpädagogischen Künste Liszts überhaupt. Ihr Bruder Edmond schlug wiederum eine ganz andere Berufslaufbahn ein und wurde zu einem bekannten Botaniker.

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Über die musikalischen Lehrer von Caroline Boissier-Butini ist fast nichts bekannt. Wahrscheinlich wurde sie in Genf im Fach Klavier sowie bei dem Komponisten, Organisten und aus einer Orgelbauer-Dynastie hervorgegangenen Bernard Nicolas Scherrer (1747–1821) ausgebildet. 1799 bezeichnete man Boissier-Butini in Genf schon als »beste Pianistin der Stadt«. Komposition studierte sie zu dieser Zeit wohl auch immer wieder autodidaktisch. Ab 1818 konnte Boissier-Butini ihre Klavierkünste in Paris weiterentwickeln. Hier traf sie unter anderem auf den Mannheimer Pianisten und Komponisten Johann Baptist Cramer (1771–1858), der ihr das Studium der Werke von Haydn, Mozart, Scarlatti und Händel anempfahl. Auch zeichnete sie für die Genfer Erstaufführung eines Werkes von Carl Maria von Weber verantwortlich.

Gemäß dieser Empfehlung entwickelte Boissier-Butini ihr pianistisches Repertoire. Leider vermied sie es dabei, in öffentlich zugänglichen Konzerten zu spielen. Die wirtschaftlich unabhängige Künstlerin lehnte es ab, für Veranstalter zu spielen, die den Zugang zu ihren Recitals gegen Geld anboten. Diese elitäre Haltung, die beispielsweise ihren Kindern später so gar nicht zueigen sein sollte, verhinderte, dass das Klavierspiel Boissier-Butinis breiter rezipiert wurde. Ihr Publikum bestand meist nur aus Mitgliedern gewisser großbürgerlicher Zirkel. Und so ist auch nicht bekannt, wie oft oder in welcher Gestalt Boissier-Butini ihre Klavierabende mit eigenen Werken bereicherte. Trotzdem gehörte sie wohl zu einer der maßgeblichen Kulturschaffenden Genfs im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts – und ihre Fähigkeiten am Instrument nahm man beeindruckt zur Kenntnis.

Mit ihrer Rolle als Musikerin beziehungsweise mit ihrer einstigen musikalischen Ausbildung haderte Boissier-Butini auf radikale, ja: fast erschütternde Weise. Sie schrieb: »Verfluchte Musik, der ich die schönsten Jahre meiner Jugend gewidmet habe. (…) Sie hat mich mit Wucht in eine Welt geworfen, die ich hasse. Ich mag sie so wenig, dass ich gar nicht mehr musizieren würde, wäre da nicht meine Vernunft, die mir zu unterhalten gebietet, was ich mit so großer Mühe erlernt habe.« So ganz »leicht« schienen Musik-Ausbildung und Musik-Ausübung also nicht errungen. Über Gründe für diese Haltung finden wir in der Literatur offenbar nichts.

Aufgrund einer nicht näher benannten Krankheit zog sich Boissier-Butini bald vom aktiven Konzertleben zurück. Sie starb bereits mit 49 Jahren am 17. März 1836 in Genf.


Caroline Boissier-Butini (1786–1836)
Divertimento und Rondo a la polacca D-Dur für Klavier, Klarinette und Fagott

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Von Caroline Boissier-Butini sind knapp 30 Werke überliefert. Neben sechs vollendeten Klavierkonzerten schrieb sie einige Werke für Klavier solo sowie für Orgel. Wann genau beispielsweise ihr Divertimento und Rondo a la polacca D-Dur für Klavier, Klarinette und Fagott entstand, ist nicht geklärt. Der zweite Satz (Rondo a la polacca) jedenfalls beginnt mit fröhlichen, punktierten Angängen des Klaviers, das schön ein paar Horn-Quinten einbindet. Die Stimmung ist besinnlich, fein – und von geschmackvollem Humor beseelt. Die Motivik wird ganz traditionell von der Klarinette übernommen.

Bald zirpt das Klavier in höheren Gefilden lustig, vogelgleich, trillernd herum. Das Fagott kontrapunktiert diese Einlassungen mit typischen Fagott-Tupfern. Nach knapp zwei Minuten heißt es im Klavierpart quasi: »Doch halt! Das Leben hat auch ernste Seiten!« Eine Zäsur, wie man sie auch in witzigen Haydn-Klaviersonaten als Überraschung findet. Doch der Polacca-Ton wird nicht vergessen: Die humorvoll-gelösten Passagen kehren wieder und prägen ein durchaus verhalten virtuoses Rondo, das weder erwartbar noch »irgendwo abgeschrieben« wirkt.Gemessen daran, dass sich Boissier-Butini über die Musik (oder ist nur der Musikbetrieb gemeint?) so kritisch äußerte, wirkt dies Stück Kammermusik von Zweifeln oder gar Zorn frei. Ja, freilich, nicht jede Musik muss im Kontext biographischer Umtriebe oder vermuteter Leben-Werk-Gefühlswelt-Zusammenhänge gedeutet werden. ¶

... ist Konzertveranstalter, Moderator, Komponist und Pianist. Er gestaltet innovative Konzertformate, arbeitet als Musik-Satiriker, schreibt Stücke für Solist:innen und Ensembles und Texte für VAN, die Wiener Philharmoniker, die New York Philharmonics und die Bamberger Symphoniker. 2019 war er als Schauspieler an der Volksbühne zu erleben.