Josephine Lang kam am 14. März 1815 – zwei Wochen vor der Geburt des späteren Reichskanzlers Otto von Bismarck – in München zur Welt. Mutter Regina (1788–1827, geb. Hitzelberger) war eine bekannte Opernsängerin ihrer Zeit, die es sich sogar erlauben konnte, das mit dem Gang nach Paris verbundene Angebot von Napoleon Bonaparte – wie einst schon Reginas Mutter – abzulehnen. Josephine Langs Vater Theobald (1783–1839) wurde bereits als 15-jähriger Geiger Mitglied der Mannheimer Hofkapelle unter der Leitung von Franz Danzi (1763–1826). Entsprechend früh wurde auch Tochter Josephine unterrichtet: in Klavier, Komposition und Gesang. Erste Kompositionsversuche entstanden angeblich im Alter von fünf Jahren – und mit zwölf war Josephine Lang als konzertierende Pianistin bereits so erfahren, dass sie fortan selbst Klavier, später auch Gesang unterrichtete.

1831 – Josephine Lang war 16 Jahre alt – erschien die erste Liedersammlung aus ihrer Feder im Druck. In Münchens Musikwelt war Lang zu dieser Zeit bereits zu eindrücklicher Prominenz gelangt. Durch ihren Patenonkel, dem hochgeehrten Münchner Hofmaler Joseph Karl Stieler (1781–1858), machte sie unter anderem Bekanntschaft mit Felix Mendelssohn Bartholdy, der regelmäßig im Salon Stielers verkehrte und Josephine Lang in Generalbass und Kontrapunkt unterrichtete. Ihr musikalisch äußerst vielfältiges Talent wurde gerühmt – und als selbst Lieder komponierende Hofkapellsängerin Münchens war sie ein beliebter und gern gesehener Gast bei privaten und öffentlichen Kulturanlässen. Josephine Langs Vater erwies sich allerdings bei der Erweiterung ihres Einflusskreises über die Grenzen Münchens hinaus als eher hinderlich: Theobald Lang lehnte Mendelssohns Vorschlag ab, Josephine Lang möge ihre Studien in Berlin bei äußerst prominenten und kompetenten Lehrer:innen fortsetzen. Auch war es Josephine Lang nicht möglich, durch ausgeweitete Reisen ins Ausland andere musikalische Stile sowie andere künstlerische Ausprägungsformen gewinnbringend zu rezipieren. Eine längere Reise führte, wie man erfährt, lediglich ins nicht sehr weit entfernte Salzburg (1838) sowie an den Tegernsee und nach Augsburg.

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1842 heiratete Josephine Lang den Juristen und Dichter Reinhold Köstlin (1813–1856). Köstlin wurde zu einem äußerst bekannten Rechtswissenschaftler, der Persönlichkeiten wie Ludwig Uhland (1787–1862) zu seinen Lehrern zählte. Als Dichter keinesfalls erfolglos (sein Drama Die Söhne des Dogen wurde 1838 am Tübinger Hoftheater uraufgeführt) übernahm Köstlin bald eine Dozentur, später eine Professur für Strafrecht an der Universität Tübingen. Anfang der 1850er Jahre musste Köstlin jedoch jegliche Vorlesungstätigkeiten einstellen, weil ihm nach einer Kehlkopftuberkulose das Sprechen nicht mehr möglich war.

In den 1840er Jahren empfingen Josephine Lang und Köstlin in ihrer Tübinger Villa regelmäßig bekannte Dichter:innen ihrer Zeit; die Villa Köstlin wurde zu einem zentralen Ort Tübingens in Sachen literarische Avantgarde. (In der Zeit der Ehe mit Köstlin komponierte Josephine fünf Liedersammlungen.) 1856 starb Reinhold Köstlin – und Josephine Lang war fortan gezwungen, den Lebensunterhalt für sich und ihre sechs Kinder durch Gesangs- und Klavierstunden alleine zu finanzieren. Langs Kompositionstätigkeit war schon seit längerer Zeit in den Hintergrund gerückt – und erst durch die Fürsprache unter anderem Clara Schumanns schaffte es Josephine Lang später, das Interesse der geldgebenden Verleger wiederzuerlangen.

Die letzten Lebensjahre von Josephine Lang verliefen zu großen Teilen wenig erfreulich. Langs ältester Sohn Felix – benannt nach seinem Patenonkel Felix Mendelssohn – lebte aufgrund einer psychischen Erkrankung dauerhaft in einer entsprechenden Einrichtung; dort starb er 1867  bei einem Brand. Der nach seinem Großvater benannte Sohn Theobald war körperlich beeinträchtigt, konnte nicht selbständig laufen und blieb bis zu seinem Tode pflegebedürftig. Im Frühjahr 1880 verstarb außerdem Josephine Langs Sohn Eugen. Auch Langs eigener Gesundheitszustand war lange Zeit Grund zur Besorgnis. Nach der Entstehung einiger Kompositionen der letzten Jahre verstarb sie am 2. Dezember 1880 im Alter von 65 Jahren in Tübingen.

Josephine Lang (1815–1880)

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Sechs deutsche Lieder op. 14. No. 1: Die Mathildenhöhle op. 14 No. 1 (1848)

Josephine Lang komponierte Klavierwerke, von denen ein Großteil bisher unveröffentlicht ist. Auch eine gewisse Anzahl von Langs Chorwerken wurde bislang nicht von einem Verlag herausgegeben; von den vielen hundert Liedern Josephine Langs ist ebenfalls nur ein Teil im Druck erschienen; ein für das sonst so lebendige deutsche Verlagsleben eigentlich peinlicher Zustand.

1848 erschienen unter anderem Langs Sechs deutsche Lieder op. 14. Das erste Lied aus diesem Zyklus – nach einem Text aus der Novelle Die Mathildenhöhle von Christian Reinhold (1813–1856) – beginnt mit einem nur zweitaktigen Klaviervorspiel vollen Ausdruckansinnens. Hier wird nicht etwa handelsüblich eine anschließende Gesangslinie erwartbar vorweggenommen. Nein, Lang lässt das Klavier auf einem »Übergangsakkord« beginnen, um anschließend ein lyrisches, expressives und innigliches Nach-unten-Sinken zu inszenieren. Man denkt an Mendelssohns Lieder – oder lässt es geflissentlich bleiben; und hört zu.

Nach schönstem Darbieten der ersten Gesangszeilen, in der wehmütig beidseitig amouröse Gefühle füreinander besungen werden, setzt die Komponistin anlässlich der Worte »Du kämst zu mir!« ein Pianissimo in den Notentext hinein. Hier wird edel, poetisch und dennoch voller Leidenschaft »Liebe« besungen – und das Drängen und der Wunsch, zueinander zu kommen. Anschließend steigt die Gesangslinie leicht heroisch erregt in a-Moll empor (»Mein Aug‘ ist nur nach Dir ein Strahl voll süßer Qual«). In den höchsten Tönen des ganzen Liedes holt die Singstimme nun aus: »O komm’ einmal!«. Gesungene Sehnsucht, subtil, meisterinnenhaft – und im Repertoire fast aller Sänger:innen bisher völlig vernachlässigt. Große Liedkunst, die entdeckt werden will. ¶

... ist Konzertveranstalter, Moderator, Komponist und Pianist. Er gestaltet innovative Konzertformate, arbeitet als Musik-Satiriker, schreibt Stücke für Solist:innen und Ensembles und Texte für VAN, die Wiener Philharmoniker, die New York Philharmonics und die Bamberger Symphoniker. 2019 war er als Schauspieler an der Volksbühne zu erleben.