2014 startete John Nolan während seines Kompositionsstudium an der University of Massachusetts in Amherst einen Blog namens »Composers Doing Normal Shit«. Das Projekt war eines der ersten, das klassische Musik mit der Meme-Kultur des Internets verband und ist auch 2021 noch einer der wenigen Online-Orte, an denen es verlässlich gleichermaßen charmant wie unterhaltsam zugeht. (Heute findet die Verbreitung der Posts allerdings vor allem über Twitter und Facebook statt.)
Nolan postet aber nicht nur Bilder vom einsam saufenden Krzysztof Penderecki oder von Claude Debussy, der keinen Bock auf Picknick mit seiner Tochter Chouchou hat, er veröffentlicht außerdem unter dem Namen Folk Physics seine eigene Musik, spielt Gitarre in einer Indie-Folk-Band The Ballroom Thieves und hat Familie und einen Hund namens Charles Mingus. Und einen Video-Chat-Termin mit mir. 

VAN: Wie bist du auf die Idee gekommen, den Blog ›Composers Doing Normal Shit‹ zu starten? 

John Nolan: Es gab diese Website ›Rappers Doing Normal Shit‹. Daher stammt die Idee. Kanye kauft einen Parkschein, Warren G beim Zahnarzt, Snoop Dogg beim EKG. ›Das ist perfekt‹, dachte ich mir. Ich hatte gerade mit dem Studium angefangen und fand das einfach eine gute Sache. Und seitdem mache ich das. 

Wie findest du diese großartigen Bilder? 

Ich wäre wahrscheinlich ein besserer Musiker, wenn ich mehr Zeit mit Üben verbringen würde als mit der Suche nach dämlichen Bildern. Während des Studiums bin ich immer in die Uni-Bibliothek gegangen, da habe ich einiges gefunden – oder in der Boston Public Library oder meiner Stadtteilbibliothek. Ich bin ziemlich viel umgezogen, deswegen habe ich viele solcher Stadtteilbibliotheken von innen gesehen. Und dann habe ich unglaublich viel Zeit damit verbracht, den dümmsten Scheiß zu googeln, den man sich vorstellen kann [lacht].

Von wie viel Zeit sprichst du da? 

Das ist einfach ein kleines Hobby, ich mache das so nebenbei, aus Spaß. Während des Studiums habe ich beim Schreiben oder Recherchieren in der Bibliothek immer mal wieder gedacht: ›Vielleicht mache ich mal eine kleine Pause.‹ Und dann stand ich für mehr als eine Stunde zwischen den Regalen rum und habe Gott-weiß-wen gesucht. 

John Nolan, okay gelaunt, mit seinem Interviewpartner.

Gibt es eine bestimmte Art von Büchern, die besonders vielversprechend sind bei der Suche nach guten Composers-Doing-Normal-Shit-Bildern?

Ich empfehle vor allem Bücher, die man sonst mit Absicht links liegen lässt … Meine Theorie dazu ist, dass bei den richtig schäbigen Büchern kein Geld da ist für gute Bilder, wegen der Copyrights. Deswegen nimmt man dafür dann einfach irgendwelche Fotos – Sibelius in der Hängematte oder so. Bestimmt denkt der Verlag sich da: ›Pack einfach irgendwas rein, wird schon passen. Das kümmert doch niemanden, diese Bücher liest eh keiner.‹ Aber ich lese sie alle. 

Für solche Bücher kann man sich keine Bilder leisten, auf denen Sibelius dirigiert oder an einem Stück arbeitet, deswegen nimmt man einfach, was man kriegen kann? 

Genau. Hast du das Foto gesehen von ihm wie er Modell sitzt für seine Büste? Er guckt so unglücklich und seine Büste sieht genauso aus wie er – beide total mies gelaunt. Das ist eins meiner Lieblingsbilder. 

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Was ist für dich die Definition eines Composers-Doing-Normal-Shit-Fotos? Das von Sibelius ist ein gutes Beispiel, weil es so witzig ist – aber es ist definitiv nicht normal

Natürlich. Manche Bilder sind nicht normal. Die Rückmeldung bekomme ich oft. 

Geht es also eher darum lustige Bilder zu finden?

Genau. Manchmal sind das dann ganz normale Situationen – Schönberg, der Tischtennis spielt
Und dann gibt es Fotos wie das von Bernstein, der in rauchend mit seiner Enkelin in der Badewanne spielt.

Viele Bilder werden von dir überschrieben mit ‹[irgendein:e Komponist:in] mies gelaunt beim [irgendeine Aktivität].‹ Hast Du das auch von ›Rappers Doing Normal Shit‹?

Auf ›Rappers Doing Normal Shit‹ gibt es solche Überschriften nicht. Ich schreibe das mit der miesen Laune aber nicht, weil ich damit kokettieren will. Vor kurzem habe ich ein Bild von Strawinsky mies gelaunt beim Abendessen gepostet. Und das beschreibt einfach, was man sieht. Er sieht wirklich nicht gut aus, total schlecht drauf. 

Und manche Videos, die ich poste, sind einfach total dämlich – wie das von Philip Glass, der einen Snack isst. Ich glaube, das habe ich an seinem Geburtstag gepostet. Ich habe mir vorher so viel angeguckt, ich dachte: ›Es muss doch irgendwas geben von Philip Glass wie er irgendetwas macht.‹ Ich habe aus dem Snack-Video dann ein GIF gemacht. Das hat etwas gedauert. Und das zerrt natürlich an den Nerven, wenn meine Frau fragt: ›Kannst du mal 20 Minuten nach den Kindern schauen?‹, genau in dem Moment, in dem ich ein unglaublich bescheuertes Video finde von Philip Glass, der vier Sekunden lang einen Snack isst. 

Hast du Suchstrategien, um so etwas bei Google zu finden? 

Nein, nicht wirklich. Aber ich habe eine Zeitlang wahllos Wörter gegoogelt. Also eine Komponistin oder einen Komponist und dann einfach irgendeinen Begriff – da kommen dann schon Ergebnisse. Besonders bei aktuelleren Komponist:innen. Der Name in Anführungszeichen und dann ›Bier‹ oder ›schwimmen‹. Man kann auch in Bibliotheksarchiven schauen. Manche Universitäten in den USA oder Europa haben Online-Archive von Komponist:innen, die vor 1945 mal dort waren oder so. 

Wurdest du je gebeten, ein Bild offline zu nehmen? 

Nie. Mir wurde nie vorgeschrieben, irgendwas zu löschen. Ich verkaufe die Bilder ja nicht. Ich verdiene damit kein Geld, ich mache auf keine Weise Profit damit – leider. Ich habe mal Merchandise-Artikel angeboten und es war ein katastrophaler Griff ins Klo [lacht]. Das ist schon sehr lange her, aber ich habe immer noch 265 Mies-gelauntes-Picknick-Shirts in meinem Keller. Mit diesem Bild von Debussy und seiner Tochter hat alles angefangen, dazu habe ich geschrieben ›Debussy mies gelaunt beim Picknick mit seiner Tochter Chouchou‹. Aus irgendeinem Grund ist es auf Tumblr gelandet. Alle fanden das total lustig. Ich dachte mir nur: ›Ok, wie auch immer.‹ 

Es war sehr lustig. 

Ich hab dann noch andere Bilder gefunden: Vaughan Williams bei einem traurigen Picknick mit seiner Frau. Das beschreibt einfach sehr gut, was man da sieht. Sie sind traurig. Sie sehen traurig aus. Sie sehen nicht aus, als ob sie gerade eine gute Zeit haben. Es ist ein fucking-trauriges Picknick. Ich habe also ein paar Trauriges-Picknick-Shirts gemacht. Oh Mann, ich dachte das würde … Ich hab sie einfach gekauft, viel Geld dafür ausgegeben. Zu meiner Frau meinte ich: ›Das wird großartig, wir verkaufen die alle.‹ Mittlerweile verschenke ich sie einfach. 12 habe ich verkauft [lacht].

Auf Twitter geht mittlerweile jedes Bild, das du postest, mehr oder weniger viral. 

Ich bin schon lange auf Twitter, aber dieser Erfolg ist noch recht neu. Anfang 2020 hatte ich 25.000 Follower:innen. Wegen der Pandemie waren dann alle immer online, da wurden es viel mehr. Jetzt sind es 65.000, glaube ich. Die Bilder werden auch viel mehr geliked, weil viel mehr Leute sie sehen. Ich kann jetzt auch ältere Bilder nochmal posten, so wie das GIF von Arvo Pärt beim Haarekämmen – das mag ich am liebsten. Punkt. 

Hast du jetzt, wo du online so viel Aufmerksamkeit bekommst, mal darüber nachgedacht, daraus irgendeinen Mehrwert zu ziehen? Vielleicht nochmal T-Shirts zu machen oder deine Karriere als Musiker damit zu pushen? 

Das ist das Beste, was ich je gemacht habe. Ich wünschte, das Beste, was ich je gemacht habe, würde auch etwas Geld abwerfen [lacht]. Nicht viel Geld, meine ich, ich will nicht reich und berühmt werden. Aber einfach ein bisschen Geld wäre toll. Ich habe schon über eine zweite T-Shirt-Runde nachgedacht. 

Gibt es einen Komponisten oder eine Komponistin, von der oder dem du noch keine guten Bilder gefunden hast, aber wirklich welche haben willst? 

Ich habe das Gefühl bei Wagner geht noch was. Da muss es gute Bilder geben, die ich noch nicht kenne. Er war so angesagt, deswegen gibt es viele Bilder von ihm – aber sie sind nicht so gut.¶

... ist seit 2015 Redakteur bei VAN. Sein erstes Buch, The Life and Music of Gérard Grisey: Delirium and Form, erschien 2023. Seine Texte wurden in der New York Times und anderen Medien veröffentlicht.