Heute vor exakt 122 Jahren – am 10. März 1899 – wurde Grete von Zieritz in Wien (damals Österreich-Ungarn) geboren. Ihre Eltern waren die Malerin Henrica Vera Josefa Zieritz (geb. Neumann) und der (1918 geadelte) Berufsoffizier Karl Ferdinand Zieritz. Bedingt durch den väterlichen Posten beim Militär zog die Familie mehrmals um. Nach prägenden Jahren in Wien (bis 1906) ging es nach Innsbruck (bis 1909), ins heute ukrainische Lwiw (dem damaligen Lemberg auf habsburgischem Herrschaftsgebiet) und schließlich nach Graz (für Grete bis zum Jahr 1917). Als Sechsjährige erhielt Zieritz ersten Klavierunterricht. Ab ihrem 13. Lebensjahr konnte man sie schließlich – als sogenanntes »Wunderkind« – öffentlich als Pianistin in regelmäßigen Konzerten erleben.
In der Zeit in Graz (1912–1917) studierte Zieritz an der Schule des Steiermärkischen Musikvereins Klavier und Komposition; frühe Kompositionsversuche waren bis dato also bereits erfolgt. In Graz wurde Zieritz von dem Pianisten Hugo Kroemer (1888–1971) unterrichtet. Ihr Kompositionslehrer zu dieser Zeit war der österreichische Komponist, Dirigent und Schriftsteller Roderich Mojsisovics von Mojsvár (1877–1953), damaliger Direktor des besagten Steiermärkischen Musikvereins (ab 1920 Konservatorium).
1917 verließ Zieritz Österreich und setzte ihre Studien am Stern’schen Konservatorium in Berlin fort (seit 1966 ist das einstige private Konservatorium als Julius-Stern-Institut an der Universität der Künste Berlin verortet). Ihre Klavierprofessoren waren der sächsische Liszt-Schüler Martin Kraus (1853–1918), der später auch Lehrer von Claudio Arrau (1903–1991) wurde – sowie der aus Braunschweig stammende Komponist und Klavierlehrer Rudolf Maria Breithaupt (1873–1945); Breithaupt hatte einst bei den Musiktheorie- und Musikwissenschaftslegenden Hugo Riemann (1849–1919) und Hermann Kretzschmar (1848–1924) studiert.
Ab 1919 unterrichtete Zieritz selbst am Stern’schen Konservatorium. In eben jenem Jahr wurde sie anlässlich der Uraufführung ihrer – vom anhaltenden, zeittypischen Exotismus-Trend gekennzeichneten – Japanischen Lieder als Komponistin gefeiert. Inzwischen wohl weniger an einer alleinigen Laufbahn als Pianistin interessiert, entschied Zieritz, sich fortan hauptsächlich dem Komponieren zu widmen. Zwischen 1926 und 1931 studierte die seit 1921 mit dem Schriftsteller Herbert Johannes Gigler Verheiratete bei Franz Schreker (1878–1934); Schreker war 1912 mit seiner bis heute häufiger gezeigten Oper Der ferne Klang zu Ruhm gelangt. Über ihren Entschluss, bei dem einstigen Lehrer von Ernst Krenek (1900–1991) in Berlin weiter zu studieren, gab Zieritz rückblickend zu Protokoll: »Ich war absolut darauf aus, zu Schreker zu gehen, weil er bei aller Strenge Individualisten ausbildete, wodurch ich mir gehorchen, meiner inneren Stimme folgen konnte, denn die ist es immer, einzig und allein, die mich lenkt und mir befiehlt.«
Bereits vor Beendigung des Studiums bei Schreker (1931) wurde Zieritz mit Preisen ausgezeichnet und erhielt außerdem lukrative Kompositionsaufträge, pflegte intensive Kontakte zu Kolleg:innen in mehreren Ostblockländern, schuf dementsprechend mehrere politische Werke, setzte sich für den internationalen Friedensprozess ein – und konnte bis ins hohe Alter hinein komponieren.
1999 erhielt Grete von Zieritz das Große Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich, lebte aber bis zu ihrem Lebensende in Berlin. Dort starb sie am 26. November 2001 im gesegneten Alter von 102 Jahren – und steht damit in einer Reihe der am ältesten gewordenen Komponistinnen an der Seite von Margaret Ruthven Lang (104 Jahre, 1867–1972), Adele Bloesch-Stöcker (103 Jahre, 1875–1978), Elsa Respighi (101 Jahre, 1894–1996), Anny Roth-Dalbert (103 Jahre, 1900–2004), Rosa Rio (107 Jahre, 1902–2010), Cecilia Seghizzi (111 Jahre, 1908–2019), Amy Patterson (107 Jahre, 1912–2019), Matilde Capuis (104 Jahre, 1913–2017) und Wally Karveno (100 Jahre, 1914–2015).
Grete von Zieritz (1899–2001)Präludium und Fuge in c für Klavier (1924)
Grete von Zieritz’ Werkekatalog ist äußerst vielfältig und breit gefächert. Neben zahlreichen Liedern (nach teils eigenen oder volkstümlichen Texten sowie solchen von Christian Morgenstern und Friedrich Nietzsche) komponierte sie Kammermusik, Solowerke, Werke für Orchester, Chorstücke, Solo-Konzerte und eine einaktige Oper (Adoree, 1928). 1924 schrieb Zieritz unter anderem Präludium und Fuge in c für Klavier.
Archaisch werden gewichtige Akkorde in Halben auf der Klaviatur aufgefächert. Als Kontrapunkte laufen erst ein-, dann zweistimmige Achtellinien hinab, hinauf oder – zwischen linker und rechter Hand unterschieden – aufeinander zu. Tonalität: ja, aber fast völlig frei nebeneinander gesetzt. Sext- und Quintketten tun so »als ob«. Völlig »üblich« erscheinende pianistische Kompositionstaktiken: fast ikonisch auf den 88 Tasten verteilt. In bekannten Spielzusammenhängen, aber in jeder Sekunde sich außerhalb einer Kadenz-Hörbarkeit bewegend.
Ein irgendwie »ungarisch« anmutender Moment (»Ruhiger«) bringt eine deutliche Zäsur. Schnell erwächst das Gefüge wieder zu größerer kontrapunktischer wie harmonischer Komplexität an. Oktavenstämmigkeiten bringen das kurze Präludium zu seinem Ende.
Das Fugenthema ist erst sarkastisch »unangenehm« aus kauzigen Sprüngen zusammengesetzt. Eine dazu im Kontrast wirklich sehr lustige – aus dem Nichts heraus extrem »brave« – Es-Dur-16tel-Kette fährt den Dux-Wagen hintenraus humorvoll an Barock-Fugen erinnernd nach Hause. Polyphone, heikle Verstrickungen folgen – auf einer freitonalen Matrix jazzig-hindemithscher Kühlheiten. Gute, intelligente, humorvolle Musik! ¶