Es gibt kaum ein Ensemble in Deutschland, das die Musikszene und Stadtgesellschaft so sehr mitgeprägt hat wie es das Ensemble Resonanz die letzten 20 Jahre in Hamburg getan hat. Diese Woche startet das Ensemble in seine Jubiläumsspielzeit. Hartmut Welscher hat mit Tobias Rempe, der das Ensemble Mitte der 1990er als Musiker mitbegründete und seit 2008 dessen Manager ist, über die Schwierigkeiten des Anfangs, die Erfolge und die Midlife Crisis des Ensembles und den anstehenden Generationenwechsel gesprochen. 

Tobias Rempe • Foto © Gerhard Kühne

VAN: Das Ensemble Resonanz ist Mitte der Neunziger aus dem Studentenorchester Junge Deutsche Philharmonie hervorgegangen und hatte die ersten Jahre keinen festen Sitz. Warum habt ihr 2001 entschieden, euch als Ensemble in Hamburg niederzulassen?

Tobias Rempe: Es gab eine Hamburger Fraktion im Ensemble, die den Wunsch verspürte, in ihrer Stadt, in der das Musikleben damals noch relativ statisch war, ein freies Ensemble zu gründen, aus dem Wissen heraus, dass es so etwas dort noch nicht gab. Dann war die erste glückliche Koinzidenz, dass Benedikt Stampa [damals Intendant der Musikhalle, später Laeiszhalle, Hamburg] versuchte, die Laeiszhalle zu einem Konzertsaal mit eigenem künstlerischen Profil zu entwickeln. Bis dahin war sie eher ein Ort, der von Veranstaltern gemietet wurde, aber kein eigenes Programm hatte. Nach einem Konzert des Ensembles im Rolf-Liebermann-Studio des NDR 2002 hat er uns das Angebot gemacht, als Ensemble in Residence im Kleinen Saal der Laeiszhalle eine eigene Konzertreihe zu machen. So ging es los.

Weißt du noch, was ihr dort beim ersten Konzert gespielt habt?

Eine Streicherfassung der Goldberg-Variationen, die wir damals schon basierend auf der Sitkovetsky-Fassung entwickelt und eingespielt hatten und der wir an drei verschiedenen Stellen Stücke von Webern gegenübergestellt haben, op. 5 und op. 28. Ich glaube das zweite war dann ein Abend mit Stücken von John Dowland und Xenakis …

Das heißt, euer künstlerisches Profil, das sehr stark geprägt ist von der Gegenüberstellung und gleichberechtigten Behandlung des klassischen Repertoires mit Musik des 20. oder 21. Jahrhunderts, war euch damals schon klar?

Absolut, das war wirklich die Grundidee von Anfang an. Vieles von dem, was das Ensemble heute ist, hat sich auf dem Weg entwickelt: unsere Vermittlungsaktivitäten, Kooperationen, eine Öffnung in die Gesellschaft, aber das, was uns dann von außen als Label gegeben wurde, ›alt und neu‹, das war von Anfang an da. Bei unseren Vorgängerensembles, die auch aus der Jungen Deutschen Philharmonie hervorgegangen und für uns eine Art ältere Geschwister sind – die Deutsche Kammerphilharmonie, das Ensemble Modern, eigentlich auch das Freiburger Barockorchester – gab es ganz stark diesen Gedanken, dass man sich spezialisieren und seinen Tätigkeitsradius klein machen muss, um eine Chance auf dem Markt zu haben. Das war etwas, wogegen sich unser Gründungsimpuls gewendet hat.  

Im September 2005 spielte das Ensemble Resonanz (im Bild Tobias Rempe (links) und Tom Glöckner) unter dem Titel ›Kaispeicher entern!‹ das erste öffentliche Konzert im heutigen Fundament der Elbphilharmonie, dem Kaispeicher A. • Foto © Bernhard Glöckner

Warum?

Vielleicht, weil unsere Gründungsmitglieder aus der ersten Musikergeneration kommen, die schon im Studium mit verschiedenen Spezialisierungen experimentiert und gemerkt hat, dass das alles zum Universum dessen gehört, in dem man sich bewegt. Da gab es dann den Anspruch, das weiterzuführen, statt zu sagen: ›Wir müssen uns für einen Bereich entscheiden.‹ Wir hatten schon ganz stark diese Sichtweise, dass es nicht die Zukunft sein kann, dass man sich im Bereich der zeitgenössischen Musik nun fast schon seit einem Jahrhundert unter dem Label ›Neue Musik‹ einen Markt im Markt geschaffen hat, mit eigenem Publikum, eigenen Finanzierungsstrukturen, eigenen Klangkörpern, eigenen Produktionsweisen, der komplett abgeschlossen ist, während sich der größere Markt in steter Wiederholung und Neuausdeutung des Immergleichen ergeht. Aber wir haben noch sehr lange sehr viele Ratschläge bekommen, auch, als wir schon in Hamburg waren, in Richtung: ›Ihr müsst euch jetzt mal entscheiden, ihr seid ein gutes Ensemble, aber so wird das nichts.‹

Von wem kamen diese Ratschläge?

Von einflussreichen Musikmanager:innen, Intendant:innen, Förderer:innen… 

Habt ihr nicht die Sorge, dass wegen dieser fehlenden Spezialisierung musikalisch nichts Halbes und nichts Ganzes dabei herauskommt, wenn ihr zum Beispiel CPE Bach auf modernen Instrumenten spielt?

Das beschäftigt uns dauernd, weil uns über die Jahre viele Musiker:innen zugewachsen sind, die eine Spezialisierung und Expertise im Bereich der Alten oder Neuen Musik mitgebracht haben. Das ist auf der einen Seite total bereichernd, aber für die interne Auseinandersetzung immer auch etwas, das man ausbalancieren muss, was nicht immer leicht ist. Wenn wir jetzt zum Beispiel ältere Musik spielen, verstehen wir Aufführungspraxis so, wie wir sie in der Arbeit mit Riccardo Minasi auf eine glückliche Art und Weise gefunden haben, nach vielem Suchen und Diskutieren: Es geht sehr stark und sehr kompromisslos um ein Verorten dessen, was ein Werk zur Zeit seiner Entstehung bedeutet hat, welche Einflüsse eine Rolle gespielt haben, die Ausdeutung eines Werkes mit Quellenforschung und historischem Wissen. Aber die Umsetzung findet trotzdem auf einem in unserer Zeit verorteten Instrumentarium statt. Das ist etwas, das für uns wunderbar funktioniert. Aber es hat einen Weg hinter sich, auf dem wir oft überlegt haben, ob wir nicht doch für älteres Repertoire zum Beispiel historische Bögen in die Hand nehmen müssten, um es besser zu verstehen. 

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Zurück zum Anfang, wie war die Resonanz auf eure erste ›Resonanzen‹-Konzertreihe? 

Der Kleine Saal der Laeiszhalle hat 650 Plätze, die waren maximal halb gefüllt, was wir aber in der neuen Stadt erstmal als Erfolg wahrgenommen haben. Das Publikum, das wir gefunden haben, war sehr schnell sehr treu. 

Trotzdem standet ihr in euren Anfangsjahren in Hamburg zweimal kurz vor der Pleite …

Ja, bis dahin wurden wir von Veranstaltern eingekauft, jetzt waren wir auf einmal selbst Veranstalter und mussten jährlich fünf Konzerte stemmen, bei denen wir Vertrieb machen mussten, Werbung, Gäste einladen und Gastsolist:innen selbst bezahlen … Das war, gemessen daran, dass die Einnahmen aus dem Ticketverkauf noch nicht besonders groß waren, eine wahnsinnige finanzielle Belastung. Es gab damals eine kleine private Startförderung, aber noch keine weitere Unterstützung von der Stadt. Das hat dazu geführt, dass die Krisen kamen. Eine Krise resultierte darin, dass wir für zwei Jahre keinen Geschäftsführer hatten, sondern drei Musiker des Ensembles die Aufgaben neben dem Spielen übernommen haben. Da gab es schon Momente, in denen man dachte: ›Keine Ahnung, ob wir da nochmal rauskommen‹, weil es eine zähe und lange Zeit war. Wenn da zwei oder drei Mitglieder gesagt hätten: ›Sorry, ich bin raus‹, dann wär’s das gewesen. 

Wie habt ihr das überlebt?

Das Ensemble blieb nur deshalb am Start, weil seine Musikerinnen und Musiker als Unternehmer:innen den Kopf hingehalten und weitergemacht haben. Sehr viele Jahre wurde das Ensemble dadurch getragen, dass seine Mitglieder so getan haben, als sei es ihr Hauptberuf und entsprechend ihre Energie, Motivation, Bedingungslosigkeit und Priorisierung eingesetzt, de facto aber ihr Geld woanders verdient haben. Aus dieser Zeit speist sich eigentlich auch die Kraft des Ensembles. Menschen, die für eine bestimmte Idee so lange so viel in Kauf genommen haben, die machen keine Kompromisse mehr, auch wenn es dann läuft. Das ist eine Energie, die nach wie vor da ist, das kann in inhaltlichen Gesprächen auch zu komplexen Reibereien führen. Nach dem Motto: ›Ich bin nicht den ganzen Weg gegangen, um jetzt etwas zu machen, was ich nicht gut finde.‹ 

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Du hast eben davon gesprochen, dass das musikalische Profil von Anfang an da war, sich anderes aber erst auf dem Weg entwickelt hat. Die Verankerung in der Stadt und die damit einhergehende vielfältige Kooperation mit verschiedenen Szenen der Stadt ist eines eurer Markenzeichen. Wie und wann hat sich das entwickelt?

Das fing eigentlich an mit unseren Proben im Kulturhaus 73 auf der Schanze ab 2011. Wir hatten bis dahin gar keinen festen Probenort, haben teilweise in der Laeiszhalle, teilweise in Gemeindehäusern geprobt und manchmal täglich den Proberaum gewechselt. Das war wirklich unangenehm und mit sehr viel Aufwand verbunden. Im Haus 73 waren die Umstände auch nicht immer super, das war teilgenutzt mit vielen anderen Initiativen, und ein klassisches Orchester hat ein besonderes Ruhebedürfnis. Wenn drei Stunden Probe verabredet sind, dann müssen die effizient genutzt werden. Das verstehen vielleicht andere nicht unbedingt, die aus dem Theater oder Popbereich kommen und sagen: ›Jetzt wartet doch ne Stunde, wir sind gleich fertig.‹ Das Kulturhaus 73 liegt im Schanzenviertel, das damals noch nicht so bürgerlich war, wie es heute ist, direkt neben der Roten Flora. Allein wenn unsere Musiker:innen mit ihren Instrumenten und der bürgerlichen Aura, die diese Instrumente verströmen, dort zur Probe gegangen sind, ist schon etwas passiert, gab es Reibung, Neugierde, etwas zu entdecken. Dort haben wir dann auch die Konzertreihe ›Urban String‹ gegründet, um auszuprobieren, wie ein völlig anderes Konzertformat funktionieren kann – die eigene Arbeit mit ganz vielen Kooperationen zu verschränken, überall zu gucken, was sich an gegenseitiger Inspiration ergeben kann und was wir daraus für unsere eigene Arbeit lernen können. Ich persönlich finde diese Qualität des Ensembles, in vielen verschiedenen Kontexten glaubwürdig und anschlussfähig zu sein, das größte und einzigartigste Talent. Das hat dann letztlich den Weg zum Resonanzraum geebnet, weil uns ab da klar war, dass wir nicht einfach nur nach einem Ort suchen, an dem wir unterkommen können und gute technische und akustische Bedingungen vorfinden, sondern dass das ein Ort sein muss, der auch in der Szene verankert ist.

Der Resonanzraum des Ensemble Resonanz im Hochbunker an der Feldstraße in St. Pauli • Foto © Jann Wilken

Ihr habt den Resonanzraum im Hochbunker an der Feldstraße 2014 eingeweiht, 2017 habt ihr den Kleinen Saal der Elbphilharmonie eröffnet und seid dort seitdem Residenzensemble. Auf der einen Seite seid ihr nun auch Teil des ›Establishments‹, gleichzeitig aber trotzdem noch ein freies, selbstorganisiertes Ensemble, mit all den Herausforderungen, die auch in finanzieller Hinsicht damit einhergehen. Beschäftigt ihr euch mit dieser neuen Rolle?

Wir denken jetzt nicht: ›Wir haben es jetzt geschafft.‹ Die Fragen, die an die Kunstform ›Klassik‹ gestellt werden, und mit denen wir uns immer schon beschäftigt haben, sind ja auch nicht unbedingt weniger geworden, im Gegenteil. Auch wenn man es vorher schon gewusst oder geahnt hat, hat Corona nochmal deutlich gezeigt, wie überraschend gering der Rückhalt gegenüber dieser Kunstform in Gesellschaft und Politik ist, was vielleicht auch mit eigenen Versäumnissen zu tun hat. Wir finden es immer noch wichtig, dass man nicht fraglos einfach fordert oder für selbstverständlich erklärt, dass das, was man tut, richtig ist und gefördert gehört, sondern sich damit auseinandersetzt, was da genau stattfindet, welchen Wert das hat, und für wen. Vor dem Hintergrund denken wir, glaube ich, nicht, dass wir irgendwo angekommen sind und jetzt geht das immer so weiter. 

Im Januar 2022 wird die Elbphilharmonie fünf Jahre alt. Zu Beginn waren mit dem Bau auch viele Ängste verbunden vonseiten der freien Szene und verschiedener Musikakteure der Stadt. Was ist heute dein Fazit?

Hamburg als Musikstadt hat wahnsinnig von der Elbphilharmonie profitiert, es war bestimmt nicht alles für alle super, aber im Großen und Ganzen ist die Bilanz überwältigend positiv, und zwar nicht nur für die klassische Szene, sondern insgesamt. Insbesondere wenn ich überlege, wie Hamburg davor ausgesehen hat, wie sich zum Beispiel die Fördertöpfe für die freie Szene entwickelt haben, wie die Situation der Clubs jetzt ist … Das liegt sicherlich auch an außergewöhnlichen Kulturpolitiker:innen wie Barbara Kisseler und jetzt Carsten Brosda, aber es hat bestimmt auch mit der Elbphilharmonie zu tun, weil sich Hamburg ohne diesen Paradigmenwechsel nicht so stark verändert hätte und dem nicht so einen Stellenwert eingeräumt hätte. Krass, dass man das mal so sagt, oder? 

Euch gibt es jetzt seit 27 Jahren, viele Gründungsmitglieder sind noch dabei und jetzt um die 50. Gibt es so etwas wie eine Midlife Crisis?

Naja. Das Ensemble hat sich von Anfang an nicht als ›Projekt‹ begriffen, sondern als etwas, das mal unser Beruf sein soll und von dem wir leben wollen – was aber auch über die Menschen, die es bilden, hinausgeht. Wir haben insofern auf eine Weise immer den Anspruch der ›Institutionalisierung‹ mit uns rumgetragen. In den letzten zwei, drei Jahren bewegt uns stark die Frage, ob das Ensemble ein generationenübergreifendes Lebensprojekt ist, die wir ganz klar mit ›ja‹ beantworten. Das heißt aber auch, dass wir jetzt den Generationswechsel einleiten und zulassen müssen. 

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Der Künstler:innenmanager Karsten Witt, der die Junge Deutsche Philharmonie mitgegründet hat, hat mir einmal erzählt, dass er bei jüngeren Musiker:innen den Wunsch vermisst, Institutionen zu gründen und zu verändern. Nimmst du das auch so wahr?

Ich verstehe, was Karsten meint. Ich glaube, der Unterschied ist wahrscheinlich der Grad an spezifischem politischen Interesse, der in der älteren Generation mitgeschwungen hat: etwas verändern zu wollen, etwas aufreißen oder so. Gleichzeitig ist der ganze Bereich an der Basis mittlerweile zu fluide und divers geworden, als dass man noch ausschließlich in diesen Gegensätzen ›Institution vs. freie Szene‹ denken und in einem ›Entweder-Oder‹ verharren könnte.

Was hat sich denn in den letzten 25 Jahren ›auf der anderen Seite‹ der öffentlich finanzierten Institutionen und Tariforchester geändert?

Man kann nicht feststellen, dass die großen Häuser und Tariforchester heute großartig anders aussehen als vor zwanzig oder vierzig Jahren. Aber das Erkennen von Arbeitsrealitäten, die nicht auf abhängiger Arbeit basieren, das Wissen um deren Innovationskraft, künstlerische Qualität und internationale Sichtbarkeit ist größer geworden, oder wird gerade größer. Es hat über Jahrzehnte hinweg eine Marginalisierung der freien Szene gegeben, verbunden mit diesem Denken, dass große Kunst mit großen Namen zu tun hat. Das ist immer noch in sehr vielen Köpfen verankert, aber ich glaube – ich hoffe! – es löst sich langsam auf. 

Aber fandest du es nicht scheinheilig, wer auf einmal alles wegen Corona sein Herz für die freie Szene entdeckt hat? 

Es ist zum Teil schon scheinheilig gewesen, vor allem wenn man sieht, dass der wichtigste Hebel, den es hätte geben müssen, nämlich freischaffende Künstler:innen anständig abzusichern, nicht stattgefunden hat. Parteiübergreifend sind die Menschen, die einen tieferen Einblick in die Lebensrealität von selbständig arbeitenden Künstler:innen haben, an ihren eigenen Leuten verzweifelt. In allen Parteien gab es Menschen, die gesagt haben: ›Das gibt’s doch nicht, es gibt so viel selbstgewählte und systembedingte Selbständigkeit in diesem Land, und die Leute im Wirtschafts- und Finanzministerium sehen das nicht, weil sie denken, dass Menschen entweder fest angestellt sind und sozialversicherungspflichtige Jobs haben, oder selber Unternehmer sind und Angestellte haben, und alles andere sind gescheiterte Existenzen.‹ Aber trotzdem gibt es eine positive Entwicklung und immer mehr Menschen in Verwaltung und Politik, die zuhören, das kriegt man auch aus anderen Kunstbereichen mit. Da passiert schon was, gleichzeitig ist der Weg noch ein weiter.

Wobei sich die Frage der Scheinheiligkeit nicht nur auf Politiker:innen, sondern auch auf den ein oder anderen Klassikstar bezog…

Ich weiß [lacht].

Findest du, dass ihr mittlerweile genug Wertschätzung erfahrt?

Meistens können wir uns eigentlich nicht beklagen. Ich kenne aber viele freie Initiativen, die großartige Arbeit machen und nicht genug gewertschätzt und gesehen werden. Und auch wir machen nach wie vor Erfahrungen, bei denen man in die Tischkante beißen möchte, wenn manchmal unabhängig von Erfolgen, Qualität und Seriosität der Konzepte im Zweifel die umfassend öffentlich finanzierte institutionelle Wucht mehr Gewicht auf die Waage bringt. Das kann immer noch frustrierend sein. 

Urban String im Resonanzraum • Foto © Gerhard Kühne

Der NDR macht jetzt im Club Übel und Gefährlich, ein paar Stockwerke über eurem Resonanzraum, auch ein ›Klassik im Club‹-Format. Nervt sowas?

Wir haben das Format ja nicht erfunden, vielleicht haben wir es in Hamburg etabliert, aber gegeben hat es das schon vorher. Und Urban String geht auch über das hinaus, was der NDR im Bunker macht, insofern ist die Argumentation der Kolleg:innen vom NDR, das sei was ganz anderes, irgendwo schon richtig. Aber das im selben Haus zu machen, ohne dass man vorher davon erfährt…das war schon überraschend. Auf der anderen Seite…bei einer Rundfunkanstalt, die von den Klangkörpern über die Finanzierung bis zu den Kommunikationswegen alles inhouse hat und selten irgendjemanden braucht, kann das vermutlich schon mal passieren.

Eure Finanzierung steht auf drei Säulen: 25 Prozent Strukturfinanzierung durch die Stadt Hamburg, 30 Prozent private Zuwendungen und 45 Prozent aus Einnahmen. Habt ihr die Sorge, dass, auch im Zuge von Corona, die Einspielergebnisse und Gagen weniger werden, weil Veranstalter weniger Geld zahlen und vielleicht auch ›konservativer‹ progammieren?

Ja, das ist eine große Herausforderung. Die 45 Prozent Einspielergebnis werden wir, glaube ich, auf Sicht nicht mehr hinkriegen, sondern vielleicht nur noch 40 oder 35 Prozent. Man merkt, dass die Gagen ein bisschen in die Knie gegangen sind. Ob wir in der Elbphilharmonie mit dem eigenen Ticketverkauf da landen, wo wir bisher waren, ist auch zumindest offen. In absoluten Zahlen ist das keine kleine Summe. Dafür müssen wir eine Lösung finden. 

Könntest du zwei Stücke nennen, die euch als Ensemble über den ganzen Zeitraum begleitet haben, die in besonderem Maße zu eurer DNA gehören?

Die CPE Bach Sinfonien mit Riccardo Minasi und Enno Poppes Wald. Wenn ich ein drittes Projekt nennen dürfte, wäre es Mercy Seat mit Charly Hübner – diese Art von Kooperation, bei der man ein Jahr lang mit einem Künstler arbeitet und daraus entsteht eine Welt, die man gemeinsam entwickelt hat, und man wusste am Startpunkt noch nicht, wo es hingeht. Solche Arbeitsweisen spielen zunehmend eine Rolle bei uns.

Du bist als Musiker Gründungsmitglied des Ensembles und jetzt seit 13 Jahren dessen Manager. Hast du nicht manchmal Lust, in den sicheren Hafen einer öffentlich finanzierten Institution einzulaufen und dann von oben runterzuspielen?

Um Gottes Willen – auf von oben runter habe ich gar keine Lust. Ich habe Lust auf Veränderung gestalten, und das geht hier wunderbar. ¶

Hartmut Welscher

... ist Herausgeber von VAN. Er studierte Development Studies, Ethnologie und Asienwissenschaften in Berlin, Seoul, Edinburgh und an der London School of Economics und arbeitete im Anschluss zehn Jahre als Berater in Projekten der internationalen Entwicklungszusammenarbeit. 2014 gründete er mit Ingmar Bornholz den VAN Verlag, wo er auch als Geschäftsführer fungiert. hartmut@van-verlag.com