Vor einem Monat hielt Tom Buhrow seine Hamburger Privatrede, in der er bei aller Tabula-Rasa-Pose vieles im Ungefähren beließ, aber ausgerechnet bei den rundfunkeigenen Klangkörpern sehr konkret wurde. »Wollen die Beitragszahler die insgesamt 16 Ensembles: Orchester, Big Bands, Chöre, die die ARD derzeit unterhalten?«, fragte er, nur um die Antwort schon vorwegzuframen: 2.000 Menschen, alle fest angestellt, und das obwohl es in Deutschland ja schon mehr als 120 Berufsorchester gibt, wer will denn sowas? 

In der Politik blieben Buhrows Einlassungen zu den Klangkörpern weitgehend unkommentiert – bis letzte Woche. Da veröffentlichte die Landtagsfraktion der FDP in Nordrhein-Westfalen ein Positionspapier zur »Reform und Modernisierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks«. Von der »Best-of-Lösung«, die Buhrow selbst anregte – »das beste Sinfonieorchester, den besten Chor, die beste Big Band, das beste Funkhausorchester« – ist bei der NRW-FDP allerdings nicht mehr die Rede. Stattdessen wird der Kahlschlag gefordert: »Für die Erfüllung des Programmauftrags nicht notwendige sendereigene Einrichtungen werden perspektivisch aufgelöst.« Als einzige Streichkandidaten genannt: »Chöre und Klangkörper«.

Dass diese politische Forderung nun ausgerechnet dem Sendegebiet entwächst, in dem Tom Buhrow als Intendant wirkt, bestätigt beim WDR jene, die Buhrow vorwerfen, er habe sie zum Abschuss freigegeben. Und das, obwohl die Klangkörper bis dato von Kritik und Skandalen weitgehend unbehelligt geblieben sind. Während sich bei BR, SWR oder NDR die Intendant:innen seit Buhrows Rede zumindest intern hinter ihre Ensembles gestellt haben, steht beim WDR ein Treffen mit ihrem Intendanten noch aus. 

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In einem letzte Woche fast zeitgleich vorgelegten Positionspapier der FDP-Bundestagsfraktion zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk tauchten die Klangkörper zwar nicht auf. Auf VAN-Nachfrage forderte allerdings auch der medienpolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag, Thomas Hacker, »die Unterhaltung sämtlicher bestehender Chöre, Klangkörper und Rundfunkorchester auf den Prüfstand zu stellen«. Er sei den Parteifreunden aus Nordrhein-Westfalen dankbar, die Debatte angestoßen zu haben. Die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten müssten sich künftig vorrangig auf ihre »gesetzlich vorgegebenen Kernaufgaben« fokussieren. Zu denen zählt Hacker die Klangkörper explizit nicht. 

Wie schon in Buhrows Rede im Übersee-Club scheinen die Rundfunkensembles auch für die FDP so etwas wie die verlängerte Armlehne von Patricia Schlesingers Massagesesseln zu sein: der überkommene wie überflüssige Luxus eines über seine Verhältnisse lebenden Systems. Formal können sich die Kritiker darauf berufen, dass die Klangkörper im Staatsvertrag nicht namentlich genannt werden. Wer dagegen argumentiert – zum Beispiel mit Verweis auf den öffentlich-rechtlichen Kultur- oder Bildungsauftrag –, hat selbst in vielen Sendern schon lange schlechte Karten. »Mit so etwas wie Auftrag darfst du nicht kommen, da erntest du bei uns nur ein Lächeln«, so ein Kulturredakteur des WDR. 

Zwar konstatiert FDP-Medienpolitiker Hacker den Rundfunkorchestern und -chören »einen herausragenden Beitrag zum Kulturleben der Bundesrepublik und oft weltweites Renommee«. Deren Finanzierung müsse aber sichergestellt werden, »ohne die Gebührenzahler zu belasten«, zum Beispiel über Landesmittel. Warum allerdings der Rundfunkgebührenzahler ent- und der Steuerzahler dafür belastet werden soll, bleibt rätselhaft. Laut DOV (die neuerdings ›unisono‹ heißt), kostet der Unterhalt der Klangkörper den Beitragszahler derzeit etwa 42 Cent monatlich. Das Entlastungs- und Sparargument klingt da eher nach symbolpolitischer Profilierung über eine Sache, mit der man offenkundig eh nicht viel anfangen kann. 

In Hessen ist eine Beteiligung des Landes am hr-Sinfonieorchester nach VAN-Informationen aktuell im Gespräch, um den hochverschuldeten Hessischen Rundfunk zu entlasten. Für manch Orchestermitglied erscheint die Überführung in die Länderfinanzierung durchaus verlockend, da man so nicht mehr gegen die Widerstände in der eigenen Sendeanstalt ankämpfen müsste. »Man stößt immer an die Schranke, es gibt keinen Schub und Rückhalt, es ist ein einseitiger Dialog, wir rufen ins Leere«, so ein Rundfunkmusiker gegenüber VAN.

Aber egal wie die Sache sich in Hessen entwickelt, es bleibt unrealistisch, dass daraus ein flächendeckendes Modell wird. Das Land Nordrhein-Westfalen unterhält zum Beispiel mit der Neuen Philharmonie Westfalen, der Nordwestdeutschen Philharmonie und der Philharmonie Südwestfalen bereits drei Landesorchester. Warum mit der Übernahme der WDR Orchester noch ein viertes und fünftes dazunehmen?

Für die verschärften Bedingungen einer skandalgetriebenen Debatte, in der zunehmend Populisten die Wortführung übernehmen, sind die Rundfunkklangkörper schlecht gewappnet. Die Sender haben es versäumt – oder mutwillig unterlassen –, die Alleinstellungsmerkmale ihrer Ensembles weiterzuentwickeln und das Vorzeigbare ins Schaufenster zu stellen. Zum Beispiel die vielen Konzerte in der Fläche, an kleinen Orten, in Schulen, mit kleinen Besetzungen. Tue Gutes und schweige darüber. 

Kommunikativ und künstlerisch konkurrierte man lieber mit den Konzertorchestern um Exzellenz und internationale Sichtbarkeit, statt auf Synergien zu setzen, die aus der Anbindung an eine Rundfunkanstalt entstehen können: im Bereich der Musikvermittlung, der Repertoireentwicklung und Neuen Musik, der Konzertformate. Selbst beim Streaming waren oft andere schneller und besser. Die Rundfunkklangkörper wirken bisweilen wie Fremdkörper in der eigenen Anstalt. Während früher Redakteure im Sender die Programme gestalteten und dafür auf die hauseigenen Ensembles zurückgriffen, heuert man heute berühmte Chefdirigenten an, die Programme machen, die sie immer schonmal machen wollten, und die oft genug auch überall anders stattfinden. 

Statt bei der Verteidigung nun reflexhaft – und meist uninspiriert – auf Tradition und internationalen Ruf zu verweisen, müsste es eher um die Zukunft gehen: die Rundfunkklangkörper als Pioniere, jenseits von Marktmechanismen und Reichweitenfixierung, und gleichzeitig als die nahbaren Ensembles für das ganze Sendegebiet. Cutting Edge und Local Hero in Personalunion. Dafür bräuchte es aber auch engagierte Intendant:innen, die ein solches Profil mit Herzblut und Wissen prägen wollen und Abschaffungsphantasien wie denen der FDP die Stirn bieten. Die Sorge um die Zukunft der Klangkörper scheint an anderer Stelle ausgeprägter. »Tolle junge Kolleg:innen kommen auf mich zu und fragen: ›Meinst Du es gibt hier beim Rundfunkorchester noch eine Perspektive für mich?‹«, so ein Musiker. »Das macht mir ganz große Sorgen.« ¶

... ist Herausgeber von VAN. Er studierte Development Studies, Ethnologie und Asienwissenschaften in Berlin, Seoul, Edinburgh und an der London School of Economics und arbeitete im Anschluss zehn Jahre als Berater in Projekten der internationalen Entwicklungszusammenarbeit. 2014 gründete er mit Ingmar Bornholz den VAN Verlag, wo er auch als Geschäftsführer fungiert. hartmut@van-verlag.com