In Filmen fungieren Opernhäuser gerne als Treffpunkte oder Tatorte (besonders für Spionage oder Mord). Hier erleben die Protagonist:innen Momente der Offenbarung, der tieferen Verbindung oder der Katharsis, die die Handlung vorantreiben oder in eine ganz neue Richtung lenken. Die besten Opern-Szenen im Film heizen an, was bereits unter der Oberfläche brodelt, zuweilen bekommen selbst die Opern ganz neue Bedeutungsebenen eingezogen. Wir schauen auf zwölf Filme mit besonders überzeugenden Opern-Szenen.   


Film: Batman Begins (Nolan, 2005)
Opera: Mefistofele (Boito, 1868)

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Wenn der junge Bruce Wayne an diesem Opernabend etwas mehr Durchhaltevermögen bewiesen hätte, hätte es Batman nie gegeben und niemand wäre da gewesen, um Gotham zu retten. In der Walpurgisnacht-Szene in diesem Mefistofele schwirren als Fledermäuse kostümierte Tänzer:innen durch den Bühnenraum. Bruce, der zuvor selbst in eine Fledermaushöhle gestürzt ist, ist verängstigt und möchte nach Hause. Auf dem Heimweg werden seine beiden Eltern erschossen. Vor diesem Hintergrund entspinnt sich Bruce’ beziehungsweise Batmans weitere Geschichte.

Viele Superhelden streben nach Wissen, Macht und Gerechtigkeit, genau wie Faust. Batman zumindest lernt glücklicherweise schneller als Boitos Faust, seine Triebe zu kontrollieren und Ra’s al Ghuls Versprechungen von Macht und Rache zu durchschauen. Der Opernabend spielt im Batman-Comic als Wendepunkt in Bruce’ Biografie eine entscheidende Rolle. Nolan stärkt diese Szene noch, indem er Werk und Inszenierung sehr klug wählt.


Film: Marie Antoinette (S. Coppola, 2006)
Operas: Platée (Rameau, 1745) und Castor et Pollux (Rameau, 1737)

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Inmitten des anachronistischen Pop-Soundtracks von Marie Antoinette werden die Opern orts- und zeitgemäß inszeniert. Als die frisch verheiratete Dauphine ihre erste Aufführung im Hoftheater – Platée – besucht, springt sie nach Aux langueurs d’Apollon, Daphné se refusa begeistert klatschend auf. Trotz böser Blicke und Ermahnungen applaudiert sie weiter, ihr Mann und das Gefolge können nicht anders, als in den Applaus einzusteigen – ihre Macht ist hier größer als die der Hofetikette. So wird zwar kitschig, aber klar kommuniziert, über welchen Charme und welchen Einfluss Marie Antoinette verfügte.

Ihr Charme und ihr Glück schwinden, sobald sie auf dem Thron sitzt. Tristes Apprêts, Pâles Flambeaux aus Castor et Pollux erklingt in der traurigsten Sequenz des Films, in der mit der Geburt der Tochter Gemälde in den Palast hinein- und mit ihrem frühen Tod wieder hinausgetragen werden. Das Ende der Arie erleben wir wieder im Opernhaus, wieder applaudiert Marie Antoinette, aber dieses Mal bleibt sie damit allein.


Film: Birth (Glazer, 2004) 
Opera: Die Walküre (Wagner, 1870)

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Glazers Psychodrama handelt von einer Witwe, die zehn Jahre nach dem Tod ihres Mannes wieder heiratet – bis ein kleiner Junge auftaucht, der behauptet, die Wiedergeburt ihres ersten Ehemanns zu sein. Während Anna (Nicole Kidman) versucht, den jungen Sean sanft davon abzubringen, sich ihr zu nähern, macht ihr Verlobter Joseph dem Jungen entschieden klar, dass er nicht wieder auftauchen soll. Der Junge bricht zusammen und Wagners furioser Beginn der Walküre erklingt, zuerst aus dem Off, dann als Teil der Szene: Glazer springt zu dem Paar, das sich durch die Sitzreihen im Opernhaus den Weg zu den Plätzen bahnt, als das Stück bereits begonnen hat (keine besonders guten Manieren, aber angesichts der Umstände entschuldbar). Die Kamera schwenkt auf Kidmans Gesicht, und wir sehen, wie sich das Unbehagen über die Verspätung in ein Unbehagen im Alleinsein mit den eigenen Gedanken verwandelt. Leider endet die Szene während des Vorspiels, so dass wir nicht mehr sehen, wie Anna auf Siegmunds und Sieglindes verbotene Romanze reagiert.


Film: Citizen Kane (Welles, 1941)
Opera: Salammbô (Herrmann, 1941)

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Charles Foster Kane und Xanadu sind nur wenige Schritte  von ihren realen Vorbildern William Randolph Hearst und Hearst Castle entfernt. Bei der Oper Salammbô handelt es sich allerdings um eine Neuschöpfung extra für diesen Film. Laut Michael Andregg steht Oper hier für Kanes Streben nach Selbstdarstellung durch Kultur und seine Tyrannei über Susan. Susan, Kanes zweite Frau, ist eine tragische Figur, die trotz mangelnder Begabung in eine Opernkarriere gezwungen wird, um Kanes Ego zu streicheln. Von schwarzem Humor trieft die Collage einer Szene, in der Kane verspricht, er baue Susan ein eigenes Opernhaus, wenn sie ansonsten keine Rollen bekomme, mit der schlagzeile »Kane baut Opernhaus«. Bald darauf folgt allerdings Herzschmerz. Gehässige Kommentare des Publikums und schlechte Kritiken beunruhigen Kane und machen Susan völlig fertig. Sie unternimmt einen Selbstmordversuch; Kane ist gerade noch bereit, sie ihre ›Karriere‹ beenden zu lassen. Bald darauf verschwindet sie. Es überrascht nicht, dass er allein stirbt.


Film: Zeit der Unschuld (Original: The Age of Innocence, Scorsese, 1993)
Opera: Faust (Gounod, 1859)

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Wie in Viscontis Senso ist auch in Zeit der Unschuld eine historische Opernaufführung Kulisse für gesellschaftliche Manöver. Newland Archer und seine Junggesellenfreunde sehen von ihrer Loge aus den dritten Akt von Faust. Im New York des Gilded Age wird Gounods Oper auf Italienisch gesungen – eine Übersetzung ins Englische würde die Oper zu leicht zugänglich machen, aber Französisch ist ebenso undenkbar. So gibt es Wharton in ihrem Roman vor, Scorsese bleibt dem Original treu. Newland hat in dieser Szene nicht nur Augen für das Bühnengeschehen, sondern auch für seine Verlobte May Welland und ihre skandalumwitterte Cousine, Gräfin Ellen Olenska, in der Loge auf der anderen Seite des Saals. Diese Szene zeigt nicht nur die stimmungsvolle Umsetzung von Whartons Roman, sondern auch das Panoptikum der reichen New Yorker Gesellschaft, in der jede Bewegung, jede Indiskretion und jede (tatsächliche oder vermeintliche) Brüskierung sorgfältig und grausam überwacht wird.

Film: Pretty Woman (Marshall, 1990)
Opera: La traviata (Verdi, 1853)

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Ursprünglich sollte Pretty Woman – frei nach der Kameliendame – wie die Vorlage tragisch enden; schließlich ging man in Hollywood jedoch einen anderen Weg. Edward Lewis, der Vivian Ward eine Woche lang als Begleiterin für seine Geschäftsreisen nach Kalifornien engagiert hat, nimmt sie mit in eine Aufführung von La traviata. Die Oper wird in Ausschnitten gezeigt, immer wieder kombiniert mit den Reaktionen Vivians, die die Handlung gebannt verfolgt.

La traviata taucht am Ende des Films wieder auf. Amami, Alfredo klingt hier in quasi umgekehrter Bedeutung: Während Violetta ihre unsterbliche Liebe schwört und um Alfredos Gegenliebe bittet, löst Edward das gebrochene Versprechen Alfredos ein.


Film: Liebe am Nachmittag (Original: Love in the Afternoon, Wilder, 1957)
Opera: Tristan und Isolde (Wagner, 1865)

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Billy Wilder hatte schon vor Liebe am Nachmittag mit Wagner zu tun: In Eine auswärtige Affäre (A Foreign Affair, 1948) über Nazi-Verstrickungen im Nachkriegsberlin erklingen Ausschnitte aus Wagners Lohengrin. Ein Jahrzehnt später werden die Wagnerianer in einem leichteren (und unbedeutenderen) Film liebevoll verspottet. Ariane, die sich von einem Flirt mit Frank Flannagan erholt, sitzt in einer Empore neben einem Mann, der eifrig die Tristan-Ouvertüre mitdirigiert, ohne sich der ihn taxierenden bösen Blicke bewusst zu sein. Als Frank schließlich mit Verspätung auftaucht und sich mit seiner Begleitung in die erste Reihe des Parketts setzt, zückt Ariane ihr Opernglas, um die beiden zu beobachten, während ihr Sitznachbar wohl annimmt, sie sei ebenfalls Wagner-Jüngerin. In der Pause entgeht sie seinen leidenschaftlichen Ausführungen über den  Liebestod nur, weil er sich beim zu engagierten Luft-Dirigieren die Jacke zerreißt. Liebe und Oper – beide sind Wahnsinn.


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Film: Fitzcarraldo (Herzog, 1982)
Operas: Ernani (Verdi, 1853) und I Puritani (Bellini, 1835)

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Brian Sweeney Fitzgerald alias Fitzcarraldo schafft es im Film nie in eine Oper, aber er verfolgt dieses Ziel hartnäckigst und bringt dabei sich und viele andere fast um. Wir lernen ihn kennen, als er 1.200 Meilen mit dem Schlauchboot fährt, um einen Blick auf Enrico Caruso zu erhaschen, der im Teatro Amazonas Ernani singt – und wie er zu spät kommt, um eingelassen zu werden. Daraufhin macht er sich daran, ein großes Opernhaus in Iquitos zu bauen und Caruso einzuladen. Aus logistischen und finanziellen Gründen und weil die Launen der Natur dazwischenfunken, geht dieser Plan jedoch nicht auf. Am Ende steht ein Pyrrhussieg: Fitzcarraldo ist gezwungen, sein Boot zu verkaufen, und überredet die Truppe aus Manaus, ein einziges Mal I Puritani an Deck des Bootes aufzuführen, während es den Amazonas hinab fährt, mit dem Publikum am Ufer.


Film: Ferrari (Mann, 2023)
Opera: La traviata (Verdi, 1853)

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Wenn man will, dass die Massen beim Stichwort »italienisches Rennauto« sofort »Ferrari« denken, muss man sich als Geschäftsmann entsprechend in der Öffentlichkeit präsentieren. Das weiß auch Enzo Ferrari, der 1957 vor der Mille Miglia beim Opernbesuch einen glamourösen Auftritt hinlegt, inklusive Blitzlichtgewitter. Seine Frau Laura und seine Mutter Adalgisa hören La traviata stattdessen zuhause im Radio. Die Einstellungen springen zwischen der Tragödie auf der Bühne im dritten Akt zu den Gesichtern von Enzo, Laura und Adalgisa, die schweigend zusehen und zuhören. Der Tod von Enzos und Lauras Sohn ist dabei sehr präsent. Auch wenn La traviata keinen direkten inhaltlichen Bezug zum Rennsport, zu Untreue und zu den finanziellen Problemen der Ferraris herstellt, so verbindet die Oper in dieser Szene das Auftreten eines Mannes als Teil der High Society und mit dem Kummer einer zurückgezogenen Frau.


Film: Margaret (Lonergan, 2011)
Operas: Norma (Bellini, 1831) und Les contes d’Hoffmann (Offenbach, 1881)

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Lisa Cohen spielt die Coming-of-Age-Heldin Lady Bird McPherson wie einen engelsgleichen Teddybär, der durch einen Reflexionsprozess nach einem schrecklichen Busunfall den eigenen Egoismus nach und nach ablegt. Trauma und Streben nach Gerechtigkeit sind Themen sowohl im Film als auch in Norma. In einer Szene wird Lisa brutal direkt vorgehalten, dass die Tragödie, deren Zeugin sie war, keine Oper sei und dass ihre Gefühle verheerenden Einfluss auf das reale Leben anderer haben. Schließlich lässt sich Lisa von ihrer Mutter in die Met einladen. Zu Beginn des Venedig-Akts entschuldigt sich ihre Mutter, dass Les contes d’Hoffmann im Vergleich zu der Norma, die sie in einer früheren Szene bei einem Date gesehen hat, nicht so gut sei. Aber die Barcarolle bringt Lisa zum Weinen und sie hält die Hand ihrer Mutter, während Renée Fleming singt. Meines Wissens nach gibt es keine Oper, die wie dieser Film in der Zeit nach 9/11 spielt und vom Leben hormongesteuerter Teenager mit Schuldgefühlen handelt. Hoffmanns Erzählungen sind hier jedoch durchsetzt mit Momenten der Schönheit und des Glücks. Lisa brauchte solche Momente mehr, als sie selbst es weiß.


Film: Mondsüchtig (Original: Moonstruck, Jewison, 1987)
Opera: La bohème (Puccini, 1896)

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An Mondsüchtig ist allerlei interessant, vor allem die Tatsache, dass der Film offensichtlich in einem alternativen New York der 1980er Jahre spielt, in dem Zeffirellis Version von La bohème nicht bekannt ist. Die Bühnenbilder in Mondsüchtig sehen aus wie die bei Zeffirelli, auf dem Opernplakat steht bei Mondsüchtig als Regisseur jedoch »Louis Gold«. Ich würde gerne wissen, was Jewison sich dabei gedacht hat.

Ronny Cammareri ist durch und durch Opern-Fan: Er hört La bohème auf Schallplatte, hat Poster von Verdi und Massenets Ariane an der Wand hängen und beichtet Loretta Castorini, der Verlobten seines Bruders, dass er zwei Dinge liebt: sie und die Oper, und dass er nur eine Nacht beides gemeinsam erleben will. Sehr schlicht, sehr verzweifelt, sehr romantisch. Es gibt keine bessere Wahl für diesen großen Film als die großen Gefühle bei Puccini – groß genug, um Loretta wirklich glauben zu lassen, dass Mimì überlebt.



Film: Der talentierte Mr. Ripley (Original: The Talented Mr. Ripley, Minghella, 1999)
Opera: Eugene Onegin (Tschaikowsky, 1879)

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Auch fünfundzwanzig Jahre nach Erscheinen ist die Einbettung einer Oper in eine Filmhandlung in Der talentierte Mr. Ripley ungeschlagen. Und: Diese Szene, in der Tom Ripley, der sich als Dickie Greenleaf ausgibt, mit der Erbin Meredith Logue auszugeht, wurde für den Film neu erfunden, im Roman von Patricia Highsmith wird die venezianische Oper nicht erwähnt. Im Opernhaus treffen beide auf Marge, die Freundin des echten Dickies, die ihn als Tom erkennt. Tom gelingt es, eine Begegnung der beiden Frauen zu verhindern, aber er verstrickt sich dabei immer tiefer im Geflecht aus Lug und Betrug und sieht sich schließlich gezwungen, Dickie ein zweites Mal zu töten.

In der Oper sehen wir eine Inszenierung von Eugen Onegin, genauer: das Duell im zweiten Akt mit einem spektakulären Stoffblut-Effekt. Hier zementiert Minghella auch eine thematische Änderung, die er gegenüber Highsmiths Roman vornimmt: Der Tom Ripley des Films ist eher romantisch als psychopathisch veranlagt, in seiner Faszination für Dickie wirkt er eher zärtlich und verwirrt als das von Selbsthass und Berechnung getrieben. Beim Mord auf dem Boot handelt es sich – wie auch in Opern gern gesehen – eher um ein »Verbrechen aus Leidenschaft« oder einen dummen Fehler als um einen sorgfältigen Plan. Dasselbe könnte man von Onegin sagen, der seinen besten Freund Lenski in einem Duell tötet, das er gedankenlos provoziert hat. Durch diese Spiegelung erscheinen sowohl Ripley als auch Onegin noch tragischer und jämmerlicher. ¶