Die Nachricht vom politischen Sieg der italienischen Rechten, der »rechtesten Regierung seit Ende des Zweiten Weltkriegs«, hat im Ausland große Besorgnis ausgelöst, nicht zuletzt in Hinblick auf die Wehrhaftigkeit der Demokratie und der europäischen Einheit in diesen schwierigen Zeiten. Von einer Rückkehr zum Faschismus war die Rede. (In der Tat ist es mindestens beunruhigend, wenn ein Präsident des Senats der Republik unter anderem Mussolini-Fanartikel sammelt.) Dabei gilt es aber zu bedenken, dass diese Regierung das Ergebnis freier Wahlen ist und nicht etwa eines Staatsstreichs. Es ist vielleicht an der Zeit, dass sich die linken Parteien Italiens fragen, wo die Ursachen ihres Scheiterns liegen und was es heute überhaupt bedeutet, »links« zu sein.

Die Kultur im Land ist traditionell mit der italienischen Linken verbunden, davon hat die klassische Musik in den letzten Jahren jedoch nicht profitieren können. Das Problem ist kein politisches, sondern ein kulturelles: Im »Land der Kunst« standen die Kunst- und insbesondere die Musikerziehung nie im Mittelpunkt des Interesses von Parteien und Institutionen, deren Vertreter:innen, gleich welcher politischen Couleur, zumeist musikalische Analphabeten waren und sind. Die interessanten musikalischen Projekte der letzten Jahrzehnte waren allzu oft das Ergebnis persönlicher Initiativen, eines Individualismus, für den Italien durchaus bekannt ist, und sicherlich nicht das Ergebnis einer auf Nachhaltigkeit angelegten Kulturpolitik. Die italienischen Originalklang-Ensembles beispielsweise, die Mitte der 1980er Jahre im Bereich der historischen Aufführungspraxis eigene, innovative Wege gingen und damit den Publikumsgeschmack bis heute veränderten und prägten, erhielten für ihre Arbeit im Allgemeinen keine öffentlichen Mittel und konnten sich nur auf ihre eigenen Kräfte und ihre Kreativität verlassen.

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Historisch gesehen hat die Musik seit der Einigung Italiens in den Lehrplänen der Schulen nie eine nennenswerte Rolle gespielt, sondern wurde von literarischen Fächern und – wenn auch in viel geringerem Maße – der bildenden Kunst verdrängt. Es ist daher nachvollziehbar, dass die breite Masse mit klassischer Musik nicht vertraut ist, was natürlich auch für Politiker:innen gilt. Der Unterricht an Schulen als für die kulturelle Bildung maßgeblichen Institutionen war in Italien lange von hoher Qualität, jetzt ist auch er längst im Niedergang begriffen, und die ersten Äußerungen der neuen Regierung zu ihren Plänen für das Bildungswesen lassen nichts Gutes ahnen. Ein Bildungsministerium, das nach dem Regierungswechsel jetzt »Ministerium für Bildung und Verdienste« heißt, scheint programmatisch den Begriff »Leistung« über den der »Bildung« stellen zu wollen und lässt vermuten, dass diejenigen, die künftig Schwierigkeiten in der Schule haben (sei es aus individuellen Gründen, wegen der familiäre Situationen oder dem sozio-ökonomischen Hintergrund), noch stärker benachteiligt werden zugunsten derjenigen, die ohnehin aus gut situierten Elternhäusern kommmen. 

Aber Italien muss nun mit dieser – von der Mehrheit gewählten – Regierung leben. Und sie ist in den aktuell wirtschaftlich wie politisch schwierigen Fahrwassern vor keine leichte Aufgabe gestellt. Wie man in Italien so schön sagt: chi vivrà vedrà. (»Wer lebt, wird sehen.«) ¶

Giovanni Antonini ist Flötist und Dirigent. Er ist Gründungsmitglied des Ensembles Il Giardino Armonico, das er seit 1989 auch leitet. Zudem ist er Erster Gastdirigent des Kammerorchesters Basel sowie des Mozarteum Orchesters Salzburg und tritt regelmäßig mit den Berliner Philharmonikern, dem Concertgebouworkest Amsterdam, dem London und Chicago Symphony Orchestra sowie dem Tonhalle Orchester Zürich auf. Als künstlerischer Leiter ist er sowohl verantwortlich für das Festival Wratislavia Cantans...