Kulturschaffende aufgepasst: Nächste Woche ist wieder Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses! Wer seinem Projekt jetzt noch eine Bundesförderung zuteilwerden lassen möchte, sollte mit seinen lokalen Bundestagsabgeordneten in Kontakt treten. Wenn dann in der nächtlichen Marathonsitzung das so genannte »Spielgeld« frei wird, muss er oder sie zugreifen. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.
So schaffen es zuweilen auch Kulturprojekte in die bundesrepublikanische Förderung, die ja eigentlich, so sieht es zumindest das Grundgesetz vor, Ländersache sein soll. So geschehen bei den 4 Millionen Euro, die der Bund seit 2019 jährlich für das sogenannte »Lausitz Festival« bereitstellt. Von dessen Existenz erfuhren viele Akteure vor Ort erst, als für die Auftaktveranstaltung im März 2019 großflächig Werbung plakatiert wurde. Dass ein Festival zwar die Region im Namen trägt, aber, so lautete von Anfang an ein Vorwurf, mit dieser herzlich wenig zu tun hat, zog schon damals viel Unmut auf sich. (VAN berichtete.)
Der Ärger scheint auch nach vier Jahren nicht verflogen, im Gegenteil. Seit ein paar Wochen kursiert ein Arbeitspapier (welches VAN vorliegt), das von Dutzenden Kulturschaffenden aus der Region unterzeichnet wurde, von denen wiederum viele lokale Kulturinstitutionen vertreten. (Allein der mitunterzeichnende Verein »Kreative Lausitz« bündelt rund 80 Akteure der Kreativwirtschaft.) Unter dem Titel »Für ein echtes Lausitz Festival« wird darin den bisherigen vier Ausgaben des Festivals ein miserables Zeugnis ausgestellt: Kulturakteure vor Ort seien nur unzureichend eingebunden, lokale Veranstalter ganz übergangen worden. Das Programm scheine willkürlich zusammengestellt, die Veranstaltungen korrespondierten weder miteinander noch mit der Region. »Ostdeutsche Künstlerinnen und Künstler haben darin kaum Platz, auch sorbische und wendische Themen kommen so gut wie überhaupt nicht vor«, so der Kulturmanager Jörg Ackermann, einer der Hauptinitiatoren des Arbeitspapiers, gegenüber VAN. Gleichzeitig empfänden Kulturveranstalter vor Ort die geringen Eintrittspreise, die das Festival aufgrund seiner Millionen-Finanzierung aufrufen kann, als Wettbewerbsverzerrung. Ackermann hat bis 2020 das FilmFestival Cottbus mitveranstaltet und war außerdem zwei Jahre lang beim Lausitz Festival zuständig für Netzwerkarbeit. Inzwischen hat er das Team verlassen.
Die Veranstaltungen des Lausitz Festivals seien wie Ufos, die »kurz und unangekündigt einfliegen und am nächsten Tag wieder verschwunden sind, ohne auch nur Spurenelemente von kultureller oder wirtschaftlicher Substanz zu hinterlassen«, schreibt Mitunterzeichner Michael Apel, Geschäftsführer der Spremberger Kino und Kultur GmbH, in einer separaten Stellungnahme, die VAN vorliegt. Angesichts der Förderbeträge, welche die Kommunen und Landkreise für ihre Kulturschaffenden, Vereine und Initiativen sonst zur Verfügung stellen können, erzeugten die Millionenbeträge, welche beim Lausitz Festival »verbrannt« würden, Unmut.
Die Gründung des Lausitz Festivals geht nach dessen eigener Aussage zurück auf eine Initiative Daniel Kühnels, der seit 2004 Intendant der Symphoniker Hamburg ist. Die Gelder hatten die beiden Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs (SPD) und Rüdiger Kruse (CDU) 2018 bei einer Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses eingeworben. In Berlin galten die beiden als sogenannte »Hamburg Connection«. Sie hatten sich den Ruf erworben, schnell zuzugreifen, wenn im Haushalt irgendwo »Spielgeld« frei wird, und dabei ihre Heimatstadt Hamburg ins Spiel zu bringen. Als das Geld bewilligt war, wurde Kühnel auch Intendant des Lausitz Festivals, ohne dass es dazu jemals eine Ausschreibung gegeben hätte. Die 4 Millionen Euro, die seitdem im Bundeshaushalt jährlich für das Lausitz Festival veranschlagt sind, sollen »perspektivisch bis 2038« weiterfließen, heißt es vonseiten des Festivals. Spätestens dann soll in der Lausitz der Ausstieg aus dem Braunkohletagebau abgeschlossen sein.
Kritiker Kühnels zeichnen ein Bild des Intendanten, das bisweilen wirkt wie eine Projektion des Klischees vom großspurigen Wessi, der den »kulturlosen Osten« mit Leuchttürmen beglücken will (und sich bei Kritik unverstanden fühlt). Gleichsam belustigt wie verärgert erinnern sich Kulturakteure vor Ort an einen Ausspruch Kühnels bei einer Veranstaltung in der Lausitzhalle Hoyerswerda zum Festivalauftakt 2019, in der der Intendant davon sprach, in der Region »das Licht anknipsen zu wollen«. (Das Versprechen »blühender Landschaften« war immer auch deshalb fatal, weil es in der Gegenwart nur Verdorrtes zu erkennen vermochte.) Das Lausitz Festival sei wie ein Pfau, der auf dem Marktplatz lande, erzählte Kühnel im Juli dem Cottbuser Stadtmagazin Hermann. Ein weiterer Vorwurf lautet, dass Kühnel mit dem Festival sein eigenes Orchester quersubventioniere – die Symphoniker Hamburg sind mit Chefdirigent Sylvain Cambreling bisher bei jeder Festivalausgabe zu Gast gewesen, ebenso wie die Pianistin Martha Argerich, mit der Kühnel in Hamburg seit 2018 ein eigenes Festival bestreitet. Auch den Chefdramaturgen hat Kühnel aus Hamburg mitgebracht.
Der Intendant hat sich bisher nicht zu den Vorwürfen geäußert. Festival-Geschäftsführerin Maria Schulz sieht in der Kritik ein »Missverständnis in der Erwartungshaltung«: Der überregionale Anspruch des Festivals werde vom Bund so eingefordert. Es gehe nicht darum, die Finanzierungssorgen lokaler Kultureinrichtungen zu lösen, sondern erstmals auch renommierte Künstlerinnen und Künstler wie Elīna Garanča, Abdullah Ibrahim oder DJ Hell in die Lausitz zu bringen. Im Übrigen gehe es jetzt erst richtig los, so Cord Panning, Direktor des Muskauer Parks und einer der Vorsitzenden des Festivalbeirats, letzte Woche am Rande des ersten Lausitzer Kulturforums. Angesichts der schwierigen Startphase – fehlende Strukturen, kurzfristige Förderbescheide, die Corona-Pandemie – müsse man dem Lausitz Festival mehr Zeit geben, meinte dort auch Brigitte Faber-Schmidt, Abteilungsleiterin für Kultur im brandenburgischen Ministerium für Wissenschaft. Vernetzung sei ein Prozess, Kooperationen könnten nicht auf Knopfdruck entstehen, das Lausitz Festival werde sich Stück für Stück weiterentwickeln.
»Besser-Wessis« gegen »Jammer-Ossis«, Regional gegen Global, Leuchtturm gegen Boje, Hoch- gegen Graswurzelkultur, Top down gegen Bottom up – hinter dem Lausitz Festival tun sich altbekannte Abgründe und lang gepflegte Klischees auf. Deutlich wird bei all dem, welch große Hypothek die 4,4 Millionen Euro für das Festival sind (zur Bundesförderung kommen mittlerweile noch jeweils 200.000 Euro aus den Bundesländern Brandenburg und Sachsen). Während die Festivalmacher angesichts der üppigen Förderung Kritik als undankbare Jammerei und »Neiddebatte« interpretieren, reißt bei den Kritikern gerade wegen dieser Summe mittlerweile der Geduldsfaden. »Angesichts von 16 Millionen Euro verbranntem Geld in vier Jahren fällt es mir schwer, einfach zu sagen: ›Es geht ja irgendwann erst richtig los‹«, sagt Kulturmanager Ackermann.
Dass das Festival bisweilen eher polarisiert als integriert, liegt vielleicht auch an der eigentümlichen Rhetorik, mit der es sich umgibt, und in der sich Antragslyrik, Eitelkeit und Poesiealbumssprüche auf ungute Weise mischen. In einem Konzeptpapier ist 2019 davon die Rede, die Bevölkerung »durch Einbindung möglichst vieler vernakulärer Elemente« mitzunehmen und über das Festival »eine neue innereuropäische Kommunikation« anzustoßen. »Die Inspirationsworte, die wir geschaffen haben, um große Themen wie Strukturwandel und Transformation in eine durch Kunst vertretbare und zeigbare Form zu übersetzen, haben uns geholfen, sehr nah bei den Menschen zu sein«, erklärte Intendant Kühnel im November 2022 in einem Fachgespräch vor dem Brandenburger Landtag. Nach ›Metamorphose‹ (2020), ›Zwischensamkeit‹ (2021) und ›aufBRUCH‹ (2022) lautete das »Inspirationswort« für 2023 ›Hereinforderung‹, »eine Wortneuschöpfung, die zugleich irritierend und verspielt ist«, wie Kühnel im Vorwort zur Festivalbroschüre schreibt. »›Hereinforderung‹ ist keine Selbstaufgabe, bietet auch nicht einfach nur Partizipation, sondern verhandelt die Präsenz, das Dasein, die Allgegenwärtigkeit der Forderung, sich auf das Nicht-Eigene einzulassen als Bedingung für etwas ganz Wunderbares: das Bei-sich-selbst-Sein im Anderen, ohne das wir nie wirklich frei sein können. Wir nennen die Entscheidung für den Eintritt in das Nicht-Eigene auch Wertentscheidungen.« Indem sich »die Lausitz im Festival selbst dazu ermuntert, (Un-)Bekanntes zu hinterfragen, Neues zu entdecken, zu denken und zu handeln, erschließt sie sich und anderen Zukunft«.
Rein quantitativ ist die Resonanz auf das Festival bisher überschaubar: Nachdem man lange nur die prozentuale Auslastung kommuniziert hat, nannte Geschäftsführerin Schulz diese Woche erstmals auch absolute Zahlen. Demnach kamen 2023 5.083 Besucher zu den knapp 50 Veranstaltungen, wieviele davon tatsächlich bezahlt haben, bleibt offen.
Die Verfasser und Unterzeichner des Arbeitspapiers wollen das Lausitz Festival nicht abschaffen, es aber tiefer in der Region verwurzeln. Es gehe nicht darum, das Geld auf bestehende Projekte zu verteilen, so Ackermann gegenüber VAN. Allerdings hätten zahlreiche kulturelle und soziokulturelle Initiativen in der Region in den letzten 30 Jahren herausragende Arbeit geleistet. Diese Initiativen sollten mit überregionalen Künstlerinnen und Künstlern zusammengebracht werden, um Aufmerksamkeit auf die Lausitz zu lenken.
Vor dem geforderten Neuanfang steht aber die Vergangenheitsbewältigung. »Wir stellen Fragen und wir fordern Transparenz«, heißt es im Arbeitspapier: Nach welchen Kriterien und bis wann wurde die Intendanz besetzt, wie hoch waren die Investitionen in lokale Spielstätten, wie hoch der Anteil lokaler Honorarkräfte bei der Durchführung der Veranstaltungen, wie viele Besucherinnen und Besucher haben tatsächlich Geld für eine Karte ausgegeben? Behandelt werden diese Fragen nächste Woche auch im Brandenburger Landtag: Dann steht im Kulturausschuss eine Anfrage der Linken-Abgeordnete Anke Schwarzenberg zum Lausitz Festival auf der Tagesordnung.
Für Kulturmanager Michael Apel sollte die derzeitige Kritik ein Signal für die Landesregierung sei, »das Steuer noch rumzureißen: Im Moment weisen die ›Leuchttürme‹ in die falsche Richtung.« In jedem Fall scheinen auf allen Seiten größere kommunikative Anstrengungen vonnöten, damit der warme Geldsegen aus Berlin in der Lausitz nicht dauerhaft als saurer Regen niedergeht. ¶