Gestern gab das Royal Opera House die Ernennung des tschechischen Dirigenten Jakub Hrůša zum neuen Musikdirektor des Hauses ab der Spielzeit 2025/26 bekannt. Hrůša, der in London Nachfolger von Antonio Pappano wird, ist derzeit Chefdirigent der Bamberger Symphoniker. Sein Vertrag dort läuft 2026 aus, ob Hrůša länger in Bamberg bleibt, sei noch nicht entschieden, sagt Symphoniker-Intendant Marcus Rudolf Axt gegenüber VAN. Die großen Musikinstitutionen setzen seit der Pandemie eher auf bekannte Namen, selbst Orchester und Opernhäuser, die für ihr innovatives Programm bekannt sind, halten sich an berühmte Werke und Komponisten, am liebsten an Wagner. (Das Royal Opera House ist mit Kaija Saariahos Innocence und Alban Bergs Wozzeck noch eins der mutigeren.) Vor diesem Hintergrund erscheint die Ernennung Hrůšas – eines herausragenden Musikers, aber keinem der ganz großen Namen – eine besonders gute Wahl. 

Hrůša, der aus Brünn stammt, wo einst Leoš Janáček Karriere machte, tritt mit Bedacht und Überzeugung für tschechische Musik ein. Diese ist zwar reich und vielfältig, auf den Konzertprogrammen aber immer noch eher wenig präsent. Hrůša schafft tiefe Einblicke in das Repertoire seines Heimatlandes und stellt es gleichzeitig in neue Kontexte. Seine Einspielung (2008) von Janáčeks Taras Bulba glättet nichts, die Orchestrierung behält ihren Biss, gleichzeitig ist Hrůša sich auch der russisch-imperialistischen Untertöne des Stücks bewusst. »Es ist unsere Aufgabe, den schmalen Grat zu finden, so dass man die Leute nicht unnötig mit Nationalismusdebatten belastet, aber auch nichts von der Kraft des Werkes raubt«, sagte er Hartmut Welscher in VAN. Gleiches gilt für Bedřich Smetanas Zyklus Má vlast, den Hrůša auf einer Einspielung von 2017 einfühlsam vermessen hat und zu dem er anmerkte: »Während sich die Aufladung des Stücks in stabilen Zeiten oft eher wie eine Belastung anfühlt, wurde und wird es zum Symbol kultureller Identität immer dann, wenn die Tschechen das Gefühl haben, dass politisch etwas schiefläuft.« Hrůša kann auch weniger bekanntes Repertoire zum Leuchten bringen: Eine Aufnahme (2013) von zwei Sinfonietten und dem Klavierkonzert Nr. 3 des 2017 verstorbenen Ladislav Kubík macht das Grüblerische und die Mysterien in dessen Kompositionen spürbar. Seine Interpretationen von Bohuslav Martinů beweisen, wie sehr ein Komponist mit einem solch nischigen Ruf das Publikum mitreißen kann. 

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Hrůša ist bei Musiker:innen beliebt. Er besitzt die seltene Fähigkeit, akribisch und rigoros zu proben, ohne dabei unmenschlich zu sein. Angelos Kritikos, Solo-Posaunist bei den Bamberger Symphonikern, sagt mir, dass Hrůša »das Orchester auf das nächste Level gebracht hat«. Der Dirigent sei ein Perfektionist, aber die Atmosphäre im Orchester in der Regel trotzdem entspannt – es sei denn, Hrůša sei nicht zufrieden, dann verfolge er seine musikalischen Ziele hartnäckig. »Das ist es, was man sich von einem Chefdirigenten wünscht«, so Kritikos. 

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Im Sommer 2021 besuchte ich eine von Hrůša geleitete öffentliche Generalprobe von Mozarts Prager Sinfonie mit dem Lucerne Festival Orchestra (LFO). Offene Proben sind natürlich nicht die beste Gelegenheit, um einen Dirigenten zu beurteilen. Aber Hrůša ließ die Probe nicht einfach wie ein Showcase durchlaufen und die Musiker:innen danach wieder einpacken – selbst hier arbeitete er methodisch und verbesserte Details der Phrasierung und der Balance hörbar und sorgfältig. Dennoch sei er kein »Kontrollfreak«, erzählt mir die Trompeterin Noémi Makkos, die letztes Jahr im LFO mitspielte. Er probe zwar sehr gründlich, lasse dann aber im Konzert ganz frei spielen. Kritikos stimmt zu: »Es ist unglaublich, wie er bei der Aufführung loslässt. Man muss ihn immer genau im Blick behalten, weil er vielleicht ganz andere Sachen macht als in der Probe.« Der Geiger und Dirigent Roberto González erzählt, dass Hrůša »jeden einlädt, Teil des kreativen Prozesses zu sein«. Das kann in einer großen Institution wie dem Royal Opera House, wo nicht immer der Dirigent das letzte Wort hat, von besonderem Wert sein.

Hrůša erklärte gegenüber The Guardian, dass er das Standardrepertoire »mit der größtmöglichen Sorgfalt« pflegen, das von Pappano etablierte italienische Repertoire beibehalten und gleichzeitig mehr tschechische Opern einführen wolle. Es ist unwahrscheinlich, dass er mit all dem keinen Erfolg haben wird. Weniger klar ist, welche Rolle die zeitgenössische Oper in seiner Amtszeit spielen wird. Gegenüber The Guardian meinte Hrůša weiter: »Wenn die Leute zu einer Aufführung gehen, dürfen sie nicht das Gefühl haben, dass sie ein Museum betreten. Sie müssen eine Institution betreten, die sie in ihrem Leben begleitet und mit der Realität verbunden ist.« Das Royal Opera House gab bekannt, dass Hrůša in seiner ersten Spielzeit 2027/2028 seinen ersten vollständigen Ring-Zyklus sowie Werke von Janáček, Prokofjew und Britten dirigieren werde, machte aber keine Angaben zu möglichen Auftragsarbeiten oder Neuinszenierungen bestehender zeitgenössischer Opern. »Die Vergabe von Kompositionsaufträgen muss im Team entschieden werden«, sagte Hrůša, und obwohl das pragmatisch gesehen richtig ist, wäre es befriedigender, eine konkrete künstlerische Vision für diesen wesentlichen Teil des Programms des Hauses zu hören. Es ist noch nicht klar, mit welchen Opernregisseur:innen Hrůša zusammenarbeiten will. Er hat auch noch nicht erklärt, wie er für Diversität auf den Programmen sorgen will – ein Thema, das im kosmopolitischen London besonders dringlich ist. 

Dennoch ist es ermutigend, dass Covent Garden einen Musikdirektor ernannt hat, der ausdrücklich ein Dirigent und kein Maestro der alten Schule ist. Mit 41 Jahren ist Hrůša nach den Maßstäben seines Berufsstandes jung – im Gegensatz zu Klaus Mäkelä, dem 26-jährigen designierten Chefdirigent des Amsterdamer Concertgebouw-Orchesters, verfügt er aber über genügend Lebenserfahrung, um eine große und komplexe Organisation erfolgreich zu führen. Hoffentlich gelingt es ihm, auch das Londoner Opernhaus auf das nächste Level zu bringen. ¶

... ist seit 2015 Redakteur bei VAN. Sein erstes Buch, The Life and Music of Gérard Grisey: Delirium and Form, erschien 2023. Seine Texte wurden in der New York Times und anderen Medien veröffentlicht.