Die Traumfabrik Hollywood ist häufig vor allem: eine Fabrik. Massenhaft Arbeit, viel Fließbandproduktion, häufig erwartbar. Interessant sind die Ausreißer und Höhenflieger, die vermeintlichen Fehlpressungen und schillernden Abweichungen, die diesem Betrieb ihr künstlerisches Leben einhauchen. Was das weite Feld der Filmmusik betrifft, ist das nicht anders. Auch in diesem Betriebszweig verteilen sich in Hollywood einige Platzhirsche im weiten Revier. Unter ihnen legendäre Erscheinungen wie John Williams, der Melodische (Star Wars, Indiana Jones, Jurassic Park …) oder Hans »Die Maschine« Zimmer (Dark Knight, Dune, Inception …), der mit seiner eigenen Kompositionsfabrik ganz auf wiedererkennbare Soundscapes setzt. Zwischen ihnen jedoch wuselt ein faszinierendes Geburtstagskind durch die Hall of Fame der Musikindustrie – jemand, den man leider und komischerweise allzu selten auf dem Schirm hat: Danny Elfman, das Chamäleon. Am 29. Mai wird er 70 Jahre alt. Der überfällige Versuch einer musikalischen Hommage.

Danny Elfmans Musik ist so schillernd und klangfarblich flexibel wie das Gewand eines Chamäleons. Gleichzeitig erinnert sein Vermögen, sich für unterschiedliche Stoffe, Protagonist:innen und Welten zu interessieren, an die blitzschnellen, sich unabhängig voneinander drehenden Augen dieser verschmitzten Reptilienart. Diese immer auch humorvolle Skurrilität half ihm gewiss, die Jahrzehnte andauernde Freundschaft zu Tim Burton und dessen prallbunten lakonischen Filmmärchen zu pflegen. Als Elfman von ihm 1985 für seinen ersten Kinofilm Pee-Wee’s irre Abenteuer angefragt wurde, sagte er erstmal ab – zu wenig Erfahrung habe er mit Filmmusik. Zum Glück dauerte es nicht lang, bis sich das Gespann Burton & Elfman künstlerisch fand und zum vielleicht urigsten Duo aus Regie und Musik der neueren Filmgeschichte wurde. 16 der 19 Kinofilme Burtons bestritt das Gespann gemeinsam, unter ihnen Klassiker wie das morbide Märchen über Edward mit den Scherenhänden oder Alice im Wunderland mit der gleichzeitigen Faszination und Bedrohlichkeit des Kaninchenbaus.

Inmitten all der Musik zu über einhundert Filmen verweisen so manche Kritiker:innen immer wieder auf Elfmans Erscheinung, die auch einem Wes-Anderson-Film oder eben einem der vielen Tim-Burton-Universen entsprungen sein könnte. Doch Elfmans persönliches Auftreten ist von einer hinreißenden Selbstunwichtigkeit. Als er während der Corona-Pandemie eine Online-Masterclass über das Komponieren von Filmmusik ausarbeitet, spricht er zuallererst von der Notwendigkeit von Fehlern: »Here is a word, and you’re not gonna like this word – failure.« Elfman lächelt schmerzlich freundlich nach dieser Eröffnung der Masterclass. »It’s okay to fail, to feel insecure. Now, composers are arrogant, especially when we’re talking about our music. But the fact is, the arrogance is generally hiding great insecurity. […] After a hundred and something films, I’m constantly insecure.« Soviel Transparenz und entwaffnende Ehrlichkeit scheinen selten durch die Fassaden Hollywoods hindurch, und gleichzeitig erklären sie die Nahbarkeit von Elfmans Musik.

Neben seinen Kinohits ist Danny Elfman vor allem durch seine Serienmusiken bekannt. In den Achtzigern hatte er noch die launige Titelmelodie zur Waffennarr-Serie Sledge Hammer! beigesteuert, 2006 bekam er für die pulsierenden Humorigkeiten der Titelmusik zu Desperate Housewives einen Emmy. Sein aktuellster Hit läuft auf Netflix mit dem Spin-Off-Ableger Wednesday über die sarkastische Tochter der Addams Family. Doch sie alle stehen im Schatten eines prominenten Tritonus, der vor blauem Himmel durch die Wolken bricht. Das ikonische Opening der Simpsons ist wohl Elfmans berühmteste Arbeit. Musikstudierende lernen noch heute mit diesem Soundtrack, hörend einen Tritonus zu erkennen. Und so verspielt und pointiert wie in dieser Hommage an die Abenteuer der Familie Simpson war die Mickey-Mousing-Technik der Filmmusik seit Disneys und Stokowskis Fantasia nicht mehr.

In Elfmans Filmmusiken finden sich drei wiederkehrende große Themen: Grusel und Schauerlichkeiten, Außerirdische und Superhelden sowie musikalische Charakterstudien und kommentierende Innenperspektiven. Und Elfman wechselt präzise zwischen ihnen wie ein Chamäleon seine Farben. Gerade in den feinen Unterschieden zwischen horrorkomödiantischem Klamauk und echtem Suspense-Aufbau gedeihen Elfmans Musiken zu Gruselfilmen. Das mitreißend irrwitzige, aber doch latent aggressive Beetlejuice-Thema zeigt die Abgründe zwischen übergriffigem Poltergeist und verspielter Familienkomödie. Anders in Sleepy Hollow: Dieser Soundtrack über den kopflosen Reiter im Moor dröhnt sinfonisch wie eine grandiose Stummfilmmusik, die alle Schrecken schonungslos darstellt. Legendär geworden ist Elfmans March of the Dead aus Sam Raimis 3. Teil der Horrorfilmreihe Tanz der Teufel. Als von Ferne die titelgebende Armee der Finsternis aufzieht, hat sie ein anpeitschendes Skelettorchester im Gefolge, das den untoten Soldaten mit Knochenflöten, Schädelpauken und dämonischen Dudelsäcken einheizt.

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Inmitten von all diesem Schlachtgetümmel und schauerlich ironisiertem Pathos versteckt Elfman seine Verbeugung vor einem der großen Filmmusikklassiker: Im Erwarten der Schlacht zitiert er mit Ehrfurcht und Augenzwinkern Sergej Prokofievs Filmmusik zur Schlacht auf dem Eissee aus Sergej Eisensteins Alexander Nevsky. Diese Arbeitsweise ist typisch für Elfman: Es sind Anleihen und Anklänge, mit denen er arbeitet, dramaturgische und szenische Schultern, auf die er sich stellt, und doch zugleich gänzlich Elfman bleibt. Dieser Respekt vor Originalthemen zeigt sich beispielsweise auch im 1998er Remake des Hitchcock Klassikers Psycho, in dem Elfman den berühmten Score von Bernard Herrmann so behutsam aufbereitet, dass er fast dahinter verschwindet. Gleiches gilt für die Instrumentierung des Mission Impossible Themas von Lalo Schifrin, das Elfman für die Kinofilmreihe modernisiert und an die Machart der Filme anpasst, jedoch immer ohne sich selbst in den Vordergrund zu drängen.

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Die musikalische Faszination für skurrile Figuren und Grenzgestalten setzt sich in Elfmans Arbeiten über Aliens und Superhelden fort. Die Behörde der alienjagenden Men in Black verdankt Elfman genauso ihre launig groovende Titelmusik wie der allzustarke Hulk in der Filmfassung von 2003. Auch für den Soundtrack des zweiten Teils der großen Avengers-Reihe Age of Ultron über eine gefährliche Künstliche Intelligenz, die zwischen Selbsterkenntnis und Weltzerstörung schwankt, zeichnete Elfman verantwortlich und baute das Avengers-Originalthema von Alan Silvestri aus dem ersten Film in seinen nun heldisch elektrifizierten Marvel-Sound ein. Apropos Weltuntergang: Schon 1996 griffen Elfman und Burton die Erde an, als mit Mars Attacks! schrumpelige Marsmännchen mit riesigen Gehirnen und noch größeren Kanonen auftauchten.  Elfman arbeitet hier mit genrespezifischen Sounds, wie etwa dem seit Star Trek bekannten und ätherisch singenden Theremin, um die unendlichen Weiten darzustellen. In der musikalischen Ankündigung der Marsianer knistert und rattert es elektrisiert, es piept und klingelt, und gleichzeitig kündigt sich nicht zuletzt durch diese pervertierte Star-Trek-Reminiszenz an, dass diese grünen Männchen die Kommunikationsversuche der Erdlinge grandios destruktiv scheitern lassen werden.

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Doch besonders die musikalischen Charakterzeichnungen der Figuren Spidermans und Batmans gehören zu Elfmans epochemachenden Superheldenscores. Das weite Thema Spidermans beginnt mit langgezogenen Tönen, die unweigerlich an Spinnfäden erinnern, bis sich das Thema wie ein Spinnennetz nach und nach zusammensetzt. Pathetisch kraftstrotzend schwingen sich die Musik und ihr Protagonist durch die Straßenschluchten von New York, doch wenn Spiderman menschelt und wieder zu seinem Alter-Ego Peter Parker wird, seilt sich das Hauptthema genauso vorsichtig und plötzlich emotional nahbar herab wie der Protagonist vom Dach. Elfmans Musik zu Burtons Batman von 1989 ist das genaue Gegenteil. Diese Batman-Klänge tragen all jene düstere Zerrissenheit in sich, mit der die Figur ihre Gegner in Furcht und Schrecken versetzt – aber sie zeigen auch Batmans Angst vor sich selbst. Die vielen großen pathetischen Blockbustersounds, etwa eines Captain America oder Iron Man, der testosterongesättigte Ton eines Thor, die musikalische Stärke der Wonder Woman, ja selbst Supermans blechgepanzerter Heldenfuror aus der Feder von John Williams – sie alle kommen nicht an Elfmans Batman heran, dessen Filmmusik als ikonische und illustrierende Kommentarebene eine Generation von Superheld:innen prägte. Das ausgreifende und sich dunkel erhebende Thema impliziert bereits die Ambivalenz dieses düstersten aller Superhelden, im weiteren Verlauf künden Elfmans Hörner von einem spätromantischen Verhängnis, wie wir es sonst bei Tschaikowski und Prokofiev finden. Und Elfman wäre nicht Elfman, wenn er nicht musikalisch den Hut vor der  bekannten Melodie der Originalserie ziehen würde: In den 1960er Jahren flimmerte Batman noch als quietschbunte Serie über die Fernsehgeräte, umgeben von Nelson Riddles launigem Thema: Nananananananana Nananananananana – BATMAN! Elfman baut dies bei sich ein, im ruhigen Zwischenspiel nach der Vorstellung seines fledermausigen Protagonisten. Gestopfte Trompeten knattern ihr »nananana« ins Orchester, stecken andere an, ein Gewusel entsteht, bis das abschließende »Batman!« wieder zur Ordnung ruft. Kurzum: Wenn Danny Elfman beteiligt ist, verschmelzen die superheldischen Musiken dieser Blockbuster so sehr mit ihren Hauptfiguren, dass sie auch in nachfolgenden Wiederaufnahmen und Neuverfilmungen nur schwer von diesen zu trennen sind. Bis heute trauern Fans der ikonischen Batman-Musik über Michael Keatons Fledermausmann nach, wie die Reaktionen auf die Wiederbelebung dieser Figur und dieser Musik im neuen Marvelfilm Flash zeigen. 

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Inmitten all dieses Bombasts fällt es allzu leicht, Elfmans musikpsychologische Charakterstudien zu übersehen. Die weniger auf Effekt als auf Tiefgründigkeiten setzenden Musiken zu Tragödien wie Good Will Hunting und Big Fish gehen ebenso auf sein Konto wie der Soundtrack zum Drama Milk über den ersten offen Homosexuellen, der in Kalifornien in ein öffentliches Amt gewählt wurde. Doch Elfmans Meisterstück ist seine Musik zu Dolores Claiborne, jener Stephen-King-Verfilmung mit Kathy Bates aus dem Jahr 1995. In dieser beklemmenden Geschichte geht es um Unterdrückung und sexualisierte Gewalt, um Tyrannenmord und empowernde Freundschaft. Im Zentrum des Films steht eine Sonnenfinsternis. Die Verdunklung der Erde bringt Dolores‘ dunkelste Kraft hervor, als sie – man muss sagen: endlich – ihren gewalttätigen Ehemann in einen verlassenen Brunnenschacht stürzen lässt und so sich und ihre Tochter rettet. Diesen Transformationsprozess hat Elfman als einen erhabenen Moment grausamer Schönheit in einer neunminütigen Suite zusammengefasst. Die Ausweglosigkeit und der manische Mut der Dolores erinnern hier zum Beispiel an die Wahnsinnigwerdung des Wozzeck in Alban Bergs gleichnamiger Oper, gleichzeitig dringt Elfman tiefenpsychologisch zu seiner Protagonistin vor, wie zuvor nur Bernard Herrmann für Hitchcocks Vertigo.

All diese Soundtracks zu filmischen Publikumslieblingen machen nur einen Teil von Danny Elfmans musikalischem Schaffen aus. Elfman war als Rockmusiker gestartet, hatte mit Mitte Zwanzig die Musikgruppe The Mystic Knights of the Oingo Boingo seines Bruders Richard übernommen und formte aus ihnen seine achtköpfige Rockband Oingo Boingo, der er siebzehn Jahr vorstand, bis er sie 1995 auflöste. In diese Zeit des experimentellen und freien Musikerlebens fiel Mitte der Achtziger der Beginn der Zusammenarbeit mit Tim Burton, doch seine Rockmusikerwurzeln hat Elfman nicht vergessen. 1984 erschien sein erstes Soloalbum So-Lo, 2021 das mehr als 70minütige Album Big Mess, das immer wieder an Peter Gabriel oder Tom Waits erinnert, wie etwa in dem streicherteppichweichen Song We belong together, in dem Elfman sich so leise und aufrichtig zurücknimmt, als ob er die Zeit anhalten wollen würde. Nur ein Jahr später folgt der Ableger Bigger. Messier. und offenbart Elfmans Experimentierfreude, denn auf diesem Album kreiert er Cover-Versionen seiner eigenen Songs, häufig gleich mehrere hintereinander. Elfman öffnet seine Werke in Arrangements und Neudeutungen, wobei seine Arbeitsweise an die wunderbaren Eels erinnert, deren Frontmann Mark Oliver Everett sich auch nie für bloße Wiederholungen seiner Songs interessiert, sondern stets neue Arrangements und Blickwinkel erschafft. Im Falle von Elfmans We belong together deutet er sein tragikromantisches Stück gleich dreimal um: Als Squarepusher Remix entwickelt es einen elektronisch tanzbaren Sog, der an die Klangwelten einer Band wie Massive Attack erinnert. Mit der Sängerin Rebekah Del Rio nimmt Elfman eine Fassung auf, die von einem langsamen, zermürbenden Abschied kündet, und mit seinem Musikerkollegen Rafiq Bhatia folgt eine Spielart, die wie der Soundtrack zu einer dystopischen Folge der Serie Black Mirror klingt, in der sich nun Künstliche Intelligenz und Mensch über die Möglichkeiten eines »We belong together« austauschen.

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Und wäre all dies noch nicht vielfältig genug, so komponiert Elfman auch klassische Werke für Orchester und Kammermusik. Über die Jahre hat er Solokonzerte für Cello und Violine geschrieben, ein Klavierquartett, ein wunderbar verspieltes Orchesterstück namens Wunderkammer oder etwa eine siebenteilige Ballettmusik Serenada Schizophrana für Chor und großes Orchester. Der sechste Satz hieraus namens Bells and Whistles, was so viel wie »Glocken und Flüstertöne«, umgangssprachlich aber auch »mit allen Schikanen« bedeuten kann, entwickelt eine kaleidoskopartige Drehbewegung, die sowohl wie die musikalischen Gleichzeitigkeiten eines Charles Ives klingt, als auch an eine emotional aufbereitete Version von Bernd Alois Zimmermanns Moderneklassiker Photoptosis erinnert. Besonders nah kommt man Elfman jedoch in seinem Violinkonzert aus dem Jahr 2017. Dessen dritter Satz Fantasma lauscht seine Themen behutsam der Stille ab, erst spät integriert sich die Solovioline in den tastenden Streicherchoral, denkt und grübelt, hofft und bangt, findet zu sich. Nach all den ausladenden und kraftstrotzenden Musiken scheint der Komponist hier eine Hand auszustrecken, als ob die Reduktion des Klangs eine Konzentration auf das Wesentliche, Persönliche ermöglicht. Und wenn man so diesem Chamäleon vorsichtig ganz nah kommt, realisiert man, von welch atemberaubender Schönheit es in all seiner clownesken Verspieltheit sein kann. ¶

... studierte Musikwissenschaft, Germanistik und französische Romanistik in Köln und Paris. Er ist wiss. Mitarbeiter am Institut für Musik und Musikwissenschaft der TU Dortmund, sowie Lehrbeauftragter im Arbeitsbereich der Phänomenologie der Musik an der Universität Witten/Herdecke. Einige seiner aktuellen Schwerpunkte sind die Interpretations- und Dirigent:innenforschung, die Erinnerungskultur, sowie die auswärtige Kulturpolitik.