»Ich habe heute sogar schon zwei Stunden geübt«, sagt die Geigerin Baiba Skride, als wir uns um 12:30 Uhr im Braugasthaus Altes Mädchen an der Hamburger Sternschanze treffen. Und das, obwohl sie eigentlich gar nicht der Übetyp sei. Zwei Stunden später haben wir zusammen sechs Bier (Zwickel, Pale Ale) getrunken (die Rubrik heißt Kneipengespräch!). Hier das Protokoll.
VAN: Gibt es ein Thema, das dich gerade besonders umtreibt?
Baiba Skride: Im Moment mache ich mir schon Sorgen um Europa – wie viele andere auch. Es fühlt sich alles so fragil an, das ist beängstigend. Ich weiß noch genau, wie ich zum ersten Mal ohne Passkontrolle durch Europa reisen durfte, als Lettland gerade Teil der EU geworden war [seit dem 1. Mai 2004, d.Red.]. Es war ein tolles Gefühl, dazuzugehören, gerade für ein kleines Land wie unseres. Als ich klein war, haben wir nicht daran geglaubt, irgendwann einmal einfach so reisen zu können. Man fühlte sich eingesperrt. Daher kommt glaube ich auch meine Reiselust.
Du warst zum Zeitpunkt der lettischen Unabhängigkeit 1991 zehn Jahre alt. Welche Erinnerungen hast du daran und an die ›Singende Revolution‹?
Sehr intensive, das war eine prägende Zeit. Unsere Eltern haben uns nicht erlaubt, auf den Straßen mitzusingen, weil wir so jung waren. Aber die Leute mussten ja irgendwie versorgt werden. Darum sind wir immer herumgeflitzt, haben Tee und Essen verteilt und mussten sofort wieder verschwinden. Es muss Sommer gewesen sein, weil wir barfuß durch Riga gelaufen sind. Es gab natürlich auch beängstigende Momente. Einmal haben unsere Eltern uns ganz plötzlich aus der Stadt in unser Sommerhaus gebracht. An dem Tag wurde von den Russen der Fernsehsender eingenommen. Irgendwann war der Bildschirm schwarz, das Radio war auch weg. Ich kann mich noch erinnern, wie ich die Angst meiner Eltern gespürt habe.
Mit welchen Aufnahmen bist Du eigentlich groß geworden?
Bei uns gab es früher nur sowjetische Künstler in der Bibliothek, Oistrakh, Kogan, Rubinstein, diese Generation. Ich kannte noch nicht einmal wirklich die Brandenburgischen Konzerte, weil es nicht viele russische Künstler gab, die sie aufgenommen haben. Perlman und Stern kannte ich gar nicht.
Was ist die beste Aufnahme aller Zeiten?
Im Moment hänge ich wahnsinnig an den Beethoven-Sonaten von Oistrakh und Oborin, vor allem die Nummer 10, das ist ein Traum. Aber das ändert sich.
David Oistrakh (Geige) und Lev Oborin (Klavier) spielen Beethovens Violinsonate No.10 in G-Dur, Op.96 (aufgenommen 1962 in Paris).
Du bist mit 14 zum Studium nach Rostock gekommen. Welch ein Bild von Deutschland hattest du damals?
Nicht wirklich viele, das war ziemlich kurz nach der Wiedervereinigung. Man hatte im Kopf, dass Deutschland sehr ordentlich sei. Zunächst war es dann aber eigentlich gar nicht so anders als bei uns.
Inwiefern?
Ich kam mit dem Bus am ZOB [Zentralen Omnibusbahnhof] in Berlin an, beim Messegelände. Da sieht es ja ziemlich grässlich aus. Dann musste ich mit der U-Bahn zum Bahnhof Zoo, von wo der Zug nach Rostock fuhr, dort war es auch nicht viel schöner. Da habe ich mich schon gewundert, dass es überall so hässlich war. In Rostock gab es dann auch in erster Linie Plattenbauten, mein Wohnheim befand sich auch in einem.
Wie oft bist du jetzt noch in Lettland?
Leider meistens nur etwa einmal im Jahr, und dann für ein Konzert. Meine lettische Sprache hat sich auch nicht weiterentwickelt, ich spreche wie eine alte Oma.
Gibt es Dinge, die du immer machst, wenn du dort bist, nach denen du dich besonders sehnst?
Zum Strand fahren, wo niemand ist, nichts kommerziell ist, nur Natur.
Gibt es etwas, was du als deine ›lettischste‹ Seite bezeichnen würdest?
Ich glaube, Letten sind schon sehr melancholisch, eine gewisse Grundtraurigkeit, das kenne ich von mir und meinen Schwestern, ist immer da.
Gibt es eigentlich unter lettischen Musikern ein besonderes Zusammengehörigkeitsgefühl?
Ich würde sagen, ganz allgemein unter Letten, im Grunde auch mit den anderen baltischen Ländern. Jeder kennt jeden, man ist befreundet, allein schon weil man Lette ist und Musiker. Was mir auffällt, wenn ich irgendwo spiele: Es sind immer jede Menge Letten im Saal. Die kommen dann nach dem Konzert auf dich zu, als wenn man sich schon lange kennen würde. Das ist übrigens etwas, was Europa für mich bedeutet, ich fühle mich mehr als Europäerin als als Lettin.
Wie viele Konzerte gibst du im Jahr?
70–80. Die Schulferien versuche ich mir freizuhalten für den Urlaub mit meinen Kindern.
Hat deine Arbeitsumgebung Verständnis für deine familiäre Situation?
Auf jeden Fall, die Leute bewundern es eher. Es ist ganz normal, ein kleines Kind mit in die Probe zu nehmen, oder sie für das Stillen zu unterbrechen. Ich weiß aber nicht, wie das in einem Dienst-Orchester wäre.
Stellen wir mal ein Gespräch mit deiner Agentur nach. Wo würdest du gerne mehr spielen?
Vielleicht ein bisschen mehr in Asien. In China spiele ich noch nicht so richtig viel, das ist zwar nicht meine Priorität, aber es wäre schön, zum Beispiel mal wieder nach Guangzhou zu kommen.
Gibt es Stücke, die du gerne neu in dein Repertoire aufnehmen würdest?
Ich habe noch nie das Elgar-Konzert gespielt. Ich müsste aber zwei, drei Jahre Vorlauf einplanen, um es einzustudieren. Auftragswerke sind auch immer toll, aber von der Planung her ein Alptraum, weil man viele Orchester fragen muss, ob sie mitmachen.
Von wem hättest du denn gerne ein Stück?
Ich mag Brett Dean wahnsinnig gerne, von dem würde ich mir wünschen, dass er mir was schreibt.
Ihr spielt doch öfter zusammen, hast du ihn schon gefragt?
Ja, aber er ist so voll gebucht. (lacht) Ich habe jetzt aber gerade zwei Werke bei anderen in Auftrag. Abgesehen davon bin ich froh, dass wir als Geiger so viele Stücke haben, dass ich im Grunde jede Woche ein anderes spielen kann. Ich würde mir aber wünschen, dass die Angst vor dem Neuem bei Publikum und Veranstaltern weniger wird. Es gibt so viele Werke, die man immer wieder spielen muss, und so viele mehr, die man nie hört. Ich rede nicht mal von moderner oder zeitgenössischer Musik. Selbst das Schumann-Violinkonzert kriegst du kaum unter. Oder Janáček.
Es gibt ja auch Kolleg*innen von dir, die sich eine Zeitlang ganz einem Stück verschreiben und es ganz viel aufführen.
Oh, das wäre mir zu langweilig. Klar, man lernt ein Stück dann gut kennen. Aber ich brauche die Abwechslung. Es gibt auch Leute, die bereiten sich wochenlang auf ein Stück vor; ich gucke es mir vielleicht zwei, drei Tage vorher an, wenn ich es kenne. Ich habe früher mal ausprobiert, vor einem Wettbewerb jeden Tag acht Stunden zu üben. Das hat mich fertig gemacht, ich konnte es nicht, es liegt mir nicht, ich werde zu aufgeregt und fixiert. Das ist eine Typsache.
Du bist nicht so der Typ, der viel übt?
Nein, und ich habe einmal Ärger bekommen, als ich das in einem Interview gesagt habe. ›Das dürfe man jüngeren Künstlern nicht sagen.‹ Heute habe ich tatsächlich schon zwei Stunden geübt an der Geige. Aber einen ganzen Nachmittag, selbst mit dem Bier jetzt, ein Stück im Ohr zu haben, ist auch ganz wichtig. 80 Prozent des ganzen Übeprozesses passieren im Kopf, ohne Instrument.
Welche Stücke möchtest du gar nicht oder weniger spielen?
Es gibt zwei Stücke, die ich nicht so wahnsinnig gerne oft spiele: Das Bruch-Konzert kann ich nicht leiden, manchmal muss ich es spielen, aber einmal im Jahr reicht, allerhöchstens. Das zweite ist das Mendelssohn-Konzert. Ich liebe es eigentlich, aber muss mich wirklich begrenzen auf ein, zwei Aufführungen im Jahr. Das liegt daran, dass es ein Schulstück war, jeder hat es rauf und runter gespielt, da laufe ich schnell Gefahr, dass es negative Emotionen hervorbringt.
Spielst du es dann mit einer gewissen exorzistischen Aggression?
Nein, wenn ich es dann mal wieder spiele, genieße ich es schon.
Über welchen Anruf würdest du dich am meisten freuen?
Ein Orchester, bei dem ich noch nie war, sind die Wiener Philharmoniker, das steht noch aus. Deren Klang ist unverwechselbar, die würde ich gerne einmal live erleben hinter mir.
Ansonsten hast du ja schon fast überall und mit fast allen gespielt, was sind die nächsten Ziele?
Es gibt noch viele Musiker, mit denen ich gerne mal spielen würde. Mit Yo-Yo Ma oder Mariss Jansons zum Beispiel, ich weiß nicht, ob es jemals dazu kommen wird. Ich hatte das Glück, noch mit Boris Pergamenschikow zusammen zu spielen.
Davon schwärmen so viele …
Ich habe ihn drei Tage kennengelernt, länger war es nicht, aber es ist immer noch eines der wichtigsten Erlebnisse in meinem Leben.
Was war darüber hinaus die Begegnung, die dich am meisten beeinflusst hat?
Ich glaube tatsächlich Andris (Nelsons), weil wir einfach zusammen viel erlebt und erforscht haben.
Wie läuft sowas eigentlich, ruft man bei Jansons oder seiner Agentur an oder wartet man ab, bis er sich meldet?
Man fragt nach bei Orchestern und Dirigenten, aber man will sich auch nicht aufdrängen. Jeder Musiker, gerade die Älteren, haben natürlich Präferenzen und bevorzugte Künstler, das kriegt man schon irgendwie mit. Im Februar war ich zum ersten Mal in der Carnegie Hall, das war eins der großen Ziele. Dann bist du plötzlich da, gehst auf die Bühne, alles ist so aufgeladen. Da wurde mir wieder bewusst, wie glücklich ich bin über das Leben, das mir geschenkt wurde.
War es für dich und deine Karriere hilfreich, dass Andris Nelsons quasi zeitgleich zu dir so durchgestartet ist?
Auf jeden Fall. Er ist mein großer, fast mein wichtigster Musikpartner. Wir sind zur gleichen Schule gegangen, haben uns dort aber nicht kennengelernt. Unsere Familien kannten sich. Er ist ein paar Jahre älter und war in der Klasse meiner Schwester. Ich weiß noch, das allererste Konzert mit ihm, das war 2001, ich musste für Gidon Kremer einspringen. Wir haben das Beethoven-Konzert gespielt. In dem Moment habe ich mich verliebt in seine Art zu dirigieren, er hat mit dem Orchester so gearbeitet, wie ich das noch von keinem anderen Dirigenten kannte. Seitdem spielen wir regelmäßig zusammen, er sagt immer, ich sei sein Talisman und er nähme mich deshalb zu seinen Orchesterdebüts mit. Ich schätze ihn wahnsinnig als Musiker und Mensch, er ist so bodenständig, er würde sich nie für andere Dinge als die Musik verrückt machen.
Deine ersten Aufnahmen hast du als Exklusivkünstlerin bei Sony gemacht. Warum bist du von dort weggegangen?
Es hat einfach nicht mehr gepasst. Ich bin sehr dankbar, dass sie mich damals aufgenommen haben. Sie haben viel Aufmerksamkeit erzeugt, die CDs sind toll geworden, aber dadurch, dass sie selber so einen wirtschaftlichen Druck haben, hat die Programmauswahl nicht mehr zu dem gepasst, was von meiner Seite aus künstlerisch vertretbar gewesen wäre. Das sieht man ja immer öfter, leider Gottes. Irgendwann habe ich gemerkt, dass der Kompromiss zugunsten der Verkauf- und Vermarktbarkeit zu groß wird. Die Aufnahmen sind ja das Einzige, was von dir als Musiker bleibt. Bei Orfeo kann ich jetzt im Grunde das machen, was mir wichtig ist.
Warst du glücklich mit der Art und Weise, wie du am Anfang deiner Karriere vermarktet wurdest?
Das Problem ist, dass man niemanden hat, der einen wirklich begleiten kann bei sowas. Ich hatte eine wunderbare Familie und Lehrer, die mich musikalisch beraten konnten, aber beim Fotoshooting ist niemand dabei, da bist du alleine und wirst ins kalte Wasser geschmissen. Wenn du das erste Mal sowas machst, fehlt dir auch der Mut zu sagen, ›nein, das möchte ich nicht.‹
Gibt es Dinge, die du im Nachhinein bereust oder anders gemacht hättest?
In der Presse stand anfangs etwas von ›lasziven Fotos‹. Ich fand die gar nicht so schlimm, kann aber verstehen, dass es von außen gestellt aussah. Es ist ganz schwierig, vor allem für eine junge Frau, das zu beurteilen und zu beeinflussen. Ich hatte eigentlich noch Glück, weil ich mich jetzt für nichts schämen muss. Aber die Vermarktung ist schon sehr aggressiv, du wirst in Fernsehauftritte reingeschmissen, in die du nicht so richtig gehörst, keiner sagt dir, wie du dich in Interviews zu verhalten hast, wie man auf die Bühne gehen sollte, wie man nach dem Konzert mit dem Publikum umgeht oder wenn man mit dem Intendanten essen geht. Dabei sind das oft die Momente, in denen sich entscheidet, ob man wieder eingeladen wird.

Von außen betrachtet ist es oft gar nicht so erkennbar, was man als Solist*in neben dem Spielen alles tun muss und in wie vielen Abhängigkeitsverhältnissen man lebt.
Ja, dazu kommt, dass man wirklich oft auf sich alleine gestellt ist. Das Allerwichtigste ist, mit sich selbst klar zu kommen, wenn man so viel reist, die Einsamkeit ertragen zu können, die Stärke zu haben, mit schwierigen Situationen allein umzugehen.
Gibt es eigentlich sowas wie Groupies?
Schon, aber es hält sich in Grenzen (lacht). Es gab mal früher ein paar ältere Herrschaften, die mir hinterher gereist sind, einer hat immer irgendeinen Kram von zu Hause als Geschenk mitgebracht.
Kennst Du die Dokuserie Chef’s Table auf Netflix?
Ja!
Mir ist aufgefallen, dass es in der Art, wie sich der Beruf des Chefs oder ganz allgemein die Kochkultur entwickelt hat, vielleicht einige Parallelen gibt zur Klassikkultur: Es reicht nicht mehr, gut zu kochen oder gut zu spielen, sondern es kommt viel auf die richtige Präsentation an, auf Performance-Elemente, auf das Drumherum, Formate, Orte, das Visuelle, die Selbstinszenierung.
Ja, es gibt die Rockstars, aber es gibt in beiden Bereichen auch diejenigen, die sich einfach auf das Essentielle beschränken. Die klassische Musik kann auch ohne all das Visuelle bestehen. Ich finde es gut, dass es diese Bewegungen gibt, einige Leute erreicht man damit vielleicht auch neu. Aber es sollte nicht das Einzige bleiben. Die Grundkunst, wie man an die Musik herangeht, darf man nicht über Bord werfen. Die Komponisten zu durchleuchten, das Wissen – das darf nicht verschwinden.
Hast du deinen Ort in der Klassikkultur gefunden?
Ich denke schon. Ich verändere und verstelle mich nicht. Es wäre nicht ich, wenn ich jetzt anfangen würde, auf der Bühne zu tanzen. Wenn man das ehrlich jemandem verkaufen will, muss man dran glauben und der Typ dafür sein.
Chefköche haben ein Signature Dish, über das sie sich definieren, das ihre unverwechselbare Handschrift trägt. Welches Stück wäre das bei Dir?
Schostakowitschs Erstes Violinkonzert, vielleicht auch Tschaikowski, das sind die Stücke, die mich seit der Kindheit begleitet haben und die ich im Grunde genommen noch genauso empfinde wie damals. Das sind so meine Stücke.
Baiba Skride spielt das Violinkonzert No. 1 von Dmitri Shostakovich; Ausschnitt eines Konzerts mit den Berliner Philharmonikern unter Andris Nelsons vom 30. Oktober 2015.
Du hast jetzt deine vierte Stradivari-Geige als Leihgabe, bist du auf der Suche nach einer eigenen?
Ich liebe die alten Instrumente über alles, aber ich bin in einem Alter, wo ich überlege, ob es das wert ist, alles daran zu setzen, eins zu besitzen. Ich komme auch mit einer modernen Geige zurecht, ich habe schon wunderbare gespielt. Außerdem ist es eine Erleichterung, mit einer modernen Geige zu reisen und im Flugzeug nicht die ganze Zeit so dranzuhängen. (lacht)
Man hört immer wieder, dass alte, legendäre Instrumente verschwinden, weil sie von reichen Käufern, zum Beispiel in Asien, für ihre Kinder aufgekauft werden. Hast du sowas auch schon mal mitgekriegt?
Genau blick’ ich da auch nicht durch, keiner will etwas Genaues dazu sagen, keiner will verraten, wohin die Instrumente wirklich verkauft werden, es scheint mir ein dubioses Geschäft.
Hast du das Gefühl, dass sich Klangvorstellungen und -vorlieben bei Veranstaltern und Publikum in den letzten zehn, zwanzig Jahren verändert haben?
Was ich merke, wenn ich mal in Jurys sitze, ist, wie wenige noch einen persönlichen Klang haben. Irgendwie kümmert sich niemand mehr um Klangfarben und Phrasierungen! Ich weiß nicht, ob das an den Lehrern liegt, oder daran, dass es alles auf Youtube zu hören gibt und sich alles so vermischt.
Wenn mal alle Grundfarben zu gleichen Teilen mischt, kommt ein neutrales Grau heraus …
… ja, ich glaube, man bleibt nicht mehr dran bei vielen Sachen, weil man so viele Möglichkeiten hat. Man geht zu einem Lehrer, dann gefällt es einem nach ein paar Monaten nicht mehr, also wechselt man zum nächsten. Man arbeitet an bestimmten Sachen nicht mehr oder versucht, für sich eine Lösung zu finden.
Warum unterrichtest du nicht?
Langsam kann ich es mir vorstellen. Noch finde ich es eine zu große Verantwortung, weil ich so viel unterwegs bin. Wenn man ein Lehrer ist, darf man es nicht auf die leichte Schulter nehmen. Du formst ja Leben, also reicht es nicht, deinen Studenten einmal im Monat für 50 Minuten zu sehen. Wenn ich es mache, dann richtig. Was an Hochschulen hierzulande unbedingt verbessert werden sollte, ist, nicht jeden Musiker als Solisten auszubilden, sondern viel mehr als Orchestermusiker. In Amerika machen sie das mit einem größeren Stolz. Das würde die Orchester hier bestimmt weiterbringen, dass man die Orchestertätigkeit nicht mehr als Loser-Dasein wahrnimmt.
Heute ist es weitgehend obsolet geworden, von verschiedenen Schulen zu sprechen [nun gut, vielleicht nicht in der Cembalo-Welt, oder doch?], trotzdem halten sich hartnäckig die Klischees und Vorurteile über asiatische Musiker*innen. Woran liegt das?
Ich hoffe, dass diese Vorurteile weggehen, das ist total unfair und purer Rassismus. Es ist ohnehin absurd, weil die meisten eine westliche Ausbildung durchlaufen haben oder gar nicht aus Asien kommen. Bei Wettbewerben kommen manchmal Beschwerden, warum es nur Asiat*innen ins Finale geschafft hätten. Na ja, weil die halt am besten waren! Ich glaube, es fängt schon da an, dass sich viele Leute in der westlichen Welt nicht die Mühe machen, die Namen zu merken.
Gibt es Dinge, die du gerne noch einmal machen oder ausprobieren möchtest? Ein eigenes Festival, Dirigieren …
Oh Gott, niemals! Ich hätte gerne gelernt zu Improvisieren und Jazz zu spielen.
Du würdest sagen, dass es jetzt zu spät ist, es zu lernen?
Ja, dafür war es schon mit 15 zu spät. Das ist diese blöde Kindesausbildung, wenn man mit drei Jahren anfängt, nach Noten zu spielen. Man ist dann schnell zu eingefahren, um sich davon ganz frei zu machen. Mit Musik frei umzugehen, das gab’s in meiner Ausbildung nicht, das würde ich wünschen, auch Kindern anzubieten. Generell hätte ich gerne etwas mehr Zeit gehabt, Popkultur zu erleben, da kenne ich mich gar nicht aus. Aber ich bin Gottseidank nie der Typ gewesen, der morgens bis abends geübt hat. Das ist etwas, was manche klassische Musiker unterschätzen: wie wichtig es ist, nicht im Zimmer eingeschlossen zu sein, sondern das normale Leben, normale Gefühle mitzubekommen. ¶