1946 war der Faschismus in Deutschland und Österreich bekanntlich schon ein Jahr besiegt. In Spanien sah die Lage anders aus. Hier regierte Francisco Franco seit 1936 – und sollte es noch bis 1975 tun. In diese Umstände hinein wurde am 25. März 1946 in Barcelona Mercè Capdevila geboren. Online-Informationen über sie sind äußerst spärlich gesät, auf den ersten Blick findet man so gut wie nichts über Capdevila, obwohl die Komponistin noch lebt – und sich hoffentlich bester Gesundheit erfreut.

Capdevila studierte am Konservatorium ihrer Geburtsstadt Barcelona diverse musikalische und zugleich bildnerisch-künstlerische Fächer an der Escola Massana, der Hochschule für Bildende Kunst, Angewandte Kunst und Design. Nach ihren dortigen Studien verließ Capdevila offenbar ihr Heimatland und setzte ihre Ausbildung in Deutschland fort. Hier nahm sie ein Studium an der 1877 gegründeten Kunstgewerbeschule Pforzheim auf. Frühe künstlerische Schwerpunkte lagen demnach wohl eher im Bereich »nichtmusikalischer« Themen.

Nach ihren Studien arbeitete Capdevila wieder verstärkt musikalisch, beispielsweise für das seit 1974 bestehende Institut für Elektronische Musik in Barcelona (Fundación Phonos). Hier war der 1942 in Chile geborene – ursprünglich aus Kroatien stammende – Elektronikspezialist und Komponist Gabriel Brnčić ihr Lehrer. Hinzu kamen studienerweiternde Kursbesuche – unter anderem bei Luigi Nono.

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Bald erhielt Capdevila regelmäßig Kompositionsaufträge, vor allem aus ihrem Heimatland, beispielsweise von der Catalan Composers Association (ebenfalls bestehend seit 1974). In den Jahren 1993 und 1994 konnte Capdevila Dank eines Stipendiums des Aaron Copland Fund for Music in New York arbeiten und dort zugleich am Queens College als »Artist in Residence« komponieren und unterrichten.

Capdevila engagierte sich in zahlreichen katalanischen Musikverbänden, war Mitgründerin diverser musikalischer Initiativen und setzte sich für die den Ausbau der Ausbildungstrukturen, die Institutionalisierung und die Sichtbar-Machung elektronischer Musik in Barcelona und darüber hinaus ein. Durch ihre frühen Studien in Bildender Kunst entstanden bald vor allem interdisziplinäre Arbeiten: Musik im Zusammenspiel von »bildgebender« Kunst, Licht- und Videoinstallation – auch in der Interaktion mit Live-Schauspieler:innen.

Mercè Capdevila (* 1946)
Baobab für Gitarre, hölzernen Bottleneck und Nachhall (1985)

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Mercè Capdevila komponiert meist Musik unter Einbeziehung von Elektronik und Gitarre. Zu diesen beiden Faktoren kommt in dem 1985 entstandenen Stück Baobab noch ein hölzerner Flaschenhals dazu. In einem Interview wurde die Komponistin einmal gefragt, mit welchem Element sie sich selbst am ehesten in Verbindung bringen würde. Ihre Antwort: Feuer. Auf die Frage, welches ihr Lieblingsbaum ist, antwortete Capdevila: der Affenbrotbaum. Damit spielt sie auf die Frucht jenes in seiner Optik weltbekannten afrikanischen Baumes an: Baobab – inzwischen in den westlichen Ländern als »Superfood« vermarktet.

Attraktive perkussive Aktionen auf dem Korpus der Gitarre werden vom Nachhallgerät flugs erwidert. Der Eindruck eines Schlagzeugensembles entsteht. Doch zirpen blitzschnell angerissene Saiten der Gitarre mit, unter stetiger Verwendung des Bottleneck als Effektinstrument am Finger des Gitarristen. Kurze »lustige Schreie« des Instruments flattern immer wieder durch die Luft. Bald ächzen sich die Geräusche in den Hintergrund weg. Wispermomente resultieren, kleine Räusche, knibbelnde Aktionen. Eine Musik, die man nicht verstehen muss, die aber seltsam fasziniert und gut ausgehört erscheint. ¶

... ist Konzertveranstalter, Moderator, Komponist und Pianist. Er gestaltet innovative Konzertformate, arbeitet als Musik-Satiriker, schreibt Stücke für Solist:innen und Ensembles und Texte für VAN, die Wiener Philharmoniker, die New York Philharmonics und die Bamberger Symphoniker. 2019 war er als Schauspieler an der Volksbühne zu erleben.