»Die Magie der klassischen Musik im Kerzenlicht kommt bald nach Berlin zurück« – so wollte mich vor zwei Wochen eine Werbeanzeige auf Facebook locken, offensichtlich beim »Zielpublikum« die Hoffnung triggernd, viel schneller als angesichts der Pandemie erwartbar – beziehungsweise: voraussagbar – wieder Livemusik erleben zu können. Dabei war zu diesem Zeitpunkt von etwaigen Kultur-Öffnungen politikseitig noch nicht die Rede, geschweige denn hinsichtlich möglicher Konzerte in Innenräumen.

Tatsächlich kann man beispielsweise Tickets für zwei Konzerte (18.30 Uhr und 20.30 Uhr) am 11. Juni 2021 im Langenbeck-Virchow-Haus in Berlin erwerben. Drei Preiskategorien werden angepriesen: 19 Euro (»Gute Sicht«), 31 Euro (»Hervorragende Sicht«) und 42 Euro (»Premium Sicht«). Man wirbt mit einem »innigen Ambiente«, mit »beeindruckender Architektur« und – selbstredend – »mit Maßnahmen zur sozialen Distanzierung«. Es spielt: »Ein Streichensemble«. Mehr Informationen zu den Musiker:innen gibt es nicht. Genauer: nirgendwo. Auf keiner einzigen dieser Veranstaltungsseiten.

In den Kommentaren unter der Werbung – gepostet von der Facebook-Seite »Secret Berlin« – macht sich zunächst ein Berliner Kollege von mir über den angeblichen Kerzenschein lustig. Denn veranstaltungsgeschulte Musikmenschen wissen: Echte Kerzen bei öffentlichen Indoor-Veranstaltungen sind verboten bis schwierig und nur mit zusätzlichem Kosten- und Personalaufwand realisierbar. Angesichts eines (natürlich abgesagten) Konzerts am 28. Januar 2021 in Wien heißt es immerhin: »Es wird eine sehr intime Atmosphäre geschaffen, indem der Raum von Kerzen beleuchtet wird. Um dabei die Sicherheit unseres Publikums zu gewährleisten, kommen ausschließlich elektrische LED-Kerzen zum Einsatz.«

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Die anderen Kommentare unter der Secret-Berlin-Facebook-Werbung lesen sich weit weniger witzig und ironisch: »Ich kann nicht empfehlen, bei dem Anbieter zu buchen. Für mein bezahltes Ticket im Februar wurde weder (wie versprochen) ein Ersatztermin angeboten und eine Erstattung ist auch nicht erfolgt. Der Kundendienst antwortet einfach nicht.«

Mein Weg führt mich zu dem Kontaktformular der Webseite der Firma »Secret Media Network«. Die Macher:innen dieses Projekts setzen offenbar einfach das Wort »Secret« vor die Namen großer und touristisch attraktiver Städte – und schon schaut das Ganze so aus, als käme man mit Hilfe von »Secret Berlin« an wirklich unentdeckte, geheimnisvolle Orte; Orte, an denen man das Gefühl haben könnte, womöglich für die Dauer des Konzerts Teil eines alternativen Kulturerlebnisses zu sein – fernab üblicher Massen von Tourist:innen (und weit weg von Pandemie-Beschränkungen). Doch meine erste Kontaktformular-Email verendet im Äther behaupteten Supports…

Ich kontaktiere drei User:innen, die sich auf der Veranstaltungsseite bei Facebook beschweren. Andrea T. etwa antwortet mir: »Ich hatte letztes Jahr im Sommer Karten gekauft für eine Veranstaltung im Januar 2021. Der Ort wurde nicht mitgeteilt. Hatte mehrere Emails geschrieben und bat um Bekanntgabe des Ortes. Keine Reaktion. Im Januar fand aufgrund von Corona die Veranstaltung nicht statt. Ich wollte die Karten erstattet bekommen, bekam dann aber die Mitteilung, einen neuen Termin werde es nicht geben. Einen neuen Termin gab es auch nicht, es wurden aber weiter fleißig Tickets verkauft. Hatte dann mit Anwalt und Zeitung gedroht und nach vier Monaten habe ich einen Gutschein bekommen. Eine Auszahlung wäre nicht möglich. Neuer Termin war dann im Mai. Wieder Ausfall und keine Reaktion auf Mails. Vermutlich sind die 65 Euro [Anm.: für die via Kreditkarte bezahlten Tickets] weg. Kann mir gar nicht vorstellen, dass überhaupt eine Veranstaltung von denen stattgefunden hat.« Die anderen Facebook-User:innen berichten mir Ähnliches.

Ich suche nach weiteren Kontakt-E-Mail-Adressen des Konzertveranstalters, denn Telefonnummern sind zunächst nirgendwo ersichtlich. »Secret Berlin«, so stelle ich fest, ist ein Projekt der Seite feverup.com, die sogar im Forbes Magazin erwähnt werden. Zwei Hipster lachen mich an. (Und freuen sich offenbar über die 39 Millionen Dollar an erwirtschaftetem Umsatz.) Es handelt sich allerdings nur um eine Anzeige; kein redaktioneller Beitrag also. 

Eine weitere E-Mail geht an hello@feverup.com. Ein typisch scheinindividualisierter Bot (er heißt »Jorge«) antwortet mit Standardfloskeln aus der scheinbunten KI-Welt menschlich mitfühlender und zugewandter Kund:innendienste; Floskeln, die mit meinem beschriebenen Anliegen nicht im Geringsten etwas zu tun haben. Ich spezifiziere meine Mails – und erhalte trotz Versprechungen keine weiteren Antworten, geschweige denn individuelle Hilfe. Leider gibt es keine anderen digitalen Kontaktaufnahmemöglichkeiten. Dann leuchtet nach weiterer Suche eine Telefonnummer und eine dazugehörige Anschrift in New York auf. Ich rufe an. Zu einer christlichen New Yorker Zeit. Anrufbeantworter – ohne Nennung der Firma. Ich hinterlasse eine Nachricht und bitte freundlich um Rückruf. Vergebens.

Auf einer Bewertungsseite, die man sich – durch die Eingabe von »fever up« und »Betrug« leicht ergoogeln kann – treffe ich auf eine lange Liste von Rezensionen: »Keine Antwort auf Anfragen, die Beschwerdetickets werden irgendwann geschlossen. Rückerstattung findet natürlich nicht statt…«, schreibt ein Christian S. am 17. April 2021. Ein »Ty Romero« merkt am 24. März 2021 an: »Durch Corona ist die Aufführung in München ausgefallen. Schon mehrere e-Mails geschrieben, es kam immer die Mail:  Thank you for contacting Fever.  We are currently processing your request. One of our agents will get back to you soon. Please stay safe, and we look forward to seeing you soon.  Aber seit über 3 Monaten kam nichts mehr…  Das ist so eine Schweinerei!!!! Absolut nicht empfehlenswert!« Und Niklas P. warnt: »Ich kann auch nur sagen Fingerweg!! Wenn man Tickets gekauft hat sofort innerhalb der 180 Tagen beim Paypal käuferschutz melden sonst ist das Geld für immer weg. Ich warte immer noch auf meine genehmigte Rückerstattung aber nach verstreichen der von denen angegebenen 10 tagen wird man nur noch vertröstet das es aus irgendeinem Grund nicht funktioniert hat und es in den nächsten 10 Tagen kommt. Anzeige bei der Polizei ist raus auch wenn es wahrscheinlich nix bringt und ich meine 63,00€ nie wieder sehe.«

»Fever up« vertröstet Ticket-Käufer:innen also immer weiter mit Hinweis auf den Lockdown. Mit der »besten«, unstrittigsten, nachvollziehbarsten Begründung unserer Zeit: der Pandemie. So bot man Eintrittskarten für Konzerte im Dezember 2020, im Januar 2021 und so weiter an – für Tage, von denen klar war, dass an ihnen keine Konzerte werden stattfinden können; dazu die entsprechenden Werbe-Postings mit den Triggerworten »endlich«, »nach dem Lockdown« und »bald wieder«. Möglicherweise spekulierte man darauf, dass Käufer:innen von Tickets sich so lange hinhalten lassen, bis schließlich der besagte Paypal-Käuferschutz von 180 Tagen – die im Grunde ja als ausreichend erscheinen, um Onlinehandel-Tätigkeiten abzusichern – abgelaufen ist.

Ich nehme Kontakt zu zwei Vertreter:innen von Candelight-Konzertorten auf. Zwischenzeitlich – der Algorithmus funktioniert – schneien alle drei Stunden Werbemails von »Fever up« in meine Mailbox (»Fever. Plan faster, live slower«). Inzwischen werde es super knapp mit den Karten für die romantischen Klassik-Events! Meine Anfragen haben offensichtlich dazu geführt, dass ich jetzt unfreiwillig Teil der partywilligen Fever-up-Hipster-Community weltweit bin; bereit, mich auf ewig von Event-Nachrichten voller Emoji-Symbol-Lebendigkeit »abholen« zu lassen. Die besagte Ausgangsseite protzt mit guter Laune und platzt fast vor Lifestyle-Lebenslust. Konzerte, Tastings, Sushi-Festivals in allen attraktiven Städten der Welt. Denn nicht alle Konzerte finden an »Geheimen Orten« statt, deren genaue Lage erst kurz vor den Events »verraten« wird.

Ich telefoniere mit der Leiterin des Veranstaltungsmanagements der Langenbeck-Virchow-Haus-Veranstaltungs GmbH. In der Tat habe die Firma »Fever up« schon vor Monaten mehrere Termine im Langenbeck-Virchow-Haus geblockt. Doch die Termine seien immer weiter verschoben worden – und man wundere sich schon, wie lange dies denn noch gehen werde. Die Kontakte kämen rein über E-Mail zustande. Auch Matthias Motter, Pfarrer an der Zionskirche in Berlin-Mitte, antwortet mir. Hier – in der Zionskirche – hätte es tatsächlich bereits von »Fever up« veranstaltete Candlelight-Konzerte gegeben. (Auch sind zwei Konzerte dort für den 18. Juni 2021 angekündigt. Und natürlich kann man dafür Tickets erwerben. Immer noch.)

Pfarrer Motter berichtet, der Vertragspartner für die besagten Konzerte sei eine Firma namens »Eventos Singulares Flander Sl.« Über diese Company finden sich nur sehr wenige Angaben im Netz. Aber der »Weg« führt offenbar nach Madrid. »Fever up« sitzt aber doch in New York? Oder ist »Fever up« ein »überall« tätiges (Franchise?)-Unternehmen mit 180-Tage-Paypal-Geschäftsmodell? In der Zionskirche hätten aber tatsächlich schon Candlelight-Konzerte unter der Ägide von »Fever up« stattgefunden. Und zwar ohne Probleme oder sonstige Auffälligkeiten. Motter gibt mir eine weitere E-Mail-Adresse von »Fever up«. Meine freundliche Mail bleibt ohne Antwort. Also rufe ich an. Eine Nummer in Portugal, die mir Matthias Motter schickt.

Tatsächlich erreiche ich eine bei »Fever up« angestellte Diana B., die klagt, wie aufwändig die ewigen Planänderungen aufgrund der Covid19-Pandemie für sie als Veranstalterin seien. Es täte ihr leid, dass Konzerte immer wieder verschoben werden müssten. Ihre Entschuldigungen wiederholen sich bald. Ich unterbreche und erinnere sie an die fatalen Internetbewertungen und an die enttäuschten Käuferinnen und Käufer von Tickets für die Candlelight-Events. Sie nennt mir eine E-Mail-Adresse, unter der sich die entsprechenden Ticket-Käufer:innen melden sollen. Und tatsächlich haben die von mir kontaktierten Kund:innen Antwort per E-Mail von »Fever up« erhalten; doch wurden hier lediglich Gutscheine in Aussicht gestellt; man bäte um Geduld…

Kann man gegen dieses ständige Vertrösten etwas tun? Ich telefoniere dazu mit dem Fachanwalt für Strafrecht Benjamin Grunst.

Rechtsanwalt Benjamin Grunst • Foto © Maximilian Woyack
Telefonat mit Rechtsanwalt Benjamin Grunst, Berlin

Musikerinnen und Musiker, die bei vergangenen Candlelight-Konzerten von »Fever up« mitspielten, konnte ich nicht ausfindig machen. Über sie gibt es tatsächlich keinerlei Informationen im Netz. Auch mein über die Sozialen Medien verbreiteter Aufruf, sich diesbezüglich bei mir vertraulich zu melden, blieb völlig ohne Antwort. Merke: Beim Kauf von Online-Tickets für Konzerte, die sehr wahrscheinlich abgesagt werden, sollte man äußerst skeptisch sein. ¶

... ist Konzertveranstalter, Moderator, Komponist und Pianist. Er gestaltet innovative Konzertformate, arbeitet als Musik-Satiriker, schreibt Stücke für Solist:innen und Ensembles und Texte für VAN, die Wiener Philharmoniker, die New York Philharmonics und die Bamberger Symphoniker. 2019 war er als Schauspieler an der Volksbühne zu erleben.