Rosalind Frances Ellicott wurde am 14. November 1857 in Cambridge geboren, also jährte sich am vergangenen Montag ihr Geburtstag zum 165. Mal. Rosalinds Mutter Constantia Anne Ellicott (geb. Becher) war zu ihrer Zeit eine bekannte Sängerin (und Gründerin der Londoner Handel Society, 1882), wie Silke Wenzel in ihrem Artikel über Ellicott vermerkt. Vater Charles John Ellicott war Bischoff von Gloucester und Bristol – und musikalisch nicht sonderlich bewandert. Fast »erwartungsgemäß«, dass die junge Rosalind bereits mit sechs Jahren erste eigene Kompositionen auf Papier notierte.

Von 1874 an studierte Rosalind Ellicott zunächst für zwei Jahre Klavier an der Royal Academy of Music in London. Ab 1885 nahm sie private Kompositionsstunden bei Thomas Wingham (1846–1893), einem heute nicht mehr bekannten Komponisten. Gesangsunterricht gab es von Seiten der (ebenfalls komponierenden) Sängerin Hilda Wilson (1860–1918), die sich insbesondere mit bedeutenden Partien berühmter Oratorien einen großen Namen in London gemacht hatte. Ellicott fühlte sich an der Royal Academy offenbar sehr wohl, wie Wenzel bezeugt – und erhielt 1896 den Titel »Associate of the Royal Academy of Music«.

Ihre ersten Jahre in der Musikwelt Englands verbrachte Ellicott allerdings als Sängerin – zusammen mit ihrer (ja ebenfalls singenden) Mutter. Ab Mitte der 1880er Jahre wurde sie zunehmend auch als Komponistin rezipiert. Selbst die Presse fand meist ausschließlich wohlwollende Worte nach Aufführungen von Werken Ellicotts. Leider konnten es die meisten Rezensenten nicht lassen, etwaige »weibliche« Attribute auf die Werke der Komponistin anzuwenden. So zitiert Wenzel beispielsweise die Kritik eines Konzerts, das am 21. März 1896 in der Reihe »Crystal Palace Concerts« stattgefunden hatte: »Das Programm umfasste außerdem Schumanns Rheinische Symphonie, gut gespielt, und Miss Rosalind Ellicotts reizendes Concertstück für Klavier und Orchester [gemeint ist vermutlich Ellicotts Fantasie für Klavier und Orchester a-Moll], in dem der Solopart von Sybil Palliser überaus anmutig gespielt wurde.« »Reizend«, da komponiert von einer Frau; »anmutig«, da gespielt von einer Frau. Erwartbar sexistisch.

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Zehn Jahre zuvor, 1886, hatte sich Rosalind Ellicott – wie im 18. und 19. Jahrhundert in mehreren europäischen Metropolen üblich – mit einem Konzert an die Öffentlichkeit gewagt, in dem ausschließlich Werke aus ihrer eigenen Feder auf dem Programm standen. Dafür saß die Komponistin selbst als Pianistin ihrer Kammermusikwerke mit auf der Bühne, an der Seite von Berühmtheiten wie dem legendären Cellisten Alfredo Piatti (1822–1901).

Um 1900 zog sich Ellicott aus der Öffentlichkeit größtenteils zurück und kümmerte sich um ihre kranke Mutter. Im elterlichen Hause übernahm sie zudem verwalterische Tätigkeiten für ihren Vater. Nach 1904 wurde es – nach ein paar wenigen Auftritten beziehungsweise konzertveranstalterischen Tätigkeiten – ruhig um Rosalind Ellicott. Ihren Lebensabend verbrachte sie an der englischen Südostküste und verstarb am 5. April 1924 im Alter von 66 Jahren ebendort, in Seasalter (Grafschaft Kent).


Rosalind Ellicott (1857–1924)
Trio für Violine, Violoncello und Klavier Nr. 2 d-Moll (1903)

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Rosalind Ellicott schrieb etwa ein halbes Dutzend Orchesterwerke, Vokalwerke, Solostücke sowie vor allem Kammermusiken. Diese wurden auch zu Lebzeiten aufgeführt und begeistert rezensiert. Ellicotts zweites Klaviertrio kam am 6. Dezember 1895 in der Londoner Queen’s Hall zur Uraufführung. Die Interpretinnen und Interpreten damals waren die in VAN bereits als Komponistin porträtierte Agnes Zimmermann (Klavier), der große Geiger (und Komponist) Émile Sauret sowie der aus Essex stammende Charles Ould (Violoncello).

Man hat keine Chance: Sofort gerät man in den Strudel der spätromantischen Girlanden von Rosalind Ellicott hinein. Als ob diese Musik immer schon dagewesen wäre. Ab und zu scheint das herzensbewegte Gefüge – trotz weiterwallenden Flusses – kurz etwas »stehenzubleiben«, um Wichtiges zu formulieren. Umringt fühlt man sich dabei von Brahmsschen Klängen und entsprechenden Exegesen aus den Bereichen »Leidenschaft und Melancholie«. Nicht ganz unakademisch (aber halt auch noch völlig zeitgeistig) werden die Stimmen hier und da kanonisch eingeführt; das Klavier rollt voran, erfüllt die unteren und mittleren Tonbereiche mit Leben. Absolut souveräne Kammermusik der Spätromantik: großer Ernst, volle Inbrunst – auf tonal unterhinterfragtem Grund. ¶

... ist Konzertveranstalter, Moderator, Komponist und Pianist. Er gestaltet innovative Konzertformate, arbeitet als Musik-Satiriker, schreibt Stücke für Solist:innen und Ensembles und Texte für VAN, die Wiener Philharmoniker, die New York Philharmonics und die Bamberger Symphoniker. 2019 war er als Schauspieler an der Volksbühne zu erleben.